Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Der Arbeitgeber. Nr. 676. Frankfurt a. M., 15. April 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch] ca. 20 pCt., in Oestreich 18 pCt. und in Frankreich 21 pCt. der
Summe der jetzigen Regierungsausgaben wegfallen können."

Bei alle dem ist die enorme Arbeitsleistung noch gar nicht in
Betracht gezogen, welche der Welt durch die stehenden Heere ver-
loren geht.

Die Statistik belehrt jeden Unbefangenen; schon [unleserliches Material - 3 Zeichen fehlen]vor Jahren er-
klärte es der amtliche k. k. östreichische Statistiker Herr v. Czörnig
und noch jüngst erklärte es der amtliche kgl. preußische Statistiker,
Geheimer Ober=Regierungs=Rath Dr. Engel, daß die Ausgaben für
die stehenden Heere die meisten europäischen Staaten bereits an den
Rand des finanziellen Bankerotts gebracht haben. Wenn es nun Leute
gibt, welche die Nothwendigkeit der stehenden Heere immer noch be-
weisen wollen, aus dem Grunde, weil stehende Heere den Militzen
überlegen seien, so können dies eben doch nur Leute sein, die sich
bereits mit dem Gedanken abgefunden haben, daß es besser sei mit
einem stehenden Heere sich selber zu ruiniren, als ohne ein solches zu-
zusehen, ob man sich nicht dennoch erfolgreich seiner Haut wehren könne.

Uebrigens ist es an und für sich geradezu blödsinnig, ganz all-
gemein von der Jnferiorität der Milizen gegenüber den stehenden
Heeren sprechen zu wollen: -- denn zwischen Miliz und Miliz ist
ein eben so großer Unterschied wie zwischen verschiedenen stehenden
Heeren, ja noch ein viel größerer. Die Nordamerikanische Milizorga-
nisation ist schlecht, die schweizerische ist besser, aber sie ist noch lange
nicht die beste, welche man organisiren könnte, wenn man die militä-
rische Ausbildung in durchgreifende Verbindung mit dem gesammten
Unterrichtswesen setzen wollte. Eine auf dieser Basis zweckmäßig orga-
nisirte Miliz würde jedem stehenden Heere von gleicher Anzahl unbe-
dingt und ganz ohne Frage überlegen sein.

Dazu käme noch ein fernerer Umstand, welcher in der Regel von
Nichtstatistikern übersehen wird, in der That aber geradezu entscheidend
ist, der Umstand nämlich, daß ein gut organisirtes Milizsystem ge-
stattet, vier mal so viel geübte und ausgerüstete Streiter mit
einem Schlage auf die Beine zu stellen, als dies durch das gegen-
wärtige Norddeutsch=Preußische System ermöglicht wird. Jch habe mir
in diesen Blättern wiederholt erlaubt, die bezüglichen statistischen Daten
beizubringen. Es wären dies für Norddeutschland 12 pCt. der Bevöl-
kerung oder etwa3 1 / 2 Millionen Mann im Alter von 20 bis 40
Mann. Und diese ungeheure Truppenmasse wäre vorzüglich ererzirt,
vorzüglich disziplinirt, wäre kräftiger und leistungsfähiger als Soldaten
stehender Heere und wäre vortrefflich ausgerüstet und organisirt. Mit
dieser Truppenmasse könnte unbedingt kein stehendes Heer der Welt
in die Schranken treten: sobald dieses Heer geschaffen wird, ist damit
der absolute Friede Mitteleuropas garantirt.

Nach diesen Prämissen ist das Wort des Feldmarschalls Ra-
detzky vielleicht verständlicher und wirksamer, das Wort nämlich, daß
das System der stehenden Heere von selbst fallen muß,
so bald man aufhört, nicht bloß das Verhältniß der
Volksmasssen, sondern auch jenes der Staatsein-
künfte unberücksichtigt zu lassen.
-- Verständlicher wird
hiernach auch das Wort Faucher's sein, daß die volkswirth-
schaftlich beste Wehrverfassung zugleich auch die tech-
nisch, diplomatisch und staatsrechtlich beste sei.

An alle dies erlaube ich mir nun aber noch einen praktischen
Vorschlag zu knüpfen. Mit bloßen Zeitungsartikeln scheint mir näm-
lich für die Sache durchaus nicht Hinreichendes zu geschehen, zumal
da selbst im Norddeutschen Reichstage das richtige Verständniß der
Sache nicht oder noch nicht zu "tagen" scheint. Es muß mehr ge-
than werden, und zwar sofort und nachdrücklich. Zu dem Ende ist,
nach dem Muster der englischen Anti=Kornzoll=Liga aus den vierziger
Jahren, eine Liga zu bilden, welche sich zur Aufgabe stellt, mit allen
gesetzlichen Mitteln die Ersetzung der stehenden Heere, zunächst in
Deutschland, durch eine gute Milizeinrichtung[unleserliches Material] zu erstreben. -- Es
ist dafür also ein Agitationscomite zu bilden, ein Fonds aus Bei-
trägen der Mitglieder zu sammeln, es sind tüchtige und befähigte
Männer zu werben, welche die Sache umherreisend in öffentlichen
Vorträgen unermüdlich besprechen, wie seiner Zeit Cobden und Bright
in der Kornzoll=Angelegenheit es thaten; es sind Flugschriften zu
drucken, Massenversammlungen zu organisiren, der Reichstag ist mit
einem Petitionssturm zu überschütten und es ist nimmer zu ermüden
bis endlich das Ziel erreicht ist.

Hier ist Gelegenheit zu zeigen, daß die deutsche Thatkraft wieder
im Erblühen ist -- falls ich mich nämlich darin nicht täusche.

[Spaltenumbruch]
Volkswirthschaftliches Leben der Deutschen in Amerika.
( Original=Korrespondenz des "Arbeitgeber." )
II.

