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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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Schulgattungen ohne Unterschied würde das unberechenbare
Vorteile einschliessen.

Eine Mehrheit von Schulgattungen für die zweite Stufe
dagegen, etwa für eine zweite Schulperiode vom 12. bis 18. Jahr,
ist um der Berufsteilung willen unerlässlich. Namentlich wird
eine Scheidung auf lange hin notwendig bleiben zwischen der
Vorbereitung zu solchen Berufen, die einer tiefgehenden spezial-
wissenschaftlichen Ausbildung bedürfen, und denen, die ihrer
entraten können, dagegen gewisse, möglichst früh zu erwerbende
Fertigkeiten beanspruchen; im allgemeinen also zwischen der
Vorbildung zu studierten Berufen einerseits, gewerblichen
andrerseits. Für jene ist die heutige "höhere" Schule, oder
sind vielmehr die verschiedenen Gattungen solcher im all-
gemeinen wohl geeignet; normal als Vorstufen zur Universität
einerseits, den technischen Hochschulen andrerseits. Die Schule
höchster Gattung hätte nur die nach theoretischer Seite Be-
fähigtsten aufzunehmen, dann aber auch entsprechend hohe An-
forderungen zu stellen. Es ist mir nicht zweifelhaft, dass diese
höchste Gattung an dem Ideal des "neuhumanistischen" Gym-
nasiums festzuhalten hätte; ich meine an der Verbindung einer
breiten Grundlage zu tiefdringendem Kulturstudium nicht ohne
die klassischen Sprachen, besonders das Griechische, und eines
nicht minder ernsten mathematischen und mathematisch-physi-
kalischen Studiums. Hingegen ist das gegenwärtige numerische
Uebergewicht des humanistischen Gymnasiums durchaus un-
gesund, es drückt das Niveau des Gymnasiums selbst tiefer
und tiefer, während es zugleich sämtliche Parallelanstalten in
ihrer sachgemässen Entwicklung empfindlich hemmt. Es sollten
also die Anforderungen des humanistischen Gymnasiums auf
ihrer vollen Höhe erhalten, ja gesteigert, aber dann auch der
Zugang zu dieser Anstalt Unfähigen aufs strengste versperrt
werden. Wie das anders als auf Grundlage der allgemeinen
Volksschule ausführbar ist, vermag ich nicht einzusehen. Beim
zwölfjährigen, sechs Jahre gemeinsam mit den andern geschulten
Kinde liesse sich ein Urteil über die Befähigung mit ausreichender
Sicherheit abgeben, während jetzt über das sechsjährige Kind
eine nur schwer rückgängig zu machende Entscheidung betreffs

Schulgattungen ohne Unterschied würde das unberechenbare
Vorteile einschliessen.

