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Allgemeine Zeitung, Nr. 131, 19. März 1908.

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Nr. 131. München, Donnerstag Allgemeine Zeitung 19. März 1908.
[Spaltenumbruch]
Ein Interview mit dem Reichskanzler.

Die Nowoje Wremja ver-
öffentlicht ein langes Interview mit dem Reichs-
kanzler Fürsten Bülow.
Fürst Bülow erklärte
darin kategorisch, daß die Regierung Oesterreich-
Ungarns die Kabinette von St. Petersburg
und Berlin gleichzeitig von dem Sandschak-
Bahnprojekt
benachrichtigt habe. Daher sei die Be-
hauptung der russischen Presse, das Projekt sei von Berlin
angeregt worden, vollkommen irrig. Die österreichisch-
ungarischen Pläne stimmten durchaus mit dem Berliner
Vertrag überein und verfolgten nur Handelsziele. Daher
konnten sie deutscherseits nur ebenso freudig begrüßt wer-
den wie jedes andere gleichartige Unternehmen. Die
russische Erregung darüber sei ganz unverständlich. Deutsch-
land verfolge auf dem Balkan nur seine Handelsinteressen
und die Herstellung der Ruhe in Verbindung mit den
anderen Mächten.

Deutschland hintertreibe durchaus nicht das maze-
donische Reformwerk.
Der deutsche Botschafter in
Konstantinopel habe lediglich einige sachliche Einwendungen
zu den Vorschlägen über die mazedonische Gerichts-
reform
erhoben, um ernsten Schwierigkeiten vorzu-
beugen. Die anderen Botschafter stimmten einstimmig zu.
Deutschland halte an der Gemeinsamkeit der Aktion der
Mächte fest und, falls gelegentlich die deutschen Vorschläge
nicht die Billigung Europas finden sollten, würde Deutsch-
land den mehr interessierten Mächten den Vorrang lassen.

Sodann geht das Interview auf die persische
Frage
ein. Dabei erklärte der Reichskanzler, Deutsch-
land verfolge dort nur ein kommerzielles Ziel. Die anglo-
russische Verständigung spreche das Prinzip der offenen Tür
aus, das Deutschland benutzen werde gemäß seiner allge-
meinen Politik, die darauf abziele, das Prinzip der freien
Konkurrenz und die Unabhängigkeit zukunftsreicher Länder
aufrecht zu erhalten. Da die englische Bank wie die russische
in Persien andersartige Aufgaben verfolgen, so fühlten
unsere Kaufleute das Bedürfnis, eine eigene Bank in Per-
sien zu besitzen. Das waren die Erwägungen, welche die
Gründung einer Filiale der Deutschen Orient-
bank
in Persien bewirkten. Was die deutsche Schule
betrifft, so verdankt sie ihre Entstehung der Initiative
des Schahs.
Vergessen Sie nicht, daß es in Persien auch
amerikanische, zwei französische und russische Schulen gibt;
warum greift man gerade uns unserer Schule wegen an?
Das Gleiche gilt von der Idee einer Zweigbahn der
Bagdad-Linie
nach Persien. Gleich warf man uns
vor, daß wir unsere Hand nach Persien ausstrecken.
Im türkisch-persischen Konflikt haben wir eine friedenstif-
tende Rolle gespielt; wir haben der Türkei geraten, ihre
vorgeschobenen Truppen zurückzuziehen und jeden Konflikt
zu vermeiden.

Die Bagdad-Bahn endige an der persischen
Grenze und durchziehe nur türkisches Gebiet. Das deutsche
Kapital nehme in der Bagdad-Bahn-Gesellschaft die erste
Stelle ein. Deutschland habe jedoch niemals die Teilnahme
fremden Kapitals verhindert. Daher stehe das Unter-
nehmen, obwohl es dem Sinne nach deutsch sei, unter türki-
scher Flagge und behalte den internationalen Charakter.
Es werde von Deutschen geleitet, es sei jedoch auch fremdes
Kapital in der Administration vertreten. Deutschland
denke weder an die Kolonisation Kleinasiens, noch an die
Erwerbung eines Hafens im Persischen Meerbusen, hoffe
aber, daß die Bahn Messopotamien wirtschaftlich
heben werde, was von Nutzen für die Allgemeinheit sein
werde.

Die Angriffe der russischen Presse seien in
jeder Hinsicht ungerechtfertigt. Einst habe Fürst Bismarck
diese Angriffe mit dem Wort "Druckerschwärze" abgetan.
Inzwischen habe sich aber der Einfluß der russischen Presse
vergrößert, auch in Rußland selbst, weshalb man die immer
feindlichere Haltung der russischen Presse gegen Deutschland
nicht länger ignorieren dürfe. Deutschland beabsichtigt
niemand anzugreifen. Der Ausbau seiner Flotte sei gegen
niemand gerichtet, nur müsse Deutschland als Großmacht
für jede Eventualität gerüstet sein und seine Grenzen zu
schützen wissen. Die Gerüchte von einer Einmischung in
die inneren russischen Verhältnisse seien lächerlich. "Wir
[Spaltenumbruch] bleiben Ihre guten Nachbarn und werden uns nie um
Dinge kümmern, die uns nichts angehen. Einer Ihrer
großen Staatsmänner hat einmal gesagt: "Rußland ist
nicht Asien, aber auch nicht Europa. Rußland, das ist
Rußland." "Wir wünschen," schloß der Kanzler, "daß das
große russische Reich sich entsprechend seinen russischen Be-
dürfnissen entwickeln möge."



Hof und Gesellschaft.
Rout bei Prinz und Prinzessin Ludwig.

st. Die prächtigen und dabei intimen Salons im Wittels-
bacher Palais erschlossen sich heute abend zu einem Empfangs-
abend, zu dem Prinz und Prinzessin Ludwig mehr als tausend
Einladungen an die Münchener Gesellschaft hatten ergehen lassen.
Noch von den alljährlichen Ballfesten bei dem Thronfolgerpaar
war es den meisten Gästen in Erinnerung, wie gemütlich und
heimisch sich die Gesellschaft bei der Gastfreundschaft im Wittels-
bacher-Palais fühlt. Heute lagerte zwar noch der Schatten der
Trauer auf dem Hause, und deswegen war an Stelle des Ball-
festes ein Rout getreten. Gegen 81/2 Uhr wurde es lebhaft in
der Briennerstraße; Wagen auf Wagen fuhr durch das Tor, und
über die mit schweren Teppichen belegte Treppe, die mit Palmen-
gruppen und Lorbeer geschmückt war, begaben sich die Gäste des
Hauses in die prunkvollen Salons, die schon durch ihre Archi-
tektonik unvergleichlich wirken. Zahllose Lüsters und Wandarme
erhellten die blumengeschmückten Säle. Hofmarschall Freiherr
v. Laßberg, Oberhofmeisterin Gräfin Dürckheim, die Hofdamen
Baronin Kesling, Baronin Wulffen und Frln. v. Zwehl, die
persönlichen Adjutanten Baron Leonrod, Baron Rotenhan, Baron
Soden und Baron Reichlin begrüßten die Geladenen im Vorsaal.
Im ersten Salon empfingen Prinz und Prinzessin Ludwig sowie
die Prinzessinnen Adelgunde, Hildegard, Wiltrud, Helmtrud und
Prinz Franz die Gäste. Vom königlichen Hause waren Prinz
Rupprecht, Prinz und Prinzessin Ludwig Ferdinand,
Prinzessin Klara, Herzog Karl Theodor, Herzog Ludwig
Wilhelm,
Herzog Christoph, ferner Prinz Ernst von
Sachsen-Meiningen
erschienen. Die Salons und der
große Ballsaal füllten sich immer mehr und es bildeten sich als-
bald größere und kleinere Gruppen, in denen eifrig geplaudert
wurde. Besonders das Lenbach-Zimmer (Arbeitszimmer des
Prinzen Ludwig) erweckte besonderes Interesse und war stets
dicht gefüllt. Aus der glänzenden Gesellschaft seien als anwesend
genannt: der päpstliche Nuntius und das ganze diplomatische
Korps, die Fürsten v. Oettingen-Spielberg. Löwenstein, Hohen-
lohe, Quadt, die Grafen Törring, Fugger, Königsegg, Pappen-
heim, Friedrich, Karl und Klemens Schönborn, v. Rechberg,
Bassenheim mit ihren Gemahlinnen, die obersten Hofchargen, die
Palastdamen, die Staatsminister (mit Ausnahme des noch er-
holungsbedürftigen Kultusministers v. Wehner), viele Generale,
Reichs- und Staatsräte, das Präsidium der Kammer der Ab-
geordneten mit Ausnahme des abwesenden Hofrates Fuchs, Ober-
bürgermeister v. Borscht, die Vorstände des Gemeindekollegiums
Schwarz und Huber, die Kämmerer, die Hofstaaten der Prinzen
und Prinzessinnen, Stiftspropst Dr. Ritter v. Türk, der Rektor
der Universität Dr. Endres, der Rektor der Technischen Hochschule
v. Thiersch, Prorektor v. Dyck, der Direktor der Tierärztlichen
Hochschule Prof. Albrecht, die Vorstände des Deutschen Museums
v. Miller und Dr. v. Linde, der Präsident der Münchener Künst-
ler-Genossenschaft v. Petersen, Archiprat v. Destouches, die Aus-
schußmitglieder des Vereins vom Roten Kreuz, Eisenbahndirek-
tionspräsident Hauck, Oberinspektor Arendts, die Stabsoffiziere
des 10. Infanterie-Regiments in Ingolstadt, dessen Inhaber
Prinz Ludwig ist, die Kommandeure der Münchener Regimenter
usw. Die Damen trugen sämtlich große Toilette und funkelten
von Perlen und Edelsteinen, Agraffen und Diademen, deren
blendender Glanz kontrastierte mit der einfachen Kleidung der
Herren, die mit Ausnahme der Offiziere alle im Frack ohne große
Ordensbänder erschienen. Die höchsten Herrschaften blieben in
angeregter Unterhaltung mit ihren Gästen bis nach Mitternacht.
Prinz und Prinzessin Ludwig und ihre Töchter sorgten stets und
überall, daß sich ihre Gäste wohl fühlten, und bewirkten dadurch,
daß man nach einem überaus schön verlaufenen Abend nur un-
gern von der gastlichen Stätte schied.