Als eine andere, in Europa weniger einflußreiche Form des
Korporationsgeistes können die zahlreichen Freimaurerlogen angesehen
werden, in denen die Arbeiter stark vertreten sind, nicht als solche,
sondern als Bürger, denn man findet unter den Mitgliedern der
Logen alle Berufsämter des Lebens. Es gibt sehr viele, welche den
Zweck dieser Vereine vollständig billigen, allein durch die mittelalter-
lichen mystischen Ceremonien, die nach ihrer Ansicht dem Geiste des
Jahrhunderts widersprechen, abgehalten werden, sich ihnen anzu-
schließen. Für Andere wieder hat das Geheimnißvolle dieser Gesell-
schaften einen gewissen Reiz. Man kann von diesen Logen sagen,
daß sie noch selten Schlimmes gewirkt haben, wohl aber viel Gutes.
Jhr Grundgedanke scheint der zu sein, daß ohne Rücksicht auf das
Glaubensbekenntniß jeder Mensch als Bruder zu achten ist, der nach
dem allgemeinen Sittengesetz handelt und lebt. Die Loge führt daher
eine Kontrolle über das Betragen ihrer Mitglieder und hält oft
manche, besonders junge Leute, welche an jener gefährlichen Grenze
des Leichtsinns und des Verbrechens angekommen sind, von dem
Sinken zurück, während sie den neu Eingetretenen, die sich als Ein-
zelne in den Wogen des Lebens schwach fühlten, ein gewisses Zu-
trauen und jenen Sittenstolz verleiht, der eine Hauptbasis der bürger-
lichen Gesellschaft ist. Der arme Handwerker sitzt in der Loge als
Gleichberechtigter neben seinem Meister, und nicht selten steht er über
ihm. Die Kasse ist gewöhnlich sehr treu verwaltet, und aus ihr
werden die Familien der Mitglieder, welche krank sind, unterstützt.
Die Kranken müssen von den Mitgliedern besucht und von einem
guten Arzte bedient werden. Stirbt ein Mitglied, so zieht die ganze
Brüderschaft mit Fahnen und Jnsignien, unter dem Klange von
Trauermusik, zu seinem Grabe, um ihn unter dem Ritual ihres
jeweiligen Ordens zur Erde zu senken. Ein Anfänger im Geschäfte
erhält auch wohl, je nach dem Stande der Kasse, ein Anlehen zu
billigen Zinsen, und schon Manche sind durch solche Hilfe emporge-
kommen. Hie und da, in den amerikanischen Logen, findet sich wohl
ein protestantischer Geistlicher, aber nie ein katholischer. Letztere
warnen ihre Bekenner beständig vor den Logen und drohen den Ein-
tretenden mit Excommunication. Jn den letzten Jahren haben sie
sogar, um dem Einflusse der Logen den Wind aus den Segeln zu
nehmen, katholische Logen gegründet, die natürlich unter ihrer aus-
schließlichen Kontrolle stehen. Es gibt eine Masse ausschließlich
deutscher Logen unter allen möglichen Namen: Robert Blum, Her-
mannssöhne, Chalten, Helvetia ec. Jn den Jahren, 1856, 1857,
als unter den ärmeren Arbeiterfamilien im Winter große Noth
herrschte, fiel es einigen wohlmeinenden Spaßvögeln ein, einen neuen
Orden zu gründen, der den wohltönenden Namen: Sons of Maltha
führte. Jedes aufzunehmende Mitglied mußte fünf Dollars voraus-
bezahlen und mußte dann unter dem schallenden Gelächter der be-
reits Eingeweihten verschiedene, sehr komische Exercitien und Körper-
verrenkungen durchmachen. Die Folge war, daß jeder so Angeführte
möglichst viele seiner Bekannten ebenfalls überredete, sich für 5 Doll.
dem Orden anzuschließen, so daß viel Geld in die Kasse kam, das
zum Besten der Armen verwendet wurde. Eines Abends hielt diese
Gesellschaft in Chicago einen großen Umzug. Jedes Mitglied war
vermummt und hatte ein Scheit Holz oder zwei auf einer Achsel.
Der Zug ging an den Häusern verschiedener, stiller Armen vorbei,
nach und nach sich seiner Bürde entledigend.

Die Logen im Allgemeinen bieten in der Zahl und dem Cha-
rakter ihrer Mitglieder ein vortreffliches Material von Männern.
Nur ist ihre Form und oft auch ihr geistiger Jnhalt veraltet, aber
selbst wenn in diese alte Form ein neuer, lebenskräftiger Geist ein-
gegossen würde, so möchte der frische Guß einen Klang geben, der
vieles Alte in's Grab läuten würde.

So gemein, so unelegant es auch Manchem erscheinen mag, so
müssen wir doch hier ein Wort über das gewöhnliche, physische All-
tagsleben des Arbeiters, des Mittelstandes, d. h. der ungeheuren
Mehrzahl des Volkes sprechen. Es wurde schon eben vorübergehend
bemerkt, daß das durchschnittliche Wohlergehen des Arbeiters in
Amerika größer sei, als in irgend einem andern Lande. Um dies
klar zu machen, müssen nothwendig Vergleiche angestellt werden.
Der geringste Arbeiter, selbst der auf dem Lande, genießt Morgens,
Mittags und Abends Fleischnahrung, und die Deutschen haben diese

[Spaltenumbruch] ca. 20 pCt., in Oestreich 18 pCt. und in Frankreich 21 pCt. der
Summe der jetzigen Regierungsausgaben wegfallen können.“

Bei alle dem ist die enorme Arbeitsleistung noch gar nicht in
Betracht gezogen, welche der Welt durch die stehenden Heere ver-
loren geht.

