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N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386.

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den praktischen Zuständen der Stadt zu treten, als die reichen Engländer nebst
Künstlern und Dilettanten, die in Dresden nur die Localität benutzen, im übrigen
ihre Comforts oder ihre Ideale außerhalb der deutschen "Spießbürgerpolitik" ha¬
ben. Leipzig ist die eigentlich demokratische Stadt, es gibt keinen Adel, und man
macht nur Unterschied zwischen großen und kleinen Buchhändlern, zu welchen
letzteren man denn auch die fremden Zugvögel rechnet, die sich nicht eben goldner
Federn erfreuen. Was also das Wesen der sächsischen Politik ausmacht, drängt
sich in Leipzig zusammen.

Schon die alten Traditionen bedingen eine Abneigung Sachsens gegen Preu¬
ßen. Im siebenjährigen Krieg wurde Sachsen von den Soldaten des alten Fritz
maltraitirt, nach dem Befreiungskriege ward ein Theil Sachsens zu Preußen ge¬
schlagen. "Man hat uns die besten Provinzen geraubt," sagt noch heute der
Leipziger Philister, als ob Halle und Merseburg ihnen Zins getragen hätten.

Diese Abneigung hatte in neuerer Zeit einen bessern Grund. Sachsen hatte sich
eine vernünftige Verfassung errungen, während Preußen die absolute Regierungsform
beibehielt. Aber es konnte zu einer freien Ausübung derselben nicht kommen, so
lange das Gespenst des Bundestages sich zwischen das Volk und seine Herrscher
drängte. Aufgeklärt ist der Sachse, vor einem Gespenst, vor einer Vogelscheuche
hätte er sich nicht lange gefürchtet, aber hinter dieser Vogelscheuche stand die derbe
Realität der preußischen Bajonette. Wenn man ein freisinniges Institut durch
die bloße Formel: der Bundestag verbietet es! hätte hintertreiben wollen, so wäre
ein solches Verbot auf die Dauer nicht stichhaltig gewesen. So aber hieß es in
den äußersten Fällen immer: die Preußen kommen! und man knirschte gegen die
Uebermacht einer despotischen Regierung, welche die liebenswürdigen Polen ge¬
knechtet, sich mit den russischen Barbaren verbündet und dem Königreich die schönsten
Provinzen entzogen hatte. Tauchte trotz der Censur ein liberales Blatt in Leipzig
auf, so wurde es früher oder später in Preußen verboten, da doch in Preußen
der beste Absatz buchhändlerischer Speculationen war.

Gegen Oestreich war man weniger aufgebracht, theils weil es zu fern lag,
theils weil die Oestreicher persönlich weniger arrogant auftraten. Man sah einer-
seits ans die Preußen herab, denn man fühlte sich liberaler, aufgeklärter, höflicher,
humaner; dann aber konnte man nicht recht concurirren, es war trotz aller Despotie
selbst das politische Leben in einem großen Staat mannigfaltiger, großstädtischer,
man mußte es doch beneiden.

Zudem stimmt das sächsische Naturel schlecht zu dem preußischen -- ich will
lieber sagen, zu dem Berliner. In Sachsen ist Alles Anstand, Würde, Pathos,
Bedächtigkeit, -- von Gellert bis auf die Abendzeitung ist das auch der Charakter
seiner Literatur; -- der Berliner ist immer excentrisch, bald lästert er Gott und
die Welt, bald schwärmt er für Jenny Lind und küßt die in Wachs poussirten
Hände des großen Claviervirtuosen. Wo der Sachse recht gründlich seiner lang-

den praktischen Zuständen der Stadt zu treten, als die reichen Engländer nebst
Künstlern und Dilettanten, die in Dresden nur die Localität benutzen, im übrigen
ihre Comforts oder ihre Ideale außerhalb der deutschen „Spießbürgerpolitik“ ha¬
ben. Leipzig ist die eigentlich demokratische Stadt, es gibt keinen Adel, und man
macht nur Unterschied zwischen großen und kleinen Buchhändlern, zu welchen
letzteren man denn auch die fremden Zugvögel rechnet, die sich nicht eben goldner
Federn erfreuen. Was also das Wesen der sächsischen Politik ausmacht, drängt
sich in Leipzig zusammen.

Schon die alten Traditionen bedingen eine Abneigung Sachsens gegen Preu¬
ßen. Im siebenjährigen Krieg wurde Sachsen von den Soldaten des alten Fritz
maltraitirt, nach dem Befreiungskriege ward ein Theil Sachsens zu Preußen ge¬
schlagen. „Man hat uns die besten Provinzen geraubt,“ sagt noch heute der
Leipziger Philister, als ob Halle und Merseburg ihnen Zins getragen hätten.

