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Badener Zeitung. Nr. 47, Baden (Niederösterreich), 10.06.1908.

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Mittwoch Badener Zeitung 10. Juni 1908. Nr. 47.

[Spaltenumbruch]

Leib und Schatz den Juden an, die als
Aerzte und Handelsleute Heilkunde und
Handelswissenschaft aus dem Altertume in
die Neuzeit herüber gerettet haben. Der Geist
unfruchtbarster Verneinung aller technischen
Erfindungen äußerte sich geradezu in lächer-
lichen Abgeschmacktheiten. Was alles haben
diese römischen Priester nicht verdammt!
Der Blitzableiter Benjamin Franklins, eines
"lutherischen Narren", wurde als "freche
Herausforderung von Gottes Allmacht" ver-
worfen. Papst Gregor XIV. verbot für "ewige
Zeiten" den Bau von Eisenbahnen im Kirchen-
statt, denn sie seien "die Wunder des nahen
Antichrists zum Verderben der Christenheit",
und der Dominikaner Hyazinth Romanini
hielt in der Fastenzeit 1862 vor Pius IX.
Predigten, worin er alle Eroberungen der
Physik und Chemie in Bausch und Bogen
und die Gasbeleuchtung, Telegraphie und
Dampfboote im einzelnen als "verruchte
Blendwerke des Teufels" verurteilte und
deren Erfinder als "Besessene" der Fürsorge
der heiligen Inquisition empfahl! Ebenso
wurde der Aufhebung der Sklaverei von ihr
der zäheste Widerstand entgegengesetzt. Wohl
durfte der christliche Bekenner nicht zum
Sklaven gemacht, aber der gefangene Haide
wurde genau so, wie der besiegte Barbar,
ohne Gnade verkauft. Die Leibeigenschaft des
Lehenswesens aber, die mit dem fränkischen
Reich allmählig an die Stelle der antiken
Sklaverei trat, ist niemals von der römischen
Kirche angetastet worden. Die Akten des
deutschen Bauernkrieges beweisen sogar, daß
der Eigennutz der geistlichen Herren drückender
empfunden wurde, als der der weltlichen.

Allezeit aber hat das Papsttum das
Verfassungsleben der Völker mit Leiden-
schaft bekämpft. Innonzenz III. verdammte
die Magna Charta und Leo XII.
schrieb an Ludwig XVIII. einen Brief,
worin er das Verwerfliche der französischen
Konstitution nachweisen wollte. Nach der
Vollendung der Verfassung Belgiens im Jahre
1832 erließ Gregor XVI. eine Enzyklika,
in der er "die Gewissensfreiheit eine wahn-
sinnige Lächerlichkeit und die Preßfreiheit
einen pestartigen, nie genug zu verabscheuenden
Irrwahn" schalt. Gegen die Verfassung Tos-
[Spaltenumbruch] canas lief die römische Kurie Sturm und
als die Verfassung Bayerns die Gleichstellung
der Konfessionen und Stände brachte, flogen
die Verbote seit 1818 massenhaft nach Bayern.
Schließlich hat ja auch die österreichische
Verfassung durch Pius IX. im Jahre 1868
genau dasselbe Schicksal ereilt.

Es ist eine beklagenswerte Erscheinung
unserer Zeit, daß alles die schleichende Wir-
kung des Ultramontanismus übersieht, niemand
dessen systematische Umklammerungsgefahr
wahrnimmt. Auch die große Presse. Sie ruft
zum Sturm, wenn er einmal besonders, wie
dies in der Wahrmundaffäre jetzt ist, sich
hervorwagt, aber die stille, beharrliche, be-
ständige Minierarbeit übersieht sie.

Virchow hatte Recht, als er im Jahre
1876 das Wort "Kulturkampf" prägte und
dazu die Erläuterung gab: "Es handelt
sich nicht um einen religiösen, nicht
um einen konfessionellen Kampf, es
handelt sich um einen höheren, die
ganze Kultur betreffenden Kampf,
der von diesem Standpunkte aus
weiter zu führen ist".




Politische Uebersicht.

Man hätte in letzter Zeit schon an der Sieg-
haftigkeit der freiheitlichen Ideen verzweifeln müssen,
so sehr hatte der krasseste Klerikalismus in allen
Zweigen der Staatsverwaltung, zumal in der Unter-
richtsverwaltung, an Macht gewonnen und diese auch
ausgeübt. Man konnte offen von einer Nebenregierung
der Christlichsozialen sprechen und sprechen hören.

Diese haben es wohl verstanden, unter dem
Deckmantel des stets wachsamen Deutschtums und des
immer geschäftigen Deutschtuns viele in ihr Lager --
ein Spinnennetz ist es, dem die gefangene Fliege nicht
entrinnen kann -- zu locken. Der weiberfangende
Klerikalismus, dem die Christlichsozialen trotz alles
Leugnens doch in erster Linie dienen, hat ein schiff-
umschlingender Kracke das Staatsschiff mit seinen
unzählbaren Napfarmen umfaßt und drohte es nieder-
zuziehen in das dunkle Meer des blinden Glaubens.

