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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

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derholte Rambold, obgleich ohne Hofnung einiges
Erfolgs, so oft einen Antrag, über den, an sich, ein
junges lediges Frauenzimmer niemals zornig wird,
wenn er nicht gerade zu wider ihre Absichten streitet;
daß ihn Mariane mit einiger Nachsicht anhörte.
Die Heldinn eines Romans, hätte freylich eine un-
verletzte Beständigkeit an den Tag legen, und sich
eher tödten laßen müssen, als sich einem Gegenstande
zu ergeben, für den sie nicht die heißeste Liebe fühlte.
Aber im gemeinen Leben haben wir häufige Bey-
spiele, daß wohlgezogene Frauenzimmer, wenn sie
gleich zur brünstigsten Leidenschaft in sich Zunder fühl-
ten, dennoch, selbst nicht in so mißlicher Lage wie
Mariane, mit kalter Vernunft überlegt haben,
was vieles junge Volk nicht wissen will, daß Liebe
nicht ewig in gleicher Anspannung dauren kann, und
daß neben der Liebe, so wünschenswerth sie ist, den-
noch noch mehr Gegenstände in der Welt sind, ed-
len Seelen auch wünschenswerth. Da nun Ram-
bold
von Person nicht widrig war, da er sich seit
der ersten Zeit seines Umgangs mit Marignen, in
ihre Gemüthsart geschickt, und sich dabey so sein
hatte zu verstellen wissen, daß sie von seiner schlech-
ten Seite fast nichts gemerkt hatte; so ist schwer zu
entscheiden, wozu sie sich vielleicht noch endlich könnte

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derholte Rambold, obgleich ohne Hofnung einiges
Erfolgs, ſo oft einen Antrag, uͤber den, an ſich, ein
junges lediges Frauenzimmer niemals zornig wird,
wenn er nicht gerade zu wider ihre Abſichten ſtreitet;
daß ihn Mariane mit einiger Nachſicht anhoͤrte.
Die Heldinn eines Romans, haͤtte freylich eine un-
verletzte Beſtaͤndigkeit an den Tag legen, und ſich
eher toͤdten laßen muͤſſen, als ſich einem Gegenſtande
zu ergeben, fuͤr den ſie nicht die heißeſte Liebe fuͤhlte.
Aber im gemeinen Leben haben wir haͤufige Bey-
ſpiele, daß wohlgezogene Frauenzimmer, wenn ſie
gleich zur bruͤnſtigſten Leidenſchaft in ſich Zunder fuͤhl-
ten, dennoch, ſelbſt nicht in ſo mißlicher Lage wie
Mariane, mit kalter Vernunft uͤberlegt haben,
was vieles junge Volk nicht wiſſen will, daß Liebe
nicht ewig in gleicher Anſpannung dauren kann, und
daß neben der Liebe, ſo wuͤnſchenswerth ſie iſt, den-
noch noch mehr Gegenſtaͤnde in der Welt ſind, ed-
len Seelen auch wuͤnſchenswerth. Da nun Ram-
bold
von Perſon nicht widrig war, da er ſich ſeit
der erſten Zeit ſeines Umgangs mit Marignen, in
ihre Gemuͤthsart geſchickt, und ſich dabey ſo ſein
hatte zu verſtellen wiſſen, daß ſie von ſeiner ſchlech-
ten Seite faſt nichts gemerkt hatte; ſo iſt ſchwer zu
entſcheiden, wozu ſie ſich vielleicht noch endlich koͤnnte

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[113[112]/0123] derholte Rambold, obgleich ohne Hofnung einiges Erfolgs, ſo oft einen Antrag, uͤber den, an ſich, ein junges lediges Frauenzimmer niemals zornig wird, wenn er nicht gerade zu wider ihre Abſichten ſtreitet; daß ihn Mariane mit einiger Nachſicht anhoͤrte. Die Heldinn eines Romans, haͤtte freylich eine un- verletzte Beſtaͤndigkeit an den Tag legen, und ſich eher toͤdten laßen muͤſſen, als ſich einem Gegenſtande zu ergeben, fuͤr den ſie nicht die heißeſte Liebe fuͤhlte. Aber im gemeinen Leben haben wir haͤufige Bey- ſpiele, daß wohlgezogene Frauenzimmer, wenn ſie gleich zur bruͤnſtigſten Leidenſchaft in ſich Zunder fuͤhl- ten, dennoch, ſelbſt nicht in ſo mißlicher Lage wie Mariane, mit kalter Vernunft uͤberlegt haben, was vieles junge Volk nicht wiſſen will, daß Liebe nicht ewig in gleicher Anſpannung dauren kann, und daß neben der Liebe, ſo wuͤnſchenswerth ſie iſt, den- noch noch mehr Gegenſtaͤnde in der Welt ſind, ed- len Seelen auch wuͤnſchenswerth. Da nun Ram- bold von Perſon nicht widrig war, da er ſich ſeit der erſten Zeit ſeines Umgangs mit Marignen, in ihre Gemuͤthsart geſchickt, und ſich dabey ſo ſein hatte zu verſtellen wiſſen, daß ſie von ſeiner ſchlech- ten Seite faſt nichts gemerkt hatte; ſo iſt ſchwer zu entſcheiden, wozu ſie ſich vielleicht noch endlich koͤnnte ent H 2

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 113[112]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/123>, abgerufen am 28.03.2024.