Eine Mehrheit von Schulgattungen für die zweite Stufe
dagegen, etwa für eine zweite Schulperiode vom 12. bis 18. Jahr,
ist um der Berufsteilung willen unerlässlich. Namentlich wird
eine Scheidung auf lange hin notwendig bleiben zwischen der
Vorbereitung zu solchen Berufen, die einer tiefgehenden spezial-
wissenschaftlichen Ausbildung bedürfen, und denen, die ihrer
entraten können, dagegen gewisse, möglichst früh zu erwerbende
Fertigkeiten beanspruchen; im allgemeinen also zwischen der
Vorbildung zu studierten Berufen einerseits, gewerblichen
andrerseits. Für jene ist die heutige „höhere“ Schule, oder
sind vielmehr die verschiedenen Gattungen solcher im all-
gemeinen wohl geeignet; normal als Vorstufen zur Universität
einerseits, den technischen Hochschulen andrerseits. Die Schule
höchster Gattung hätte nur die nach theoretischer Seite Be-
fähigtsten aufzunehmen, dann aber auch entsprechend hohe An-
forderungen zu stellen. Es ist mir nicht zweifelhaft, dass diese
höchste Gattung an dem Ideal des „neuhumanistischen“ Gym-
nasiums festzuhalten hätte; ich meine an der Verbindung einer
breiten Grundlage zu tiefdringendem Kulturstudium nicht ohne
die klassischen Sprachen, besonders das Griechische, und eines
nicht minder ernsten mathematischen und mathematisch-physi-
kalischen Studiums. Hingegen ist das gegenwärtige numerische
Uebergewicht des humanistischen Gymnasiums durchaus un-
gesund, es drückt das Niveau des Gymnasiums selbst tiefer
und tiefer, während es zugleich sämtliche Parallelanstalten in
ihrer sachgemässen Entwicklung empfindlich hemmt. Es sollten
also die Anforderungen des humanistischen Gymnasiums auf
ihrer vollen Höhe erhalten, ja gesteigert, aber dann auch der
Zugang zu dieser Anstalt Unfähigen aufs strengste versperrt
werden. Wie das anders als auf Grundlage der allgemeinen
Volksschule ausführbar ist, vermag ich nicht einzusehen. Beim
zwölfjährigen, sechs Jahre gemeinsam mit den andern geschulten
Kinde liesse sich ein Urteil über die Befähigung mit ausreichender
Sicherheit abgeben, während jetzt über das sechsjährige Kind
eine nur schwer rückgängig zu machende Entscheidung betreffs

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[212/0228] Schulgattungen ohne Unterschied würde das unberechenbare Vorteile einschliessen. Eine Mehrheit von Schulgattungen für die zweite Stufe dagegen, etwa für eine zweite Schulperiode vom 12. bis 18. Jahr, ist um der Berufsteilung willen unerlässlich. Namentlich wird eine Scheidung auf lange hin notwendig bleiben zwischen der Vorbereitung zu solchen Berufen, die einer tiefgehenden spezial- wissenschaftlichen Ausbildung bedürfen, und denen, die ihrer entraten können, dagegen gewisse, möglichst früh zu erwerbende Fertigkeiten beanspruchen; im allgemeinen also zwischen der Vorbildung zu studierten Berufen einerseits, gewerblichen andrerseits. Für jene ist die heutige „höhere“ Schule, oder sind vielmehr die verschiedenen Gattungen solcher im all- gemeinen wohl geeignet; normal als Vorstufen zur Universität einerseits, den technischen Hochschulen andrerseits. Die Schule höchster Gattung hätte nur die nach theoretischer Seite Be- fähigtsten aufzunehmen, dann aber auch entsprechend hohe An- forderungen zu stellen. Es ist mir nicht zweifelhaft, dass diese höchste Gattung an dem Ideal des „neuhumanistischen“ Gym- nasiums festzuhalten hätte; ich meine an der Verbindung einer breiten Grundlage zu tiefdringendem Kulturstudium nicht ohne die klassischen Sprachen, besonders das Griechische, und eines nicht minder ernsten mathematischen und mathematisch-physi- kalischen Studiums. Hingegen ist das gegenwärtige numerische Uebergewicht des humanistischen Gymnasiums durchaus un- gesund, es drückt das Niveau des Gymnasiums selbst tiefer und tiefer, während es zugleich sämtliche Parallelanstalten in ihrer sachgemässen Entwicklung empfindlich hemmt. Es sollten also die Anforderungen des humanistischen Gymnasiums auf ihrer vollen Höhe erhalten, ja gesteigert, aber dann auch der Zugang zu dieser Anstalt Unfähigen aufs strengste versperrt werden. Wie das anders als auf Grundlage der allgemeinen Volksschule ausführbar ist, vermag ich nicht einzusehen. Beim zwölfjährigen, sechs Jahre gemeinsam mit den andern geschulten Kinde liesse sich ein Urteil über die Befähigung mit ausreichender Sicherheit abgeben, während jetzt über das sechsjährige Kind eine nur schwer rückgängig zu machende Entscheidung betreffs

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/228>, abgerufen am 28.03.2024.