Die Statistik belehrt jeden Unbefangenen; schon [unleserliches Material – 3 Zeichen fehlen]vor Jahren er-
klärte es der amtliche k. k. östreichische Statistiker Herr v. Czörnig
und noch jüngst erklärte es der amtliche kgl. preußische Statistiker,
Geheimer Ober=Regierungs=Rath Dr. Engel, daß die Ausgaben für
die stehenden Heere die meisten europäischen Staaten bereits an den
Rand des finanziellen Bankerotts gebracht haben. Wenn es nun Leute
gibt, welche die Nothwendigkeit der stehenden Heere immer noch be-
weisen wollen, aus dem Grunde, weil stehende Heere den Militzen
überlegen seien, so können dies eben doch nur Leute sein, die sich
bereits mit dem Gedanken abgefunden haben, daß es besser sei mit
einem stehenden Heere sich selber zu ruiniren, als ohne ein solches zu-
zusehen, ob man sich nicht dennoch erfolgreich seiner Haut wehren könne.

Uebrigens ist es an und für sich geradezu blödsinnig, ganz all-
gemein von der Jnferiorität der Milizen gegenüber den stehenden
Heeren sprechen zu wollen: -- denn zwischen Miliz und Miliz ist
ein eben so großer Unterschied wie zwischen verschiedenen stehenden
Heeren, ja noch ein viel größerer. Die Nordamerikanische Milizorga-
nisation ist schlecht, die schweizerische ist besser, aber sie ist noch lange
nicht die beste, welche man organisiren könnte, wenn man die militä-
rische Ausbildung in durchgreifende Verbindung mit dem gesammten
Unterrichtswesen setzen wollte. Eine auf dieser Basis zweckmäßig orga-
nisirte Miliz würde jedem stehenden Heere von gleicher Anzahl unbe-
dingt und ganz ohne Frage überlegen sein.

Dazu käme noch ein fernerer Umstand, welcher in der Regel von
Nichtstatistikern übersehen wird, in der That aber geradezu entscheidend
ist, der Umstand nämlich, daß ein gut organisirtes Milizsystem ge-
stattet, vier mal so viel geübte und ausgerüstete Streiter mit
einem Schlage auf die Beine zu stellen, als dies durch das gegen-
wärtige Norddeutsch=Preußische System ermöglicht wird. Jch habe mir
in diesen Blättern wiederholt erlaubt, die bezüglichen statistischen Daten
beizubringen. Es wären dies für Norddeutschland 12 pCt. der Bevöl-
kerung oder etwa3 1 / 2 Millionen Mann im Alter von 20 bis 40
Mann. Und diese ungeheure Truppenmasse wäre vorzüglich ererzirt,
vorzüglich disziplinirt, wäre kräftiger und leistungsfähiger als Soldaten
stehender Heere und wäre vortrefflich ausgerüstet und organisirt. Mit
dieser Truppenmasse könnte unbedingt kein stehendes Heer der Welt
in die Schranken treten: sobald dieses Heer geschaffen wird, ist damit
der absolute Friede Mitteleuropas garantirt.

Nach diesen Prämissen ist das Wort des Feldmarschalls Ra-
detzky vielleicht verständlicher und wirksamer, das Wort nämlich, daß
das System der stehenden Heere von selbst fallen muß,
so bald man aufhört, nicht bloß das Verhältniß der
Volksmasssen, sondern auch jenes der Staatsein-
künfte unberücksichtigt zu lassen.
-- Verständlicher wird
hiernach auch das Wort Faucher's sein, daß die volkswirth-
schaftlich beste Wehrverfassung zugleich auch die tech-
nisch, diplomatisch und staatsrechtlich beste sei.

An alle dies erlaube ich mir nun aber noch einen praktischen
Vorschlag zu knüpfen. Mit bloßen Zeitungsartikeln scheint mir näm-
lich für die Sache durchaus nicht Hinreichendes zu geschehen, zumal
da selbst im Norddeutschen Reichstage das richtige Verständniß der
Sache nicht oder noch nicht zu „tagen“ scheint. Es muß mehr ge-
than werden, und zwar sofort und nachdrücklich. Zu dem Ende ist,
nach dem Muster der englischen Anti=Kornzoll=Liga aus den vierziger
Jahren, eine Liga zu bilden, welche sich zur Aufgabe stellt, mit allen
gesetzlichen Mitteln die Ersetzung der stehenden Heere, zunächst in
Deutschland, durch eine gute Milizeinrichtung[unleserliches Material] zu erstreben. -- Es
ist dafür also ein Agitationscomite zu bilden, ein Fonds aus Bei-
trägen der Mitglieder zu sammeln, es sind tüchtige und befähigte
Männer zu werben, welche die Sache umherreisend in öffentlichen
Vorträgen unermüdlich besprechen, wie seiner Zeit Cobden und Bright
in der Kornzoll=Angelegenheit es thaten; es sind Flugschriften zu
drucken, Massenversammlungen zu organisiren, der Reichstag ist mit
einem Petitionssturm zu überschütten und es ist nimmer zu ermüden
bis endlich das Ziel erreicht ist.

Hier ist Gelegenheit zu zeigen, daß die deutsche Thatkraft wieder
im Erblühen ist -- falls ich mich nämlich darin nicht täusche.

[Spaltenumbruch]
Volkswirthschaftliches Leben der Deutschen in Amerika.
( Original=Korrespondenz des „Arbeitgeber.“ )
II.

