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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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sind, den wird sein Gefühl einen gleichen Ursprung
dieser Geschichte von Cincinnatus Dictatur ahnden las-
sen, und ähnliche Kennzeichen werden ihm, zur Genüge
beweisend, sich leicht entdecken. Es ist schon angedeu-
tet wie höchst wahrscheinlich der äquische Friede aus der
früheren Geschichte hieher gezogen ist: aber auch ein äqui-
scher Feldherr Clölius wird mit seinem Heer auf gleiche
Weise bey Ardea im Jahr 311 eingeschlossen, und em-
pfängt dieselben harten Gesetze 92). Der eingeschlosse-
nen Armee wird jetzt, wie im Jahr 290, T. Quinctius zu
Hülfe gesandt 93). Cincinnatus war, der Sage nach,
durch Cäsos Verurtheilung verarmt: seitdem hatte er
schon das Consulat bekleidet, doch jetzt erst wird seine
Armuth geschildert. Denn alle Römer stimmen hierüber
mit Livius, und nur Dionysius, der das Verdächtige
empfindet aber ihm durch Verfälschung abhelfen will,
versetzt die Botschaft des Senats auf das Consulat, und
wiederhohlt sie bey der Dictatur. So verfälscht er auch
die übrigen ganz dichterischen und ganz unhistorischen
Umstände der Erzählung: er übergeht die zwölf Schanz-
pfähle welche jedermann in diesem allgemeinen Aufgebot
getragen haben soll: eine unerträgliche Bürde, da die
alten Legionsoldaten ihrer nur drey oder vier trugen 94),
welches schon eine bewunderte Anstrengung war: und
er vertilgt in seiner Erzählung gänzlich die Einschließung
der Aequer durch die entfaltete Linie der Römer. Auch

92) Livius IV. c. 10.
93) Dionysius IX. c. 63. X. c. 23.
94) Polybius XVIII. c. 1.

ſind, den wird ſein Gefuͤhl einen gleichen Urſprung
dieſer Geſchichte von Cincinnatus Dictatur ahnden laſ-
ſen, und aͤhnliche Kennzeichen werden ihm, zur Genuͤge
beweiſend, ſich leicht entdecken. Es iſt ſchon angedeu-
tet wie hoͤchſt wahrſcheinlich der aͤquiſche Friede aus der
fruͤheren Geſchichte hieher gezogen iſt: aber auch ein aͤqui-
ſcher Feldherr Cloͤlius wird mit ſeinem Heer auf gleiche
Weiſe bey Ardea im Jahr 311 eingeſchloſſen, und em-
pfaͤngt dieſelben harten Geſetze 92). Der eingeſchloſſe-
nen Armee wird jetzt, wie im Jahr 290, T. Quinctius zu
Huͤlfe geſandt 93). Cincinnatus war, der Sage nach,
durch Caͤſos Verurtheilung verarmt: ſeitdem hatte er
ſchon das Conſulat bekleidet, doch jetzt erſt wird ſeine
Armuth geſchildert. Denn alle Roͤmer ſtimmen hieruͤber
mit Livius, und nur Dionyſius, der das Verdaͤchtige
empfindet aber ihm durch Verfaͤlſchung abhelfen will,
verſetzt die Botſchaft des Senats auf das Conſulat, und
wiederhohlt ſie bey der Dictatur. So verfaͤlſcht er auch
die uͤbrigen ganz dichteriſchen und ganz unhiſtoriſchen
Umſtaͤnde der Erzaͤhlung: er uͤbergeht die zwoͤlf Schanz-
pfaͤhle welche jedermann in dieſem allgemeinen Aufgebot
getragen haben ſoll: eine unertraͤgliche Buͤrde, da die
alten Legionſoldaten ihrer nur drey oder vier trugen 94),
welches ſchon eine bewunderte Anſtrengung war: und
er vertilgt in ſeiner Erzaͤhlung gaͤnzlich die Einſchließung
der Aequer durch die entfaltete Linie der Roͤmer. Auch

92) Livius IV. c. 10.
93) Dionyſius IX. c. 63. X. c. 23.
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[98/0114] ſind, den wird ſein Gefuͤhl einen gleichen Urſprung dieſer Geſchichte von Cincinnatus Dictatur ahnden laſ- ſen, und aͤhnliche Kennzeichen werden ihm, zur Genuͤge beweiſend, ſich leicht entdecken. Es iſt ſchon angedeu- tet wie hoͤchſt wahrſcheinlich der aͤquiſche Friede aus der fruͤheren Geſchichte hieher gezogen iſt: aber auch ein aͤqui- ſcher Feldherr Cloͤlius wird mit ſeinem Heer auf gleiche Weiſe bey Ardea im Jahr 311 eingeſchloſſen, und em- pfaͤngt dieſelben harten Geſetze 92). Der eingeſchloſſe- nen Armee wird jetzt, wie im Jahr 290, T. Quinctius zu Huͤlfe geſandt 93). Cincinnatus war, der Sage nach, durch Caͤſos Verurtheilung verarmt: ſeitdem hatte er ſchon das Conſulat bekleidet, doch jetzt erſt wird ſeine Armuth geſchildert. Denn alle Roͤmer ſtimmen hieruͤber mit Livius, und nur Dionyſius, der das Verdaͤchtige empfindet aber ihm durch Verfaͤlſchung abhelfen will, verſetzt die Botſchaft des Senats auf das Conſulat, und wiederhohlt ſie bey der Dictatur. So verfaͤlſcht er auch die uͤbrigen ganz dichteriſchen und ganz unhiſtoriſchen Umſtaͤnde der Erzaͤhlung: er uͤbergeht die zwoͤlf Schanz- pfaͤhle welche jedermann in dieſem allgemeinen Aufgebot getragen haben ſoll: eine unertraͤgliche Buͤrde, da die alten Legionſoldaten ihrer nur drey oder vier trugen 94), welches ſchon eine bewunderte Anſtrengung war: und er vertilgt in ſeiner Erzaͤhlung gaͤnzlich die Einſchließung der Aequer durch die entfaltete Linie der Roͤmer. Auch 92) Livius IV. c. 10. 93) Dionyſius IX. c. 63. X. c. 23. 94) Polybius XVIII. c. 1.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/114>, abgerufen am 18.04.2024.