Und gerade von dort, von den Universitäten, die
er noch zu erobern ausging, gerade von der letzten
Festung der freien Forschung, des freien Gedankens
und des freien Wortes, die die Klerikalen mit der
Mistgabel und dem Dreschflegel des verhetzten Bauern-
tums vernichten wollten, ertönt nun der Ruf zur
Befreiung.

Von dort erklingt ein Widerhall der Horaz'schen
Ode an den Staat:


[Spaltenumbruch]
O navis, referent in mare te novi
Fluctus! O quid agis? Fortiter occupa
Portum! Nonne vides, ut
Nudum remigis latus
Et malus celeri saucius Africo
Autennaeque gemunt, ac sine funibus
Vix durare carinae
Possunt imperiosius
Aequor? ...

"O Staatsschiff, neue Wogen werden dich ins
Meer zurücktreiben! Was treibst du? Rasch besetze
den Hafen. Siehst du denn nicht, wie die steuerlose
Flanke und der vom Südwind beschädigte Mast-
baum -- -- wie kaum der Kiel das allzu stürmische
Meer noch aushält? ..."

So ruft die studierende Jugend, die Zukunft des
Staates, im Vereine mit ihren Lehrern und allen
rechtlich denkenden Staatsbürgern. Kann dieser Ruf
ungehört verklingen?

Wenn es weiter in dem Sinne der Klerikalen
ginge, wäre das Ende der freien bürgerlichen Gesell-
schaftsordnung bald da. Schon haben jene ihre Macht
auf alle Aeußerungen des freien Bürgertums ausge-
dehnt: man sieht auch solche, die man für die besten
hielt, straucheln oder apathisch dem Kampfe [a]usweichen,
oder höchstens betrübter Mienen zuschauen.

Von den höchsten Anstalten der Jugenderziehung
ertönt es nun: "Halt! Bis hieher und nicht weiter!"
Die Schlagwörter von bedrohter Religion, von der
Entsittlichung der Menschheit durch die freie Forschung,
von der Knechtung der Kathokiken durch die freiheit-
liche Weltanschauung sollen nicht mehr verfangen. Das
verbietet die Staatsvernunft, wenn sie noch lebt.

Den unleidlichen Druck, den die herrschsüchtige
Kirche über alle Bürger ausübt, wobei sie leider von
dem über dem Bürger zu stehen meinenden Adel aufs
kräftigste und unheilvollste unterstützt wird, kann ein
moderner Staat, und das wünschen wir doch zu sein,
nicht länger ertragen.

Daß infolge des allgemein herrschenden Druckes
Apathie eintreten mußte, ist aus allem, was in
Oesterreich vorgeht, ersichtlich und eine Rettung
der ungeknechteten, auf Erkenntnis des Tatsächlichen
beruhenden Weltanschauung, ist nur möglich, wenn
man dem immer derber auftretenden Klerikalismus
mit frischer Kraft und freiem Mut entgegentritt. In
diesem Streite aber kann nicht mit Phrasen, sondern
nur mit Ueberzeugungen, nicht mit Dogmen, sondern
mit Weitkenntnissen, nicht mit dem Katechismus, sondern
mit den natürlichen Tatsachen gekämpft werden.

Ja, die ganze staatliche und gesellschaftliche
Ordnung drohte unter dem für einen Freidenkenden
ganz unfaßbaren Einflusse einer starr dogmatisierenden
Lehrwut der Klerikalen und ihrer Anhänger zu unter-
gehen. Wohin wir blicken, sehen wir nur Ruinen
eines vielversprechenden Bürgertums, das einst zu
den schönsten Hoffnungen auf freie Entwicklung be-
rechtigt hatte. Wohin wir horchen, tönen uns fremde
Laute, fremde Gesinnungen, weltfremde Ideen ent-
gegen. Und doch ist der Mensch von dieser Welt,




[Spaltenumbruch]
So also kommt man im Leben herunter ...!
Im Hafen fand ich das Treiben noch bunter
Als etwa des Sonntags im Badener Park;
Es duftete auch nicht minder stark,
Obwohl im Fischmarkt der Odeur
Mir lieber ist als von Millefleurs!
(Von allen Fischen, hier an der Stelle
Erwähn' ich's: ist die Sartorelle
Am zahmsten schier, denn mit der Hand
Fängt man sie selbst sich dortzuland;
Am besten sind sie gepfeffert, mit Wein --
Doch muß man beim Zugreifen achtsam sein:
Weil "sartorelle", die sehr pikant sind,
Dort die -- -- -- Modistenmädel genannt sind!)
Mir war so wohlig in jener Bucht,
Besonders nach meiner Badener Flucht:
Man fühlt ein wahres Lustentzücken,
Hat man erst sein Zuhaus' im Rücken,
Was freilich nicht den Umstand hindert,
Daß später sich die Freude mindert.
Was ich zuhause ließ, ich Wandrer,
Hab' nicht nur ich, -- 's hat's auch ein and'rer:

