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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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geistliche Ministerium in Wegfall gekommen ist und nur
noch wenige Tempel aus Staatsmitteln unterhalten
werden. Aber die eigentliche Volksreligion blieb der
im Volk gewurzelte Buddhismus, neben welchem man
dem Shintoismus insoweit huldigt, wie das bei der
Darstellung des volkstümlichen Shintoismus beschrieben
wurde.

Neuerdings ist dem Shintoismus noch einmal eine
Chance geworden und zwar nicht von staatlicher, sondern
von ethischer Seite. Der Kampf wider das Christentum
nötigt die alten Mächte zum Zusammengehen, und selbst
alte aufgeklärte Konfuzianisten sehen keine andere Mög-
lichkeit des Sieges, als daß sie sich mit dem früher
verachteten shintoistischen Aberglauben verbinden. In
einem sogen. "Neushintoismus" soll die Verehrung der
alten Götter wieder aufleben, und damit die neue Religion
auch inneren Halt und Gehalt besitzt, so wird ihr die
altjapanische Tugendlehre auf dem Grunde der Pietät
und Loyalität eingefügt. Die Idee hat großen Anklang
gefunden. Bei einem Feste, welches vor Jahresfrist unter
dieser Parole bei den Isetempeln stattfand, sollen eine
Viertelmillion Menschen aus allen Teilen des Landes
zugegen gewesen sein. Gleichwohl ist es ein Verzweif-
lungsakt, und die ihn in Scene gesetzt haben, glauben
selbst nicht an die Shintogötter. Die altjapanische
Bewegung mag dadurch für eine Weile gestärkt werden,
der Shintoismus wird dabei nicht wieder lebendig
gemacht; er wird sterben, ob er auch in einzelnen Äuße-
rungen seines Aberglaubens noch die Jahrhunderte
überdauern wird.


geiſtliche Miniſterium in Wegfall gekommen iſt und nur
noch wenige Tempel aus Staatsmitteln unterhalten
werden. Aber die eigentliche Volksreligion blieb der
im Volk gewurzelte Buddhismus, neben welchem man
dem Shintoismus inſoweit huldigt, wie das bei der
Darſtellung des volkstümlichen Shintoismus beſchrieben
wurde.

Neuerdings iſt dem Shintoismus noch einmal eine
Chance geworden und zwar nicht von ſtaatlicher, ſondern
von ethiſcher Seite. Der Kampf wider das Chriſtentum
nötigt die alten Mächte zum Zuſammengehen, und ſelbſt
alte aufgeklärte Konfuzianiſten ſehen keine andere Mög-
lichkeit des Sieges, als daß ſie ſich mit dem früher
verachteten ſhintoiſtiſchen Aberglauben verbinden. In
einem ſogen. „Neuſhintoismus“ ſoll die Verehrung der
alten Götter wieder aufleben, und damit die neue Religion
auch inneren Halt und Gehalt beſitzt, ſo wird ihr die
altjapaniſche Tugendlehre auf dem Grunde der Pietät
und Loyalität eingefügt. Die Idee hat großen Anklang
gefunden. Bei einem Feſte, welches vor Jahresfriſt unter
dieſer Parole bei den Iſetempeln ſtattfand, ſollen eine
Viertelmillion Menſchen aus allen Teilen des Landes
zugegen geweſen ſein. Gleichwohl iſt es ein Verzweif-
lungsakt, und die ihn in Scene geſetzt haben, glauben
ſelbſt nicht an die Shintogötter. Die altjapaniſche
Bewegung mag dadurch für eine Weile geſtärkt werden,
der Shintoismus wird dabei nicht wieder lebendig
gemacht; er wird ſterben, ob er auch in einzelnen Äuße-
rungen ſeines Aberglaubens noch die Jahrhunderte
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[216/0230] geiſtliche Miniſterium in Wegfall gekommen iſt und nur noch wenige Tempel aus Staatsmitteln unterhalten werden. Aber die eigentliche Volksreligion blieb der im Volk gewurzelte Buddhismus, neben welchem man dem Shintoismus inſoweit huldigt, wie das bei der Darſtellung des volkstümlichen Shintoismus beſchrieben wurde. Neuerdings iſt dem Shintoismus noch einmal eine Chance geworden und zwar nicht von ſtaatlicher, ſondern von ethiſcher Seite. Der Kampf wider das Chriſtentum nötigt die alten Mächte zum Zuſammengehen, und ſelbſt alte aufgeklärte Konfuzianiſten ſehen keine andere Mög- lichkeit des Sieges, als daß ſie ſich mit dem früher verachteten ſhintoiſtiſchen Aberglauben verbinden. In einem ſogen. „Neuſhintoismus“ ſoll die Verehrung der alten Götter wieder aufleben, und damit die neue Religion auch inneren Halt und Gehalt beſitzt, ſo wird ihr die altjapaniſche Tugendlehre auf dem Grunde der Pietät und Loyalität eingefügt. Die Idee hat großen Anklang gefunden. Bei einem Feſte, welches vor Jahresfriſt unter dieſer Parole bei den Iſetempeln ſtattfand, ſollen eine Viertelmillion Menſchen aus allen Teilen des Landes zugegen geweſen ſein. Gleichwohl iſt es ein Verzweif- lungsakt, und die ihn in Scene geſetzt haben, glauben ſelbſt nicht an die Shintogötter. Die altjapaniſche Bewegung mag dadurch für eine Weile geſtärkt werden, der Shintoismus wird dabei nicht wieder lebendig gemacht; er wird ſterben, ob er auch in einzelnen Äuße- rungen ſeines Aberglaubens noch die Jahrhunderte überdauern wird.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/230>, abgerufen am 28.03.2024.