Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm irgendwo der Schuh drükt', erkundigt'
mich der Umständ' und vernahm, daß der
Magistrat mit einer philanthropinischen
Schulreformation umgeh; legt es den alten
Lehrern so nah, daß der Rektor bereits sei-
nen Abschied begehrt. Nun waren sie hin-
ter den Magister Gratius her, daß der auch
abdanken sollt'; doch der war gescheid, und
that als merkt er's nicht. Da hatten sie
vor ihn für einen Jnvaliden auszugeben,
und ihn mit Zeisigfutter zur Ruh zu setzen;
gleichwohl ist der Mann noch rüstig, läufr
den Tag seine drey Meilen, ist aller Sin-
nen mächtig, und hat einen Magen, daß
er wohl Nägel und Hufeisen verdauen könnt,
wie der Vogel Strauß. Zog derselb ein
gedrukt Avertissement der philanthropini-
schen Jugendfreund', die den alten Schul-
sauerteig ausfegen sollten, aus der Taschen,
worinn sie die Weisheit, Menschenlieb
und Freygebigkeit des Magistrats trefflich
herausgestrichen, auch die alten Schulher-
ren gar säuberlich gestreichelt hatten; doch
gemahnt mich das Ding wie's Jnterim,
hatt' den Schalk hinter ihm. Jch philan-
thropisir' auch ein wenig mit unter; durft'
michs vor dem Magister Gratius doch nicht

aus-

ihm irgendwo der Schuh druͤkt’, erkundigt’
mich der Umſtaͤnd’ und vernahm, daß der
Magiſtrat mit einer philanthropiniſchen
Schulreformation umgeh; legt es den alten
Lehrern ſo nah, daß der Rektor bereits ſei-
nen Abſchied begehrt. Nun waren ſie hin-
ter den Magiſter Gratius her, daß der auch
abdanken ſollt’; doch der war geſcheid, und
that als merkt er’s nicht. Da hatten ſie
vor ihn fuͤr einen Jnvaliden auszugeben,
und ihn mit Zeiſigfutter zur Ruh zu ſetzen;
gleichwohl iſt der Mann noch ruͤſtig, laͤufr
den Tag ſeine drey Meilen, iſt aller Sin-
nen maͤchtig, und hat einen Magen, daß
er wohl Naͤgel und Hufeiſen verdauen koͤnnt,
wie der Vogel Strauß. Zog derſelb ein
gedrukt Avertiſſement der philanthropini-
ſchen Jugendfreund’, die den alten Schul-
ſauerteig ausfegen ſollten, aus der Taſchen,
worinn ſie die Weisheit, Menſchenlieb
und Freygebigkeit des Magiſtrats trefflich
herausgeſtrichen, auch die alten Schulher-
ren gar ſaͤuberlich geſtreichelt hatten; doch
gemahnt mich das Ding wie’s Jnterim,
hatt’ den Schalk hinter ihm. Jch philan-
thropiſir’ auch ein wenig mit unter; durft’
michs vor dem Magiſter Gratius doch nicht

aus-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0161" n="155"/>
ihm irgendwo der Schuh dru&#x0364;kt&#x2019;, erkundigt&#x2019;<lb/>
mich der Um&#x017F;ta&#x0364;nd&#x2019; und vernahm, daß der<lb/>
Magi&#x017F;trat mit einer philanthropini&#x017F;chen<lb/>
Schulreformation umgeh; legt es den alten<lb/>
Lehrern &#x017F;o nah, daß der Rektor bereits &#x017F;ei-<lb/>
nen Ab&#x017F;chied begehrt. Nun waren &#x017F;ie hin-<lb/>
ter den Magi&#x017F;ter Gratius her, daß der auch<lb/>
abdanken &#x017F;ollt&#x2019;; doch der war ge&#x017F;cheid, und<lb/>
that als merkt er&#x2019;s nicht. Da hatten &#x017F;ie<lb/>
vor ihn fu&#x0364;r einen Jnvaliden auszugeben,<lb/>
und ihn mit Zei&#x017F;igfutter zur Ruh zu &#x017F;etzen;<lb/>
gleichwohl i&#x017F;t der Mann noch ru&#x0364;&#x017F;tig, la&#x0364;ufr<lb/>
den Tag &#x017F;eine drey Meilen, i&#x017F;t aller Sin-<lb/>
nen ma&#x0364;chtig, und hat einen Magen, daß<lb/>
er wohl Na&#x0364;gel und Hufei&#x017F;en verdauen ko&#x0364;nnt,<lb/>
wie der Vogel Strauß. Zog der&#x017F;elb ein<lb/>
gedrukt Averti&#x017F;&#x017F;ement der philanthropini-<lb/>
&#x017F;chen Jugendfreund&#x2019;, die den alten Schul-<lb/>
&#x017F;auerteig ausfegen &#x017F;ollten, aus der Ta&#x017F;chen,<lb/>
worinn &#x017F;ie die Weisheit, Men&#x017F;chenlieb<lb/>
und Freygebigkeit des Magi&#x017F;trats trefflich<lb/>
herausge&#x017F;trichen, auch die alten Schulher-<lb/>
ren gar &#x017F;a&#x0364;uberlich ge&#x017F;treichelt hatten; doch<lb/>
gemahnt mich das Ding wie&#x2019;s Jnterim,<lb/>
hatt&#x2019; den Schalk hinter ihm. Jch philan-<lb/>
thropi&#x017F;ir&#x2019; auch ein wenig mit unter; durft&#x2019;<lb/>
michs vor dem Magi&#x017F;ter Gratius doch nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">aus-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0161] ihm irgendwo der Schuh druͤkt’, erkundigt’ mich der Umſtaͤnd’ und vernahm, daß der Magiſtrat mit einer philanthropiniſchen Schulreformation umgeh; legt es den alten Lehrern ſo nah, daß der Rektor bereits ſei- nen Abſchied begehrt. Nun waren ſie hin- ter den Magiſter Gratius her, daß der auch abdanken ſollt’; doch der war geſcheid, und that als merkt er’s nicht. Da hatten ſie vor ihn fuͤr einen Jnvaliden auszugeben, und ihn mit Zeiſigfutter zur Ruh zu ſetzen; gleichwohl iſt der Mann noch ruͤſtig, laͤufr den Tag ſeine drey Meilen, iſt aller Sin- nen maͤchtig, und hat einen Magen, daß er wohl Naͤgel und Hufeiſen verdauen koͤnnt, wie der Vogel Strauß. Zog derſelb ein gedrukt Avertiſſement der philanthropini- ſchen Jugendfreund’, die den alten Schul- ſauerteig ausfegen ſollten, aus der Taſchen, worinn ſie die Weisheit, Menſchenlieb und Freygebigkeit des Magiſtrats trefflich herausgeſtrichen, auch die alten Schulher- ren gar ſaͤuberlich geſtreichelt hatten; doch gemahnt mich das Ding wie’s Jnterim, hatt’ den Schalk hinter ihm. Jch philan- thropiſir’ auch ein wenig mit unter; durft’ michs vor dem Magiſter Gratius doch nicht aus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/161
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/161>, abgerufen am 20.04.2024.