-- Se. kgl. Hoheit der Prinzregent begab sich
heute vormittag nach der Theresienhöhe und besichtigte dort
das Panorama "Die Schlacht bei Orleans" von Professor
Diemer. Der Regent wurde bei seiner Ankunft von dem
Künstler und den Herren der Verwaltung des Panoramas
empfangen.


-- Frau Erzherzogin Adelgunde, Herzogin von Mo-
dena, vollendet morgen Donnerstag ihr 85. Lebensjahr.
Erfreulicherweise schreitet die Genesung der an Influenza
[Spaltenumbruch] erkrankten Herzogin, der allverehrten Schwester unseres
Prinzregenten, stetig fort. Immerhin bedarf jedoch die
hohe Frau noch einiger Schonung, daher werden sich die
Gratulationen auf die Sr. kgl. Hoheit des Prinzregenten
und der allernächsten Anverwandten beschränken.



Münchener Stadtanzeiger.
* Erkrankung des Prinzen Konrad.

In dem Befin-
den des Prinzen ist eine Besserung eingetreten. Die schar-
lachverdächtige Ausschlagsfläche ist zurückgegangen. Der
Prinz befindet sich in Behandlung des Leibarzts Dr. Bre-
dauer, doch waren auch die Universitätsprofessoren Dr.
Friedrich v. Müller und Dr. Karl Posselt zur Kon-
sultation beigezogen.

# Die Augustinerstockfrage.

Heute vormittag wurde
das Augustinerstockareal neuerdings von einer Kommission,
bestehend aus Vertretern der Regierung, des Reichsrats-
und der Abgeordnetenkammer, in Augenschein genommen.
Die Angelegenheit ist bekanntlich vom Reichsratsplenum
zur neuerlichen Beratung an den Ausschuß des Reichsrates
zurückverwiesen werden.

* Errichtung eines Denkmals für Ludwig II.

Das
Kollegium hat sich bekanntlich mit dem Vorschlage des
Magistrates, das Denkmal für König Ludwig II. auf der
Corneliusbrücke errichten zu lassen, nicht einver-
standen erklärt und dem Verein für Errichtung eines Denk-
mals anheimgestellt, einen geeigneteren Platz ausfindig
zu machen. Die Kollegien haben sich nunmehr dahin ent-
schieden, unter Zuziehung des Vereins eine Kommission
aus Mitgliedern beider Kollegien zu bilden, die die Platz-
frage in allseits befriedigender Weise lösen soll.


* Auch über das Gärtnerplatz-Theater hat nun der hiesige
Lokalverein des Allgem. Deutschen Musiker-
verbandes
den Boykott verhängt. Die Direktion des
Theaters teilt uns darüber mit: "Wir sahen uns genötigt, sieben
Mitgliedern unseres Orchesters am 27. Dezember v. J. die Mit-
teilung zukommen zu lassen, daß ihre Verträge, die zum 1. Sep-
tember d. J. ablaufen, nicht wieder erneuert werden könnten.
(Wir glauben besonders betonen zu müssen, daß es sich nicht um
Kündigung laufender Verträge, sondern um Nichterneue-
rung
ablaufender Kontrakte handelt.) Die Gründe für diese
Maßregel waren lediglich sachliche, künstlerische: einige Kompo-
nisten, die bei Erstaufführungen ihrer Operetten unsere Gäste
waren, hatten sich bei uns beschwert, daß die Ausführung mehrerer
Instrumente nicht auf der Höhe der Leistungsfähigkeit eines
Orchesters von künstlerischer Bedeutung stünde. Auf Befragen
erklärten unsere Herren Kapellmeister jene sieben Mitglieder
als diejenigen, welche die Qualität unserer Musikaufführungen
beeinträchtigten. Wir bedauern selber das Los der durch die
leider notwendige Maßregel Betroffenen, von denen mehrere
unserem Orchester lange Jahre angehört hatten. Aus Menschlich-
keitsgründen verstanden wir uns sogar dazu, drei von ihnen
dennoch wieder zu engagieren. Wir wiesen ihnen, um dies zu
ermöglichen, statt der bisher von ihnen gespielten Instrumente
solche zu, die leichter auszuführen waren. Wir glauben also, daß
wir jede nur irgend mögliche Rücksicht haben walten lassen. Den
Vorschlag der Vertrauensmänner vom Lokalverein des Allgem.
Deutschen Musikerverbandes, künftighin ausschließlich durch seine
Vermittlung zu engagieren, glaubten wir ablehnen zu müssen,
da uns sein Tarif viel zu hoch erschien. Dies ist vermutlich die
Ursache des über das Gärtnertheater verhängten Boykotts."

Es scheint, daß die Herren vom Musikerverband es darauf
anlegen wollen, den Bogen zu überspannen und sich die Sym-
pathien des Publikums gründlich zu verscherzen. Gewiß ist ihr
Vorgehen zu entschuldigen, insbesondere mit der weitgehenden
Konnivenz, die man von seiten der Ausstellungsleitung dem
Verband gegenüber geübt hat und von der gar seltsame Dinge
erzählt werden.


eh. Der Evangelische Handwerkerverein feierte am Samstag
und Sonntag unter zahlreicher Beteiligung sein 60. Stif-
tungs fest.
Am Samstag fand im großen Saale des Vereins-
hauses ein Festabend statt, dem als Gäste Polizeidirektor
Frhr. von der Heydte, Oberkonsistorialrat Schmetzer,
Rechtsrat Schöner und der Bundespräsident der bayer, evang.
Handwerkervereine Dekan Heck-Schwabach beiwohnten. Auch
das Ehrenmitglied Baron v. Lupin und verschiedene Abord-
nungen von Vereinen waren zugegen. Besondere Ehrungen

[Spaltenumbruch]

Tristan in Musik setzen. Er findet das Meisterwerk Wag-
ners zu lang, zu langweilig und zu viel Philosophie darin-
nen. Er will einen französischen Tristan schaffen!!! Sonst
weiter nichts?



Theater und Musik.
-lt. Münchener Volkstheater.

Nach den erfolgreichen Wochen
des Glöcknerschen Gastspiels nahm das Volkstheater seine Alltags-
tätigkeit sofort mit einer Erstaufführung auf. "Gegen den
Strom
" betiteln sich drei Einakter: "Frei!", "Wilde Ehe"
und "Sünde?" von Jakob Fürth. Die drei Stückchen stehen
innerlich in keinem Zusammenhang, nur die Tendenz, gegen kon-
ventionelle Sittenbegriffe Front zu machen, ist ihnen gemeinsam
und findet in dem Uebertitel "Gegen den Strom" die zutreffende
Bezeichnung. Einen überzeugenden Erfolg bei dem kühnen
Wagnis, gegen den Strom zu schwimmen, wird der Autor wohl
nicht haben, ebensowenig wird ihm beschieden sein, hierbei ruhm-
voll unterzugehen -- dazu ist das dramatische Wässerchen, in dem
er redselig herumplätschert, zu seicht. Das erste Stück "Frei!"
behandelt ein matrimonium non consumatum, die Frau in der
ausschließlichen Rolle der Krankenpflegerin, bis sie durch die
Lektüre Nietsches, die ihr der altruistisch veranlagte Arzt ihres
Mannes gegeben, in Wirklichkeit aber durch die Liebe zum
Bruder dieses Arztes ihre Fesseln sprengen möchte. Der Arzt
aber, der sich selbst von ihr geliebt glaubt, wird durch diese Liebe
zur Herrenmoral bekehrt und läßt den im Wege stehenden
Kranken bei einem Anfall ohne Hilfe zugrunde gehen. Das über-
aus peinlich wirkende Stück ist nicht geeignet, Sympathien für
irgend eine der beteiligten Personen auszulösen. Die "Wilde Ehe"
behandelt eine Offiziersliebe, die wegen mangelnder Kaution
ihren Abschluß in der Ehe nicht finden kann. Als sie nach fünf-
jährigem Warten endlich in dem Besitz der Kaution wären, geht
diese durch Unterschlagung wieder zu Verlust und damit auch jede
Hoffnung. Die beiden gehen hierauf eine "wilde Ehe" ein, nach-
dem die sie bemutternde "Frau Hauptmann" das Geständnis
ablegt, ebenfalls mit ihrem verstorbenen Manne nur in wilder
Ehe gelebt zu haben. Der Versuch, eine solche Vereinigung als
moralisch höher stehend hinzustellen als so manche Konvenienzehe,
wird zwar gemacht, den Beweis aber bleibt man uns schuldig.
Gearbeitet ist das zweite Stück besser als das erste. Das dritte,
"Sünde?", betrifft eine Geschwisterehe. Zwei Leutchen, die, na-
türlich ohne davon zu wissen, einen gemeinsamem Vater haben,
heiraten sich. Als der Pseudovater und der wirkliche Vater zusam-
mentreffen, tagt es fürchterlich. Der wirkliche Vater möchte die
beiden trennen, der andere, von seiner verstorbenen Frau selbst
[Spaltenumbruch] schmählich betrogene Vater, will das Glück der Kinder nicht
stören, weil -- die Madonna ihm eingibt, daß dies Verhältnis
keine Sünde sein könne. Er setzt es durch, die beiden in Un-
kenntnis zu lassen und erklärt, die Verantwortung hierfür zu
übernehmen. Trotz aller Tragik wird auch hier, ebenso wie bei
den anderen, dem dramatischen Konflikt sorgfältig aus dem
Wege gegangen. Die Absicht, die Liebe als siegreiche Ueber-
winderin aller moralischen Vorurteile zu zeigen, ist überall
vorhanden, der eigentliche Kampf aber, ohne den kein Sieg
möglich ist, wird uns vom Verfasser vorenthalten. Die Liebe
behält recht nicht deshalb, weil sie im Rechte ist, sondern weil
vom Autor konstruierte Zufälligkeiten ihr augenblicklich recht
geben. Gespielt wurde unter der Regie Cäsar Becks im allge-
meinen recht anerkennenswert, wenn auch nicht ganz gleichmäßig.
Hervorgehoben zu werden verdienen Emmy Gindorfer, Diana
Dietrich, Alexandrine Malten und Mary Holm sowie die Herren
Cäsar Beck, Otto Kustermann, Hermann Pfanz. Im letzten Stücke
hatte Herr Pinegger an Stelle Hermann Pfanz' die Rolle des
Brown übernommen. Der Beifall hielt sich, wie bereits im Vor-
bericht erwähnt, nachdem nach dem ersten Stück die übereifrige
Claque das im Volkstheater sonst nicht übliche Zischen heraus-
gefordert hatte, in recht mäßigen Grenzen, doch konnte nach dem
zweiten und letzten Stücke der Verfasser dankend erscheinen.