[Spaltenumbruch]
Ein Lieb, untreu in seinen Hulden
Und Schulden in Kronen und in Gulden
Und einen gewissensbissigen Schneider
Und and'res Unvergeßliches -- leider!
So also Vieles gesehen habend,
Ward aus dem Morgen wieder Abend.
Was noch ich nahm in Augenschein,
Trug ins Notizbuch ich nicht ein:
Am fröhlich-feuchten Aquarium
Ist nichts besonderes d'ran und drum;
Auf Opcina, in Miramar
Ist alles schön und wunderbar,
Nur hat das Schildern keinen Sinn --
Am besten, man fährt selber hin.
Das gilt von Anderem desgleichen,
Drum will den Schluß ich lieber streichen.
Ich stieß (es war schon ziemlich spät)
Zum Abendhimmel ein Gebet.
Auf daß nur sicher der Ozean
Trüg nach Italien mich im Kahn,
Was ohne Sankt Ulrich gut gelang --
Vergleiche den folgenden Gesang!
(Wird fortgesetzt mit neuen Lettern
In einem von den nächsten Blättern.)



[Spaltenumbruch]
Altes Arzneibuch.

Unter dem Titel: "Vogel-, Tier-, und Fisch-
buch" kam im Jahre 1536 in Basel ein Arzneibuch
heraus, welches der Verfasser seinen Mitmenschen als
"fürnehmsten Hausschatz" empfahl.

Dieses Buch dürfte wohl eines der ältesten
Werke auf dem Gebiete der Heilkunde sein. In dem-
selben wird ausführlich geschrieben, welche Tiere dem
Menschen in ärztlicher Hinsicht dienlich sein können;
in manchen Fällen sind es ganze Tiere, in anderen
wieder nur Teile derselben.

Der betreffende -- nicht genannte -- Verfasser
des Buches schien von dem Grundsatze ausgegangen
zu sein, daß, wenn nicht schon alle Tiere, so doch
die meisten heilwirkende Kräfte für den Menschen
besitzen.

Wie aus dem Buche hervorgeht, durfte man sich
nicht damit begnügen, ein Tier einfach zu töten, um
ihm das betreffende Arzneimittel zu nehmen, sondern
es mußte, damit das Mittel auch wirksam sei, oft
auf entsetzliche Weise geqält werden.

So mußte die Elster lebendig zerschnitten werden,
worauf die einzelnen Teile den kranken Menschen-
gliedern aufgelegt wurden. Aehnliches passierte den
Schwalben. Auf lebende Fledermäuse wurde siedendes
Pech geschüttet, Raben wurden lebendig in Pferde-
dünger eingegraben, junge Störche in einem Topfe
zu Pulver verbrannt, Füchse gekocht. Geiern zog man
die Haut ab und ersäufte sie in Wein. Sogar das
geraspelte Horn des fabelhaften Einhorns wurde
gegen giftige Speisen und Schlangenbiß empfohlen.
Man verwendete den Geifer des Pferdes und Maul-


Mittwoch Badener Zeitung 10. Juni 1908. Nr. 47.

[Spaltenumbruch]

Leib und Schatz den Juden an, die als
Aerzte und Handelsleute Heilkunde und
Handelswiſſenſchaft aus dem Altertume in
die Neuzeit herüber gerettet haben. Der Geiſt
unfruchtbarſter Verneinung aller techniſchen
Erfindungen äußerte ſich geradezu in lächer-
lichen Abgeſchmacktheiten. Was alles haben
dieſe römiſchen Prieſter nicht verdammt!
Der Blitzableiter Benjamin Franklins, eines
„lutheriſchen Narren“, wurde als „freche
Herausforderung von Gottes Allmacht“ ver-
worfen. Papſt Gregor XIV. verbot für „ewige
Zeiten“ den Bau von Eiſenbahnen im Kirchen-
ſtatt, denn ſie ſeien „die Wunder des nahen
Antichriſts zum Verderben der Chriſtenheit“,
und der Dominikaner Hyazinth Romanini
hielt in der Faſtenzeit 1862 vor Pius IX.
Predigten, worin er alle Eroberungen der
Phyſik und Chemie in Bauſch und Bogen
und die Gasbeleuchtung, Telegraphie und
Dampfboote im einzelnen als „verruchte
Blendwerke des Teufels“ verurteilte und
deren Erfinder als „Beſeſſene“ der Fürſorge
der heiligen Inquiſition empfahl! Ebenſo
wurde der Aufhebung der Sklaverei von ihr
der zäheſte Widerſtand entgegengeſetzt. Wohl
durfte der chriſtliche Bekenner nicht zum
Sklaven gemacht, aber der gefangene Haide
wurde genau ſo, wie der beſiegte Barbar,
ohne Gnade verkauft. Die Leibeigenſchaft des
Lehensweſens aber, die mit dem fränkiſchen
Reich allmählig an die Stelle der antiken
Sklaverei trat, iſt niemals von der römiſchen
Kirche angetaſtet worden. Die Akten des
deutſchen Bauernkrieges beweiſen ſogar, daß
der Eigennutz der geiſtlichen Herren drückender
empfunden wurde, als der der weltlichen.

