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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2329, Czernowitz, 24.10.1911.

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Ringplatz 4, 2. Stock.




Telephon-Nummer 161.




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monatl. K 1·80, vierteljähr. K 5·40
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für Rumänien und den Balkan:
vierteljährig .... 10 Lei.




Telegramme Allgemeine, Czernowitz.


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Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

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Ankündigungen:
Es kostet im gewöhnlichen Inse-
ratenteil 12 h die 6mal gespaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einschaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inserate
nehmen alle in- und ausländischen
Inseratenbureaux sowie die Ad-
ministration entgegen. -- Einzel-
exemplare sind in allen Zeitungs-
verschleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
versitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Administration (Ring-
platz 4, 2. St.) erhältlich. In Wien
im Zeitungsbureau Goldschmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
10 Heller für Czernowitz.

Manuskripte werden in keinem Falle zurück-
gesendet, unfrankierte Briefe nicht an-
genommen.




Nr. 2329. Czernowitz, Dienstag, den 24. Oktober 1911.



[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Vom Tage.

Im Herrenhause wurde eine mehrgliedrige Kommis-
sion zur Beratung der Teuerungsfrage gewählt. -- Heute
begannen in Budapest wieder die Verhandlungen über
die Zulassung von Fleischimporten nach Oesterreich. --
Unter den italienischen Truppen in Tripolis wütet die
Cholera in schreckligcher Weise; seit Beginn des Krieges sind
bereits 260 Todesfälle vorgekommen.

Letzte Telegramme.

Die Verhandlungen in Ungarn zum Zwecke der Her-
beiführung eines Kompromisses zwischen der Opposition
und der Regierung sind gescheitert. -- In der Station
Trzebina hat sich gestern ein schwerer Eisenbahnunfall
ereignet. -- Nach Konstantinopeler Meldungen sollen die
Italiener bei Benghazi eine schwere Niederlage erlitten
haben.




Vierter und letzter Brief.


Hören Sie, an Einkommen gesegneter Herr Doktor
Straucher, wie es kommt, daß ich Sie nach Ihrem poli-
tischen Fall und all den Affären, die Sie zu einem Men-
schen gestempelt haben, dem man nicht mehr von Ange-
sicht zu Angesicht entgegentritt, dennoch -- einer letzten --
Anwort würdige. Hören Sie: Gestern kam ich von einer
Reise, die ich in beruflichen Angelegenheiten nach Wien
unternommen hatte, zurück. Kaum hatte ich mein Re-
daktionsbureau betreten, als mir mein jüngster Mitar-
beiter mit flammender Röte im Gesicht mitteilte, Sie
hätten sich unterfangen -- so drückte sich der junge Mann
aus -- mich in Ihrem Zeitungsblatte persönlich zu be-
schimpfen; ich müsse die entsprechende Antwort erteilen.
Daß Sie, an Revenuen reicher Herr Dr. Straucher, der
Verfasser des Schmähartikels seien, erkenne er an dem
sehr mangelhaften Deutsch, an der geschmacklosen Selbst-
beräucherung, an dem verworrenen Durcheinander der
sogenannten Gedanken und nicht zuletzt an dem beispiel-
los rohen Ton, der nur Ihnen eigen sei! Ich müsse sofort
erwidern. Gemach, mein Freund, meinte ich nun, der Herr
Dr. Straucher ist heute ein Mann, den man höchstens
a tergo dem wohlverdienten Schicksal entgegenstößt, seine
Anfälle sind mir nur eine Quelle stiller Heiterkeit. Im
Uebrigen, fügte ich, zu meinem Mitarbeiter gewandt, hin-
[Spaltenumbruch] zu, können Sie mir am morgigen Sonntag den kurzen
Inhalt des Artikels mitteilen. Sie dürften, vielfach pau-
schalierter Herr Dr. Straucher, nämlich wissen, daß ich
auf Sauberkeit in meinem Hause sehr viel gebe und aus
diesem Grunde Ihr Blatt aus demselben verbannt habe.

