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N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386.

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denen man sie erschöpfte, desto achtungswerther der Mann. Und Niemand konnte
mit Blum an Strenge gegen Censur und Knute, an Länge der Perioden und
an Reichthum der Blumen und Figuren wetteifern, Niemand declamirte mit reinerem
Pathos, was Jeder wußte. Und dazu der leidende Zug in dem vollen Gesicht:
seht, Mitbürger, so gut bin ich, und so wenig versteht mich meine Zeit! Ei, da
wurden ja sämmtliche Freunde und Glaubensgenossen zum Range der Unbegriffnen
erhoben, denn sie dachten und fühlten ja alle dasselbe, was ihr Vorredner ihnen
auseinandersetzte! Sie kamen sich gewissermaßen aristokratisch vor, und konnten
zugleich über die Wohlfeilheit des Preises staunen, um den sie diese Stellung
gewonnen!

Als dem Volksmann ein Söhnlein geboren ward, verhieß er in den öffent¬
lichen Blättern, dasselbe solle ein echter Deutscher, ein tüchtiger Sohn des Vater¬
landes werden. So wurde, wie sich geziemt, auch das Privatleben des Patrioten
eine beständige Aufopferung für seine Mitbürger.

Die Beredsamkeit Robert Blum's erhielt ihre rechte Weihe erst bei den Schil¬
lerfesten. Diese Feste hatten für Leipzig zugleich eine demokratische und eine locale
Bedeutung. Der letzte Umstand ist nicht unwichtig; denn der Leipziger hat ein
großes Mißtrauen gegen alle Fremden, und Schiller wurde ihm dadurch wesentlich
legitimirt, daß er sich einige Monate in Gohlis aufgehalten und daselbst sein Lied
an die Freude gedichtet hat, wie eine allen Augen sichtbare Inschrift es bezeugt.
Damals war es von Seiten der tugendhaften Deutschen Sitte geworden, Schiller,
den Dichter der Demokratie, dem Minister Herrn von Goethe entgegenzusetzen;
zugleich wurde damit Leipzigs Aristokraten, den großen Buchhändlern und ihren
Sympathien für die stofflose Kunst eines Goethe und Mendelssohn, ein Tort an¬
gethan. Blum hielt damals am ersten Schillerfest jene berühmte Rede, die er
darauf Jahr aus Jahr ein mit geringen Variationen wiederholt hat: Schiller ein
Dichter der Jugend, Jugend ist Freiheit, das Fest im Frühling, wo die Blumen
blühen, die Kinder der Freiheit etc. Schiller hat in seinen Räubern und in Fiesco
für die Republik geschwärmt, in Kabale und Liebe den reactionären Ministern eins
auf den Zopf gegeben, als Marquis Posa den Despoten die Wahrheit gesagt,
im Tell auf einen Landvogt geschossen u. s. w., man kennt das aus Menzel und
Börne. Die Hauptsache ist dieses Pathos, dem sich Schiller ohne Rücksicht über¬
läßt, und das ihn stets populärer machen wird, als jene Dichter, die auch in
der Leidenschaft die Objectivität nicht verlieren. Man bewunderte in diesen Reden
nicht nur die Reinheit der Periode -- niemals fällt Blum aus der Construction,
nie macht er Sprünge, -- nicht nur die Masse der Bilder, die sich freilich meist
in den populären Kreisen der Blumen, Sterne, des Feuers, der Luft u. s. w.
bewegten, -- sondern auch die mächtige Fülle des Brustkastens, die den langsamen,
feierlichen Vortrag, der gegen zwei Stunden währte, einem Publicum vernehmlich
machte, das sich in der letzten Zeit bis ans 20,000 steigerte. Gemüthliche Kinder-

denen man sie erschöpfte, desto achtungswerther der Mann. Und Niemand konnte
mit Blum an Strenge gegen Censur und Knute, an Länge der Perioden und
an Reichthum der Blumen und Figuren wetteifern, Niemand declamirte mit reinerem
Pathos, was Jeder wußte. Und dazu der leidende Zug in dem vollen Gesicht:
seht, Mitbürger, so gut bin ich, und so wenig versteht mich meine Zeit! Ei, da
wurden ja sämmtliche Freunde und Glaubensgenossen zum Range der Unbegriffnen
erhoben, denn sie dachten und fühlten ja alle dasselbe, was ihr Vorredner ihnen
auseinandersetzte! Sie kamen sich gewissermaßen aristokratisch vor, und konnten
zugleich über die Wohlfeilheit des Preises staunen, um den sie diese Stellung
gewonnen!

Als dem Volksmann ein Söhnlein geboren ward, verhieß er in den öffent¬
lichen Blättern, dasselbe solle ein echter Deutscher, ein tüchtiger Sohn des Vater¬
landes werden. So wurde, wie sich geziemt, auch das Privatleben des Patrioten
eine beständige Aufopferung für seine Mitbürger.

