Am Tage Walpurgis. Monolog, bey einem Spaziergange.
O des Maulwurfsgeschlechts! das auf meinem Wege da neben mir hin- wandelt, Augen hat ohne Sehkraft, Nasen ohne Riechkraft, Mäuler ohne Schmeck- kraft. -- Da geht eine Menge Alltagsge- sichter vor mir vorüber, die nichts denken, nichts thun, als daß sie einen Fuß um den andern fördersetzen, Athem schöpfen, in den unermeßlichen blauen Himmel hinaus stau- nen, und leben, athmen und sich bewegen, um nur die Dauungskraft dadurch zu beför- dern; oder als Karrenschieber ihres mecha- nischen Berufs zu warten.
Wohl dem Menschen, der einen spekula- tifen Kopf auf seinen Schultern trägt! der nicht für langer Weile schmachtet und gäh-
net,
B 2
Am Tage Walpurgis. Monolog, bey einem Spaziergange.
O des Maulwurfsgeſchlechts! das auf meinem Wege da neben mir hin- wandelt, Augen hat ohne Sehkraft, Naſen ohne Riechkraft, Maͤuler ohne Schmeck- kraft. — Da geht eine Menge Alltagsge- ſichter vor mir voruͤber, die nichts denken, nichts thun, als daß ſie einen Fuß um den andern foͤrderſetzen, Athem ſchoͤpfen, in den unermeßlichen blauen Himmel hinaus ſtau- nen, und leben, athmen und ſich bewegen, um nur die Dauungskraft dadurch zu befoͤr- dern; oder als Karrenſchieber ihres mecha- niſchen Berufs zu warten.
Wohl dem Menſchen, der einen ſpekula- tifen Kopf auf ſeinen Schultern traͤgt! der nicht fuͤr langer Weile ſchmachtet und gaͤh-
net,
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[[19]/0025]
Am Tage Walpurgis.
Monolog, bey einem Spaziergange.
O des Maulwurfsgeſchlechts! das auf
meinem Wege da neben mir hin-
wandelt, Augen hat ohne Sehkraft, Naſen
ohne Riechkraft, Maͤuler ohne Schmeck-
kraft. — Da geht eine Menge Alltagsge-
ſichter vor mir voruͤber, die nichts denken,
nichts thun, als daß ſie einen Fuß um den
andern foͤrderſetzen, Athem ſchoͤpfen, in den
unermeßlichen blauen Himmel hinaus ſtau-
nen, und leben, athmen und ſich bewegen,
um nur die Dauungskraft dadurch zu befoͤr-
dern; oder als Karrenſchieber ihres mecha-
niſchen Berufs zu warten.
Wohl dem Menſchen, der einen ſpekula-
tifen Kopf auf ſeinen Schultern traͤgt! der
nicht fuͤr langer Weile ſchmachtet und gaͤh-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. [19]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/25>, abgerufen am 03.12.2023.
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