Allezeit aber hat das Papſttum das
Verfaſſungsleben der Völker mit Leiden-
ſchaft bekämpft. Innonzenz III. verdammte
die Magna Charta und Leo XII.
ſchrieb an Ludwig XVIII. einen Brief,
worin er das Verwerfliche der franzöſiſchen
Konſtitution nachweiſen wollte. Nach der
Vollendung der Verfaſſung Belgiens im Jahre
1832 erließ Gregor XVI. eine Enzyklika,
in der er „die Gewiſſensfreiheit eine wahn-
ſinnige Lächerlichkeit und die Preßfreiheit
einen peſtartigen, nie genug zu verabſcheuenden
Irrwahn“ ſchalt. Gegen die Verfaſſung Tos-
[Spaltenumbruch] canas lief die römiſche Kurie Sturm und
als die Verfaſſung Bayerns die Gleichſtellung
der Konfeſſionen und Stände brachte, flogen
die Verbote ſeit 1818 maſſenhaft nach Bayern.
Schließlich hat ja auch die öſterreichiſche
Verfaſſung durch Pius IX. im Jahre 1868
genau dasſelbe Schickſal ereilt.

Es iſt eine beklagenswerte Erſcheinung
unſerer Zeit, daß alles die ſchleichende Wir-
kung des Ultramontanismus überſieht, niemand
deſſen ſyſtematiſche Umklammerungsgefahr
wahrnimmt. Auch die große Preſſe. Sie ruft
zum Sturm, wenn er einmal beſonders, wie
dies in der Wahrmundaffäre jetzt iſt, ſich
hervorwagt, aber die ſtille, beharrliche, be-
ſtändige Minierarbeit überſieht ſie.

Virchow hatte Recht, als er im Jahre
1876 das Wort „Kulturkampf“ prägte und
dazu die Erläuterung gab: „Es handelt
ſich nicht um einen religiöſen, nicht
um einen konfeſſionellen Kampf, es
handelt ſich um einen höheren, die
ganze Kultur betreffenden Kampf,
der von dieſem Standpunkte aus
weiter zu führen iſt“.




Politiſche Ueberſicht.

Man hätte in letzter Zeit ſchon an der Sieg-
haftigkeit der freiheitlichen Ideen verzweifeln müſſen,
ſo ſehr hatte der kraſſeſte Klerikalismus in allen
Zweigen der Staatsverwaltung, zumal in der Unter-
richtsverwaltung, an Macht gewonnen und dieſe auch
ausgeübt. Man konnte offen von einer Nebenregierung
der Chriſtlichſozialen ſprechen und ſprechen hören.

Dieſe haben es wohl verſtanden, unter dem
Deckmantel des ſtets wachſamen Deutſchtums und des
immer geſchäftigen Deutſchtuns viele in ihr Lager —
ein Spinnennetz iſt es, dem die gefangene Fliege nicht
entrinnen kann — zu locken. Der weiberfangende
Klerikalismus, dem die Chriſtlichſozialen trotz alles
Leugnens doch in erſter Linie dienen, hat ein ſchiff-
umſchlingender Kracke das Staatsſchiff mit ſeinen
unzählbaren Napfarmen umfaßt und drohte es nieder-
zuziehen in das dunkle Meer des blinden Glaubens.

Und gerade von dort, von den Univerſitäten, die
er noch zu erobern ausging, gerade von der letzten
Feſtung der freien Forſchung, des freien Gedankens
und des freien Wortes, die die Klerikalen mit der
Miſtgabel und dem Dreſchflegel des verhetzten Bauern-
tums vernichten wollten, ertönt nun der Ruf zur
Befreiung.

Von dort erklingt ein Widerhall der Horaz’ſchen
Ode an den Staat:


[Spaltenumbruch]
O navis, referent in mare te novi
Fluctus! O quid agis? Fortiter occupa
Portum! Nonne vides, ut
Nudum remigis latus
Et malus celeri saucius Africo
Autennaeque gemunt, ac sine funibus
Vix durare carinae
Possunt imperiosius
Aequor? ...

„O Staatsſchiff, neue Wogen werden dich ins
Meer zurücktreiben! Was treibſt du? Raſch beſetze
den Hafen. Siehſt du denn nicht, wie die ſteuerloſe
Flanke und der vom Südwind beſchädigte Maſt-
baum — — wie kaum der Kiel das allzu ſtürmiſche
Meer noch aushält? ...“

So ruft die ſtudierende Jugend, die Zukunft des
Staates, im Vereine mit ihren Lehrern und allen
rechtlich denkenden Staatsbürgern. Kann dieſer Ruf
ungehört verklingen?

Wenn es weiter in dem Sinne der Klerikalen
ginge, wäre das Ende der freien bürgerlichen Geſell-
ſchaftsordnung bald da. Schon haben jene ihre Macht
auf alle Aeußerungen des freien Bürgertums ausge-
dehnt: man ſieht auch ſolche, die man für die beſten
hielt, ſtraucheln oder apathiſch dem Kampfe [a]usweichen,
oder höchſtens betrübter Mienen zuſchauen.