Als eine andere, in Europa weniger einflußreiche Form des
Korporationsgeistes können die zahlreichen Freimaurerlogen angesehen
werden, in denen die Arbeiter stark vertreten sind, nicht als solche,
sondern als Bürger, denn man findet unter den Mitgliedern der
Logen alle Berufsämter des Lebens. Es gibt sehr viele, welche den
Zweck dieser Vereine vollständig billigen, allein durch die mittelalter-
lichen mystischen Ceremonien, die nach ihrer Ansicht dem Geiste des
Jahrhunderts widersprechen, abgehalten werden, sich ihnen anzu-
schließen. Für Andere wieder hat das Geheimnißvolle dieser Gesell-
schaften einen gewissen Reiz. Man kann von diesen Logen sagen,
daß sie noch selten Schlimmes gewirkt haben, wohl aber viel Gutes.
Jhr Grundgedanke scheint der zu sein, daß ohne Rücksicht auf das
Glaubensbekenntniß jeder Mensch als Bruder zu achten ist, der nach
dem allgemeinen Sittengesetz handelt und lebt. Die Loge führt daher
eine Kontrolle über das Betragen ihrer Mitglieder und hält oft
manche, besonders junge Leute, welche an jener gefährlichen Grenze
des Leichtsinns und des Verbrechens angekommen sind, von dem
Sinken zurück, während sie den neu Eingetretenen, die sich als Ein-
zelne in den Wogen des Lebens schwach fühlten, ein gewisses Zu-
trauen und jenen Sittenstolz verleiht, der eine Hauptbasis der bürger-
lichen Gesellschaft ist. Der arme Handwerker sitzt in der Loge als
Gleichberechtigter neben seinem Meister, und nicht selten steht er über
ihm. Die Kasse ist gewöhnlich sehr treu verwaltet, und aus ihr
werden die Familien der Mitglieder, welche krank sind, unterstützt.
Die Kranken müssen von den Mitgliedern besucht und von einem
guten Arzte bedient werden. Stirbt ein Mitglied, so zieht die ganze
Brüderschaft mit Fahnen und Jnsignien, unter dem Klange von
Trauermusik, zu seinem Grabe, um ihn unter dem Ritual ihres
jeweiligen Ordens zur Erde zu senken. Ein Anfänger im Geschäfte
erhält auch wohl, je nach dem Stande der Kasse, ein Anlehen zu
billigen Zinsen, und schon Manche sind durch solche Hilfe emporge-
kommen. Hie und da, in den amerikanischen Logen, findet sich wohl
ein protestantischer Geistlicher, aber nie ein katholischer. Letztere
warnen ihre Bekenner beständig vor den Logen und drohen den Ein-
tretenden mit Excommunication. Jn den letzten Jahren haben sie
sogar, um dem Einflusse der Logen den Wind aus den Segeln zu
nehmen, katholische Logen gegründet, die natürlich unter ihrer aus-
schließlichen Kontrolle stehen. Es gibt eine Masse ausschließlich
deutscher Logen unter allen möglichen Namen: Robert Blum, Her-
mannssöhne, Chalten, Helvetia ec. Jn den Jahren, 1856, 1857,
als unter den ärmeren Arbeiterfamilien im Winter große Noth
herrschte, fiel es einigen wohlmeinenden Spaßvögeln ein, einen neuen
Orden zu gründen, der den wohltönenden Namen: Sons of Maltha
führte. Jedes aufzunehmende Mitglied mußte fünf Dollars voraus-
bezahlen und mußte dann unter dem schallenden Gelächter der be-
reits Eingeweihten verschiedene, sehr komische Exercitien und Körper-
verrenkungen durchmachen. Die Folge war, daß jeder so Angeführte
möglichst viele seiner Bekannten ebenfalls überredete, sich für 5 Doll.
dem Orden anzuschließen, so daß viel Geld in die Kasse kam, das
zum Besten der Armen verwendet wurde. Eines Abends hielt diese
Gesellschaft in Chicago einen großen Umzug. Jedes Mitglied war
vermummt und hatte ein Scheit Holz oder zwei auf einer Achsel.
Der Zug ging an den Häusern verschiedener, stiller Armen vorbei,
nach und nach sich seiner Bürde entledigend.

Die Logen im Allgemeinen bieten in der Zahl und dem Cha-
rakter ihrer Mitglieder ein vortreffliches Material von Männern.
Nur ist ihre Form und oft auch ihr geistiger Jnhalt veraltet, aber
selbst wenn in diese alte Form ein neuer, lebenskräftiger Geist ein-
gegossen würde, so möchte der frische Guß einen Klang geben, der
vieles Alte in's Grab läuten würde.

So gemein, so unelegant es auch Manchem erscheinen mag, so
müssen wir doch hier ein Wort über das gewöhnliche, physische All-
tagsleben des Arbeiters, des Mittelstandes, d. h. der ungeheuren
Mehrzahl des Volkes sprechen. Es wurde schon eben vorübergehend
bemerkt, daß das durchschnittliche Wohlergehen des Arbeiters in
Amerika größer sei, als in irgend einem andern Lande. Um dies
klar zu machen, müssen nothwendig Vergleiche angestellt werden.
Der geringste Arbeiter, selbst der auf dem Lande, genießt Morgens,
Mittags und Abends Fleischnahrung, und die Deutschen haben diese

