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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Sabinern zeugten viele Spuren in der alten Landesreli-
gion; Tempel in denen sabinische Gottheiten verehrt wur-
den: diese wurden auf Tatius bezogen 34), wie alles alt-
etruskische auf Romulus.

Alles dieses ist vorhistorisch, unlatinisch, älter als
Roms latinischer Charakter. Diesen empfing es erst von
Tullus an, durch die Vereinigung mit Alba unter ihm,
und durch die gewaltsame Aufnahme so vieler Latiner un-
ter seinen Nachfolgern, so daß die älteren Einwohner mit
ihnen verschmolzen ganz Latiner wurden, und ihre Sprache
den Späteren vollkommen unverständlich, wie die Lieder
der Salier und Arvalen, welches den Untergang der histo-
rischen Verzeichnungen jener Zeit erklärt.

Die Aera von Gründung der Stadt.

Newton hat die angeblichen Regierungsjahre der rö-
mischen Könige mit der Mittelzahl verglichen welche, nach
den Annalen historischer Dynastieen, für die Dauer einer
einzelnen Regierung bey ungestörter Erbfolge sich ergiebt:
er findet daher 244 Jahre für sieben Könige, oder eine
Mittelzahl von fast 35 Jahren ganz beyspiellos und so gut
als unmöglich: selbst wenn in dieser Reihe nicht ein Ver-
triebner, welcher noch funfzehn Jahre überlebte, und
zwey Ermordete wären. Man kann hinzusetzen: wenn
nicht in einem Wahlreich die Dauer der Regierungen
durchschnittsmäßig kürzer seyn müßte als in einer erbli-
chen Monarchie, wo auch Kinder den Thron besteigen:
wodurch in Frankreich zwey Regierungen 131 Jahre um-

34) Varro de L. L. IV. c. 10. und Dionysius II. c. 50.

Sabinern zeugten viele Spuren in der alten Landesreli-
gion; Tempel in denen ſabiniſche Gottheiten verehrt wur-
den: dieſe wurden auf Tatius bezogen 34), wie alles alt-
etruskiſche auf Romulus.

Alles dieſes iſt vorhiſtoriſch, unlatiniſch, aͤlter als
Roms latiniſcher Charakter. Dieſen empfing es erſt von
Tullus an, durch die Vereinigung mit Alba unter ihm,
und durch die gewaltſame Aufnahme ſo vieler Latiner un-
ter ſeinen Nachfolgern, ſo daß die aͤlteren Einwohner mit
ihnen verſchmolzen ganz Latiner wurden, und ihre Sprache
den Spaͤteren vollkommen unverſtaͤndlich, wie die Lieder
der Salier und Arvalen, welches den Untergang der hiſto-
riſchen Verzeichnungen jener Zeit erklaͤrt.

Die Aera von Gruͤndung der Stadt.

Newton hat die angeblichen Regierungsjahre der roͤ-
miſchen Koͤnige mit der Mittelzahl verglichen welche, nach
den Annalen hiſtoriſcher Dynaſtieen, fuͤr die Dauer einer
einzelnen Regierung bey ungeſtoͤrter Erbfolge ſich ergiebt:
er findet daher 244 Jahre fuͤr ſieben Koͤnige, oder eine
Mittelzahl von faſt 35 Jahren ganz beyſpiellos und ſo gut
als unmoͤglich: ſelbſt wenn in dieſer Reihe nicht ein Ver-
triebner, welcher noch funfzehn Jahre uͤberlebte, und
zwey Ermordete waͤren. Man kann hinzuſetzen: wenn
nicht in einem Wahlreich die Dauer der Regierungen
durchſchnittsmaͤßig kuͤrzer ſeyn muͤßte als in einer erbli-
chen Monarchie, wo auch Kinder den Thron beſteigen:
wodurch in Frankreich zwey Regierungen 131 Jahre um-

34) Varro de L. L. IV. c. 10. und Dionyſius II. c. 50.
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[183/0205] Sabinern zeugten viele Spuren in der alten Landesreli- gion; Tempel in denen ſabiniſche Gottheiten verehrt wur- den: dieſe wurden auf Tatius bezogen 34), wie alles alt- etruskiſche auf Romulus. Alles dieſes iſt vorhiſtoriſch, unlatiniſch, aͤlter als Roms latiniſcher Charakter. Dieſen empfing es erſt von Tullus an, durch die Vereinigung mit Alba unter ihm, und durch die gewaltſame Aufnahme ſo vieler Latiner un- ter ſeinen Nachfolgern, ſo daß die aͤlteren Einwohner mit ihnen verſchmolzen ganz Latiner wurden, und ihre Sprache den Spaͤteren vollkommen unverſtaͤndlich, wie die Lieder der Salier und Arvalen, welches den Untergang der hiſto- riſchen Verzeichnungen jener Zeit erklaͤrt. Die Aera von Gruͤndung der Stadt. Newton hat die angeblichen Regierungsjahre der roͤ- miſchen Koͤnige mit der Mittelzahl verglichen welche, nach den Annalen hiſtoriſcher Dynaſtieen, fuͤr die Dauer einer einzelnen Regierung bey ungeſtoͤrter Erbfolge ſich ergiebt: er findet daher 244 Jahre fuͤr ſieben Koͤnige, oder eine Mittelzahl von faſt 35 Jahren ganz beyſpiellos und ſo gut als unmoͤglich: ſelbſt wenn in dieſer Reihe nicht ein Ver- triebner, welcher noch funfzehn Jahre uͤberlebte, und zwey Ermordete waͤren. Man kann hinzuſetzen: wenn nicht in einem Wahlreich die Dauer der Regierungen durchſchnittsmaͤßig kuͤrzer ſeyn muͤßte als in einer erbli- chen Monarchie, wo auch Kinder den Thron beſteigen: wodurch in Frankreich zwey Regierungen 131 Jahre um- 34) Varro de L. L. IV. c. 10. und Dionyſius II. c. 50.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/205>, abgerufen am 28.03.2024.