-tz. Lieder-Abend von Anton Schlosser.

Seinen zweiten
Abend hatte der Sänger einer Reihe Liederkomponisten der jüng-
sten Generation gewidmet. Die Eindrücke, die man davon emp-
fing, waren ziemlich ungleich. Die Lieder von Martin Ober-
dörfer und Agnes Schienemann halten sich in den Grenzen wohl-
anständig genügsamer Unterhaltungsmusik, die man einmal ganz
gerne hört und dann sofort wieder vergißt, die weder im guten
noch im schlechten Sinne irgendwie aufregend wirkt. Ein ernsterer
Musikerkopf blickt uns schon aus den Gesängen von Heinrich
Kaspar Schmid entgegen, entschiedenes künstlerisches Interesse be-
anspruchen aber die Lieder von Otto Vrieslander. Dem
jungen Münchener Lyriker hat vor Jahren einmal Ludwig
Wüllner einen Abend gewidmet; die diesmal zu Gehör gebrach-
ten Nummern aus A. Girauds "Pierrot Lunaire" dürften aber
die Eigenart des jungen Tonsetzers noch treffender kennzeichnen
als die damals von Wüllner vorgeführten Lieder nach Goethe
und des Knaben Wunderhorn. Vrieslanders Pierrot Lunaire-
Lieder bilden einen stattlichen Band von nicht weniger als 46
Nummern (Verlag Dr. Heinrich Lewy, München, wo auch die
übrigen an dem Abend gesungenen Lieder von Oberdörfer,
Schienemann und Schmid erschienen sind). Das Hauptwirkungs-
mittel der Dichtungen und dementsprechend auch der Musik ist
geistreich groteske Drastik; es ist aber das beste Zeichen für
Vrieslanders musikalische Potenz, daß er dabei weder in Manier
noch in Monotonie verfällt; man mag den Band von vorne bis
[Spaltenumbruch] hinten durchblättern, in jedem Lied findet man wieder einen
neuen originellen Zug, überall sprudelt ein frischer Quell melodi-
scher und harmonischer Empfindung, der selbst in Stücken wie der
"Laterne", wo die Bizarrerie bis zum äußersten gesteigert ist,
noch künstlerische Wirkung garantiert. Von den diesmal gesunge-
nen acht Liedern hinterließen "Valse de Chopin", "Die Estrade",
"Die Violine" und das Schlußmotto "Böhmischer Kristall" den
meisten Eindruck. Der Sänger erfreute bei der Bewältigung der
schwierigen Aufgabe durch wohltuend sicheres musikalisches Emp-
finden und vornehme künstlerische Intelligenz. Sein sympathi-
sches, trefflich gebildetes, aber im Umfang beschränktes Organ
freilich war den gestellten hohen Anforderungen nicht in gleichen
Maße gewachsen, doch mußte sich der Künstler durch Transposition
und Punktierungen ganz geschmackvoll zu helfen. Jedenfalls ge-
bührt ihm besonderer Dank für die Vorführung der interessanter
Stücke von Vrieslander. Am Flügel saß Professor Schmid
Lindner,
der in Rücksicht auf den Sänger oft etwas gar zu
zurückhaltend sich gab, im übrigen aber für den technisch ebenso
schwierigen wie interessanten Klavierpart der Vrieslander-Lieder
wohl der berufenste Interpret war.

+ Klavierabend.

Der Pianist Franz Rösler aus Ron
wird am Donnerstag, den 19. März, im Bayerischen Hof mit
Bach und Couperin beginnen, dann einige Werke von Beethoven
darunter dessen Appassionata, spielen und schließlich mit Brahms
Chopin und Rubinstein endigen. Karten bei Otto Bauer
Maximilianstraße 5.

* Kleine Mitteilungen.

Herr Anton Zvonar, ein junger
Tenor mit "phänomenalen Stimmitteln", Schüler des Kammer-
sängers Schuegraf, wurde nach erfolgreichem Probesingen
von Direktor Rainer Simons unter glänzenden Bedingungen auf
fünf Jahre an der Wiener Volksoper verpflichtet. -- Im Schulz-
Beuthen
-Konzert in Dresden, welches zur Vorfeier des
70. Geburtstages des Komponisten im Vereinshaus stattfand,
wurden u. a. seine 2. Symphonie "Frühlingsfeier" sowie Ein-
leitung und Schluß aus seiner musikalischen Tragödie "Die
Paria" aufgeführt und erbrachten dem greisen Tondichter einen
stürmischen Erfolg.



Bildende Kunst.

(Privattelegramm.)
Zur Erinnerung an Theodor Körner und das Lützowsche
Freikorps wird in der Stadt Zobten ein Monumen-
talbrunnen
aus den Mitteln des Landeskunstfonds er-
richtet werden. Die Ausführung des Brunnens wurde dem

Nr. 131. München, Donnerstag Allgemeine Zeitung 19. März 1908.
[Spaltenumbruch]
Ein Interview mit dem Reichskanzler.

Die Nowoje Wremja ver-
öffentlicht ein langes Interview mit dem Reichs-
kanzler Fürſten Bülow.
Fürſt Bülow erklärte
darin kategoriſch, daß die Regierung Oeſterreich-
Ungarns die Kabinette von St. Petersburg
und Berlin gleichzeitig von dem Sandſchak-
Bahnprojekt
benachrichtigt habe. Daher ſei die Be-
hauptung der ruſſiſchen Preſſe, das Projekt ſei von Berlin
angeregt worden, vollkommen irrig. Die öſterreichiſch-
ungariſchen Pläne ſtimmten durchaus mit dem Berliner
Vertrag überein und verfolgten nur Handelsziele. Daher
konnten ſie deutſcherſeits nur ebenſo freudig begrüßt wer-
den wie jedes andere gleichartige Unternehmen. Die
ruſſiſche Erregung darüber ſei ganz unverſtändlich. Deutſch-
land verfolge auf dem Balkan nur ſeine Handelsintereſſen
und die Herſtellung der Ruhe in Verbindung mit den
anderen Mächten.

Deutſchland hintertreibe durchaus nicht das maze-
doniſche Reformwerk.
Der deutſche Botſchafter in
Konſtantinopel habe lediglich einige ſachliche Einwendungen
zu den Vorſchlägen über die mazedoniſche Gerichts-
reform
erhoben, um ernſten Schwierigkeiten vorzu-
beugen. Die anderen Botſchafter ſtimmten einſtimmig zu.
Deutſchland halte an der Gemeinſamkeit der Aktion der
Mächte feſt und, falls gelegentlich die deutſchen Vorſchläge
nicht die Billigung Europas finden ſollten, würde Deutſch-
land den mehr intereſſierten Mächten den Vorrang laſſen.

Sodann geht das Interview auf die perſiſche
Frage
ein. Dabei erklärte der Reichskanzler, Deutſch-
land verfolge dort nur ein kommerzielles Ziel. Die anglo-
ruſſiſche Verſtändigung ſpreche das Prinzip der offenen Tür
aus, das Deutſchland benutzen werde gemäß ſeiner allge-
meinen Politik, die darauf abziele, das Prinzip der freien
Konkurrenz und die Unabhängigkeit zukunftsreicher Länder
aufrecht zu erhalten. Da die engliſche Bank wie die ruſſiſche
in Perſien andersartige Aufgaben verfolgen, ſo fühlten
unſere Kaufleute das Bedürfnis, eine eigene Bank in Per-
ſien zu beſitzen. Das waren die Erwägungen, welche die
Gründung einer Filiale der Deutſchen Orient-
bank
in Perſien bewirkten. Was die deutſche Schule
betrifft, ſo verdankt ſie ihre Entſtehung der Initiative
des Schahs.
Vergeſſen Sie nicht, daß es in Perſien auch
amerikaniſche, zwei franzöſiſche und ruſſiſche Schulen gibt;
warum greift man gerade uns unſerer Schule wegen an?
Das Gleiche gilt von der Idee einer Zweigbahn der
Bagdad-Linie
nach Perſien. Gleich warf man uns
vor, daß wir unſere Hand nach Perſien ausſtrecken.
Im türkiſch-perſiſchen Konflikt haben wir eine friedenſtif-
tende Rolle geſpielt; wir haben der Türkei geraten, ihre
vorgeſchobenen Truppen zurückzuziehen und jeden Konflikt
zu vermeiden.

Die Bagdad-Bahn endige an der perſiſchen
Grenze und durchziehe nur türkiſches Gebiet. Das deutſche
Kapital nehme in der Bagdad-Bahn-Geſellſchaft die erſte
Stelle ein. Deutſchland habe jedoch niemals die Teilnahme
fremden Kapitals verhindert. Daher ſtehe das Unter-
nehmen, obwohl es dem Sinne nach deutſch ſei, unter türki-
ſcher Flagge und behalte den internationalen Charakter.
Es werde von Deutſchen geleitet, es ſei jedoch auch fremdes
Kapital in der Adminiſtration vertreten. Deutſchland
denke weder an die Koloniſation Kleinaſiens, noch an die
Erwerbung eines Hafens im Perſiſchen Meerbuſen, hoffe
aber, daß die Bahn Meſſopotamien wirtſchaftlich
heben werde, was von Nutzen für die Allgemeinheit ſein
werde.