Heute ist nun Sonntag. Nach einer arbeitsreichen
Woche gönne ich mir eine Stunde Ruhe, und diese benütze
ich, um Ihnen nach der mir von dem erwähnten Mitar-
beiter erteilten Information in aller Gemütlichkeit einige
Worte zu widmen. An einem Werktage hätte ich jede Mi-
nute für verloren gehalten, die von Ihrer lieblichen Per-
sönlichkeit in Anspruch genommen worden wäre. Zunächst
in möglichster Kürze von mir selbst. Der Zusammenhang
erfordert es leider, daß ich meinem Prinzipe, meine Per-
son nicht in den Vordergrund zu drängen, für einige Au-
genblicke untreu werde. Sie sollen gesagt haben, daß ich
aus öffentlichen Geldern gefüttert werde, daß mir eine
Reihe schändlicher Dinge nachgesagt wurden, ohne daß ich
den Gerichtsweg betreten hätte und daß ich schließlich bei
Empfangnahme fremder Depositengelder und fremder
Wechsel irgend etwas begangen hätte. Sehen Sie, ver-
flossener Alleinherrscher von Czernowitz: da sind Sie
über mich entweder schlecht informiert oder Sie lügen
und verleumden. Das Letztere scheint Ihrem in diesem
Belangen erprobten Charakter mehr zu entsprechen. Es
wird Sie aber für alle Fälle interessieren zu erfahren,
daß ich keinerlei Unterstützungen aus öffentlichen oder
privaten Mitteln empfange und noch mehr wird Sie
freuen, zu hören, daß ich in den zwölf Jahren, die seit
meiner Verehelichung verflossen sind, das mir von meiner
Frau und von nahen Angehörigen derselben zur Verfü-
gung gestellte Vermögen in der Höhe von mehr als zwei-
malhunderttausend Kronen aus dem Auslande in diese
Stadt sukzessive herübergeschafft und in die von Ihnen
so gehaßte "Czernowitzer Allgemeine Zeitung" investiert
habe. Vielleicht wissen Sie auch das Folgende nicht: daß
ich einen großen Teil des Ertrages meiner flott gehenden
Advokaturskanzlei in eben diesem Zeitungsunternehmen
vertan habe und daß ich schließlich -- Gott und meine
Gläubiger seien mir gnädig! -- Darlehen kontrahieren
mußte, die gleichfalls von der "Allgemeinen" verschlungen
wurden, bis sich die Zeitung durchrang und heute sich Ein-
nahmen und Ausgaben zur Not decken. Sie, der Sie sich
im Laufe Ihrer glorreichen politischen Wirksamkeit einen
sehr praktischen Sinn erworben haben, halten solches für
unmöglich. Aber es ist dennoch wahr. Die ganze Stadt weiß
es, und in allen Informationen, die über mich erteilt
werden, können Sie es Schwarz auf Weiß lesen. Ich be-
saß den Ehrgeiz, diesem Lande eine anständige Presse zu
[Spaltenumbruch] verschaffen und opferte diesem Ehrgeiz mein Vermögen
und neun Jahre übermenschlicher Arbeit. Die einzige
Genugtuung, die ich habe, ist, daß ich verhüten konnte,
daß das Land zu Hause und auswärts durch Blätter re-
präsentiert werde, die Sie herausgeben.

Daß ich auf Schmähungen und Verleumdungen, die
in einem bestimmten Falle gegen mich erhoben wurden,
nicht mit der gerichtlichen Klage reagierte, ist richtig. Sie
spekulieren aber auf die Vergeßlichkeit des Publikums,
wenn Sie behaupten, daß ich den Schimpf auf mir sitzen
ließ. Ich erstattete, wie Sie sich, schon mit Rücksicht auf die
traurige Rolle, die gerade Sie in dieser Sache spielten,
wohl erinnern dürften, bei dem Disziplinarrate der Bu-
kowiner Advokatenkammer gegen mich die Selbstanzeige
und bat um die strengste und umständlichste Untersuchung.
Die Bitte wurde mir gewährt. Sollten Sie am Ende ver-
gessen haben, was das Resultat dieser Untersuchung war?
Ich will Ihrem schwachen Gedächtnisse zu Hilfe kommen.
Drei Jahre lang wurde die Untersuchung geführt. Es
wurden unzählige Personen, die etwas wissen konnten,
im Requisitionswege gerichtlich unter Eid vernommen.
Denken Sie sich, was die allermeisten Zeugen aussagten!
Sie sagten, Sie selbst wüßten in der Sache nichts mitzuteilen
aber der Herr Dr. Straucher habe ihnen gesagt, ich
hätte das und jenes begangen. Dann wurden Sie selbst
vernommen. Lesen Sie doch heute nach sieben oder acht
Jahren Ihr diesbezügliches Protokoll! Wenn Sie noch
einen letzten Rest von Schamgefühl haben, müssen Sie
selbst entsetzt sein über die Unsumme von feiger Dreherei
und süßlichem Nichtwissen und Nichterinnern, das Sie
da zum Besten gaben. Ich hatte meine Satisfaktion, ich
wurde von meinen Kollegen, die mir strenge, aber gerechte
Richter waren, einstimmig freigesprochen und konnte auf
eine gerichtliche Genugtuung umso eher verzichten, als ich
zu meiner Freude wahrnahm, daß meine gesellschaftliche
und soziale Position von Tag zu Tag wuchs und daß ihr
alle Ihre verleumderischen Ueberfälle nichts anhaben
konnten. Sie selbst, den expensenstarken Herrn Dr. Strau-
cher, forderte ich allerdings eines Tages vor die Schranken
des Gerichtes, als Sie einmal Ihre gewohnte Vorsicht zu
Hause ließen und behaupteten, ich stünde im Solde der
Bojaren. Was taten Sie, tapferer Herr? Sie leugneten
vorerst, dann überreichten Sie einen ellenlangen Schrift-
satz, der einen Wahrheitsbeweis beinhalten sollte und --
o weh! -- bei nächster Verhandlung beriefen Sie sich auf
Ihre Immunität. Eine Fehlentscheidung der unteren In-
stanzen sprach Ihnen die Immunität zu, nud ehe ich noch
die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes über-
reichen konnte, war der Bukowiner Landtag einberufen




