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Tübinger Chronik. Nr. 91. [Tübingen (Württemberg)], 30. Juli 1845.

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woch u. Freitag u. kostet hier
und durch Boten bezogen mo-
natlich 9 kr. Durch die Post
bezogen halbjährlich 1 fl. Ein-
rückungsgebühr f. 1 Linie aus
gewöhnlicher Schrift 1 kr. Für
Tübingen u. Umgegend abon-
nirt man bei d. Redaction in d.
langen Gasse nächst d. Stifts-
kirche, wo auch Ankündigun-
gen und Aufsätze aller Art
abgegeben werden können.

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Tübinger [Abbildung] Chronik.
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Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. -- -- am
Neckarsthor u. bei Hrn --

-- in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 91. Mittwoch den 30. Juli. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Louise Dalmar.
Fortsetzung.

Louise hatte mit einem Blicke gesehen, daß der
Mann, dessen Namen sie eben im Begriff war aus-
zusprechen, derselbe sei, den ihr Mann seinen Ret-
ter nannte, Louise begriff nur zu gut, daß es durch-
aus nöthig sei, jedes persönliche Gefühl zurückzu-
halten, zu tödten und dem Gatten das einzige Brett
zu erhalten, welches ihn aus dem Schiffbruche ret-
ten konnte.

Und Louise schloß die Augen, um nicht die
äußeren Gegenstände zu sehen, welche sie umringten;
sie sammelte sich im Tiefsten ihrer Seele, um dort
einen Akt der Hingebung, der reinsten Zuneigung
für ihren Gatten zu erneuen, um ihm die Möglich-
keit zu lassen, ohne zu erröthen die Hand annehmen
zu dürfen, welche ihm zu seiner Rettung gereicht
wurde.

Der Bankier, der noch immer mit seiner Freude
über die An
Louisen und sagte:

- Erlauben Sie mir, lieber Graf, Jhnen meine
Frau vorzustellen. Ja ja, meine Frau, das scheint
Jhnen seltsam? Sie, die so jung und schön ist, an
der Seite eines Gatten, der ihr Vater seyn könnte.
Aber das thut nichts, wir sind darum doch glücklich.

Der Graf verneigte sich ehrfurchtsvoll und in-
dem Louise seinen Gruß erwiderte, ließ sie einen so
reinen, so edlen Blick über ihn hingleiten, daß er
ein Herz von Stein gehabt haben müßte, wenn er
nicht ihre neue Stellung hätte achten und ihr jede
Erinnerung an ihr früheres Verhältniß hätte erspa-
ren wollen.

- Meine Louise, fügte der Bankier hinzu, er
kommt um uns zu retten.

Louise versuchte zu sprechen, aber sie vermochte
kein Wort hervorzubringen. Um dies zu verbergen,
ging sie schnell auf ihren Mann zu und indem sie
sich an seine Brust warf, wandte sie sich zum Gra-
fen um und sagte leise:

- Jch danke Jhnen!

- Still, still, Louise, fuhr Hr. Granville fort,
keine schmerzliche Bewegung mehr; es ist ja Alles
zum Guten gewendet. Es ist ja nur eine Anleihe,
die ich machen mußte, um mich zu retten; aber ich
werde sie bald zurückgeben. Weine nicht, mein
Kind, das steckt an, und wir sind unserm Wohl-
[Spaltenumbruch] thäter etwas Anderes schuldig. Wir müssen seine
Güte wenigstens dadurch belohnen, daß wir ihm
zeigen, wie gut es ihm gelungen ist, unser Glück
wieder herzustellen.

Nach diesen Worten zog der Bankier den Gra-
fen Mirmont in sein Cabinet, um dort vor Allem
ihr Geschäft in Ordnung zu bringen.

Louise blieb allein, verwirrt, unruhig, bewegt,
ohne einen bestimmten Gedanken, mit dem Willen
glücklich zu seyn, ohne es doch mehr zu können,
mit dem Wunsch zu weinen, ohne es zu wagen.
Eine Stunde hatte ihr ganzes Leben vernichtet! -
Als es ihr endlich gelang, ihre Gedanken zu sam-
meln, freute sie sich einen Augenblick darüber, daß
der Mann, den sie geliebt hatte, nicht allein schlecht
und treulos, sondern auch edelmüthig, dankbar zu
seyn vermochte. Aber diese Freude verschwand bald
vor einem dunklen drückenden Gefühl, das sie zu
verscheuchen suchte. Vergebens wiederholte sie sich,
daß ihr Mann gerettet, daß nichts in ihrer Zukunft
geändert sei, daß sie lachend und ruhig wie früher
vor ihr liege; sie war dennoch traurig und ihr Haupt
sank nachdenkend auf die Brust zurück. Gedanken,
welche sie lange aus ihrer Brust verbannt hatte,
kehrten in beängstigender Masse dahin zurück. Die
Träume von Freiheit, Jugend und Liebe, welche sie
einst träumte, zogen gleich Nebelbildern wieder an
ihrer Seele vorüber.