Von den höchſten Anſtalten der Jugenderziehung
ertönt es nun: „Halt! Bis hieher und nicht weiter!“
Die Schlagwörter von bedrohter Religion, von der
Entſittlichung der Menſchheit durch die freie Forſchung,
von der Knechtung der Kathokiken durch die freiheit-
liche Weltanſchauung ſollen nicht mehr verfangen. Das
verbietet die Staatsvernunft, wenn ſie noch lebt.

Den unleidlichen Druck, den die herrſchſüchtige
Kirche über alle Bürger ausübt, wobei ſie leider von
dem über dem Bürger zu ſtehen meinenden Adel aufs
kräftigſte und unheilvollſte unterſtützt wird, kann ein
moderner Staat, und das wünſchen wir doch zu ſein,
nicht länger ertragen.

Daß infolge des allgemein herrſchenden Druckes
Apathie eintreten mußte, iſt aus allem, was in
Oeſterreich vorgeht, erſichtlich und eine Rettung
der ungeknechteten, auf Erkenntnis des Tatſächlichen
beruhenden Weltanſchauung, iſt nur möglich, wenn
man dem immer derber auftretenden Klerikalismus
mit friſcher Kraft und freiem Mut entgegentritt. In
dieſem Streite aber kann nicht mit Phraſen, ſondern
nur mit Ueberzeugungen, nicht mit Dogmen, ſondern
mit Weitkenntniſſen, nicht mit dem Katechismus, ſondern
mit den natürlichen Tatſachen gekämpft werden.

Ja, die ganze ſtaatliche und geſellſchaftliche
Ordnung drohte unter dem für einen Freidenkenden
ganz unfaßbaren Einfluſſe einer ſtarr dogmatiſierenden
Lehrwut der Klerikalen und ihrer Anhänger zu unter-
gehen. Wohin wir blicken, ſehen wir nur Ruinen
eines vielverſprechenden Bürgertums, das einſt zu
den ſchönſten Hoffnungen auf freie Entwicklung be-
rechtigt hatte. Wohin wir horchen, tönen uns fremde
Laute, fremde Geſinnungen, weltfremde Ideen ent-
gegen. Und doch iſt der Menſch von dieſer Welt,




[Spaltenumbruch]
So alſo kommt man im Leben herunter ...!
Im Hafen fand ich das Treiben noch bunter
Als etwa des Sonntags im Badener Park;
Es duftete auch nicht minder ſtark,
Obwohl im Fiſchmarkt der Odeur
Mir lieber iſt als von Millefleurs!
(Von allen Fiſchen, hier an der Stelle
Erwähn’ ich’s: iſt die Sartorelle
Am zahmſten ſchier, denn mit der Hand
Fängt man ſie ſelbſt ſich dortzuland;
Am beſten ſind ſie gepfeffert, mit Wein —
Doch muß man beim Zugreifen achtſam ſein:
Weil „ſartorelle“, die ſehr pikant ſind,
Dort die — — — Modiſtenmädel genannt ſind!)
Mir war ſo wohlig in jener Bucht,
Beſonders nach meiner Badener Flucht:
Man fühlt ein wahres Luſtentzücken,
Hat man erſt ſein Zuhauſ’ im Rücken,
Was freilich nicht den Umſtand hindert,
Daß ſpäter ſich die Freude mindert.
Was ich zuhauſe ließ, ich Wandrer,
Hab’ nicht nur ich, — ’s hat’s auch ein and’rer:

[Spaltenumbruch]
Ein Lieb, untreu in ſeinen Hulden
Und Schulden in Kronen und in Gulden
Und einen gewiſſensbiſſigen Schneider
Und and’res Unvergeßliches — leider!
So alſo Vieles geſehen habend,
Ward aus dem Morgen wieder Abend.
Was noch ich nahm in Augenſchein,
Trug ins Notizbuch ich nicht ein:
Am fröhlich-feuchten Aquarium
Iſt nichts beſonderes d’ran und drum;
Auf Opcina, in Miramar
Iſt alles ſchön und wunderbar,
Nur hat das Schildern keinen Sinn —
Am beſten, man fährt ſelber hin.
Das gilt von Anderem desgleichen,
Drum will den Schluß ich lieber ſtreichen.
Ich ſtieß (es war ſchon ziemlich ſpät)
Zum Abendhimmel ein Gebet.
Auf daß nur ſicher der Ozean
Trüg nach Italien mich im Kahn,
Was ohne Sankt Ulrich gut gelang —
Vergleiche den folgenden Geſang!
(Wird fortgeſetzt mit neuen Lettern
In einem von den nächſten Blättern.)



[Spaltenumbruch]
Altes Arzneibuch.

Unter dem Titel: „Vogel-, Tier-, und Fiſch-
buch“ kam im Jahre 1536 in Baſel ein Arzneibuch
heraus, welches der Verfaſſer ſeinen Mitmenſchen als
„fürnehmſten Hausſchatz“ empfahl.

Dieſes Buch dürfte wohl eines der älteſten
Werke auf dem Gebiete der Heilkunde ſein. In dem-
ſelben wird ausführlich geſchrieben, welche Tiere dem
Menſchen in ärztlicher Hinſicht dienlich ſein können;
in manchen Fällen ſind es ganze Tiere, in anderen
wieder nur Teile derſelben.