Die Angriffe der ruſſiſchen Preſſe ſeien in
jeder Hinſicht ungerechtfertigt. Einſt habe Fürſt Bismarck
dieſe Angriffe mit dem Wort „Druckerſchwärze“ abgetan.
Inzwiſchen habe ſich aber der Einfluß der ruſſiſchen Preſſe
vergrößert, auch in Rußland ſelbſt, weshalb man die immer
feindlichere Haltung der ruſſiſchen Preſſe gegen Deutſchland
nicht länger ignorieren dürfe. Deutſchland beabſichtigt
niemand anzugreifen. Der Ausbau ſeiner Flotte ſei gegen
niemand gerichtet, nur müſſe Deutſchland als Großmacht
für jede Eventualität gerüſtet ſein und ſeine Grenzen zu
ſchützen wiſſen. Die Gerüchte von einer Einmiſchung in
die inneren ruſſiſchen Verhältniſſe ſeien lächerlich. „Wir
[Spaltenumbruch] bleiben Ihre guten Nachbarn und werden uns nie um
Dinge kümmern, die uns nichts angehen. Einer Ihrer
großen Staatsmänner hat einmal geſagt: „Rußland iſt
nicht Aſien, aber auch nicht Europa. Rußland, das iſt
Rußland.“ „Wir wünſchen,“ ſchloß der Kanzler, „daß das
große ruſſiſche Reich ſich entſprechend ſeinen ruſſiſchen Be-
dürfniſſen entwickeln möge.“



Hof und Geſellſchaft.
Rout bei Prinz und Prinzeſſin Ludwig.

st. Die prächtigen und dabei intimen Salons im Wittels-
bacher Palais erſchloſſen ſich heute abend zu einem Empfangs-
abend, zu dem Prinz und Prinzeſſin Ludwig mehr als tauſend
Einladungen an die Münchener Geſellſchaft hatten ergehen laſſen.
Noch von den alljährlichen Ballfeſten bei dem Thronfolgerpaar
war es den meiſten Gäſten in Erinnerung, wie gemütlich und
heimiſch ſich die Geſellſchaft bei der Gaſtfreundſchaft im Wittels-
bacher-Palais fühlt. Heute lagerte zwar noch der Schatten der
Trauer auf dem Hauſe, und deswegen war an Stelle des Ball-
feſtes ein Rout getreten. Gegen 8½ Uhr wurde es lebhaft in
der Briennerſtraße; Wagen auf Wagen fuhr durch das Tor, und
über die mit ſchweren Teppichen belegte Treppe, die mit Palmen-
gruppen und Lorbeer geſchmückt war, begaben ſich die Gäſte des
Hauſes in die prunkvollen Salons, die ſchon durch ihre Archi-
tektonik unvergleichlich wirken. Zahlloſe Lüſters und Wandarme
erhellten die blumengeſchmückten Säle. Hofmarſchall Freiherr
v. Laßberg, Oberhofmeiſterin Gräfin Dürckheim, die Hofdamen
Baronin Kesling, Baronin Wulffen und Frln. v. Zwehl, die
perſönlichen Adjutanten Baron Leonrod, Baron Rotenhan, Baron
Soden und Baron Reichlin begrüßten die Geladenen im Vorſaal.
Im erſten Salon empfingen Prinz und Prinzeſſin Ludwig ſowie
die Prinzeſſinnen Adelgunde, Hildegard, Wiltrud, Helmtrud und
Prinz Franz die Gäſte. Vom königlichen Hauſe waren Prinz
Rupprecht, Prinz und Prinzeſſin Ludwig Ferdinand,
Prinzeſſin Klara, Herzog Karl Theodor, Herzog Ludwig
Wilhelm,
Herzog Chriſtoph, ferner Prinz Ernſt von
Sachſen-Meiningen
erſchienen. Die Salons und der
große Ballſaal füllten ſich immer mehr und es bildeten ſich als-
bald größere und kleinere Gruppen, in denen eifrig geplaudert
wurde. Beſonders das Lenbach-Zimmer (Arbeitszimmer des
Prinzen Ludwig) erweckte beſonderes Intereſſe und war ſtets
dicht gefüllt. Aus der glänzenden Geſellſchaft ſeien als anweſend
genannt: der päpſtliche Nuntius und das ganze diplomatiſche
Korps, die Fürſten v. Oettingen-Spielberg. Löwenſtein, Hohen-
lohe, Quadt, die Grafen Törring, Fugger, Königsegg, Pappen-
heim, Friedrich, Karl und Klemens Schönborn, v. Rechberg,
Baſſenheim mit ihren Gemahlinnen, die oberſten Hofchargen, die
Palaſtdamen, die Staatsminiſter (mit Ausnahme des noch er-
holungsbedürftigen Kultusminiſters v. Wehner), viele Generale,
Reichs- und Staatsräte, das Präſidium der Kammer der Ab-
geordneten mit Ausnahme des abweſenden Hofrates Fuchs, Ober-
bürgermeiſter v. Borſcht, die Vorſtände des Gemeindekollegiums
Schwarz und Huber, die Kämmerer, die Hofſtaaten der Prinzen
und Prinzeſſinnen, Stiftspropſt Dr. Ritter v. Türk, der Rektor
der Univerſität Dr. Endres, der Rektor der Techniſchen Hochſchule
v. Thierſch, Prorektor v. Dyck, der Direktor der Tierärztlichen
Hochſchule Prof. Albrecht, die Vorſtände des Deutſchen Muſeums
v. Miller und Dr. v. Linde, der Präſident der Münchener Künſt-
ler-Genoſſenſchaft v. Peterſen, Archiprat v. Destouches, die Aus-
ſchußmitglieder des Vereins vom Roten Kreuz, Eiſenbahndirek-
tionspräſident Hauck, Oberinſpektor Arendts, die Stabsoffiziere
des 10. Infanterie-Regiments in Ingolſtadt, deſſen Inhaber
Prinz Ludwig iſt, die Kommandeure der Münchener Regimenter
uſw. Die Damen trugen ſämtlich große Toilette und funkelten
von Perlen und Edelſteinen, Agraffen und Diademen, deren
blendender Glanz kontraſtierte mit der einfachen Kleidung der
Herren, die mit Ausnahme der Offiziere alle im Frack ohne große
Ordensbänder erſchienen. Die höchſten Herrſchaften blieben in
angeregter Unterhaltung mit ihren Gäſten bis nach Mitternacht.
Prinz und Prinzeſſin Ludwig und ihre Töchter ſorgten ſtets und
überall, daß ſich ihre Gäſte wohl fühlten, und bewirkten dadurch,
daß man nach einem überaus ſchön verlaufenen Abend nur un-
gern von der gaſtlichen Stätte ſchied.




— Se. kgl. Hoheit der Prinzregent begab ſich
heute vormittag nach der Thereſienhöhe und beſichtigte dort
das Panorama „Die Schlacht bei Orleans“ von Profeſſor
Diemer. Der Regent wurde bei ſeiner Ankunft von dem
Künſtler und den Herren der Verwaltung des Panoramas
empfangen.


— Frau Erzherzogin Adelgunde, Herzogin von Mo-
dena, vollendet morgen Donnerstag ihr 85. Lebensjahr.
Erfreulicherweiſe ſchreitet die Geneſung der an Influenza
[Spaltenumbruch] erkrankten Herzogin, der allverehrten Schweſter unſeres
Prinzregenten, ſtetig fort. Immerhin bedarf jedoch die
hohe Frau noch einiger Schonung, daher werden ſich die
Gratulationen auf die Sr. kgl. Hoheit des Prinzregenten
und der allernächſten Anverwandten beſchränken.



Münchener Stadtanzeiger.
* Erkrankung des Prinzen Konrad.

In dem Befin-
den des Prinzen iſt eine Beſſerung eingetreten. Die ſchar-
lachverdächtige Ausſchlagsfläche iſt zurückgegangen. Der
Prinz befindet ſich in Behandlung des Leibarzts Dr. Bre-
dauer, doch waren auch die Univerſitätsprofeſſoren Dr.
Friedrich v. Müller und Dr. Karl Poſſelt zur Kon-
ſultation beigezogen.

# Die Auguſtinerſtockfrage.

Heute vormittag wurde
das Auguſtinerſtockareal neuerdings von einer Kommiſſion,
beſtehend aus Vertretern der Regierung, des Reichsrats-
und der Abgeordnetenkammer, in Augenſchein genommen.
Die Angelegenheit iſt bekanntlich vom Reichsratsplenum
zur neuerlichen Beratung an den Ausſchuß des Reichsrates
zurückverwieſen werden.

* Errichtung eines Denkmals für Ludwig II.

Das
Kollegium hat ſich bekanntlich mit dem Vorſchlage des
Magiſtrates, das Denkmal für König Ludwig II. auf der
Corneliusbrücke errichten zu laſſen, nicht einver-
ſtanden erklärt und dem Verein für Errichtung eines Denk-
mals anheimgeſtellt, einen geeigneteren Platz ausfindig
zu machen. Die Kollegien haben ſich nunmehr dahin ent-
ſchieden, unter Zuziehung des Vereins eine Kommiſſion
aus Mitgliedern beider Kollegien zu bilden, die die Platz-
frage in allſeits befriedigender Weiſe löſen ſoll.