Diese Abneigung hatte in neuerer Zeit einen bessern Grund. Sachsen hatte sich
eine vernünftige Verfassung errungen, während Preußen die absolute Regierungsform
beibehielt. Aber es konnte zu einer freien Ausübung derselben nicht kommen, so
lange das Gespenst des Bundestages sich zwischen das Volk und seine Herrscher
drängte. Aufgeklärt ist der Sachse, vor einem Gespenst, vor einer Vogelscheuche
hätte er sich nicht lange gefürchtet, aber hinter dieser Vogelscheuche stand die derbe
Realität der preußischen Bajonette. Wenn man ein freisinniges Institut durch
die bloße Formel: der Bundestag verbietet es! hätte hintertreiben wollen, so wäre
ein solches Verbot auf die Dauer nicht stichhaltig gewesen. So aber hieß es in
den äußersten Fällen immer: die Preußen kommen! und man knirschte gegen die
Uebermacht einer despotischen Regierung, welche die liebenswürdigen Polen ge¬
knechtet, sich mit den russischen Barbaren verbündet und dem Königreich die schönsten
Provinzen entzogen hatte. Tauchte trotz der Censur ein liberales Blatt in Leipzig
auf, so wurde es früher oder später in Preußen verboten, da doch in Preußen
der beste Absatz buchhändlerischer Speculationen war.

Gegen Oestreich war man weniger aufgebracht, theils weil es zu fern lag,
theils weil die Oestreicher persönlich weniger arrogant auftraten. Man sah einer-
seits ans die Preußen herab, denn man fühlte sich liberaler, aufgeklärter, höflicher,
humaner; dann aber konnte man nicht recht concurirren, es war trotz aller Despotie
selbst das politische Leben in einem großen Staat mannigfaltiger, großstädtischer,
man mußte es doch beneiden.

Zudem stimmt das sächsische Naturel schlecht zu dem preußischen — ich will
lieber sagen, zu dem Berliner. In Sachsen ist Alles Anstand, Würde, Pathos,
Bedächtigkeit, — von Gellert bis auf die Abendzeitung ist das auch der Charakter
seiner Literatur; — der Berliner ist immer excentrisch, bald lästert er Gott und
die Welt, bald schwärmt er für Jenny Lind und küßt die in Wachs poussirten
Hände des großen Claviervirtuosen. Wo der Sachse recht gründlich seiner lang-

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[369/0004] den praktischen Zuständen der Stadt zu treten, als die reichen Engländer nebst Künstlern und Dilettanten, die in Dresden nur die Localität benutzen, im übrigen ihre Comforts oder ihre Ideale außerhalb der deutschen „Spießbürgerpolitik“ ha¬ ben. Leipzig ist die eigentlich demokratische Stadt, es gibt keinen Adel, und man macht nur Unterschied zwischen großen und kleinen Buchhändlern, zu welchen letzteren man denn auch die fremden Zugvögel rechnet, die sich nicht eben goldner Federn erfreuen. Was also das Wesen der sächsischen Politik ausmacht, drängt sich in Leipzig zusammen. Schon die alten Traditionen bedingen eine Abneigung Sachsens gegen Preu¬ ßen. Im siebenjährigen Krieg wurde Sachsen von den Soldaten des alten Fritz maltraitirt, nach dem Befreiungskriege ward ein Theil Sachsens zu Preußen ge¬ schlagen. „Man hat uns die besten Provinzen geraubt,“ sagt noch heute der Leipziger Philister, als ob Halle und Merseburg ihnen Zins getragen hätten. Diese Abneigung hatte in neuerer Zeit einen bessern Grund. Sachsen hatte sich eine vernünftige Verfassung errungen, während Preußen die absolute Regierungsform beibehielt. Aber es konnte zu einer freien Ausübung derselben nicht kommen, so lange das Gespenst des Bundestages sich zwischen das Volk und seine Herrscher drängte. Aufgeklärt ist der Sachse, vor einem Gespenst, vor einer Vogelscheuche hätte er sich nicht lange gefürchtet, aber hinter dieser Vogelscheuche stand die derbe Realität der preußischen Bajonette. Wenn man ein freisinniges Institut durch die bloße Formel: der Bundestag verbietet es! hätte hintertreiben wollen, so wäre ein solches Verbot auf die Dauer nicht stichhaltig gewesen. So aber hieß es in den äußersten Fällen immer: die Preußen kommen! und man knirschte gegen die Uebermacht einer despotischen Regierung, welche die liebenswürdigen Polen ge¬ knechtet, sich mit den russischen Barbaren verbündet und dem Königreich die schönsten Provinzen entzogen hatte. Tauchte trotz der Censur ein liberales Blatt in Leipzig auf, so wurde es früher oder später in Preußen verboten, da doch in Preußen der beste Absatz buchhändlerischer Speculationen war. Gegen Oestreich war man weniger aufgebracht, theils weil es zu fern lag, theils weil die Oestreicher persönlich weniger arrogant auftraten. Man sah einer- seits ans die Preußen herab, denn man fühlte sich liberaler, aufgeklärter, höflicher, humaner; dann aber konnte man nicht recht concurirren, es war trotz aller Despotie selbst das politische Leben in einem großen Staat mannigfaltiger, großstädtischer, man mußte es doch beneiden. Zudem stimmt das sächsische Naturel schlecht zu dem preußischen — ich will lieber sagen, zu dem Berliner. In Sachsen ist Alles Anstand, Würde, Pathos, Bedächtigkeit, — von Gellert bis auf die Abendzeitung ist das auch der Charakter seiner Literatur; — der Berliner ist immer excentrisch, bald lästert er Gott und die Welt, bald schwärmt er für Jenny Lind und küßt die in Wachs poussirten Hände des großen Claviervirtuosen. Wo der Sachse recht gründlich seiner lang-

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386, hier S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere01_1848/4>, abgerufen am 28.03.2024.