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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

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seine Diebskameraden verpaßten die rechte
Zeit, kamen angezogen, da der Kauz eben
seinen Engelsaugenblik hatt', -- ia, da
kamen sie freylich unrecht. Meine Aus-
deutung des Markusgesichts ist deßhalb'
unwiderruflich; der Kerl taugt in der Wur-
zel nicht und wenn er sich noch so ehrlich
hielt; ia wenn ihm ein Heiligenschein ums
Haupt flöß, so spräch ich doch, der Gal-
gen sey ihm vor die Stirn geschrieben.
Denn daß mir sein Gesicht bey der Wider-
kehr von der Kneipschenk so gut und bieder
vorkam, beweißt nichts für ihn, sondern
bestätigt nur die Wahrheit des goldnen
Spruchs vom Tripus des Meisters, daß
grade vor oder nach einer edlen That, gra-
de nach oder unmittelbar vor einer schänd-
lichen That, derselbe Mensch eine ganz
andre Physiognomie habe. Dulden will
ich ihn wohl, bis er einen seiner bösen
Schwänk ausgehen läßt; ob ich ihm gleich
nie vertrauen werd.

Um 8 Uhr.

O weh! Wie versteh ich das? Die So-
phie mit ihrer Engelsphysiognomie, die
Heva aus einer Unschuldswelt hat sich --

unsicht-

ſeine Diebskameraden verpaßten die rechte
Zeit, kamen angezogen, da der Kauz eben
ſeinen Engelsaugenblik hatt’, — ia, da
kamen ſie freylich unrecht. Meine Aus-
deutung des Markusgeſichts iſt deßhalb’
unwiderruflich; der Kerl taugt in der Wur-
zel nicht und wenn er ſich noch ſo ehrlich
hielt; ia wenn ihm ein Heiligenſchein ums
Haupt floͤß, ſo ſpraͤch ich doch, der Gal-
gen ſey ihm vor die Stirn geſchrieben.
Denn daß mir ſein Geſicht bey der Wider-
kehr von der Kneipſchenk ſo gut und bieder
vorkam, beweißt nichts fuͤr ihn, ſondern
beſtaͤtigt nur die Wahrheit des goldnen
Spruchs vom Tripus des Meiſters, daß
grade vor oder nach einer edlen That, gra-
de nach oder unmittelbar vor einer ſchaͤnd-
lichen That, derſelbe Menſch eine ganz
andre Phyſiognomie habe. Dulden will
ich ihn wohl, bis er einen ſeiner boͤſen
Schwaͤnk ausgehen laͤßt; ob ich ihm gleich
nie vertrauen werd.

Um 8 Uhr.

O weh! Wie verſteh ich das? Die So-
phie mit ihrer Engelsphyſiognomie, die
Heva aus einer Unſchuldswelt hat ſich —

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[190/0196] ſeine Diebskameraden verpaßten die rechte Zeit, kamen angezogen, da der Kauz eben ſeinen Engelsaugenblik hatt’, — ia, da kamen ſie freylich unrecht. Meine Aus- deutung des Markusgeſichts iſt deßhalb’ unwiderruflich; der Kerl taugt in der Wur- zel nicht und wenn er ſich noch ſo ehrlich hielt; ia wenn ihm ein Heiligenſchein ums Haupt floͤß, ſo ſpraͤch ich doch, der Gal- gen ſey ihm vor die Stirn geſchrieben. Denn daß mir ſein Geſicht bey der Wider- kehr von der Kneipſchenk ſo gut und bieder vorkam, beweißt nichts fuͤr ihn, ſondern beſtaͤtigt nur die Wahrheit des goldnen Spruchs vom Tripus des Meiſters, daß grade vor oder nach einer edlen That, gra- de nach oder unmittelbar vor einer ſchaͤnd- lichen That, derſelbe Menſch eine ganz andre Phyſiognomie habe. Dulden will ich ihn wohl, bis er einen ſeiner boͤſen Schwaͤnk ausgehen laͤßt; ob ich ihm gleich nie vertrauen werd. Um 8 Uhr. O weh! Wie verſteh ich das? Die So- phie mit ihrer Engelsphyſiognomie, die Heva aus einer Unſchuldswelt hat ſich — unſicht-

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/196>, abgerufen am 28.03.2024.