* Auch über das Gärtnerplatz-Theater hat nun der hieſige
Lokalverein des Allgem. Deutſchen Muſiker-
verbandes
den Boykott verhängt. Die Direktion des
Theaters teilt uns darüber mit: „Wir ſahen uns genötigt, ſieben
Mitgliedern unſeres Orcheſters am 27. Dezember v. J. die Mit-
teilung zukommen zu laſſen, daß ihre Verträge, die zum 1. Sep-
tember d. J. ablaufen, nicht wieder erneuert werden könnten.
(Wir glauben beſonders betonen zu müſſen, daß es ſich nicht um
Kündigung laufender Verträge, ſondern um Nichterneue-
rung
ablaufender Kontrakte handelt.) Die Gründe für dieſe
Maßregel waren lediglich ſachliche, künſtleriſche: einige Kompo-
niſten, die bei Erſtaufführungen ihrer Operetten unſere Gäſte
waren, hatten ſich bei uns beſchwert, daß die Ausführung mehrerer
Inſtrumente nicht auf der Höhe der Leiſtungsfähigkeit eines
Orcheſters von künſtleriſcher Bedeutung ſtünde. Auf Befragen
erklärten unſere Herren Kapellmeiſter jene ſieben Mitglieder
als diejenigen, welche die Qualität unſerer Muſikaufführungen
beeinträchtigten. Wir bedauern ſelber das Los der durch die
leider notwendige Maßregel Betroffenen, von denen mehrere
unſerem Orcheſter lange Jahre angehört hatten. Aus Menſchlich-
keitsgründen verſtanden wir uns ſogar dazu, drei von ihnen
dennoch wieder zu engagieren. Wir wieſen ihnen, um dies zu
ermöglichen, ſtatt der bisher von ihnen geſpielten Inſtrumente
ſolche zu, die leichter auszuführen waren. Wir glauben alſo, daß
wir jede nur irgend mögliche Rückſicht haben walten laſſen. Den
Vorſchlag der Vertrauensmänner vom Lokalverein des Allgem.
Deutſchen Muſikerverbandes, künftighin ausſchließlich durch ſeine
Vermittlung zu engagieren, glaubten wir ablehnen zu müſſen,
da uns ſein Tarif viel zu hoch erſchien. Dies iſt vermutlich die
Urſache des über das Gärtnertheater verhängten Boykotts.“

Es ſcheint, daß die Herren vom Muſikerverband es darauf
anlegen wollen, den Bogen zu überſpannen und ſich die Sym-
pathien des Publikums gründlich zu verſcherzen. Gewiß iſt ihr
Vorgehen zu entſchuldigen, insbeſondere mit der weitgehenden
Konnivenz, die man von ſeiten der Ausſtellungsleitung dem
Verband gegenüber geübt hat und von der gar ſeltſame Dinge
erzählt werden.


eh. Der Evangeliſche Handwerkerverein feierte am Samstag
und Sonntag unter zahlreicher Beteiligung ſein 60. Stif-
tungs feſt.
Am Samstag fand im großen Saale des Vereins-
hauſes ein Feſtabend ſtatt, dem als Gäſte Polizeidirektor
Frhr. von der Heydte, Oberkonſiſtorialrat Schmetzer,
Rechtsrat Schöner und der Bundespräſident der bayer, evang.
Handwerkervereine Dekan Heck-Schwabach beiwohnten. Auch
das Ehrenmitglied Baron v. Lupin und verſchiedene Abord-
nungen von Vereinen waren zugegen. Beſondere Ehrungen

[Spaltenumbruch]

Triſtan in Muſik ſetzen. Er findet das Meiſterwerk Wag-
ners zu lang, zu langweilig und zu viel Philoſophie darin-
nen. Er will einen franzöſiſchen Triſtan ſchaffen!!! Sonſt
weiter nichts?



Theater und Muſik.
-lt. Münchener Volkstheater.

Nach den erfolgreichen Wochen
des Glöcknerſchen Gaſtſpiels nahm das Volkstheater ſeine Alltags-
tätigkeit ſofort mit einer Erſtaufführung auf. „Gegen den
Strom
“ betiteln ſich drei Einakter: „Frei!“, „Wilde Ehe
und „Sünde?“ von Jakob Fürth. Die drei Stückchen ſtehen
innerlich in keinem Zuſammenhang, nur die Tendenz, gegen kon-
ventionelle Sittenbegriffe Front zu machen, iſt ihnen gemeinſam
und findet in dem Uebertitel „Gegen den Strom“ die zutreffende
Bezeichnung. Einen überzeugenden Erfolg bei dem kühnen
Wagnis, gegen den Strom zu ſchwimmen, wird der Autor wohl
nicht haben, ebenſowenig wird ihm beſchieden ſein, hierbei ruhm-
voll unterzugehen — dazu iſt das dramatiſche Wäſſerchen, in dem
er redſelig herumplätſchert, zu ſeicht. Das erſte Stück „Frei!“
behandelt ein matrimonium non consumatum, die Frau in der
ausſchließlichen Rolle der Krankenpflegerin, bis ſie durch die
Lektüre Nietſches, die ihr der altruiſtiſch veranlagte Arzt ihres
Mannes gegeben, in Wirklichkeit aber durch die Liebe zum
Bruder dieſes Arztes ihre Feſſeln ſprengen möchte. Der Arzt
aber, der ſich ſelbſt von ihr geliebt glaubt, wird durch dieſe Liebe
zur Herrenmoral bekehrt und läßt den im Wege ſtehenden
Kranken bei einem Anfall ohne Hilfe zugrunde gehen. Das über-
aus peinlich wirkende Stück iſt nicht geeignet, Sympathien für
irgend eine der beteiligten Perſonen auszulöſen. Die „Wilde Ehe“
behandelt eine Offiziersliebe, die wegen mangelnder Kaution
ihren Abſchluß in der Ehe nicht finden kann. Als ſie nach fünf-
jährigem Warten endlich in dem Beſitz der Kaution wären, geht
dieſe durch Unterſchlagung wieder zu Verluſt und damit auch jede
Hoffnung. Die beiden gehen hierauf eine „wilde Ehe“ ein, nach-
dem die ſie bemutternde „Frau Hauptmann“ das Geſtändnis
ablegt, ebenfalls mit ihrem verſtorbenen Manne nur in wilder
Ehe gelebt zu haben. Der Verſuch, eine ſolche Vereinigung als
moraliſch höher ſtehend hinzuſtellen als ſo manche Konvenienzehe,
wird zwar gemacht, den Beweis aber bleibt man uns ſchuldig.
Gearbeitet iſt das zweite Stück beſſer als das erſte. Das dritte,
„Sünde?“, betrifft eine Geſchwiſterehe. Zwei Leutchen, die, na-
türlich ohne davon zu wiſſen, einen gemeinſamem Vater haben,
heiraten ſich. Als der Pſeudovater und der wirkliche Vater zuſam-
mentreffen, tagt es fürchterlich. Der wirkliche Vater möchte die
beiden trennen, der andere, von ſeiner verſtorbenen Frau ſelbſt
[Spaltenumbruch] ſchmählich betrogene Vater, will das Glück der Kinder nicht
ſtören, weil — die Madonna ihm eingibt, daß dies Verhältnis
keine Sünde ſein könne. Er ſetzt es durch, die beiden in Un-
kenntnis zu laſſen und erklärt, die Verantwortung hierfür zu
übernehmen. Trotz aller Tragik wird auch hier, ebenſo wie bei
den anderen, dem dramatiſchen Konflikt ſorgfältig aus dem
Wege gegangen. Die Abſicht, die Liebe als ſiegreiche Ueber-
winderin aller moraliſchen Vorurteile zu zeigen, iſt überall
vorhanden, der eigentliche Kampf aber, ohne den kein Sieg
möglich iſt, wird uns vom Verfaſſer vorenthalten. Die Liebe
behält recht nicht deshalb, weil ſie im Rechte iſt, ſondern weil
vom Autor konſtruierte Zufälligkeiten ihr augenblicklich recht
geben. Geſpielt wurde unter der Regie Cäſar Becks im allge-
meinen recht anerkennenswert, wenn auch nicht ganz gleichmäßig.
Hervorgehoben zu werden verdienen Emmy Gindorfer, Diana
Dietrich, Alexandrine Malten und Mary Holm ſowie die Herren
Cäſar Beck, Otto Kuſtermann, Hermann Pfanz. Im letzten Stücke
hatte Herr Pinegger an Stelle Hermann Pfanz’ die Rolle des
Brown übernommen. Der Beifall hielt ſich, wie bereits im Vor-
bericht erwähnt, nachdem nach dem erſten Stück die übereifrige
Claque das im Volkstheater ſonſt nicht übliche Ziſchen heraus-
gefordert hatte, in recht mäßigen Grenzen, doch konnte nach dem
zweiten und letzten Stücke der Verfaſſer dankend erſcheinen.

-tz. Lieder-Abend von Anton Schloſſer.