[Spaltenumbruch]
Das rote Signal.

35] (Nachdruck verboten.)

Isa sah durch das Fenster auf die Felder hinaus, die
vorüberflogen. Der Zug rollte über die Mainbrücke. Maje-
stätisch wogte unter ihnen der breite Strom. Die hohen,
vielzackigen und spitzigen Türme des Domes ragten in den
dämmernden Abendnebel.

Sie schwieg. Doch in ihren Augen war ein Flim-
mern. Der Horizont weitete sich und unendliche Fernen
dehnten sich vor ihrem Blick.

-- Nur ihrer Familie? --

Ach, in diesem Augenblick fühlte sie, daß sie sich nur
ungeschickt ausgedrückt hatte, vielleicht konventionell; daß
er ihr, ihr allein unentbehrlich geworden war; mehr als
das, daß sie sich das Leben ohne ihn nicht mehr denken
konnte. Daß sie ihr eigenes Leben, alles, was sie umgab,
was sie bewegte, im Guten wie im Schlimmen, nur in sei-
nem Sinn erlebte und fühlte.

Doch eher wäre die zinnoberrote Scheibe, die, von
blaugrauen Untiefen umgeben, ostwärts wieder aufgestie-
gen, statt westwärts hinter fahlen Hügelzügen zu ver-
sinken, als daß Isa nur mit einer Geste oder Gebärde das
ausgedrückt hätte, was sie bewegte.

Um das drückende Schweigen, das zwischen ihnen
herrschte, zu beenden, knüpfte sie das unterbrochene Ge-
spräch übr Gabriele wieder an.

"Was meinten Sie vorhin über Balder Ohmen?"

"Daß das Glück Fräulein Gabrieles eigentlich nur
in ihr selbst begründet ist. Sie ist eine jener starken Na-
turen, die aus sich selber schaffen. Gewiß sind sie nicht
unabhängig von äußeren Erscheinungen und Katastrophen.
Doch glaube ich, daß selbst, wenn Balder Ohmens Liebe
eine Etappe der Enttäuschung auf ihrem Lebenswege be-
deuten sollte, ihr Charakter daran nicht zerschellen würde."

Isa wandte ihm ihr Antlitz mit einem verstörten
Ausdruck zu.


[Spaltenumbruch]

"Das soll doch immerhin heißen, daß Sie an keine
glückliche Zukunft Gabys glauben!"

Er schwieg.

Der Zug rollte in die Bahnhofshalle.

Das Hasten und Jagen der Reisenden, das Schreien
der Gepäckträger, das Fauchen der Maschine und das
Stampfen der Waggons enthob ihn der Antwort.

"Ich werde Papa zuerst allein besuchen," sagte Isa
"und versuchen ihn vorzubereiten."

"Gut. Fahren wir gemeinsam nach Homburg. Ich
werde Sie in der Nähe des Kurhauses erwarten, um dann
meine eigene schwere Mission zu erfüllen."

Auf Isa wirkte die Fahrt in der elektrischen Bahn
wenig erheiternd. Der idyllische Höhenzug des Taunus
blieb ihr verborgen; die öde Gleichmäßigkeit der Felder,
die wenig eingestreuten Gärten, die paar kleinen Dörfer
boten ihrem Auge, das durch die Silhoutten tannenbe-
kränzter Bergeshöhen verwöhnt war, kaum etwas Poe-
tisches.

Sie traf den Baron in den Anlagen.

Das fashionable Leben des Sommers fehlte voll-
ständig. Aber schon begannen die Wiesen zagend das erste
junge Grün zu treiben.

Die mächtigen Buchen und Ahornbäume standen noch
mit kahlen Aesten, doch an den Sträuchern trieben frühe
Knospen, und eine Amsel sang, als das junge Mädchen,
dem man im Hotel die Richtung bezeichnet hatte, die der
Baron genommen, den kleinen See umschritt, um alsbald
die etwas vorgebeugte Gestalt ihres Vaters vor sich zu
erkennen.