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jFeuilleton">
        <div type="jArticle">
          <p><pb facs="#f0002"/><cb n="8322"/>
ca. 20 pCt., in Oestreich 18 pCt. und in Frankreich 21 pCt. der<lb/>
Summe der jetzigen Regierungsausgaben wegfallen können.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Bei alle dem ist die enorme Arbeitsleistung noch gar nicht in<lb/>
Betracht gezogen, welche der Welt durch die stehenden Heere ver-<lb/>
loren geht.</p><lb/>
          <p>Die Statistik belehrt jeden Unbefangenen; schon <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="3"/>vor Jahren er-<lb/>
klärte es der amtliche k. k. östreichische Statistiker Herr v. Czörnig<lb/>
und noch jüngst erklärte es der amtliche kgl. preußische Statistiker,<lb/>
Geheimer Ober=Regierungs=Rath <hi rendition="#aq">Dr</hi>. Engel, daß die Ausgaben für<lb/>
die stehenden Heere die meisten europäischen Staaten bereits an den<lb/>
Rand des finanziellen Bankerotts gebracht haben. Wenn es nun Leute<lb/>
gibt, welche die Nothwendigkeit der stehenden Heere immer noch be-<lb/>
weisen wollen, aus dem Grunde, weil stehende Heere den Militzen<lb/>
überlegen seien, so können dies eben doch nur Leute sein, die sich<lb/>
bereits mit dem Gedanken abgefunden haben, daß es besser sei <hi rendition="#g">mit</hi><lb/>
einem stehenden Heere sich selber zu ruiniren, als <hi rendition="#g">ohne</hi> ein solches zu-<lb/>
zusehen, ob man sich nicht dennoch erfolgreich seiner Haut wehren könne.</p><lb/>
          <p>Uebrigens ist es an und für sich geradezu blödsinnig, ganz all-<lb/>
gemein von der Jnferiorität der Milizen gegenüber den stehenden<lb/>
Heeren sprechen zu wollen: -- denn zwischen Miliz und Miliz ist<lb/>
ein eben so großer Unterschied wie zwischen verschiedenen stehenden<lb/>
Heeren, ja noch ein viel größerer. Die Nordamerikanische Milizorga-<lb/>
nisation ist schlecht, die schweizerische ist besser, aber sie ist noch lange<lb/>
nicht die beste, welche man organisiren könnte, wenn man die militä-<lb/>
rische Ausbildung in durchgreifende Verbindung mit dem gesammten<lb/>
Unterrichtswesen setzen wollte. Eine auf dieser Basis zweckmäßig orga-<lb/>
nisirte Miliz würde jedem stehenden Heere von gleicher Anzahl unbe-<lb/>
dingt und ganz ohne Frage überlegen sein.</p><lb/>
          <p>Dazu käme noch ein fernerer Umstand, welcher in der Regel von<lb/>
Nichtstatistikern übersehen wird, in der That aber geradezu entscheidend<lb/>
ist, der Umstand nämlich, daß ein gut organisirtes Milizsystem ge-<lb/>
stattet, <hi rendition="#g">vier mal so viel</hi> geübte und ausgerüstete Streiter mit<lb/>
einem Schlage auf die Beine zu stellen, als dies durch das gegen-<lb/>
wärtige Norddeutsch=Preußische System ermöglicht wird. Jch habe mir<lb/>
in diesen Blättern wiederholt erlaubt, die bezüglichen statistischen Daten<lb/>
beizubringen. Es wären dies für Norddeutschland 12 pCt. der Bevöl-<lb/>
kerung oder etwa3 1 / 2 Millionen Mann im Alter von 20 bis 40<lb/>
Mann. Und diese ungeheure Truppenmasse wäre vorzüglich ererzirt,<lb/>
vorzüglich disziplinirt, wäre kräftiger und leistungsfähiger als Soldaten<lb/>
stehender Heere und wäre vortrefflich ausgerüstet und organisirt. Mit<lb/>
dieser Truppenmasse könnte unbedingt <hi rendition="#g">kein</hi> stehendes Heer der Welt<lb/>
in die Schranken treten: sobald dieses Heer geschaffen wird, ist damit<lb/>
der absolute Friede Mitteleuropas garantirt.</p><lb/>
          <p>Nach diesen Prämissen ist das Wort des Feldmarschalls Ra-<lb/>
detzky vielleicht verständlicher und wirksamer, das Wort nämlich, <hi rendition="#g">daß<lb/>
das System der stehenden Heere von selbst fallen muß,<lb/>
so bald man aufhört, nicht bloß das Verhältniß der<lb/>
Volksmasssen, sondern auch jenes der Staatsein-<lb/>
künfte unberücksichtigt zu lassen.</hi> -- Verständlicher wird<lb/>
hiernach auch das Wort Faucher's sein, <hi rendition="#g">daß die volkswirth-<lb/>
schaftlich beste Wehrverfassung zugleich auch die tech-<lb/>
nisch, diplomatisch und staatsrechtlich beste sei.</hi> </p><lb/>
          <p>An alle dies erlaube ich mir nun aber noch einen praktischen<lb/>
Vorschlag zu knüpfen. Mit bloßen Zeitungsartikeln scheint mir näm-<lb/>
lich für die Sache durchaus nicht Hinreichendes zu geschehen, zumal<lb/>
da selbst im Norddeutschen Reichstage das richtige Verständniß der<lb/>
Sache nicht oder <hi rendition="#g">noch</hi> nicht zu &#x201E;tagen&#x201C; scheint. Es muß mehr ge-<lb/>
than werden, und zwar sofort und nachdrücklich. Zu dem Ende ist,<lb/>
nach dem Muster der englischen Anti=Kornzoll=Liga aus den vierziger<lb/>
Jahren, eine Liga zu bilden, welche sich zur Aufgabe stellt, mit allen<lb/>
gesetzlichen Mitteln die Ersetzung der stehenden Heere, zunächst in<lb/>
Deutschland, durch eine gute Milizeinrichtung<gap reason="illegible"/> zu erstreben. -- Es<lb/>
ist dafür also ein Agitationscomite zu bilden, ein Fonds aus Bei-<lb/>
trägen der Mitglieder zu sammeln, es sind tüchtige und befähigte<lb/>
Männer zu werben, welche die Sache umherreisend in öffentlichen<lb/>