Seinen zweiten
Abend hatte der Sänger einer Reihe Liederkomponiſten der jüng-
ſten Generation gewidmet. Die Eindrücke, die man davon emp-
fing, waren ziemlich ungleich. Die Lieder von Martin Ober-
dörfer und Agnes Schienemann halten ſich in den Grenzen wohl-
anſtändig genügſamer Unterhaltungsmuſik, die man einmal ganz
gerne hört und dann ſofort wieder vergißt, die weder im guten
noch im ſchlechten Sinne irgendwie aufregend wirkt. Ein ernſterer
Muſikerkopf blickt uns ſchon aus den Geſängen von Heinrich
Kaſpar Schmid entgegen, entſchiedenes künſtleriſches Intereſſe be-
anſpruchen aber die Lieder von Otto Vrieslander. Dem
jungen Münchener Lyriker hat vor Jahren einmal Ludwig
Wüllner einen Abend gewidmet; die diesmal zu Gehör gebrach-
ten Nummern aus A. Girauds „Pierrot Lunaire“ dürften aber
die Eigenart des jungen Tonſetzers noch treffender kennzeichnen
als die damals von Wüllner vorgeführten Lieder nach Goethe
und des Knaben Wunderhorn. Vrieslanders Pierrot Lunaire-
Lieder bilden einen ſtattlichen Band von nicht weniger als 46
Nummern (Verlag Dr. Heinrich Lewy, München, wo auch die
übrigen an dem Abend geſungenen Lieder von Oberdörfer,
Schienemann und Schmid erſchienen ſind). Das Hauptwirkungs-
mittel der Dichtungen und dementſprechend auch der Muſik iſt
geiſtreich groteske Draſtik; es iſt aber das beſte Zeichen für
Vrieslanders muſikaliſche Potenz, daß er dabei weder in Manier
noch in Monotonie verfällt; man mag den Band von vorne bis
[Spaltenumbruch] hinten durchblättern, in jedem Lied findet man wieder einen
neuen originellen Zug, überall ſprudelt ein friſcher Quell melodi-
ſcher und harmoniſcher Empfindung, der ſelbſt in Stücken wie der
„Laterne“, wo die Bizarrerie bis zum äußerſten geſteigert iſt,
noch künſtleriſche Wirkung garantiert. Von den diesmal geſunge-
nen acht Liedern hinterließen „Valse de Chopin“, „Die Eſtrade“,
„Die Violine“ und das Schlußmotto „Böhmiſcher Kriſtall“ den
meiſten Eindruck. Der Sänger erfreute bei der Bewältigung der
ſchwierigen Aufgabe durch wohltuend ſicheres muſikaliſches Emp-
finden und vornehme künſtleriſche Intelligenz. Sein ſympathi-
ſches, trefflich gebildetes, aber im Umfang beſchränktes Organ
freilich war den geſtellten hohen Anforderungen nicht in gleichen
Maße gewachſen, doch mußte ſich der Künſtler durch Transpoſition
und Punktierungen ganz geſchmackvoll zu helfen. Jedenfalls ge-
bührt ihm beſonderer Dank für die Vorführung der intereſſanter
Stücke von Vrieslander. Am Flügel ſaß Profeſſor Schmid
Lindner,
der in Rückſicht auf den Sänger oft etwas gar zu
zurückhaltend ſich gab, im übrigen aber für den techniſch ebenſo
ſchwierigen wie intereſſanten Klavierpart der Vrieslander-Lieder
wohl der berufenſte Interpret war.

† Klavierabend.

Der Pianiſt Franz Rösler aus Ron
wird am Donnerstag, den 19. März, im Bayeriſchen Hof mit
Bach und Couperin beginnen, dann einige Werke von Beethoven
darunter deſſen Appaſſionata, ſpielen und ſchließlich mit Brahms
Chopin und Rubinſtein endigen. Karten bei Otto Bauer
Maximilianſtraße 5.

* Kleine Mitteilungen.

Herr Anton Zvonar, ein junger
Tenor mit „phänomenalen Stimmitteln“, Schüler des Kammer-
ſängers Schuegraf, wurde nach erfolgreichem Probeſingen
von Direktor Rainer Simons unter glänzenden Bedingungen auf
fünf Jahre an der Wiener Volksoper verpflichtet. — Im Schulz-
Beuthen
-Konzert in Dresden, welches zur Vorfeier des
70. Geburtstages des Komponiſten im Vereinshaus ſtattfand,
wurden u. a. ſeine 2. Symphonie „Frühlingsfeier“ ſowie Ein-
leitung und Schluß aus ſeiner muſikaliſchen Tragödie „Die
Paria“ aufgeführt und erbrachten dem greiſen Tondichter einen
ſtürmiſchen Erfolg.



Bildende Kunſt.

(Privattelegramm.)
Zur Erinnerung an Theodor Körner und das Lützowſche
Freikorps wird in der Stadt Zobten ein Monumen-
talbrunnen
aus den Mitteln des Landeskunſtfonds er-
richtet werden. Die Ausführung des Brunnens wurde dem

