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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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Tode alles aus, gethan hat, was ihm beliebt, und
in dieser Sorglosigkeit vieles begangen hat, das er
nicht rechtfertigen und dessen Folgen in jenem Leben
er nicht ändern kann? Und überlegen Sie, welcher
unter beiden in dieser Welt ein besserer Bürger, und
ein rechtschaffenerer, tugendhafterer Mensch seyn
werde.

Der Major sah den Sebaldus mit starren Au-
gen an, und schwieg still. Sebaldus auch. End-
lich brach der Kranke aus:

Herr! daran habe ich noch in meinen Leben nicht
gedacht. Ein Soldat hat auch nicht Zeit, so weit
hinzudenken. Aber ich besinne mich itzt eben. Wenn
auch ein künftiges Leben, und ein jüngster Tag ist,
so glaube ich, ich werde dann ein Herz fassen, und
weder vor Gott noch vor dem Teufel erschrecken. Laß
ihn kommen den Teufel, wenn er mich anklagen will,
er muß mich doch vor Gott anklagen, und der weiß,
daß ich nie wissentlich etwas böses gethan habe. O!
du mein allmächtiger Schöpfer! würde ich sagen, (er
richtete sich ein wenig auf, und faltete seine Hände,)
du weißt, daß ich nie den hülflosen Unglücklichen ge-
drückt, daß ich nie Wittwen und Waisen betrübt,
daß ich nie wissentlich diese Hände zum Bösen ge-
braucht habe. Zwar -- (hier schwieg er ein wenig

still



Tode alles aus, gethan hat, was ihm beliebt, und
in dieſer Sorgloſigkeit vieles begangen hat, das er
nicht rechtfertigen und deſſen Folgen in jenem Leben
er nicht aͤndern kann? Und uͤberlegen Sie, welcher
unter beiden in dieſer Welt ein beſſerer Buͤrger, und
ein rechtſchaffenerer, tugendhafterer Menſch ſeyn
werde.

Der Major ſah den Sebaldus mit ſtarren Au-
gen an, und ſchwieg ſtill. Sebaldus auch. End-
lich brach der Kranke aus:

Herr! daran habe ich noch in meinen Leben nicht
gedacht. Ein Soldat hat auch nicht Zeit, ſo weit
hinzudenken. Aber ich beſinne mich itzt eben. Wenn
auch ein kuͤnftiges Leben, und ein juͤngſter Tag iſt,
ſo glaube ich, ich werde dann ein Herz faſſen, und
weder vor Gott noch vor dem Teufel erſchrecken. Laß
ihn kommen den Teufel, wenn er mich anklagen will,
er muß mich doch vor Gott anklagen, und der weiß,
daß ich nie wiſſentlich etwas boͤſes gethan habe. O!
du mein allmaͤchtiger Schoͤpfer! wuͤrde ich ſagen, (er
richtete ſich ein wenig auf, und faltete ſeine Haͤnde,)
du weißt, daß ich nie den huͤlfloſen Ungluͤcklichen ge-
druͤckt, daß ich nie Wittwen und Waiſen betruͤbt,
daß ich nie wiſſentlich dieſe Haͤnde zum Boͤſen ge-
braucht habe. Zwar — (hier ſchwieg er ein wenig

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[121/0131] Tode alles aus, gethan hat, was ihm beliebt, und in dieſer Sorgloſigkeit vieles begangen hat, das er nicht rechtfertigen und deſſen Folgen in jenem Leben er nicht aͤndern kann? Und uͤberlegen Sie, welcher unter beiden in dieſer Welt ein beſſerer Buͤrger, und ein rechtſchaffenerer, tugendhafterer Menſch ſeyn werde. Der Major ſah den Sebaldus mit ſtarren Au- gen an, und ſchwieg ſtill. Sebaldus auch. End- lich brach der Kranke aus: Herr! daran habe ich noch in meinen Leben nicht gedacht. Ein Soldat hat auch nicht Zeit, ſo weit hinzudenken. Aber ich beſinne mich itzt eben. Wenn auch ein kuͤnftiges Leben, und ein juͤngſter Tag iſt, ſo glaube ich, ich werde dann ein Herz faſſen, und weder vor Gott noch vor dem Teufel erſchrecken. Laß ihn kommen den Teufel, wenn er mich anklagen will, er muß mich doch vor Gott anklagen, und der weiß, daß ich nie wiſſentlich etwas boͤſes gethan habe. O! du mein allmaͤchtiger Schoͤpfer! wuͤrde ich ſagen, (er richtete ſich ein wenig auf, und faltete ſeine Haͤnde,) du weißt, daß ich nie den huͤlfloſen Ungluͤcklichen ge- druͤckt, daß ich nie Wittwen und Waiſen betruͤbt, daß ich nie wiſſentlich dieſe Haͤnde zum Boͤſen ge- braucht habe. Zwar — (hier ſchwieg er ein wenig ſtill

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/131>, abgerufen am 29.03.2024.