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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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bar nachher in seine gewöhnliche Partheyansicht zurück-
fallen konnte.

Als das erste Jahr der Decemviralregierung zu
Ende ging, erhob sich, je mehr die Zahl der Stellen be-
deutender, die Wahrscheinlichkeit sie zu erlangen größer
als bey Consularcomitien war, und je mehr es den Pa-
triciern darum galt die Plebejer zum zweytenmal auszu-
schließen, eine heftige Bewerbung unter den ersten des
Senats wie sie nie gesehen worden war. Man bemerkte
die Ehrsucht des Appius Claudius, der schon durch an-
genommene Anspruchslosigkeit und Milde, wie durch
ausgezeichnetere Talente die Gunst des Volks vor seinen
Collegen gewonnen hatte. Wiedererwählung war durch
kein Gesetz verboten; sein Ehrgeiz war schon verdächtig;
und die altväterische Rechtlichkeit seiner Collegen sah in
einem Auswege Hülfe gegen diese Gefahr, der nur einen
von Gefühlen gemäßigten Ehrgeiz zurückhalten konnte,
ungebändigter Herrschsucht ihr Unternehmen erleichterte.
Der Senat hatte in feyerlichen Resolutionen die Wie-
dererwählung derselben Magistraturen für tadelnswür-
dig erklärt; dies berechtigte den bey der Wahl vorsitzen-
den Magistrat nicht, unzweifelhafte Stimmen für seinen
Collegen zu verwerfen: aber Scheu und Ehrfurcht ge-
boten ihm die nicht anzunehmen welche ihm selbst gege-
ben wurden. In dem Vertrauen daß Appius Claudius
nicht ganz unempfindlich gegen diese Gefühle seyn könne,
übertrugen sie ihm als dem jüngsten den Vorsitz bey
den Comitien für das folgende Jahr. Er aber fand
eben hierin die Mittel seinen Wunsch zu erreichen; wie

bar nachher in ſeine gewoͤhnliche Partheyanſicht zuruͤck-
fallen konnte.

Als das erſte Jahr der Decemviralregierung zu
Ende ging, erhob ſich, je mehr die Zahl der Stellen be-
deutender, die Wahrſcheinlichkeit ſie zu erlangen groͤßer
als bey Conſularcomitien war, und je mehr es den Pa-
triciern darum galt die Plebejer zum zweytenmal auszu-
ſchließen, eine heftige Bewerbung unter den erſten des
Senats wie ſie nie geſehen worden war. Man bemerkte
die Ehrſucht des Appius Claudius, der ſchon durch an-
genommene Anſpruchsloſigkeit und Milde, wie durch
ausgezeichnetere Talente die Gunſt des Volks vor ſeinen
Collegen gewonnen hatte. Wiedererwaͤhlung war durch
kein Geſetz verboten; ſein Ehrgeiz war ſchon verdaͤchtig;
und die altvaͤteriſche Rechtlichkeit ſeiner Collegen ſah in
einem Auswege Huͤlfe gegen dieſe Gefahr, der nur einen
von Gefuͤhlen gemaͤßigten Ehrgeiz zuruͤckhalten konnte,
ungebaͤndigter Herrſchſucht ihr Unternehmen erleichterte.
Der Senat hatte in feyerlichen Reſolutionen die Wie-
dererwaͤhlung derſelben Magiſtraturen fuͤr tadelnswuͤr-
dig erklaͤrt; dies berechtigte den bey der Wahl vorſitzen-
den Magiſtrat nicht, unzweifelhafte Stimmen fuͤr ſeinen
Collegen zu verwerfen: aber Scheu und Ehrfurcht ge-
boten ihm die nicht anzunehmen welche ihm ſelbſt gege-
ben wurden. In dem Vertrauen daß Appius Claudius
nicht ganz unempfindlich gegen dieſe Gefuͤhle ſeyn koͤnne,
uͤbertrugen ſie ihm als dem juͤngſten den Vorſitz bey
den Comitien fuͤr das folgende Jahr. Er aber fand
eben hierin die Mittel ſeinen Wunſch zu erreichen; wie

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[121/0137] bar nachher in ſeine gewoͤhnliche Partheyanſicht zuruͤck- fallen konnte. Als das erſte Jahr der Decemviralregierung zu Ende ging, erhob ſich, je mehr die Zahl der Stellen be- deutender, die Wahrſcheinlichkeit ſie zu erlangen groͤßer als bey Conſularcomitien war, und je mehr es den Pa- triciern darum galt die Plebejer zum zweytenmal auszu- ſchließen, eine heftige Bewerbung unter den erſten des Senats wie ſie nie geſehen worden war. Man bemerkte die Ehrſucht des Appius Claudius, der ſchon durch an- genommene Anſpruchsloſigkeit und Milde, wie durch ausgezeichnetere Talente die Gunſt des Volks vor ſeinen Collegen gewonnen hatte. Wiedererwaͤhlung war durch kein Geſetz verboten; ſein Ehrgeiz war ſchon verdaͤchtig; und die altvaͤteriſche Rechtlichkeit ſeiner Collegen ſah in einem Auswege Huͤlfe gegen dieſe Gefahr, der nur einen von Gefuͤhlen gemaͤßigten Ehrgeiz zuruͤckhalten konnte, ungebaͤndigter Herrſchſucht ihr Unternehmen erleichterte. Der Senat hatte in feyerlichen Reſolutionen die Wie- dererwaͤhlung derſelben Magiſtraturen fuͤr tadelnswuͤr- dig erklaͤrt; dies berechtigte den bey der Wahl vorſitzen- den Magiſtrat nicht, unzweifelhafte Stimmen fuͤr ſeinen Collegen zu verwerfen: aber Scheu und Ehrfurcht ge- boten ihm die nicht anzunehmen welche ihm ſelbſt gege- ben wurden. In dem Vertrauen daß Appius Claudius nicht ganz unempfindlich gegen dieſe Gefuͤhle ſeyn koͤnne, uͤbertrugen ſie ihm als dem juͤngſten den Vorſitz bey den Comitien fuͤr das folgende Jahr. Er aber fand eben hierin die Mittel ſeinen Wunſch zu erreichen; wie

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/137>, abgerufen am 23.04.2024.