- Wenn er nie aufgehört hätte mich zu lieben!
flüsterte sie leise.

Sie schauderte, - es schien ihr ein Verbrechen,
daß diese Worte über ihre Lippen gegangen waren
und sie fiel von Neuem in ihr Nachdenken zurück,
indem sie die Hand gegen das Herz drückte, als
wollte sie seine Schläge zurückdrängen. Jhr Leben
war mit Hülfe der Vorsehung besser geworden, als
sie geglaubt hatte. Herr von Mirmont hatte sie ge-
täuscht und verrathen; etwas früher oder später er-
lischt die Liebe eines jungen Herzens und überläßt
das Weib, dessen Liebe nie aufhört, einem ewigen
Elend. Keine Leidenschaft, wenn sie zu heftig ist,
dauert lange, das hatte man ihr oft gesagt, und sie
sah leider zu spät ein, daß man Recht hatte.
Man konnte also nur auf Ruhe und Glück hoffen,
wenn man sich die Leidenschaften fern hielt, und
dann war ihr jetziges Leben vielleicht das glücklichste,
das sie sich wünschen konnte. Sie lächelte, indem
sie an ihren ehrwürdigen alten Gemahl dachte, und
es wurde ruhiger in diesem jungen Herzen, das
schon so viel gelitten hatte.

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Tübinger [Abbildung] Chronik.
[Spaltenumbruch]

Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. -- -- am
Neckarsthor u. bei Hrn --

-- in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 91. Mittwoch den 30. Juli. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Louise Dalmar.
Fortsetzung.

Louise hatte mit einem Blicke gesehen, daß der
Mann, dessen Namen sie eben im Begriff war aus-
zusprechen, derselbe sei, den ihr Mann seinen Ret-
ter nannte, Louise begriff nur zu gut, daß es durch-
aus nöthig sei, jedes persönliche Gefühl zurückzu-
halten, zu tödten und dem Gatten das einzige Brett
zu erhalten, welches ihn aus dem Schiffbruche ret-
ten konnte.

Und Louise schloß die Augen, um nicht die
äußeren Gegenstände zu sehen, welche sie umringten;
sie sammelte sich im Tiefsten ihrer Seele, um dort
einen Akt der Hingebung, der reinsten Zuneigung
für ihren Gatten zu erneuen, um ihm die Möglich-
keit zu lassen, ohne zu erröthen die Hand annehmen
zu dürfen, welche ihm zu seiner Rettung gereicht
wurde.

Der Bankier, der noch immer mit seiner Freude
über die An
Louisen und sagte:

– Erlauben Sie mir, lieber Graf, Jhnen meine
Frau vorzustellen. Ja ja, meine Frau, das scheint
Jhnen seltsam? Sie, die so jung und schön ist, an
der Seite eines Gatten, der ihr Vater seyn könnte.
Aber das thut nichts, wir sind darum doch glücklich.

Der Graf verneigte sich ehrfurchtsvoll und in-
dem Louise seinen Gruß erwiderte, ließ sie einen so
reinen, so edlen Blick über ihn hingleiten, daß er
ein Herz von Stein gehabt haben müßte, wenn er
nicht ihre neue Stellung hätte achten und ihr jede
Erinnerung an ihr früheres Verhältniß hätte erspa-
ren wollen.

– Meine Louise, fügte der Bankier hinzu, er
kommt um uns zu retten.

Louise versuchte zu sprechen, aber sie vermochte
kein Wort hervorzubringen. Um dies zu verbergen,
ging sie schnell auf ihren Mann zu und indem sie
sich an seine Brust warf, wandte sie sich zum Gra-
fen um und sagte leise:

– Jch danke Jhnen!

– Still, still, Louise, fuhr Hr. Granville fort,
keine schmerzliche Bewegung mehr; es ist ja Alles
zum Guten gewendet. Es ist ja nur eine Anleihe,
die ich machen mußte, um mich zu retten; aber ich
werde sie bald zurückgeben. Weine nicht, mein
Kind, das steckt an, und wir sind unserm Wohl-
[Spaltenumbruch] thäter etwas Anderes schuldig. Wir müssen seine
Güte wenigstens dadurch belohnen, daß wir ihm
zeigen, wie gut es ihm gelungen ist, unser Glück
wieder herzustellen.

Nach diesen Worten zog der Bankier den Gra-
fen Mirmont in sein Cabinet, um dort vor Allem
ihr Geschäft in Ordnung zu bringen.

