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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

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Ob nun gleich, Mariane immer die Köni-
ginn seines Herzens blieb, der alle seine Gedanken
gewidmet waren, so würde doch seine so weiblich ge-
stimmte Seele unglücklich gewesen seyn, wenn er
nicht mit einem gegenwärtigen Frauenzimmer öf-
ters hätte umgehen können. Auf dem Gute
seines Vaters aber, war keine weibliche Seele, sei-
ner Achtsamkeit würdig, daher war es ein Glück für
ihn, daß sich bald eine Gelegenheit fand, mit einem
jungen Frauenzimmer in der Nachbarschaft bekannt
zu werden.

Die Betstunden, welche Säugling der Vater zu
halten anfieng, machten ihn mit der Frau Gertrud-
tinn,
einer reichen Wittwe bekannt, die in einem
benachtbarten Städtchen wohnte. Jhr seliger Ge-
mahl, Herr Gertrud, war ein betriebsamer Mann,
der beständig bedacht gewesen war, sein kleines Ta-
lent, so gut wie möglich, und zwar hauptsächlich zu
seinem eigenem Vortheile zu nützen. Weil er
wußte, wie viel leichter es ist, auf einem gutmüthi-
gen Menschen zu reiten, als pfiffige Kunden zu über-
listen, und weil er von Natur ein ehrbares und be-
dächtiges Ansehen hatte, so trieb er sein Wesen haupt-
sächlich unter verschiedenen enthusiastischen und se-
paratistischen Religionspartheyen. Er fügte sich ganz

ihren
H 3


Ob nun gleich, Mariane immer die Koͤni-
ginn ſeines Herzens blieb, der alle ſeine Gedanken
gewidmet waren, ſo wuͤrde doch ſeine ſo weiblich ge-
ſtimmte Seele ungluͤcklich geweſen ſeyn, wenn er
nicht mit einem gegenwaͤrtigen Frauenzimmer oͤf-
ters haͤtte umgehen koͤnnen. Auf dem Gute
ſeines Vaters aber, war keine weibliche Seele, ſei-
ner Achtſamkeit wuͤrdig, daher war es ein Gluͤck fuͤr
ihn, daß ſich bald eine Gelegenheit fand, mit einem
jungen Frauenzimmer in der Nachbarſchaft bekannt
zu werden.

Die Betſtunden, welche Saͤugling der Vater zu
halten anfieng, machten ihn mit der Frau Gertrud-
tinn,
einer reichen Wittwe bekannt, die in einem
benachtbarten Staͤdtchen wohnte. Jhr ſeliger Ge-
mahl, Herr Gertrud, war ein betriebſamer Mann,
der beſtaͤndig bedacht geweſen war, ſein kleines Ta-
lent, ſo gut wie moͤglich, und zwar hauptſaͤchlich zu
ſeinem eigenem Vortheile zu nuͤtzen. Weil er
wußte, wie viel leichter es iſt, auf einem gutmuͤthi-
gen Menſchen zu reiten, als pfiffige Kunden zu uͤber-
liſten, und weil er von Natur ein ehrbares und be-
daͤchtiges Anſehen hatte, ſo trieb er ſein Weſen haupt-
ſaͤchlich unter verſchiedenen enthuſiaſtiſchen und ſe-
paratiſtiſchen Religionspartheyen. Er fuͤgte ſich ganz

ihren
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[115[114]/0125] Ob nun gleich, Mariane immer die Koͤni- ginn ſeines Herzens blieb, der alle ſeine Gedanken gewidmet waren, ſo wuͤrde doch ſeine ſo weiblich ge- ſtimmte Seele ungluͤcklich geweſen ſeyn, wenn er nicht mit einem gegenwaͤrtigen Frauenzimmer oͤf- ters haͤtte umgehen koͤnnen. Auf dem Gute ſeines Vaters aber, war keine weibliche Seele, ſei- ner Achtſamkeit wuͤrdig, daher war es ein Gluͤck fuͤr ihn, daß ſich bald eine Gelegenheit fand, mit einem jungen Frauenzimmer in der Nachbarſchaft bekannt zu werden. Die Betſtunden, welche Saͤugling der Vater zu halten anfieng, machten ihn mit der Frau Gertrud- tinn, einer reichen Wittwe bekannt, die in einem benachtbarten Staͤdtchen wohnte. Jhr ſeliger Ge- mahl, Herr Gertrud, war ein betriebſamer Mann, der beſtaͤndig bedacht geweſen war, ſein kleines Ta- lent, ſo gut wie moͤglich, und zwar hauptſaͤchlich zu ſeinem eigenem Vortheile zu nuͤtzen. Weil er wußte, wie viel leichter es iſt, auf einem gutmuͤthi- gen Menſchen zu reiten, als pfiffige Kunden zu uͤber- liſten, und weil er von Natur ein ehrbares und be- daͤchtiges Anſehen hatte, ſo trieb er ſein Weſen haupt- ſaͤchlich unter verſchiedenen enthuſiaſtiſchen und ſe- paratiſtiſchen Religionspartheyen. Er fuͤgte ſich ganz ihren H 3

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 115[114]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/125>, abgerufen am 25.04.2024.