Der betreffende — nicht genannte — Verfaſſer
des Buches ſchien von dem Grundſatze ausgegangen
zu ſein, daß, wenn nicht ſchon alle Tiere, ſo doch
die meiſten heilwirkende Kräfte für den Menſchen
beſitzen.

Wie aus dem Buche hervorgeht, durfte man ſich
nicht damit begnügen, ein Tier einfach zu töten, um
ihm das betreffende Arzneimittel zu nehmen, ſondern
es mußte, damit das Mittel auch wirkſam ſei, oft
auf entſetzliche Weiſe geqält werden.

So mußte die Elſter lebendig zerſchnitten werden,
worauf die einzelnen Teile den kranken Menſchen-
gliedern aufgelegt wurden. Aehnliches paſſierte den
Schwalben. Auf lebende Fledermäuſe wurde ſiedendes
Pech geſchüttet, Raben wurden lebendig in Pferde-
dünger eingegraben, junge Störche in einem Topfe
zu Pulver verbrannt, Füchſe gekocht. Geiern zog man
die Haut ab und erſäufte ſie in Wein. Sogar das
geraſpelte Horn des fabelhaften Einhorns wurde
gegen giftige Speiſen und Schlangenbiß empfohlen.
Man verwendete den Geifer des Pferdes und Maul-