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[3/0003] Nr. 131. München, Donnerstag Allgemeine Zeitung 19. März 1908. Ein Interview mit dem Reichskanzler. * St. Petersburg, 17. März. Die Nowoje Wremja ver- öffentlicht ein langes Interview mit dem Reichs- kanzler Fürſten Bülow. Fürſt Bülow erklärte darin kategoriſch, daß die Regierung Oeſterreich- Ungarns die Kabinette von St. Petersburg und Berlin gleichzeitig von dem Sandſchak- Bahnprojekt benachrichtigt habe. Daher ſei die Be- hauptung der ruſſiſchen Preſſe, das Projekt ſei von Berlin angeregt worden, vollkommen irrig. Die öſterreichiſch- ungariſchen Pläne ſtimmten durchaus mit dem Berliner Vertrag überein und verfolgten nur Handelsziele. Daher konnten ſie deutſcherſeits nur ebenſo freudig begrüßt wer- den wie jedes andere gleichartige Unternehmen. Die ruſſiſche Erregung darüber ſei ganz unverſtändlich. Deutſch- land verfolge auf dem Balkan nur ſeine Handelsintereſſen und die Herſtellung der Ruhe in Verbindung mit den anderen Mächten. Deutſchland hintertreibe durchaus nicht das maze- doniſche Reformwerk. Der deutſche Botſchafter in Konſtantinopel habe lediglich einige ſachliche Einwendungen zu den Vorſchlägen über die mazedoniſche Gerichts- reform erhoben, um ernſten Schwierigkeiten vorzu- beugen. Die anderen Botſchafter ſtimmten einſtimmig zu. Deutſchland halte an der Gemeinſamkeit der Aktion der Mächte feſt und, falls gelegentlich die deutſchen Vorſchläge nicht die Billigung Europas finden ſollten, würde Deutſch- land den mehr intereſſierten Mächten den Vorrang laſſen. Sodann geht das Interview auf die perſiſche Frage ein. Dabei erklärte der Reichskanzler, Deutſch- land verfolge dort nur ein kommerzielles Ziel. Die anglo- ruſſiſche Verſtändigung ſpreche das Prinzip der offenen Tür aus, das Deutſchland benutzen werde gemäß ſeiner allge- meinen Politik, die darauf abziele, das Prinzip der freien Konkurrenz und die Unabhängigkeit zukunftsreicher Länder aufrecht zu erhalten. Da die engliſche Bank wie die ruſſiſche in Perſien andersartige Aufgaben verfolgen, ſo fühlten unſere Kaufleute das Bedürfnis, eine eigene Bank in Per- ſien zu beſitzen. Das waren die Erwägungen, welche die Gründung einer Filiale der Deutſchen Orient- bank in Perſien bewirkten. Was die deutſche Schule betrifft, ſo verdankt ſie ihre Entſtehung der Initiative des Schahs. Vergeſſen Sie nicht, daß es in Perſien auch amerikaniſche, zwei franzöſiſche und ruſſiſche Schulen gibt; warum greift man gerade uns unſerer Schule wegen an? Das Gleiche gilt von der Idee einer Zweigbahn der Bagdad-Linie nach Perſien. Gleich warf man uns vor, daß wir unſere Hand nach Perſien ausſtrecken. Im türkiſch-perſiſchen Konflikt haben wir eine friedenſtif- tende Rolle geſpielt; wir haben der Türkei geraten, ihre vorgeſchobenen Truppen zurückzuziehen und jeden Konflikt zu vermeiden. Die Bagdad-Bahn endige an der perſiſchen Grenze und durchziehe nur türkiſches Gebiet. Das deutſche Kapital nehme in der Bagdad-Bahn-Geſellſchaft die erſte Stelle ein. Deutſchland habe jedoch niemals die Teilnahme fremden Kapitals verhindert. Daher ſtehe das Unter- nehmen, obwohl es dem Sinne nach deutſch ſei, unter türki- ſcher Flagge und behalte den internationalen Charakter. Es werde von Deutſchen geleitet, es ſei jedoch auch fremdes Kapital in der Adminiſtration vertreten. Deutſchland denke weder an die Koloniſation Kleinaſiens, noch an die Erwerbung eines Hafens im Perſiſchen Meerbuſen, hoffe aber, daß die Bahn Meſſopotamien wirtſchaftlich heben werde, was von Nutzen für die Allgemeinheit ſein werde. Die Angriffe der ruſſiſchen Preſſe ſeien in jeder Hinſicht ungerechtfertigt. Einſt habe Fürſt Bismarck dieſe Angriffe mit dem Wort „Druckerſchwärze“ abgetan. Inzwiſchen habe ſich aber der Einfluß der ruſſiſchen Preſſe vergrößert, auch in Rußland ſelbſt, weshalb man die immer feindlichere Haltung der ruſſiſchen Preſſe gegen Deutſchland nicht länger ignorieren dürfe. Deutſchland beabſichtigt niemand anzugreifen. Der Ausbau ſeiner Flotte ſei gegen niemand gerichtet, nur müſſe Deutſchland als Großmacht für jede Eventualität gerüſtet ſein und ſeine Grenzen zu ſchützen wiſſen. Die Gerüchte von einer Einmiſchung in die inneren ruſſiſchen Verhältniſſe ſeien lächerlich. „Wir bleiben Ihre guten Nachbarn und werden uns nie um Dinge kümmern, die uns nichts angehen. Einer Ihrer großen Staatsmänner hat einmal geſagt: „Rußland iſt nicht Aſien, aber auch nicht Europa. Rußland, das iſt Rußland.“ „Wir wünſchen,“ ſchloß der Kanzler, „daß das große ruſſiſche Reich ſich entſprechend ſeinen ruſſiſchen Be- dürfniſſen entwickeln möge.“ Hof und Geſellſchaft. Rout bei Prinz und Prinzeſſin Ludwig. * München, 18. März. st. Die prächtigen und dabei intimen Salons im Wittels- bacher Palais erſchloſſen ſich heute abend zu einem Empfangs- abend, zu dem Prinz und Prinzeſſin Ludwig mehr als tauſend Einladungen an die Münchener Geſellſchaft hatten ergehen laſſen. Noch von den alljährlichen Ballfeſten bei dem Thronfolgerpaar war es den meiſten Gäſten in Erinnerung, wie gemütlich und heimiſch ſich die Geſellſchaft bei der Gaſtfreundſchaft im Wittels- bacher-Palais fühlt. Heute lagerte zwar noch der Schatten der Trauer auf dem Hauſe, und deswegen war an Stelle des Ball- feſtes ein Rout getreten. Gegen 8½ Uhr wurde es lebhaft in der Briennerſtraße; Wagen auf Wagen fuhr durch das Tor, und über die mit ſchweren Teppichen belegte Treppe, die mit Palmen- gruppen und Lorbeer geſchmückt war, begaben ſich die Gäſte des Hauſes in die prunkvollen Salons, die ſchon durch ihre Archi- tektonik unvergleichlich wirken. Zahlloſe Lüſters und Wandarme erhellten die blumengeſchmückten Säle. Hofmarſchall Freiherr v. Laßberg, Oberhofmeiſterin Gräfin Dürckheim, die Hofdamen Baronin Kesling, Baronin Wulffen und Frln. v. Zwehl, die perſönlichen Adjutanten Baron Leonrod, Baron Rotenhan, Baron Soden und Baron Reichlin begrüßten die Geladenen im Vorſaal. Im erſten Salon empfingen Prinz und Prinzeſſin Ludwig ſowie die Prinzeſſinnen Adelgunde, Hildegard, Wiltrud, Helmtrud und Prinz Franz die Gäſte. Vom königlichen Hauſe waren Prinz Rupprecht, Prinz und Prinzeſſin Ludwig Ferdinand, Prinzeſſin Klara, Herzog Karl Theodor, Herzog Ludwig Wilhelm, Herzog Chriſtoph, ferner Prinz Ernſt von Sachſen-Meiningen erſchienen. Die Salons und der große Ballſaal füllten ſich immer mehr und es bildeten ſich als- bald größere und kleinere Gruppen, in denen eifrig geplaudert wurde. Beſonders das Lenbach-Zimmer (Arbeitszimmer des Prinzen Ludwig) erweckte beſonderes Intereſſe und war ſtets dicht gefüllt. Aus der glänzenden Geſellſchaft ſeien als anweſend genannt: der päpſtliche Nuntius und das ganze diplomatiſche Korps, die Fürſten v. Oettingen-Spielberg. Löwenſtein, Hohen- lohe, Quadt, die Grafen Törring, Fugger, Königsegg, Pappen- heim, Friedrich, Karl und Klemens Schönborn, v. Rechberg, Baſſenheim mit ihren Gemahlinnen, die oberſten Hofchargen, die Palaſtdamen, die Staatsminiſter (mit Ausnahme des noch er- holungsbedürftigen Kultusminiſters v. Wehner), viele Generale, Reichs- und Staatsräte, das Präſidium der Kammer der Ab- geordneten mit Ausnahme des abweſenden Hofrates Fuchs, Ober- bürgermeiſter v. Borſcht, die Vorſtände des Gemeindekollegiums Schwarz und Huber, die Kämmerer, die Hofſtaaten der Prinzen und Prinzeſſinnen, Stiftspropſt Dr. Ritter v. Türk, der Rektor der Univerſität Dr. Endres, der Rektor der Techniſchen Hochſchule v. Thierſch, Prorektor v. Dyck, der Direktor der Tierärztlichen Hochſchule Prof. Albrecht, die Vorſtände des Deutſchen Muſeums v. Miller und Dr. v. Linde, der Präſident der Münchener Künſt- ler-Genoſſenſchaft v. Peterſen, Archiprat v. Destouches, die Aus- ſchußmitglieder des Vereins vom Roten Kreuz, Eiſenbahndirek- tionspräſident Hauck, Oberinſpektor Arendts, die Stabsoffiziere des 10. Infanterie-Regiments in Ingolſtadt, deſſen Inhaber Prinz Ludwig iſt, die Kommandeure der Münchener Regimenter uſw. Die Damen trugen ſämtlich große Toilette und funkelten von Perlen und Edelſteinen, Agraffen und Diademen, deren blendender Glanz kontraſtierte mit der einfachen Kleidung der Herren, die mit Ausnahme der Offiziere alle im Frack ohne große Ordensbänder erſchienen. Die höchſten Herrſchaften blieben in angeregter Unterhaltung mit ihren Gäſten bis nach Mitternacht. Prinz und Prinzeſſin Ludwig und ihre Töchter ſorgten ſtets und überall, daß ſich ihre Gäſte wohl fühlten, und bewirkten dadurch, daß man nach einem überaus ſchön verlaufenen Abend nur un- gern von der gaſtlichen Stätte ſchied. — Se. kgl. Hoheit der Prinzregent begab ſich heute vormittag nach der Thereſienhöhe und beſichtigte dort das Panorama „Die Schlacht bei Orleans“ von Profeſſor Diemer. Der Regent wurde bei ſeiner Ankunft von dem Künſtler und den Herren der Verwaltung des Panoramas empfangen. — Frau Erzherzogin Adelgunde, Herzogin von Mo- dena, vollendet morgen Donnerstag ihr 85. Lebensjahr. Erfreulicherweiſe ſchreitet die Geneſung der an Influenza erkrankten Herzogin, der allverehrten Schweſter unſeres Prinzregenten, ſtetig fort. Immerhin bedarf jedoch die hohe Frau noch einiger Schonung, daher werden ſich die Gratulationen auf die Sr. kgl. Hoheit des Prinzregenten und der allernächſten Anverwandten beſchränken. Münchener Stadtanzeiger. * Erkrankung des Prinzen Konrad. * München, 18. März. In dem Befin- den des Prinzen iſt eine Beſſerung eingetreten. Die ſchar- lachverdächtige Ausſchlagsfläche iſt zurückgegangen. Der Prinz befindet ſich in Behandlung des Leibarzts Dr. Bre- dauer, doch waren auch die Univerſitätsprofeſſoren Dr. Friedrich v. Müller und Dr. Karl Poſſelt zur Kon- ſultation beigezogen. # Die Auguſtinerſtockfrage. Heute vormittag wurde das Auguſtinerſtockareal neuerdings von einer Kommiſſion, beſtehend aus Vertretern der Regierung, des Reichsrats- und der Abgeordnetenkammer, in Augenſchein genommen. Die Angelegenheit iſt bekanntlich vom Reichsratsplenum zur neuerlichen Beratung an den Ausſchuß des Reichsrates zurückverwieſen werden. * Errichtung eines Denkmals für Ludwig II. Das Kollegium hat ſich bekanntlich mit dem Vorſchlage des Magiſtrates, das Denkmal für König Ludwig II. auf der Corneliusbrücke errichten zu laſſen, nicht einver- ſtanden erklärt und dem Verein für Errichtung eines Denk- mals anheimgeſtellt, einen geeigneteren Platz ausfindig zu machen. Die Kollegien haben ſich nunmehr dahin ent- ſchieden, unter Zuziehung des Vereins eine Kommiſſion aus Mitgliedern beider Kollegien zu bilden, die die Platz- frage in allſeits befriedigender Weiſe löſen ſoll. * Auch über das Gärtnerplatz-Theater hat nun der hieſige Lokalverein des Allgem. Deutſchen Muſiker- verbandes den Boykott verhängt. Die Direktion des Theaters teilt uns darüber mit: „Wir ſahen uns