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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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Vögeln gleich kamt ihr zu mir und meiner Begierde --
nein, als Trauende zu dem Trauenden!

Ja, zur Treue gemacht, gleich mir und zu zärt¬
lichen Ewigkeiten: muss ich nun euch nach eurer
Untreue heissen, ihr göttlichen Blicke und Augen¬
blicke: keinen andern Namen lernte ich noch.

Wahrlich, zu schnell starbt ihr mir, ihr Flücht¬
linge. Doch floht ihr mich nicht, noch floh ich euch:
unschuldig sind wir einander in unsrer Untreue.

Mich zu tödten, erwürgte man euch, ihr Sing¬
vögel meiner Hoffnungen! Ja, nach euch, ihr Liebsten,
schoss immer die Bosheit Pfeile -- mein Herz zu
treffen!

Und sie traf! Wart ihr doch stets mein Herz¬
lichstes, mein Besitz und mein Besessen-sein: darum
musstet ihr jung sterben und allzu frühe!

Nach dem Verwundbarsten, das ich besass, schoss
man den Pfeil: das waret ihr, denen die Haut einem
Flaume gleich ist und mehr noch dem Lächeln, das
an einem Blick erstirbt!

Aber diess Wort will ich zu meinen Feinden reden:
was ist alles Menschen-Morden gegen Das, was ihr
mir thatet!

Böseres thatet ihr mir, als aller Menschen-Mord
ist; Unwiederbringliches nahmt ihr mir: -- also rede
ich zu euch, meine Feinde!

Mordetet ihr doch meiner Jugend Gesichte und
liebste Wunder! Meine Gespielen nahmt ihr mir,
die seligen Geister! Ihrem Gedächtnisse lege ich
diesen Kranz und diesen Fluch nieder.

Diesen Fluch gegen euch, meine Feinde! Machtet

Vögeln gleich kamt ihr zu mir und meiner Begierde —
nein, als Trauende zu dem Trauenden!

Ja, zur Treue gemacht, gleich mir und zu zärt¬
lichen Ewigkeiten: muss ich nun euch nach eurer
Untreue heissen, ihr göttlichen Blicke und Augen¬
blicke: keinen andern Namen lernte ich noch.

Wahrlich, zu schnell starbt ihr mir, ihr Flücht¬
linge. Doch floht ihr mich nicht, noch floh ich euch:
unschuldig sind wir einander in unsrer Untreue.

Mich zu tödten, erwürgte man euch, ihr Sing¬
vögel meiner Hoffnungen! Ja, nach euch, ihr Liebsten,
schoss immer die Bosheit Pfeile — mein Herz zu
treffen!

Und sie traf! Wart ihr doch stets mein Herz¬
lichstes, mein Besitz und mein Besessen-sein: darum
musstet ihr jung sterben und allzu frühe!

Nach dem Verwundbarsten, das ich besass, schoss
man den Pfeil: das waret ihr, denen die Haut einem
Flaume gleich ist und mehr noch dem Lächeln, das
an einem Blick erstirbt!

Aber diess Wort will ich zu meinen Feinden reden:
was ist alles Menschen-Morden gegen Das, was ihr
mir thatet!

Böseres thatet ihr mir, als aller Menschen-Mord
ist; Unwiederbringliches nahmt ihr mir: — also rede
ich zu euch, meine Feinde!

Mordetet ihr doch meiner Jugend Gesichte und
liebste Wunder! Meine Gespielen nahmt ihr mir,
die seligen Geister! Ihrem Gedächtnisse lege ich
diesen Kranz und diesen Fluch nieder.

Diesen Fluch gegen euch, meine Feinde! Machtet

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[43/0053] Vögeln gleich kamt ihr zu mir und meiner Begierde — nein, als Trauende zu dem Trauenden! Ja, zur Treue gemacht, gleich mir und zu zärt¬ lichen Ewigkeiten: muss ich nun euch nach eurer Untreue heissen, ihr göttlichen Blicke und Augen¬ blicke: keinen andern Namen lernte ich noch. Wahrlich, zu schnell starbt ihr mir, ihr Flücht¬ linge. Doch floht ihr mich nicht, noch floh ich euch: unschuldig sind wir einander in unsrer Untreue. Mich zu tödten, erwürgte man euch, ihr Sing¬ vögel meiner Hoffnungen! Ja, nach euch, ihr Liebsten, schoss immer die Bosheit Pfeile — mein Herz zu treffen! Und sie traf! Wart ihr doch stets mein Herz¬ lichstes, mein Besitz und mein Besessen-sein: darum musstet ihr jung sterben und allzu frühe! Nach dem Verwundbarsten, das ich besass, schoss man den Pfeil: das waret ihr, denen die Haut einem Flaume gleich ist und mehr noch dem Lächeln, das an einem Blick erstirbt! Aber diess Wort will ich zu meinen Feinden reden: was ist alles Menschen-Morden gegen Das, was ihr mir thatet! Böseres thatet ihr mir, als aller Menschen-Mord ist; Unwiederbringliches nahmt ihr mir: — also rede ich zu euch, meine Feinde! Mordetet ihr doch meiner Jugend Gesichte und liebste Wunder! Meine Gespielen nahmt ihr mir, die seligen Geister! Ihrem Gedächtnisse lege ich diesen Kranz und diesen Fluch nieder. Diesen Fluch gegen euch, meine Feinde! Machtet

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/53>, abgerufen am 28.03.2024.