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ein Spinnennetz i&#x017F;t es, dem die gefangene Fliege nicht<lb/>
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unzählbaren Napfarmen umfaßt und drohte es nieder-<lb/>
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tums vernichten wollten, ertönt nun der Ruf zur<lb/>
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Meer zurücktreiben! Was treib&#x017F;t du? Ra&#x017F;ch be&#x017F;etze<lb/>
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Flanke und der vom Südwind be&#x017F;chädigte Ma&#x017F;t-<lb/>
baum &#x2014; &#x2014; wie kaum der Kiel das allzu &#x017F;türmi&#x017F;che<lb/>
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&#x017F;chaftsordnung bald da. Schon haben jene ihre Macht<lb/>
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Lehrwut der Klerikalen und ihrer Anhänger zu unter-<lb/>
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Pech ge&#x017F;chüttet, Raben wurden lebendig in Pferde-<lb/>
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[2/0002] Mittwoch Badener Zeitung 10. Juni 1908. Nr. 47. Leib und Schatz den Juden an, die als Aerzte und Handelsleute Heilkunde und Handelswiſſenſchaft aus dem Altertume in die Neuzeit herüber gerettet haben. Der Geiſt unfruchtbarſter Verneinung aller techniſchen Erfindungen äußerte ſich geradezu in lächer- lichen Abgeſchmacktheiten. Was alles haben dieſe römiſchen Prieſter nicht verdammt! Der Blitzableiter Benjamin Franklins, eines „lutheriſchen Narren“, wurde als „freche Herausforderung von Gottes Allmacht“ ver- worfen. Papſt Gregor XIV. verbot für „ewige Zeiten“ den Bau von Eiſenbahnen im Kirchen- ſtatt, denn ſie ſeien „die Wunder des nahen Antichriſts zum Verderben der Chriſtenheit“, und der Dominikaner Hyazinth Romanini hielt in der Faſtenzeit 1862 vor Pius IX. Predigten, worin er alle Eroberungen der Phyſik und Chemie in Bauſch und Bogen und die Gasbeleuchtung, Telegraphie und Dampfboote im einzelnen als „verruchte Blendwerke des Teufels“ verurteilte und deren Erfinder als „Beſeſſene“ der Fürſorge der heiligen Inquiſition empfahl! Ebenſo wurde der Aufhebung der Sklaverei von ihr der zäheſte Widerſtand entgegengeſetzt. Wohl durfte der chriſtliche Bekenner nicht zum Sklaven gemacht, aber der gefangene Haide wurde genau ſo, wie der beſiegte Barbar, ohne Gnade verkauft. Die Leibeigenſchaft des Lehensweſens aber, die mit dem fränkiſchen Reich allmählig an die Stelle der antiken Sklaverei trat, iſt niemals von der römiſchen Kirche angetaſtet worden. Die Akten des deutſchen Bauernkrieges beweiſen ſogar, daß der Eigennutz der geiſtlichen Herren drückender empfunden wurde, als der der weltlichen. Allezeit aber hat das Papſttum das Verfaſſungsleben der Völker mit Leiden- ſchaft bekämpft. Innonzenz III. verdammte die Magna Charta und Leo XII. ſchrieb an Ludwig XVIII. einen Brief, worin er das Verwerfliche der franzöſiſchen Konſtitution nachweiſen wollte. Nach der Vollendung der Verfaſſung Belgiens im Jahre 1832 erließ Gregor XVI. eine Enzyklika, in der er „die Gewiſſensfreiheit eine wahn- ſinnige Lächerlichkeit und die Preßfreiheit einen peſtartigen, nie genug zu verabſcheuenden Irrwahn“ ſchalt. Gegen die Verfaſſung Tos- canas lief die römiſche Kurie Sturm und als die Verfaſſung Bayerns die Gleichſtellung der Konfeſſionen und Stände brachte, flogen die Verbote ſeit 1818 maſſenhaft nach Bayern. Schließlich hat ja auch die öſterreichiſche Verfaſſung durch Pius IX. im Jahre 1868 genau dasſelbe Schickſal ereilt. Es iſt eine beklagenswerte Erſcheinung unſerer Zeit, daß alles die ſchleichende Wir- kung des Ultramontanismus überſieht, niemand deſſen ſyſtematiſche Umklammerungsgefahr wahrnimmt. Auch die große Preſſe. Sie ruft zum Sturm, wenn er einmal beſonders, wie dies in der Wahrmundaffäre jetzt iſt, ſich hervorwagt, aber die ſtille, beharrliche, be- ſtändige Minierarbeit überſieht ſie. Virchow hatte Recht, als er im Jahre 1876 das Wort „Kulturkampf“ prägte und dazu die Erläuterung gab: „Es handelt ſich nicht um einen religiöſen, nicht um einen konfeſſionellen Kampf, es handelt ſich um einen höheren, die ganze Kultur betreffenden Kampf, der von dieſem Standpunkte aus weiter zu führen iſt“. Politiſche Ueberſicht. Man hätte in letzter Zeit ſchon an der Sieg- haftigkeit der freiheitlichen Ideen verzweifeln müſſen, ſo ſehr hatte der kraſſeſte Klerikalismus in allen Zweigen der Staatsverwaltung, zumal in der Unter- richtsverwaltung, an Macht gewonnen und dieſe auch ausgeübt. Man konnte offen von einer Nebenregierung der Chriſtlichſozialen ſprechen und ſprechen hören. Dieſe haben es wohl verſtanden, unter dem Deckmantel des ſtets wachſamen Deutſchtums und des immer geſchäftigen Deutſchtuns viele in ihr Lager — ein Spinnennetz iſt es, dem die gefangene Fliege nicht entrinnen kann — zu locken. Der weiberfangende Klerikalismus, dem die Chriſtlichſozialen trotz alles Leugnens doch in erſter Linie dienen, hat ein ſchiff- umſchlingender Kracke das Staatsſchiff mit ſeinen unzählbaren Napfarmen umfaßt und drohte es nieder- zuziehen in das dunkle Meer des blinden Glaubens. Und gerade von dort, von den Univerſitäten, die er noch zu erobern ausging, gerade von der letzten Feſtung der freien Forſchung, des freien Gedankens und des freien Wortes, die die Klerikalen mit der Miſtgabel und dem Dreſchflegel des verhetzten Bauern- tums vernichten wollten, ertönt nun der Ruf zur Befreiung. Von dort erklingt ein Widerhall der Horaz’ſchen Ode an den Staat: O navis, referent in mare te novi Fluctus! O quid agis? Fortiter occupa Portum! Nonne vides, ut Nudum remigis latus Et malus celeri saucius Africo Autennaeque gemunt, ac sine funibus Vix durare carinae Possunt imperiosius Aequor? ... „O Staatsſchiff, neue Wogen werden dich ins Meer zurücktreiben! Was treibſt du? Raſch beſetze den Hafen. Siehſt du denn nicht, wie die ſteuerloſe Flanke und der vom Südwind beſchädigte Maſt- baum — — wie kaum der Kiel das allzu ſtürmiſche Meer noch aushält? ...