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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

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Am Tage Sankt Kilian.
Abentheuer.

Was auch das alte Sprüchwort sagt,
daß das, was man hinter'm Zaun' aufließt,
nicht viel taugen soll: so hat doch diese Re-
gel wie alle Regeln in der Welt ihre Aus-
nahmen. Heut hab einen Fund gethan, --
hinter'm Zaune, das ist wahr; -- aber um
viel Geld wär mir nicht die Wohllust feil,
eine seufzende Kreatur beruhiget, die lei-
dende Unschuld getröstet, und die schmach-
tende Dürftigkeit erquickt zu haben. Das
denk' ich, predigte der Pastor am Sonn-
tag', und ich übt's aus den Dienstag. Der
gute Mann irrt also, wenn er, seitdem
ihm mein Philipp die Hasenschlingen vori-
gen Winter im Pfarrgarten zerschnitten hat,
der Meinung ist, ich sey ein Irregenitus,
und könne keine guten Werk' thun.

Unter einem Apfelbaum', hinter meinem
Garten, fand ich gegen Untergang der Sonn'

ein


Am Tage Sankt Kilian.
Abentheuer.

Was auch das alte Spruͤchwort ſagt,
daß das, was man hinter’m Zaun’ aufließt,
nicht viel taugen ſoll: ſo hat doch dieſe Re-
gel wie alle Regeln in der Welt ihre Aus-
nahmen. Heut hab einen Fund gethan, —
hinter’m Zaune, das iſt wahr; — aber um
viel Geld waͤr mir nicht die Wohlluſt feil,
eine ſeufzende Kreatur beruhiget, die lei-
dende Unſchuld getroͤſtet, und die ſchmach-
tende Duͤrftigkeit erquickt zu haben. Das
denk’ ich, predigte der Paſtor am Sonn-
tag’, und ich uͤbt’s aus den Dienſtag. Der
gute Mann irrt alſo, wenn er, ſeitdem
ihm mein Philipp die Haſenſchlingen vori-
gen Winter im Pfarrgarten zerſchnitten hat,
der Meinung iſt, ich ſey ein Irregenitus,
und koͤnne keine guten Werk’ thun.

Unter einem Apfelbaum’, hinter meinem
Garten, fand ich gegen Untergang der Sonn’

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[94/0100] Am Tage Sankt Kilian. Abentheuer. Was auch das alte Spruͤchwort ſagt, daß das, was man hinter’m Zaun’ aufließt, nicht viel taugen ſoll: ſo hat doch dieſe Re- gel wie alle Regeln in der Welt ihre Aus- nahmen. Heut hab einen Fund gethan, — hinter’m Zaune, das iſt wahr; — aber um viel Geld waͤr mir nicht die Wohlluſt feil, eine ſeufzende Kreatur beruhiget, die lei- dende Unſchuld getroͤſtet, und die ſchmach- tende Duͤrftigkeit erquickt zu haben. Das denk’ ich, predigte der Paſtor am Sonn- tag’, und ich uͤbt’s aus den Dienſtag. Der gute Mann irrt alſo, wenn er, ſeitdem ihm mein Philipp die Haſenſchlingen vori- gen Winter im Pfarrgarten zerſchnitten hat, der Meinung iſt, ich ſey ein Irregenitus, und koͤnne keine guten Werk’ thun. Unter einem Apfelbaum’, hinter meinem Garten, fand ich gegen Untergang der Sonn’ ein

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/100>, abgerufen am 28.03.2024.