Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Anwendung der allgemeinen Grundsätze etc.
Weiber. Die Frau, die ein ganz gemeinschaftliches
gleiches Interesse mit dem Manne haben soll, ist die
natürliche Verwalterin des Vermögens, (sofern es nicht
selbst Berufsobject des Mannes ist); und selbst die
Sitte hat darinn der Frau eine eigenthümliche Sphäre
so entschieden zugewiesen, daß der Mann, der in diese
Art von Geschäfte eingreift und sich damit befaßt, dies
nur ganz heimlich thun muß, wenn ihn nicht Spott
und selbst Spottnamen, die darauf haften, treffen
sollen. Die moderne Erziehung des weiblichen Ge-
schlechts hat diese Berufsbestimmung des Weibes ver-
dächtig, bei diesen und jenen wohl auch verächtlich ge-
macht; man hat die Beschäftigung mit den Gegenstän-
den des Hauswesens ohne Ausnahme als unfrei und des
freien Weibes unwürdig vorgestellt. Dies verdient un-
streitig Tadel. Zwar das Kochen und Backen, und
Waschen und Flicken, worein die streng altmütterliche
Erziehung den Hauptvorzug ihres Unterrichts setzte, wol-
len wir nicht als Bildungsmittel in unsre Gynäceen zu-
rückrufen. Aber, daß die häuslichen Geschäfte ohne
Unterschied als unter der Würde des freien Weibes vor-
gestellt werden, ist eben so irrig, als wollte man be-
haupten, daß es unter der Würde des freien Mannes
sey, um Brod zu arbeiten; und eine Frau, die diesen
wesentlichen Theil ihres Berufes gar nicht anerkennt, ist
wie der Mann, der aus lauter Freiheitssinn kein Amt
annehmen zu können glaubt. Daß die Frauen diesen
Theil ihres Berufes mißkennen, daß ihnen verächtlich
erscheine, was sie als active Mitglieder der Gesellschaft
zu leisten -- wenn wirs vornehm aussprechen wollen --

Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc.
Weiber. Die Frau, die ein ganz gemeinſchaftliches
gleiches Intereſſe mit dem Manne haben ſoll, iſt die
natuͤrliche Verwalterin des Vermoͤgens, (ſofern es nicht
ſelbſt Berufsobject des Mannes iſt); und ſelbſt die
Sitte hat darinn der Frau eine eigenthuͤmliche Sphaͤre
ſo entſchieden zugewieſen, daß der Mann, der in dieſe
Art von Geſchaͤfte eingreift und ſich damit befaßt, dies
nur ganz heimlich thun muß, wenn ihn nicht Spott
und ſelbſt Spottnamen, die darauf haften, treffen
ſollen. Die moderne Erziehung des weiblichen Ge-
ſchlechts hat dieſe Berufsbeſtimmung des Weibes ver-
daͤchtig, bei dieſen und jenen wohl auch veraͤchtlich ge-
macht; man hat die Beſchaͤftigung mit den Gegenſtaͤn-
den des Hausweſens ohne Ausnahme als unfrei und des
freien Weibes unwuͤrdig vorgeſtellt. Dies verdient un-
ſtreitig Tadel. Zwar das Kochen und Backen, und
Waſchen und Flicken, worein die ſtreng altmuͤtterliche
Erziehung den Hauptvorzug ihres Unterrichts ſetzte, wol-
len wir nicht als Bildungsmittel in unſre Gynaͤceen zu-
ruͤckrufen. Aber, daß die haͤuslichen Geſchaͤfte ohne
Unterſchied als unter der Wuͤrde des freien Weibes vor-
geſtellt werden, iſt eben ſo irrig, als wollte man be-
haupten, daß es unter der Wuͤrde des freien Mannes
ſey, um Brod zu arbeiten; und eine Frau, die dieſen
weſentlichen Theil ihres Berufes gar nicht anerkennt, iſt
wie der Mann, der aus lauter Freiheitsſinn kein Amt
annehmen zu koͤnnen glaubt. Daß die Frauen dieſen
Theil ihres Berufes mißkennen, daß ihnen veraͤchtlich
erſcheine, was ſie als active Mitglieder der Geſellſchaft
zu leiſten — wenn wirs vornehm ausſprechen wollen —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0353" n="341"/><fw place="top" type="header">Anwendung der allgemeinen Grund&#x017F;a&#x0364;tze &#xA75B;c.</fw><lb/>
Weiber. Die Frau, die ein ganz gemein&#x017F;chaftliches<lb/>
gleiches Intere&#x017F;&#x017F;e mit dem Manne haben &#x017F;oll, i&#x017F;t die<lb/>
natu&#x0364;rliche Verwalterin des Vermo&#x0364;gens, (&#x017F;ofern es nicht<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t Berufsobject des Mannes i&#x017F;t); und &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Sitte hat darinn der Frau eine eigenthu&#x0364;mliche Spha&#x0364;re<lb/>