Louise blieb allein, verwirrt, unruhig, bewegt,
ohne einen bestimmten Gedanken, mit dem Willen
glücklich zu seyn, ohne es doch mehr zu können,
mit dem Wunsch zu weinen, ohne es zu wagen.
Eine Stunde hatte ihr ganzes Leben vernichtet! –
Als es ihr endlich gelang, ihre Gedanken zu sam-
meln, freute sie sich einen Augenblick darüber, daß
der Mann, den sie geliebt hatte, nicht allein schlecht
und treulos, sondern auch edelmüthig, dankbar zu
seyn vermochte. Aber diese Freude verschwand bald
vor einem dunklen drückenden Gefühl, das sie zu
verscheuchen suchte. Vergebens wiederholte sie sich,
daß ihr Mann gerettet, daß nichts in ihrer Zukunft
geändert sei, daß sie lachend und ruhig wie früher
vor ihr liege; sie war dennoch traurig und ihr Haupt
sank nachdenkend auf die Brust zurück. Gedanken,
welche sie lange aus ihrer Brust verbannt hatte,
kehrten in beängstigender Masse dahin zurück. Die
Träume von Freiheit, Jugend und Liebe, welche sie
einst träumte, zogen gleich Nebelbildern wieder an
ihrer Seele vorüber.

– Wenn er nie aufgehört hätte mich zu lieben!
flüsterte sie leise.

Sie schauderte, – es schien ihr ein Verbrechen,
daß diese Worte über ihre Lippen gegangen waren
und sie fiel von Neuem in ihr Nachdenken zurück,
indem sie die Hand gegen das Herz drückte, als
wollte sie seine Schläge zurückdrängen. Jhr Leben
war mit Hülfe der Vorsehung besser geworden, als
sie geglaubt hatte. Herr von Mirmont hatte sie ge-
täuscht und verrathen; etwas früher oder später er-
lischt die Liebe eines jungen Herzens und überläßt
das Weib, dessen Liebe nie aufhört, einem ewigen
Elend. Keine Leidenschaft, wenn sie zu heftig ist,
dauert lange, das hatte man ihr oft gesagt, und sie
sah leider zu spät ein, daß man Recht hatte.
Man konnte also nur auf Ruhe und Glück hoffen,
wenn man sich die Leidenschaften fern hielt, und
dann war ihr jetziges Leben vielleicht das glücklichste,
das sie sich wünschen konnte. Sie lächelte, indem
sie an ihren ehrwürdigen alten Gemahl dachte, und
es wurde ruhiger in diesem jungen Herzen, das
schon so viel gelitten hatte.

[Ende Spaltensatz]
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[[365]/0001] Dieses Blatt erscheint wö- chentl. 3mal, Montag, Mitt- woch u. Freitag u. kostet hier und durch Boten bezogen mo- natlich 9 kr. Durch die Post bezogen halbjährlich 1 fl. Ein- rückungsgebühr f. 1 Linie aus gewöhnlicher Schrift 1 kr. Für Tübingen u. Umgegend abon- nirt man bei d. Redaction in d. langen Gasse nächst d. Stifts- kirche, wo auch Ankündigun- gen und Aufsätze aller Art abgegeben werden können. Tübinger [Abbildung] Chronik. Briefkästen sind aufgestellt: bei Hrn. Messerschmidt Busse nächst d. Rathhaus, bei Hrn. Bürstenfabrikant Klein beim Hirsch, bei Fr. Messrschm_ Wlh_ . Fack in d. neuen Straße bei Hrn. -- -- am Neckarsthor u. bei Hrn -- -- in der Neckarhalde, in welche Ankündigungen aller Art eingelegt werden können. Diese Briefkästen werden je- den Tag geleert. Eine Zeitschrift für Stadt und Land. Nro 91. Mittwoch den 30. Juli. 1845. Louise Dalmar. Fortsetzung. 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Herr von Mirmont hatte sie ge- täuscht und verrathen; etwas früher oder später er- lischt die Liebe eines jungen Herzens und überläßt das Weib, dessen Liebe nie aufhört, einem ewigen Elend. Keine Leidenschaft, wenn sie zu heftig ist, dauert lange, das hatte man ihr oft gesagt, und sie sah leider zu spät ein, daß man Recht hatte. Man konnte also nur auf Ruhe und Glück hoffen, wenn man sich die Leidenschaften fern hielt, und dann war ihr jetziges Leben vielleicht das glücklichste, das sie sich wünschen konnte. Sie lächelte, indem sie an ihren ehrwürdigen alten Gemahl dachte, und es wurde ruhiger in diesem jungen Herzen, das schon so viel gelitten hatte.

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Zitationshilfe: Tübinger Chronik. Nr. 91. [Tübingen (Württemberg)], 30. Juli 1845, S. [365]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_chronik091_1845/1>, abgerufen am 10.10.2024.