Vorträgen unermüdlich besprechen, wie seiner Zeit Cobden und Bright<lb/>
in der Kornzoll=Angelegenheit es thaten; es sind Flugschriften zu<lb/>
drucken, Massenversammlungen zu organisiren, der Reichstag ist mit<lb/>
einem Petitionssturm zu überschütten und es ist nimmer zu ermüden<lb/>
bis endlich das Ziel erreicht ist.</p><lb/>
          <p>Hier ist Gelegenheit zu zeigen, daß die deutsche Thatkraft wieder<lb/>
im Erblühen ist -- falls ich mich nämlich darin nicht täusche.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <cb n="8323"/>
      <div type="jFinancialNews">
        <div type="jArticle">
          <head> <hi rendition="#c">Volkswirthschaftliches Leben der Deutschen in Amerika.<lb/>
( Original=Korrespondenz des &#x201E;Arbeitgeber.&#x201C; )<lb/><hi rendition="#aq">II.</hi> </hi> </head><lb/>
          <p>Als eine andere, in Europa weniger einflußreiche Form des<lb/>
Korporationsgeistes können die zahlreichen Freimaurerlogen angesehen<lb/>
werden, in denen die Arbeiter stark vertreten sind, nicht als solche,<lb/>
sondern als Bürger, denn man findet unter den Mitgliedern der<lb/>
Logen alle Berufsämter des Lebens. Es gibt sehr viele, welche den<lb/>
Zweck dieser Vereine vollständig billigen, allein durch die mittelalter-<lb/>
lichen mystischen Ceremonien, die nach ihrer Ansicht dem Geiste des<lb/>
Jahrhunderts widersprechen, abgehalten werden, sich ihnen anzu-<lb/>
schließen. Für Andere wieder hat das Geheimnißvolle dieser Gesell-<lb/>
schaften einen gewissen Reiz. Man kann von diesen Logen sagen,<lb/>
daß sie noch selten Schlimmes gewirkt haben, wohl aber viel Gutes.<lb/>
Jhr Grundgedanke scheint der zu sein, daß ohne Rücksicht auf das<lb/>
Glaubensbekenntniß jeder Mensch als Bruder zu achten ist, der nach<lb/>
dem allgemeinen Sittengesetz handelt und lebt. Die Loge führt daher<lb/>
eine Kontrolle über das Betragen ihrer Mitglieder und hält oft<lb/>
manche, besonders junge Leute, welche an jener gefährlichen Grenze<lb/>
des Leichtsinns und des Verbrechens angekommen sind, von dem<lb/>
Sinken zurück, während sie den neu Eingetretenen, die sich als Ein-<lb/>
zelne in den Wogen des Lebens schwach fühlten, ein gewisses Zu-<lb/>
trauen und jenen Sittenstolz verleiht, der eine Hauptbasis der bürger-<lb/>
lichen Gesellschaft ist. Der arme Handwerker sitzt in der Loge als<lb/>
Gleichberechtigter neben seinem Meister, und nicht selten steht er über<lb/>
ihm. Die Kasse ist gewöhnlich sehr treu verwaltet, und aus ihr<lb/>
werden die Familien der Mitglieder, welche krank sind, unterstützt.<lb/>
Die Kranken müssen von den Mitgliedern besucht und von einem<lb/>
guten Arzte bedient werden. Stirbt ein Mitglied, so zieht die ganze<lb/>
Brüderschaft mit Fahnen und Jnsignien, unter dem Klange von<lb/>
Trauermusik, zu seinem Grabe, um ihn unter dem Ritual ihres<lb/>
jeweiligen Ordens zur Erde zu senken. Ein Anfänger im Geschäfte<lb/>
erhält auch wohl, je nach dem Stande der Kasse, ein Anlehen zu<lb/>
billigen Zinsen, und schon Manche sind durch solche Hilfe emporge-<lb/>
kommen. Hie und da, in den amerikanischen Logen, findet sich wohl<lb/>
ein protestantischer Geistlicher, aber nie ein katholischer. Letztere<lb/>
warnen ihre Bekenner beständig vor den Logen und drohen den Ein-<lb/>
tretenden mit Excommunication. Jn den letzten Jahren haben sie<lb/>
sogar, um dem Einflusse der Logen den Wind aus den Segeln zu<lb/>
nehmen, katholische Logen gegründet, die natürlich unter ihrer aus-<lb/>
schließlichen Kontrolle stehen. Es gibt eine Masse ausschließlich<lb/>
deutscher Logen unter allen möglichen Namen: Robert Blum, Her-<lb/>
mannssöhne, Chalten, Helvetia <abbr>ec.</abbr> Jn den Jahren, 1856, 1857,<lb/>
als unter den ärmeren Arbeiterfamilien im Winter große Noth<lb/>
herrschte, fiel es einigen wohlmeinenden Spaßvögeln ein, einen neuen<lb/>
Orden zu gründen, der den wohltönenden Namen: <hi rendition="#aq">Sons of Maltha</hi><lb/>
führte. Jedes aufzunehmende Mitglied mußte fünf Dollars voraus-<lb/>
bezahlen und mußte dann unter dem schallenden Gelächter der be-<lb/>
reits Eingeweihten verschiedene, sehr komische Exercitien und Körper-<lb/>
verrenkungen durchmachen. Die Folge war, daß jeder so Angeführte<lb/>
möglichst viele seiner Bekannten ebenfalls überredete, sich für 5 Doll.<lb/>
dem Orden anzuschließen, so daß viel Geld in die Kasse kam, das<lb/>
zum Besten der Armen verwendet wurde. Eines Abends hielt diese<lb/>
Gesellschaft in Chicago einen großen Umzug. Jedes Mitglied war<lb/>
vermummt und hatte ein Scheit Holz oder zwei auf einer Achsel.<lb/>
Der Zug ging an den Häusern verschiedener, stiller Armen vorbei,<lb/>
nach und nach sich seiner Bürde entledigend.</p><lb/>
          <p>Die Logen im Allgemeinen bieten in der Zahl und dem Cha-<lb/>
rakter ihrer Mitglieder ein vortreffliches Material von Männern.<lb/>
Nur ist ihre Form und oft auch ihr geistiger Jnhalt veraltet, aber<lb/>
selbst wenn in diese alte Form ein neuer, lebenskräftiger Geist ein-<lb/>
gegossen würde, so möchte der frische Guß einen Klang geben, der<lb/>
vieles Alte in's Grab läuten würde.</p><lb/>
