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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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Morgen vor seinem Hingange zum Tode noch ein paar
Stunden mit ihm zuzubringen. Mit ihm dürfte ich nicht,
nach einer Königlichen Verordnung, zum Richtplatz fah-
ren, sondern ich müßte voraus gehen, und ihn erwarten.
Er bat mich, ich möchte auch morgen so wie bisher meine
Unterredungen mit ihm ruhig und kaltblütig fortsetzen, mich
so gut als mir möglich seyn würde in Fassung zu erhalten
suchen, damit er mich nicht leiden sähe, und auf der Blut-
bühne mein Geschäfft so kurz, als es seyn könnte, vollen-
den. Er werde daselbst nichts reden, als was höchstnöthig
seyn werde, denn er wolle seine Gedanken ganz auf Gott
und seinen Eingang in die Ewigkeit richten. Jch sagte
ihm, daß ich zwar ihm nach dem Ritual eine ziemlich lange
Reihe von Fragen vorlegen sollte, daß ichs mir aber für
erlaubt hielte, sie kurz zusammen zu fassen. Jch that dieß
in seiner Gegenwart, schrieb die Fragen, die ich an ihn
thun wollte, auf, und las sie ihm vor.

Jch mag um der Zärtlichkeit der Situation willen,
sagte er, meinen Bruder nicht sehen und Abschied von ihm
nehmen. Jch bitte Sie, thun Sie es in meinem Nahmen.
Jch bitte ihn um Vergebung, daß ich ihn mit ins Unglück
gezogen habe, aber ich hoffe und bin gewiß, daß seine Sache
einen guten Ausgang haben wird. Jch versichere ihn, daß
ich mit wahrer brüderlicher Liebe gegen ihn aus der Welt
gehe. Sagen Sie ihm auch, mit welchen Gesinnungen ich
sterbe, und wie Sie mich finden. -- Diesen Auftrag, den
zärtlichsten und rührendesten, den ich je gehabt habe, rich-
tete ich mit Erlaubniß des Herrn Commendanten noch die-
sen Abend aus, und brachte auch die Antwort des sehr be-
wegten Bruders zurück.

Acht und dreißigste Unterredung, den
28sten April.

Nach der Erzählung des wachthabenden Officiers hatte
der nun gewiß nicht mehr unglückliche Mann sich am

vorigen



Morgen vor ſeinem Hingange zum Tode noch ein paar
Stunden mit ihm zuzubringen. Mit ihm duͤrfte ich nicht,
nach einer Koͤniglichen Verordnung, zum Richtplatz fah-
ren, ſondern ich muͤßte voraus gehen, und ihn erwarten.
Er bat mich, ich moͤchte auch morgen ſo wie bisher meine
Unterredungen mit ihm ruhig und kaltbluͤtig fortſetzen, mich
ſo gut als mir moͤglich ſeyn wuͤrde in Faſſung zu erhalten
ſuchen, damit er mich nicht leiden ſaͤhe, und auf der Blut-
buͤhne mein Geſchaͤfft ſo kurz, als es ſeyn koͤnnte, vollen-
den. Er werde daſelbſt nichts reden, als was hoͤchſtnoͤthig
ſeyn werde, denn er wolle ſeine Gedanken ganz auf Gott
und ſeinen Eingang in die Ewigkeit richten. Jch ſagte
ihm, daß ich zwar ihm nach dem Ritual eine ziemlich lange
Reihe von Fragen vorlegen ſollte, daß ichs mir aber fuͤr
erlaubt hielte, ſie kurz zuſammen zu faſſen. Jch that dieß
in ſeiner Gegenwart, ſchrieb die Fragen, die ich an ihn
thun wollte, auf, und las ſie ihm vor.

Jch mag um der Zaͤrtlichkeit der Situation willen,
ſagte er, meinen Bruder nicht ſehen und Abſchied von ihm
nehmen. Jch bitte Sie, thun Sie es in meinem Nahmen.
Jch bitte ihn um Vergebung, daß ich ihn mit ins Ungluͤck
gezogen habe, aber ich hoffe und bin gewiß, daß ſeine Sache
einen guten Ausgang haben wird. Jch verſichere ihn, daß
ich mit wahrer bruͤderlicher Liebe gegen ihn aus der Welt
gehe. Sagen Sie ihm auch, mit welchen Geſinnungen ich
ſterbe, und wie Sie mich finden. — Dieſen Auftrag, den
zaͤrtlichſten und ruͤhrendeſten, den ich je gehabt habe, rich-
tete ich mit Erlaubniß des Herrn Commendanten noch die-
ſen Abend aus, und brachte auch die Antwort des ſehr be-
wegten Bruders zuruͤck.

Acht und dreißigſte Unterredung, den
28ſten April.

Nach der Erzaͤhlung des wachthabenden Officiers hatte
der nun gewiß nicht mehr ungluͤckliche Mann ſich am

vorigen
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[270/0282] Morgen vor ſeinem Hingange zum Tode noch ein paar Stunden mit ihm zuzubringen. Mit ihm duͤrfte ich nicht, nach einer Koͤniglichen Verordnung, zum Richtplatz fah- ren, ſondern ich muͤßte voraus gehen, und ihn erwarten. Er bat mich, ich moͤchte auch morgen ſo wie bisher meine Unterredungen mit ihm ruhig und kaltbluͤtig fortſetzen, mich ſo gut als mir moͤglich ſeyn wuͤrde in Faſſung zu erhalten ſuchen, damit er mich nicht leiden ſaͤhe, und auf der Blut- buͤhne mein Geſchaͤfft ſo kurz, als es ſeyn koͤnnte, vollen- den. Er werde daſelbſt nichts reden, als was hoͤchſtnoͤthig ſeyn werde, denn er wolle ſeine Gedanken ganz auf Gott und ſeinen Eingang in die Ewigkeit richten. Jch ſagte ihm, daß ich zwar ihm nach dem Ritual eine ziemlich lange Reihe von Fragen vorlegen ſollte, daß ichs mir aber fuͤr erlaubt hielte, ſie kurz zuſammen zu faſſen. Jch that dieß in ſeiner Gegenwart, ſchrieb die Fragen, die ich an ihn thun wollte, auf, und las ſie ihm vor. Jch mag um der Zaͤrtlichkeit der Situation willen, ſagte er, meinen Bruder nicht ſehen und Abſchied von ihm nehmen. Jch bitte Sie, thun Sie es in meinem Nahmen. Jch bitte ihn um Vergebung, daß ich ihn mit ins Ungluͤck gezogen habe, aber ich hoffe und bin gewiß, daß ſeine Sache einen guten Ausgang haben wird. Jch verſichere ihn, daß ich mit wahrer bruͤderlicher Liebe gegen ihn aus der Welt gehe. Sagen Sie ihm auch, mit welchen Geſinnungen ich ſterbe, und wie Sie mich finden. — Dieſen Auftrag, den zaͤrtlichſten und ruͤhrendeſten, den ich je gehabt habe, rich- tete ich mit Erlaubniß des Herrn Commendanten noch die- ſen Abend aus, und brachte auch die Antwort des ſehr be- wegten Bruders zuruͤck. Acht und dreißigſte Unterredung, den 28ſten April. Nach der Erzaͤhlung des wachthabenden Officiers hatte der nun gewiß nicht mehr ungluͤckliche Mann ſich am vorigen

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/282>, abgerufen am 29.03.2024.