&#x017F;o ent&#x017F;chieden zugewie&#x017F;en, daß der Mann, der in die&#x017F;e<lb/>
Art von Ge&#x017F;cha&#x0364;fte eingreift und &#x017F;ich damit befaßt, dies<lb/>
nur ganz heimlich thun muß, wenn ihn nicht Spott<lb/>
und &#x017F;elb&#x017F;t Spottnamen, die darauf haften, treffen<lb/>
&#x017F;ollen. Die moderne Erziehung des weiblichen Ge-<lb/>
&#x017F;chlechts hat die&#x017F;e Berufsbe&#x017F;timmung des Weibes ver-<lb/>
da&#x0364;chtig, bei die&#x017F;en und jenen wohl auch vera&#x0364;chtlich ge-<lb/>
macht; man hat die Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung mit den Gegen&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
den des Hauswe&#x017F;ens ohne Ausnahme als unfrei und des<lb/>
freien Weibes unwu&#x0364;rdig vorge&#x017F;tellt. Dies verdient un-<lb/>
&#x017F;treitig Tadel. Zwar das Kochen und Backen, und<lb/>
Wa&#x017F;chen und Flicken, worein die &#x017F;treng altmu&#x0364;tterliche<lb/>
Erziehung den Hauptvorzug ihres Unterrichts &#x017F;etzte, wol-<lb/>
len wir nicht als Bildungsmittel in un&#x017F;re Gyna&#x0364;ceen zu-<lb/>
ru&#x0364;ckrufen. Aber, daß die ha&#x0364;uslichen Ge&#x017F;cha&#x0364;fte ohne<lb/>
Unter&#x017F;chied als unter der Wu&#x0364;rde des freien Weibes vor-<lb/>
ge&#x017F;tellt werden, i&#x017F;t eben &#x017F;o irrig, als wollte man be-<lb/>
haupten, daß es unter der Wu&#x0364;rde des freien Mannes<lb/>
&#x017F;ey, um Brod zu arbeiten; und eine Frau, die die&#x017F;en<lb/>
we&#x017F;entlichen Theil ihres Berufes gar nicht anerkennt, i&#x017F;t<lb/>
wie der Mann, der aus lauter Freiheits&#x017F;inn kein Amt<lb/>
annehmen zu ko&#x0364;nnen glaubt. Daß die Frauen die&#x017F;en<lb/>
Theil ihres Berufes mißkennen, daß ihnen vera&#x0364;chtlich<lb/>
er&#x017F;cheine, was &#x017F;ie als active Mitglieder der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
zu lei&#x017F;ten &#x2014; wenn wirs vornehm aus&#x017F;prechen wollen &#x2014;<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0353] Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc. Weiber. Die Frau, die ein ganz gemeinſchaftliches gleiches Intereſſe mit dem Manne haben ſoll, iſt die natuͤrliche Verwalterin des Vermoͤgens, (ſofern es nicht ſelbſt Berufsobject des Mannes iſt); und ſelbſt die Sitte hat darinn der Frau eine eigenthuͤmliche Sphaͤre ſo entſchieden zugewieſen, daß der Mann, der in dieſe Art von Geſchaͤfte eingreift und ſich damit befaßt, dies nur ganz heimlich thun muß, wenn ihn nicht Spott und ſelbſt Spottnamen, die darauf haften, treffen ſollen. Die moderne Erziehung des weiblichen Ge- ſchlechts hat dieſe Berufsbeſtimmung des Weibes ver- daͤchtig, bei dieſen und jenen wohl auch veraͤchtlich ge- macht; man hat die Beſchaͤftigung mit den Gegenſtaͤn- den des Hausweſens ohne Ausnahme als unfrei und des freien Weibes unwuͤrdig vorgeſtellt. Dies verdient un- ſtreitig Tadel. Zwar das Kochen und Backen, und Waſchen und Flicken, worein die ſtreng altmuͤtterliche Erziehung den Hauptvorzug ihres Unterrichts ſetzte, wol- len wir nicht als Bildungsmittel in unſre Gynaͤceen zu- ruͤckrufen. Aber, daß die haͤuslichen Geſchaͤfte ohne Unterſchied als unter der Wuͤrde des freien Weibes vor- geſtellt werden, iſt eben ſo irrig, als wollte man be- haupten, daß es unter der Wuͤrde des freien Mannes ſey, um Brod zu arbeiten; und eine Frau, die dieſen weſentlichen Theil ihres Berufes gar nicht anerkennt, iſt wie der Mann, der aus lauter Freiheitsſinn kein Amt annehmen zu koͤnnen glaubt. Daß die Frauen dieſen Theil ihres Berufes mißkennen, daß ihnen veraͤchtlich erſcheine, was ſie als active Mitglieder der Geſellſchaft zu leiſten — wenn wirs vornehm ausſprechen wollen —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/353
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/353>, abgerufen am 28.04.2024.