          <p>So gemein, so unelegant es auch Manchem erscheinen mag, so<lb/>
müssen wir doch hier ein Wort über das gewöhnliche, physische All-<lb/>
tagsleben des Arbeiters, des Mittelstandes, d. h. der ungeheuren<lb/>
Mehrzahl des Volkes sprechen. Es wurde schon eben vorübergehend<lb/>
bemerkt, daß das durchschnittliche Wohlergehen des Arbeiters in<lb/>
Amerika größer sei, als in irgend einem andern Lande. Um dies<lb/>
klar zu machen, müssen nothwendig Vergleiche angestellt werden.<lb/>
Der geringste Arbeiter, selbst der auf dem Lande, genießt Morgens,<lb/>
Mittags und Abends Fleischnahrung, und die Deutschen haben diese<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0002] ca. 20 pCt., in Oestreich 18 pCt. und in Frankreich 21 pCt. der Summe der jetzigen Regierungsausgaben wegfallen können.“ Bei alle dem ist die enorme Arbeitsleistung noch gar nicht in Betracht gezogen, welche der Welt durch die stehenden Heere ver- loren geht. Die Statistik belehrt jeden Unbefangenen; schon ___vor Jahren er- klärte es der amtliche k. k. östreichische Statistiker Herr v. Czörnig und noch jüngst erklärte es der amtliche kgl. preußische Statistiker, Geheimer Ober=Regierungs=Rath Dr. Engel, daß die Ausgaben für die stehenden Heere die meisten europäischen Staaten bereits an den Rand des finanziellen Bankerotts gebracht haben. Wenn es nun Leute gibt, welche die Nothwendigkeit der stehenden Heere immer noch be- weisen wollen, aus dem Grunde, weil stehende Heere den Militzen überlegen seien, so können dies eben doch nur Leute sein, die sich bereits mit dem Gedanken abgefunden haben, daß es besser sei mit einem stehenden Heere sich selber zu ruiniren, als ohne ein solches zu- zusehen, ob man sich nicht dennoch erfolgreich seiner Haut wehren könne. Uebrigens ist es an und für sich geradezu blödsinnig, ganz all- gemein von der Jnferiorität der Milizen gegenüber den stehenden Heeren sprechen zu wollen: -- denn zwischen Miliz und Miliz ist ein eben so großer Unterschied wie zwischen verschiedenen stehenden Heeren, ja noch ein viel größerer. Die Nordamerikanische Milizorga- nisation ist schlecht, die schweizerische ist besser, aber sie ist noch lange nicht die beste, welche man organisiren könnte, wenn man die militä- rische Ausbildung in durchgreifende Verbindung mit dem gesammten Unterrichtswesen setzen wollte. Eine auf dieser Basis zweckmäßig orga- nisirte Miliz würde jedem stehenden Heere von gleicher Anzahl unbe- dingt und ganz ohne Frage überlegen sein. Dazu käme noch ein fernerer Umstand, welcher in der Regel von Nichtstatistikern übersehen wird, in der That aber geradezu entscheidend ist, der Umstand nämlich, daß ein gut organisirtes Milizsystem ge- stattet, vier mal so viel geübte und ausgerüstete Streiter mit einem Schlage auf die Beine zu stellen, als dies durch das gegen- wärtige Norddeutsch=Preußische System ermöglicht wird. Jch habe mir in diesen Blättern wiederholt erlaubt, die bezüglichen statistischen Daten beizubringen. Es wären dies für Norddeutschland 12 pCt. der Bevöl- kerung oder etwa3 1 / 2 Millionen Mann im Alter von 20 bis 40 Mann. Und diese ungeheure Truppenmasse wäre vorzüglich ererzirt, vorzüglich disziplinirt, wäre kräftiger und leistungsfähiger als Soldaten stehender Heere und wäre vortrefflich ausgerüstet und organisirt. Mit dieser Truppenmasse könnte unbedingt kein stehendes Heer der Welt in die Schranken treten: sobald dieses Heer geschaffen wird, ist damit der absolute Friede Mitteleuropas garantirt. Nach diesen Prämissen ist das Wort des Feldmarschalls Ra- detzky vielleicht verständlicher und wirksamer, das Wort nämlich, daß das System der stehenden Heere von selbst fallen muß, so bald man aufhört, nicht bloß das Verhältniß der Volksmasssen, sondern auch jenes der Staatsein- künfte unberücksichtigt zu lassen. -- Verständlicher wird hiernach auch das Wort Faucher's sein, daß die volkswirth- schaftlich beste Wehrverfassung zugleich auch die tech- nisch, diplomatisch und staatsrechtlich beste sei. An alle dies erlaube ich mir nun aber noch einen praktischen Vorschlag zu knüpfen. Mit bloßen Zeitungsartikeln scheint mir näm- lich für die Sache durchaus nicht Hinreichendes zu geschehen, zumal da selbst im Norddeutschen Reichstage das richtige Verständniß der Sache nicht oder noch nicht zu „tagen“ scheint. Es muß mehr ge- than werden, und zwar sofort und nachdrücklich. Zu dem Ende ist, nach dem Muster der englischen Anti=Kornzoll=Liga aus den vierziger Jahren, eine Liga zu bilden, welche sich zur Aufgabe stellt, mit allen gesetzlichen Mitteln die Ersetzung der stehenden Heere, zunächst in Deutschland, durch eine gute Milizeinrichtung_ zu erstreben. -- Es ist dafür also ein Agitationscomite zu bilden, ein Fonds aus Bei- trägen der Mitglieder zu sammeln, es sind tüchtige und befähigte Männer zu werben, welche die Sache umherreisend in öffentlichen Vorträgen unermüdlich besprechen, wie seiner Zeit Cobden und Bright in der Kornzoll=Angelegenheit es thaten; es sind Flugschriften zu drucken, Massenversammlungen zu organisiren, der Reichstag ist mit einem Petitionssturm zu überschütten und es ist nimmer zu ermüden bis endlich das Ziel erreicht ist. Hier ist Gelegenheit zu zeigen, daß die deutsche Thatkraft wieder im Erblühen ist -- falls ich mich nämlich darin nicht täusche. Volkswirthschaftliches Leben der Deutschen in Amerika. ( Original=Korrespondenz des „Arbeitgeber.