genötigt, ſieben Mitgliedern unſeres Orcheſters am 27. Dezember v. J. die Mit- teilung zukommen zu laſſen, daß ihre Verträge, die zum 1. Sep- tember d. J. ablaufen, nicht wieder erneuert werden könnten. (Wir glauben beſonders betonen zu müſſen, daß es ſich nicht um Kündigung laufender Verträge, ſondern um Nichterneue- rung ablaufender Kontrakte handelt.) Die Gründe für dieſe Maßregel waren lediglich ſachliche, künſtleriſche: einige Kompo- niſten, die bei Erſtaufführungen ihrer Operetten unſere Gäſte waren, hatten ſich bei uns beſchwert, daß die Ausführung mehrerer Inſtrumente nicht auf der Höhe der Leiſtungsfähigkeit eines Orcheſters von künſtleriſcher Bedeutung ſtünde. Auf Befragen erklärten unſere Herren Kapellmeiſter jene ſieben Mitglieder als diejenigen, welche die Qualität unſerer Muſikaufführungen beeinträchtigten. Wir bedauern ſelber das Los der durch die leider notwendige Maßregel Betroffenen, von denen mehrere unſerem Orcheſter lange Jahre angehört hatten. Aus Menſchlich- keitsgründen verſtanden wir uns ſogar dazu, drei von ihnen dennoch wieder zu engagieren. Wir wieſen ihnen, um dies zu ermöglichen, ſtatt der bisher von ihnen geſpielten Inſtrumente ſolche zu, die leichter auszuführen waren. Wir glauben alſo, daß wir jede nur irgend mögliche Rückſicht haben walten laſſen. Den Vorſchlag der Vertrauensmänner vom Lokalverein des Allgem. Deutſchen Muſikerverbandes, künftighin ausſchließlich durch ſeine Vermittlung zu engagieren, glaubten wir ablehnen zu müſſen, da uns ſein Tarif viel zu hoch erſchien. Dies iſt vermutlich die Urſache des über das Gärtnertheater verhängten Boykotts.“ Es ſcheint, daß die Herren vom Muſikerverband es darauf anlegen wollen, den Bogen zu überſpannen und ſich die Sym- pathien des Publikums gründlich zu verſcherzen. Gewiß iſt ihr Vorgehen zu entſchuldigen, insbeſondere mit der weitgehenden Konnivenz, die man von ſeiten der Ausſtellungsleitung dem Verband gegenüber geübt hat und von der gar ſeltſame Dinge erzählt werden. eh. Der Evangeliſche Handwerkerverein feierte am Samstag und Sonntag unter zahlreicher Beteiligung ſein 60. Stif- tungs feſt. Am Samstag fand im großen Saale des Vereins- hauſes ein Feſtabend ſtatt, dem als Gäſte Polizeidirektor Frhr. von der Heydte, Oberkonſiſtorialrat Schmetzer, Rechtsrat Schöner und der Bundespräſident der bayer, evang. Handwerkervereine Dekan Heck-Schwabach beiwohnten. Auch das Ehrenmitglied Baron v. Lupin und verſchiedene Abord- nungen von Vereinen waren zugegen. Beſondere Ehrungen Triſtan in Muſik ſetzen. Er findet das Meiſterwerk Wag- ners zu lang, zu langweilig und zu viel Philoſophie darin- nen. Er will einen franzöſiſchen Triſtan ſchaffen!!! Sonſt weiter nichts? Nikolaus Artes. Theater und Muſik. -lt. Münchener Volkstheater. Nach den erfolgreichen Wochen des Glöcknerſchen Gaſtſpiels nahm das Volkstheater ſeine Alltags- tätigkeit ſofort mit einer Erſtaufführung auf. „Gegen den Strom“ betiteln ſich drei Einakter: „Frei!“, „Wilde Ehe“ und „Sünde?“ von Jakob Fürth. Die drei Stückchen ſtehen innerlich in keinem Zuſammenhang, nur die Tendenz, gegen kon- ventionelle Sittenbegriffe Front zu machen, iſt ihnen gemeinſam und findet in dem Uebertitel „Gegen den Strom“ die zutreffende Bezeichnung. Einen überzeugenden Erfolg bei dem kühnen Wagnis, gegen den Strom zu ſchwimmen, wird der Autor wohl nicht haben, ebenſowenig wird ihm beſchieden ſein, hierbei ruhm- voll unterzugehen — dazu iſt das dramatiſche Wäſſerchen, in dem er redſelig herumplätſchert, zu ſeicht. Das erſte Stück „Frei!“ behandelt ein matrimonium non consumatum, die Frau in der ausſchließlichen Rolle der Krankenpflegerin, bis ſie durch die Lektüre Nietſches, die ihr der altruiſtiſch veranlagte Arzt ihres Mannes gegeben, in Wirklichkeit aber durch die Liebe zum Bruder dieſes Arztes ihre Feſſeln ſprengen möchte. Der Arzt aber, der ſich ſelbſt von ihr geliebt glaubt, wird durch dieſe Liebe zur Herrenmoral bekehrt und läßt den im Wege ſtehenden Kranken bei einem Anfall ohne Hilfe zugrunde gehen. Das über- aus peinlich wirkende Stück iſt nicht geeignet, Sympathien für irgend eine der beteiligten Perſonen auszulöſen. Die „Wilde Ehe“ behandelt eine Offiziersliebe, die wegen mangelnder Kaution ihren Abſchluß in der Ehe nicht finden kann. Als ſie nach fünf- jährigem Warten endlich in dem Beſitz der Kaution wären, geht dieſe durch Unterſchlagung wieder zu Verluſt und damit auch jede Hoffnung. Die beiden gehen hierauf eine „wilde Ehe“ ein, nach- dem die ſie bemutternde „Frau Hauptmann“ das Geſtändnis ablegt, ebenfalls mit ihrem verſtorbenen Manne nur in wilder Ehe gelebt zu haben. Der Verſuch, eine ſolche Vereinigung als moraliſch höher ſtehend hinzuſtellen als ſo manche Konvenienzehe, wird zwar gemacht, den Beweis aber bleibt man uns ſchuldig. Gearbeitet iſt das zweite Stück beſſer als das erſte. Das dritte, „Sünde?“, betrifft eine Geſchwiſterehe. Zwei Leutchen, die, na- türlich ohne davon zu wiſſen, einen gemeinſamem Vater haben, heiraten ſich. Als der Pſeudovater und der wirkliche Vater zuſam- mentreffen, tagt es fürchterlich. Der wirkliche Vater möchte die beiden trennen, der andere, von ſeiner verſtorbenen Frau ſelbſt ſchmählich betrogene Vater, will das Glück der Kinder nicht ſtören, weil — die Madonna ihm eingibt, daß dies Verhältnis keine Sünde ſein könne. Er ſetzt es durch, die beiden in Un- kenntnis zu laſſen und erklärt, die Verantwortung hierfür zu übernehmen. Trotz aller Tragik wird auch hier, ebenſo wie bei den anderen, dem dramatiſchen Konflikt ſorgfältig aus dem Wege gegangen. Die Abſicht, die Liebe als ſiegreiche Ueber- winderin aller moraliſchen Vorurteile zu zeigen, iſt überall vorhanden, der eigentliche Kampf aber, ohne den kein Sieg möglich iſt, wird uns vom Verfaſſer vorenthalten. Die Liebe behält recht nicht deshalb, weil ſie im Rechte iſt, ſondern weil vom Autor konſtruierte Zufälligkeiten ihr augenblicklich recht geben. Geſpielt wurde unter der Regie Cäſar Becks im allge- meinen recht anerkennenswert, wenn auch nicht ganz gleichmäßig. Hervorgehoben zu werden verdienen Emmy Gindorfer, Diana Dietrich, Alexandrine Malten und Mary Holm ſowie die Herren Cäſar Beck, Otto Kuſtermann, Hermann Pfanz. Im letzten Stücke hatte Herr Pinegger an Stelle Hermann Pfanz’ die Rolle des Brown übernommen. Der Beifall hielt ſich, wie bereits im Vor- bericht erwähnt, nachdem nach dem erſten Stück die übereifrige Claque das im Volkstheater ſonſt nicht übliche Ziſchen heraus- gefordert hatte, in recht mäßigen Grenzen, doch konnte nach dem zweiten und letzten Stücke der Verfaſſer dankend erſcheinen. -tz. Lieder-Abend von Anton Schloſſer. Seinen zweiten Abend hatte der Sänger einer Reihe Liederkomponiſten der jüng- ſten Generation gewidmet. Die Eindrücke, die man davon emp- fing, waren ziemlich ungleich. Die Lieder von Martin Ober- dörfer und Agnes Schienemann halten ſich in den Grenzen wohl- anſtändig genügſamer Unterhaltungsmuſik, die man einmal ganz gerne hört und dann ſofort wieder vergißt, die weder im guten noch im ſchlechten Sinne irgendwie aufregend wirkt. Ein ernſterer Muſikerkopf blickt uns ſchon aus den Geſängen von Heinrich Kaſpar Schmid entgegen, entſchiedenes künſtleriſches Intereſſe be- anſpruchen aber die Lieder von Otto Vrieslander. Dem jungen Münchener Lyriker hat vor Jahren einmal Ludwig Wüllner einen Abend gewidmet; die diesmal zu Gehör gebrach- ten Nummern aus A. Girauds „Pierrot Lunaire“ dürften aber die Eigenart des jungen Tonſetzers noch treffender kennzeichnen als die damals von Wüllner vorgeführten Lieder nach Goethe und des Knaben Wunderhorn. Vrieslanders Pierrot Lunaire- Lieder bilden einen ſtattlichen Band von nicht weniger als 46 Nummern (Verlag Dr. Heinrich Lewy, München, wo auch die übrigen an dem Abend geſungenen Lieder von Oberdörfer, Schienemann und Schmid erſchienen ſind). Das Hauptwirkungs- mittel der Dichtungen und dementſprechend auch der Muſik iſt geiſtreich groteske Draſtik; es iſt aber das beſte Zeichen für Vrieslanders muſikaliſche Potenz, daß er dabei weder in Manier noch in Monotonie verfällt; man mag den Band von vorne bis hinten durchblättern, in jedem Lied findet man wieder einen neuen originellen Zug, überall ſprudelt ein friſcher Quell melodi- ſcher und harmoniſcher Empfindung, der ſelbſt in Stücken wie der „Laterne“, wo die Bizarrerie bis zum äußerſten geſteigert iſt, noch künſtleriſche Wirkung garantiert. Von den diesmal geſunge- nen acht Liedern hinterließen „Valse de Chopin“, „Die Eſtrade“, „Die Violine“ und das Schlußmotto „Böhmiſcher Kriſtall“ den meiſten Eindruck. Der Sänger erfreute bei der Bewältigung der ſchwierigen Aufgabe durch wohltuend ſicheres muſikaliſches Emp- finden und vornehme künſtleriſche Intelligenz. Sein ſympathi- ſches, trefflich gebildetes, aber im Umfang beſchränktes Organ freilich war den geſtellten hohen Anforderungen nicht in gleichen Maße gewachſen, doch mußte ſich der Künſtler durch Transpoſition und Punktierungen ganz geſchmackvoll zu helfen. Jedenfalls ge- bührt ihm beſonderer Dank für die Vorführung der intereſſanter Stücke von Vrieslander. Am Flügel ſaß Profeſſor Schmid Lindner, der in Rückſicht auf den Sänger oft etwas gar zu zurückhaltend ſich gab, im übrigen aber für den techniſch ebenſo ſchwierigen wie intereſſanten Klavierpart der Vrieslander-Lieder wohl der berufenſte Interpret war. † Klavierabend. Der Pianiſt Franz Rösler aus Ron wird am Donnerstag, den 19. März, im Bayeriſchen Hof mit Bach und Couperin beginnen, dann einige Werke von Beethoven darunter deſſen Appaſſionata, ſpielen und ſchließlich mit Brahms Chopin und Rubinſtein endigen. Karten bei Otto Bauer Maximilianſtraße 5. * Kleine Mitteilungen. Herr Anton Zvonar, ein junger Tenor mit „phänomenalen Stimmitteln“, Schüler des Kammer- ſängers Schuegraf, wurde nach erfolgreichem Probeſingen von Direktor Rainer Simons unter glänzenden Bedingungen auf fünf Jahre an der Wiener Volksoper verpflichtet. — Im Schulz- Beuthen-Konzert in Dresden, welches zur Vorfeier des 70. Geburtstages des Komponiſten im Vereinshaus ſtattfand, wurden u. a. ſeine 2. Symphonie „Frühlingsfeier“ ſowie Ein- leitung und Schluß aus ſeiner muſikaliſchen Tragödie „Die Paria“ aufgeführt und erbrachten dem greiſen Tondichter einen ſtürmiſchen Erfolg. Bildende Kunſt. * Breslau, 18. März. (Privattelegramm.) Zur Erinnerung an Theodor Körner und das Lützowſche Freikorps wird in der Stadt Zobten ein Monumen- talbrunnen aus den Mitteln des Landeskunſtfonds er- richtet werden. Die Ausführung des Brunnens wurde dem

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-01-12T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 131, 19. März 1908, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine131_1908/3>, abgerufen am 10.12.2024.