Die Beredsamkeit Robert Blum's erhielt ihre rechte Weihe erst bei den Schil¬
lerfesten. Diese Feste hatten für Leipzig zugleich eine demokratische und eine locale
Bedeutung. Der letzte Umstand ist nicht unwichtig; denn der Leipziger hat ein
großes Mißtrauen gegen alle Fremden, und Schiller wurde ihm dadurch wesentlich
legitimirt, daß er sich einige Monate in Gohlis aufgehalten und daselbst sein Lied
an die Freude gedichtet hat, wie eine allen Augen sichtbare Inschrift es bezeugt.
Damals war es von Seiten der tugendhaften Deutschen Sitte geworden, Schiller,
den Dichter der Demokratie, dem Minister Herrn von Goethe entgegenzusetzen;
zugleich wurde damit Leipzigs Aristokraten, den großen Buchhändlern und ihren
Sympathien für die stofflose Kunst eines Goethe und Mendelssohn, ein Tort an¬
gethan. Blum hielt damals am ersten Schillerfest jene berühmte Rede, die er
darauf Jahr aus Jahr ein mit geringen Variationen wiederholt hat: Schiller ein
Dichter der Jugend, Jugend ist Freiheit, das Fest im Frühling, wo die Blumen
blühen, die Kinder der Freiheit ꝛc. Schiller hat in seinen Räubern und in Fiesco
für die Republik geschwärmt, in Kabale und Liebe den reactionären Ministern eins
auf den Zopf gegeben, als Marquis Posa den Despoten die Wahrheit gesagt,
im Tell auf einen Landvogt geschossen u. s. w., man kennt das aus Menzel und
Börne. Die Hauptsache ist dieses Pathos, dem sich Schiller ohne Rücksicht über¬
läßt, und das ihn stets populärer machen wird, als jene Dichter, die auch in
der Leidenschaft die Objectivität nicht verlieren. Man bewunderte in diesen Reden
nicht nur die Reinheit der Periode — niemals fällt Blum aus der Construction,
nie macht er Sprünge, — nicht nur die Masse der Bilder, die sich freilich meist
in den populären Kreisen der Blumen, Sterne, des Feuers, der Luft u. s. w.
bewegten, — sondern auch die mächtige Fülle des Brustkastens, die den langsamen,
feierlichen Vortrag, der gegen zwei Stunden währte, einem Publicum vernehmlich
machte, das sich in der letzten Zeit bis ans 20,000 steigerte. Gemüthliche Kinder-

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[371/0006] denen man sie erschöpfte, desto achtungswerther der Mann. Und Niemand konnte mit Blum an Strenge gegen Censur und Knute, an Länge der Perioden und an Reichthum der Blumen und Figuren wetteifern, Niemand declamirte mit reinerem Pathos, was Jeder wußte. Und dazu der leidende Zug in dem vollen Gesicht: seht, Mitbürger, so gut bin ich, und so wenig versteht mich meine Zeit! Ei, da wurden ja sämmtliche Freunde und Glaubensgenossen zum Range der Unbegriffnen erhoben, denn sie dachten und fühlten ja alle dasselbe, was ihr Vorredner ihnen auseinandersetzte! Sie kamen sich gewissermaßen aristokratisch vor, und konnten zugleich über die Wohlfeilheit des Preises staunen, um den sie diese Stellung gewonnen! Als dem Volksmann ein Söhnlein geboren ward, verhieß er in den öffent¬ lichen Blättern, dasselbe solle ein echter Deutscher, ein tüchtiger Sohn des Vater¬ landes werden. So wurde, wie sich geziemt, auch das Privatleben des Patrioten eine beständige Aufopferung für seine Mitbürger. Die Beredsamkeit Robert Blum's erhielt ihre rechte Weihe erst bei den Schil¬ lerfesten. Diese Feste hatten für Leipzig zugleich eine demokratische und eine locale Bedeutung. Der letzte Umstand ist nicht unwichtig; denn der Leipziger hat ein großes Mißtrauen gegen alle Fremden, und Schiller wurde ihm dadurch wesentlich legitimirt, daß er sich einige Monate in Gohlis aufgehalten und daselbst sein Lied an die Freude gedichtet hat, wie eine allen Augen sichtbare Inschrift es bezeugt. Damals war es von Seiten der tugendhaften Deutschen Sitte geworden, Schiller, den Dichter der Demokratie, dem Minister Herrn von Goethe entgegenzusetzen; zugleich wurde damit Leipzigs Aristokraten, den großen Buchhändlern und ihren Sympathien für die stofflose Kunst eines Goethe und Mendelssohn, ein Tort an¬ gethan. Blum hielt damals am ersten Schillerfest jene berühmte Rede, die er darauf Jahr aus Jahr ein mit geringen Variationen wiederholt hat: Schiller ein Dichter der Jugend, Jugend ist Freiheit, das Fest im Frühling, wo die Blumen blühen, die Kinder der Freiheit ꝛc. Schiller hat in seinen Räubern und in Fiesco für die Republik geschwärmt, in Kabale und Liebe den reactionären Ministern eins auf den Zopf gegeben, als Marquis Posa den Despoten die Wahrheit gesagt, im Tell auf einen Landvogt geschossen u. s. w., man kennt das aus Menzel und Börne. Die Hauptsache ist dieses Pathos, dem sich Schiller ohne Rücksicht über¬ läßt, und das ihn stets populärer machen wird, als jene Dichter, die auch in der Leidenschaft die Objectivität nicht verlieren. Man bewunderte in diesen Reden nicht nur die Reinheit der Periode — niemals fällt Blum aus der Construction, nie macht er Sprünge, — nicht nur die Masse der Bilder, die sich freilich meist in den populären Kreisen der Blumen, Sterne, des Feuers, der Luft u. s. w. bewegten, — sondern auch die mächtige Fülle des Brustkastens, die den langsamen, feierlichen Vortrag, der gegen zwei Stunden währte, einem Publicum vernehmlich machte, das sich in der letzten Zeit bis ans 20,000 steigerte. Gemüthliche Kinder-

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Bremen : Staats- und Universitätsbibliothek: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-05-24T15:31:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Elena Kirillova, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-05-24T15:31:47Z)

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386, hier S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere01_1848/6>, abgerufen am 25.04.2024.