“ ) II. Als eine andere, in Europa weniger einflußreiche Form des Korporationsgeistes können die zahlreichen Freimaurerlogen angesehen werden, in denen die Arbeiter stark vertreten sind, nicht als solche, sondern als Bürger, denn man findet unter den Mitgliedern der Logen alle Berufsämter des Lebens. Es gibt sehr viele, welche den Zweck dieser Vereine vollständig billigen, allein durch die mittelalter- lichen mystischen Ceremonien, die nach ihrer Ansicht dem Geiste des Jahrhunderts widersprechen, abgehalten werden, sich ihnen anzu- schließen. Für Andere wieder hat das Geheimnißvolle dieser Gesell- schaften einen gewissen Reiz. Man kann von diesen Logen sagen, daß sie noch selten Schlimmes gewirkt haben, wohl aber viel Gutes. Jhr Grundgedanke scheint der zu sein, daß ohne Rücksicht auf das Glaubensbekenntniß jeder Mensch als Bruder zu achten ist, der nach dem allgemeinen Sittengesetz handelt und lebt. Die Loge führt daher eine Kontrolle über das Betragen ihrer Mitglieder und hält oft manche, besonders junge Leute, welche an jener gefährlichen Grenze des Leichtsinns und des Verbrechens angekommen sind, von dem Sinken zurück, während sie den neu Eingetretenen, die sich als Ein- zelne in den Wogen des Lebens schwach fühlten, ein gewisses Zu- trauen und jenen Sittenstolz verleiht, der eine Hauptbasis der bürger- lichen Gesellschaft ist. Der arme Handwerker sitzt in der Loge als Gleichberechtigter neben seinem Meister, und nicht selten steht er über ihm. Die Kasse ist gewöhnlich sehr treu verwaltet, und aus ihr werden die Familien der Mitglieder, welche krank sind, unterstützt. Die Kranken müssen von den Mitgliedern besucht und von einem guten Arzte bedient werden. Stirbt ein Mitglied, so zieht die ganze Brüderschaft mit Fahnen und Jnsignien, unter dem Klange von Trauermusik, zu seinem Grabe, um ihn unter dem Ritual ihres jeweiligen Ordens zur Erde zu senken. Ein Anfänger im Geschäfte erhält auch wohl, je nach dem Stande der Kasse, ein Anlehen zu billigen Zinsen, und schon Manche sind durch solche Hilfe emporge- kommen. Hie und da, in den amerikanischen Logen, findet sich wohl ein protestantischer Geistlicher, aber nie ein katholischer. Letztere warnen ihre Bekenner beständig vor den Logen und drohen den Ein- tretenden mit Excommunication. Jn den letzten Jahren haben sie sogar, um dem Einflusse der Logen den Wind aus den Segeln zu nehmen, katholische Logen gegründet, die natürlich unter ihrer aus- schließlichen Kontrolle stehen. Es gibt eine Masse ausschließlich deutscher Logen unter allen möglichen Namen: Robert Blum, Her- mannssöhne, Chalten, Helvetia ec. Jn den Jahren, 1856, 1857, als unter den ärmeren Arbeiterfamilien im Winter große Noth herrschte, fiel es einigen wohlmeinenden Spaßvögeln ein, einen neuen Orden zu gründen, der den wohltönenden Namen: Sons of Maltha führte. Jedes aufzunehmende Mitglied mußte fünf Dollars voraus- bezahlen und mußte dann unter dem schallenden Gelächter der be- reits Eingeweihten verschiedene, sehr komische Exercitien und Körper- verrenkungen durchmachen. Die Folge war, daß jeder so Angeführte möglichst viele seiner Bekannten ebenfalls überredete, sich für 5 Doll. dem Orden anzuschließen, so daß viel Geld in die Kasse kam, das zum Besten der Armen verwendet wurde. Eines Abends hielt diese Gesellschaft in Chicago einen großen Umzug. Jedes Mitglied war vermummt und hatte ein Scheit Holz oder zwei auf einer Achsel. Der Zug ging an den Häusern verschiedener, stiller Armen vorbei, nach und nach sich seiner Bürde entledigend. Die Logen im Allgemeinen bieten in der Zahl und dem Cha- rakter ihrer Mitglieder ein vortreffliches Material von Männern. Nur ist ihre Form und oft auch ihr geistiger Jnhalt veraltet, aber selbst wenn in diese alte Form ein neuer, lebenskräftiger Geist ein- gegossen würde, so möchte der frische Guß einen Klang geben, der vieles Alte in's Grab läuten würde. So gemein, so unelegant es auch Manchem erscheinen mag, so müssen wir doch hier ein Wort über das gewöhnliche, physische All- tagsleben des Arbeiters, des Mittelstandes, d. h. der ungeheuren Mehrzahl des Volkes sprechen. Es wurde schon eben vorübergehend bemerkt, daß das durchschnittliche Wohlergehen des Arbeiters in Amerika größer sei, als in irgend einem andern Lande. Um dies klar zu machen, müssen nothwendig Vergleiche angestellt werden. Der geringste Arbeiter, selbst der auf dem Lande, genießt Morgens, Mittags und Abends Fleischnahrung, und die Deutschen haben diese

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0676_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0676_1870/2
Zitationshilfe: Der Arbeitgeber. Nr. 676. Frankfurt a. M., 15. April 1870, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0676_1870/2>, abgerufen am 20.04.2024.