“ So ruft die ſtudierende Jugend, die Zukunft des Staates, im Vereine mit ihren Lehrern und allen rechtlich denkenden Staatsbürgern. Kann dieſer Ruf ungehört verklingen? Wenn es weiter in dem Sinne der Klerikalen ginge, wäre das Ende der freien bürgerlichen Geſell- ſchaftsordnung bald da. Schon haben jene ihre Macht auf alle Aeußerungen des freien Bürgertums ausge- dehnt: man ſieht auch ſolche, die man für die beſten hielt, ſtraucheln oder apathiſch dem Kampfe ausweichen, oder höchſtens betrübter Mienen zuſchauen. Von den höchſten Anſtalten der Jugenderziehung ertönt es nun: „Halt! Bis hieher und nicht weiter!“ Die Schlagwörter von bedrohter Religion, von der Entſittlichung der Menſchheit durch die freie Forſchung, von der Knechtung der Kathokiken durch die freiheit- liche Weltanſchauung ſollen nicht mehr verfangen. Das verbietet die Staatsvernunft, wenn ſie noch lebt. Den unleidlichen Druck, den die herrſchſüchtige Kirche über alle Bürger ausübt, wobei ſie leider von dem über dem Bürger zu ſtehen meinenden Adel aufs kräftigſte und unheilvollſte unterſtützt wird, kann ein moderner Staat, und das wünſchen wir doch zu ſein, nicht länger ertragen. Daß infolge des allgemein herrſchenden Druckes Apathie eintreten mußte, iſt aus allem, was in Oeſterreich vorgeht, erſichtlich und eine Rettung der ungeknechteten, auf Erkenntnis des Tatſächlichen beruhenden Weltanſchauung, iſt nur möglich, wenn man dem immer derber auftretenden Klerikalismus mit friſcher Kraft und freiem Mut entgegentritt. In dieſem Streite aber kann nicht mit Phraſen, ſondern nur mit Ueberzeugungen, nicht mit Dogmen, ſondern mit Weitkenntniſſen, nicht mit dem Katechismus, ſondern mit den natürlichen Tatſachen gekämpft werden. Ja, die ganze ſtaatliche und geſellſchaftliche Ordnung drohte unter dem für einen Freidenkenden ganz unfaßbaren Einfluſſe einer ſtarr dogmatiſierenden Lehrwut der Klerikalen und ihrer Anhänger zu unter- gehen. Wohin wir blicken, ſehen wir nur Ruinen eines vielverſprechenden Bürgertums, das einſt zu den ſchönſten Hoffnungen auf freie Entwicklung be- rechtigt hatte. Wohin wir horchen, tönen uns fremde Laute, fremde Geſinnungen, weltfremde Ideen ent- gegen. Und doch iſt der Menſch von dieſer Welt, So alſo kommt man im Leben herunter ...! Im Hafen fand ich das Treiben noch bunter Als etwa des Sonntags im Badener Park; Es duftete auch nicht minder ſtark, Obwohl im Fiſchmarkt der Odeur Mir lieber iſt als von Millefleurs! (Von allen Fiſchen, hier an der Stelle Erwähn’ ich’s: iſt die Sartorelle Am zahmſten ſchier, denn mit der Hand Fängt man ſie ſelbſt ſich dortzuland; Am beſten ſind ſie gepfeffert, mit Wein — Doch muß man beim Zugreifen achtſam ſein: Weil „ſartorelle“, die ſehr pikant ſind, Dort die — — — Modiſtenmädel genannt ſind!) Mir war ſo wohlig in jener Bucht, Beſonders nach meiner Badener Flucht: Man fühlt ein wahres Luſtentzücken, Hat man erſt ſein Zuhauſ’ im Rücken, Was freilich nicht den Umſtand hindert, Daß ſpäter ſich die Freude mindert. Was ich zuhauſe ließ, ich Wandrer, Hab’ nicht nur ich, — ’s hat’s auch ein and’rer: Ein Lieb, untreu in ſeinen Hulden Und Schulden in Kronen und in Gulden Und einen gewiſſensbiſſigen Schneider Und and’res Unvergeßliches — leider! So alſo Vieles geſehen habend, Ward aus dem Morgen wieder Abend. Was noch ich nahm in Augenſchein, Trug ins Notizbuch ich nicht ein: Am fröhlich-feuchten Aquarium Iſt nichts beſonderes d’ran und drum; Auf Opcina, in Miramar Iſt alles ſchön und wunderbar, Nur hat das Schildern keinen Sinn — Am beſten, man fährt ſelber hin. Das gilt von Anderem desgleichen, Drum will den Schluß ich lieber ſtreichen. Ich ſtieß (es war ſchon ziemlich ſpät) Zum Abendhimmel ein Gebet. Auf daß nur ſicher der Ozean Trüg nach Italien mich im Kahn, Was ohne Sankt Ulrich gut gelang — Vergleiche den folgenden Geſang! (Wird fortgeſetzt mit neuen Lettern In einem von den nächſten Blättern.) Altes Arzneibuch. Unter dem Titel: „Vogel-, Tier-, und Fiſch- buch“ kam im Jahre 1536 in Baſel ein Arzneibuch heraus, welches der Verfaſſer ſeinen Mitmenſchen als „fürnehmſten Hausſchatz“ empfahl. Dieſes Buch dürfte wohl eines der älteſten Werke auf dem Gebiete der Heilkunde ſein. In dem- ſelben wird ausführlich geſchrieben, welche Tiere dem Menſchen in ärztlicher Hinſicht dienlich ſein können; in manchen Fällen ſind es ganze Tiere, in anderen wieder nur Teile derſelben. Der betreffende — nicht genannte — Verfaſſer des Buches ſchien von dem Grundſatze ausgegangen zu ſein, daß, wenn nicht ſchon alle Tiere, ſo doch die meiſten heilwirkende Kräfte für den Menſchen beſitzen. Wie aus dem Buche hervorgeht, durfte man ſich nicht damit begnügen, ein Tier einfach zu töten, um ihm das betreffende Arzneimittel zu nehmen, ſondern es mußte, damit das Mittel auch wirkſam ſei, oft auf entſetzliche Weiſe geqält werden. So mußte die Elſter lebendig zerſchnitten werden, worauf die einzelnen Teile den kranken Menſchen- gliedern aufgelegt wurden. Aehnliches paſſierte den Schwalben. Auf lebende Fledermäuſe wurde ſiedendes Pech geſchüttet, Raben wurden lebendig in Pferde- dünger eingegraben, junge Störche in einem Topfe zu Pulver verbrannt, Füchſe gekocht. Geiern zog man die Haut ab und erſäufte ſie in Wein. Sogar das geraſpelte Horn des fabelhaften Einhorns wurde gegen giftige Speiſen und Schlangenbiß empfohlen. Man verwendete den Geifer des Pferdes und Maul-

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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 47, Baden (Niederösterreich), 10.06.1908, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener047_1908/2>, abgerufen am 29.04.2024.