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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Jene Sage von Antenor scheint ganz andrer Art als
die latinische von Aeneas: nicht einheimisch, sondern von
Griechen, aus den Cyclikern welche Antenors Verrath und
Verschonung erzählten, und dem Volksnahmen der pa-
phlagonischen Heneter gebildet. Von den Venetern, sagt
Polybius, fabeln die Tragiker viel 33). Die Gegend
um den Eridanus, der innerste Busen des adriatischen
Meers, waren in dichterischen Fabeln berühmt: diese
Gewässer, unzugänglich wegen libuxnischer Seeräuber,
schienen selbst den späteren Griechen sehr entfernt und
weitläuftig. Skylax, welcher das adriatische Meer un-
geheuer vergrößert, setzt die Veneter am östlichen Ufer,
um den Eridanus, der jenseits des innersten Busens ein-
strömt um den die Celten wohnen 34). Wenn aber
auch Griechen diese Gegenden sehr selten besuchten, so hat
doch Herodots Nachricht, daß die Eneter ein illyrisches
Volk wären 35) große innre Wahrscheinlichkeit, weil sich
an der ganzen Ostküste Italiens illyrische Völker, oder
Spuren finden daß sie einst dort wohnten. Polybius
fand sie von den benachbarten Celten an Sitten und Klei-
dung wenig verschieden, aber sie redeten eine ganz andere
Sprache; wäre diese eigentlich illyrisch gewesen so würde
er sie mit diesem Nahmen genannt haben. Aber auch die
Liburner werden von den Illyriern im engern Sinn unter-
schieden, deren Küste erst an ihrer Gränze beginnt. Die

33) Polybius II. c. 17.
34) Skylax, p. 6.
35) Herodot I. c. 196.

Jene Sage von Antenor ſcheint ganz andrer Art als
die latiniſche von Aeneas: nicht einheimiſch, ſondern von
Griechen, aus den Cyclikern welche Antenors Verrath und
Verſchonung erzaͤhlten, und dem Volksnahmen der pa-
phlagoniſchen Heneter gebildet. Von den Venetern, ſagt
Polybius, fabeln die Tragiker viel 33). Die Gegend
um den Eridanus, der innerſte Buſen des adriatiſchen
Meers, waren in dichteriſchen Fabeln beruͤhmt: dieſe
Gewaͤſſer, unzugaͤnglich wegen libuxniſcher Seeraͤuber,
ſchienen ſelbſt den ſpaͤteren Griechen ſehr entfernt und
weitlaͤuftig. Skylax, welcher das adriatiſche Meer un-
geheuer vergroͤßert, ſetzt die Veneter am oͤſtlichen Ufer,
um den Eridanus, der jenſeits des innerſten Buſens ein-
ſtroͤmt um den die Celten wohnen 34). Wenn aber
auch Griechen dieſe Gegenden ſehr ſelten beſuchten, ſo hat
doch Herodots Nachricht, daß die Eneter ein illyriſches
Volk waͤren 35) große innre Wahrſcheinlichkeit, weil ſich
an der ganzen Oſtkuͤſte Italiens illyriſche Voͤlker, oder
Spuren finden daß ſie einſt dort wohnten. Polybius
fand ſie von den benachbarten Celten an Sitten und Klei-
dung wenig verſchieden, aber ſie redeten eine ganz andere
Sprache; waͤre dieſe eigentlich illyriſch geweſen ſo wuͤrde
er ſie mit dieſem Nahmen genannt haben. Aber auch die
Liburner werden von den Illyriern im engern Sinn unter-
ſchieden, deren Kuͤſte erſt an ihrer Graͤnze beginnt. Die

33) Polybius II. c. 17.
34) Skylax, p. 6.
35) Herodot I. c. 196.
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[109/0131] Jene Sage von Antenor ſcheint ganz andrer Art als die latiniſche von Aeneas: nicht einheimiſch, ſondern von Griechen, aus den Cyclikern welche Antenors Verrath und Verſchonung erzaͤhlten, und dem Volksnahmen der pa- phlagoniſchen Heneter gebildet. Von den Venetern, ſagt Polybius, fabeln die Tragiker viel 33). Die Gegend um den Eridanus, der innerſte Buſen des adriatiſchen Meers, waren in dichteriſchen Fabeln beruͤhmt: dieſe Gewaͤſſer, unzugaͤnglich wegen libuxniſcher Seeraͤuber, ſchienen ſelbſt den ſpaͤteren Griechen ſehr entfernt und weitlaͤuftig. Skylax, welcher das adriatiſche Meer un- geheuer vergroͤßert, ſetzt die Veneter am oͤſtlichen Ufer, um den Eridanus, der jenſeits des innerſten Buſens ein- ſtroͤmt um den die Celten wohnen 34). Wenn aber auch Griechen dieſe Gegenden ſehr ſelten beſuchten, ſo hat doch Herodots Nachricht, daß die Eneter ein illyriſches Volk waͤren 35) große innre Wahrſcheinlichkeit, weil ſich an der ganzen Oſtkuͤſte Italiens illyriſche Voͤlker, oder Spuren finden daß ſie einſt dort wohnten. Polybius fand ſie von den benachbarten Celten an Sitten und Klei- dung wenig verſchieden, aber ſie redeten eine ganz andere Sprache; waͤre dieſe eigentlich illyriſch geweſen ſo wuͤrde er ſie mit dieſem Nahmen genannt haben. Aber auch die Liburner werden von den Illyriern im engern Sinn unter- ſchieden, deren Kuͤſte erſt an ihrer Graͤnze beginnt. Die 33) Polybius II. c. 17. 34) Skylax, p. 6. 35) Herodot I. c. 196.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/131>, abgerufen am 25.04.2024.