Sie beschleunigte ihren Schritt und rief vernehmlich:
"Papa!"

Er wandte sich mit einer erschrockenen Bewegung um
und lief dann auf sie zu, ergriff ihre beiden Hände und
zog sie an sich.

"Kind, wie kommst du hierher? Was tust du hier,
und ..." Er brach ab.

Isas gerötete Augen machten ihn stutzig. Sie ver-
suchte, ihn mit einem Lächeln darüber zu täuschen.


[Spaltenumbruch]

"Wo kann ich herkommen, Papa?" Sie schob ihren
Arm vertraulich in den seinen und schritt leichtfüßig neben
ihm her.

"Von München komme ich, nachsehen wollte ich, wie
es dir geht ..."

"Aber das kann dich doch allein nicht hergeführt
haben?"

"Warum nicht? Die Sehnsucht ..."

Er drückte ihre Hand schweigend an sich, und sie tra-
ten den Rückweg an.

Das Hotel lag im Schwedenpfad, sie hatten nicht weit.
Isa fürchtete, er möchte Döring vor der Zeit bemerken,
und nun bedauerte sie, ihm die schwerste Aufgabe abge-
nommen zu haben.

Wie sollte sie es dem Vater sagen?

Er sah so wohl aus und war so froh! Er fragte sie
alles Mögliche über München, den Karneval ... "Daß
ihr grade am Faschingsdienstag gereist seid. Heute ist doch
das bunteste Treiben in der Maximilianstraße! Da hättest
du und Gaby ..."

Er brach ab und sah vor sich nieder.

Sie nickte vor sich hin. Sie fühlte wohl, wie ihm die
Frage nach Gaby mehrmals auf den Lippen schwebte, und
daß er nur nicht selbst den Anfang machen wollte, daß er
erwartete, sie würde von der Schwester sprechen.

Vor dem Hotel blieb er stehen. "Was sollen wir in
dem trüben Salon? Weißt du was, wir gehen in die Kon-
ditorei, da ist den Tag über kein Mensch, und wir können
plandern ... und morgen fahren wir nach der Saalburg,
da hast du einen freien, wunderbaren Blick weit über die
Ebene, bis zum Wester- und Odenwald!"

Sie wollte nicht mit, aber er hatte schon ein paar
Schritte getan, und sie war so verwirrt, daß sie ihm folgte.
An der Ecke der Luisenstraße stand richtig Theodor Döring.
Zu spät versuchte er, sich zurückzuziehen. Der Baron hatte
ihn schon bemerkt und ging schnell auf ihn zu; das Gesicht
wurde wieder grau, wie bei allen Anlässen, die ihm Auf-
regung brachten.

(Fortsetzung folgt.)


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Redaktion und Adminiſtration:
Ringplatz 4, 2. Stock.




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Für Czernowitz
(mit Zuſtellung ins Haus):
monatl. K 1·80, vierteljähr. K 5·40
halbj. K 10·80, ganzjähr. K 21·60,
(mit täglicher Poſtverſendung):
monatlich K 2, vierteljähr. K 6,
halbjähr. K 12, ganzjähr. K 24.

Für Deutſchland:
vierteljährig ... 7 Mark.

für Rumänien und den Balkan:
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Telegramme Allgemeine, Czernowitz.


[Spaltenumbruch]
Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

[Spaltenumbruch]

Ankündigungen:
Es koſtet im gewöhnlichen Inſe-
ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einſchaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inſerate
nehmen alle in- und ausländiſchen
Inſeratenbureaux ſowie die Ad-
miniſtration entgegen. — Einzel-
exemplare ſind in allen Zeitungs-
verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
verſitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Adminiſtration (Ring-
platz 4, 2. St.) erhältlich. In Wien
im Zeitungsbureau Goldſchmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
10 Heller für Czernowitz.

Manuſkripte werden in keinem Falle zurück-
geſendet, unfrankierte Briefe nicht an-
genommen.




Nr. 2329. Czernowitz, Dienſtag, den 24. Oktober 1911.



[Spaltenumbruch]
Ueberſicht.

Vom Tage.

Im Herrenhauſe wurde eine mehrgliedrige Kommiſ-
ſion zur Beratung der Teuerungsfrage gewählt. — Heute
begannen in Budapeſt wieder die Verhandlungen über
die Zulaſſung von Fleiſchimporten nach Oeſterreich. —
Unter den italieniſchen Truppen in Tripolis wütet die
Cholera in ſchreckligcher Weiſe; ſeit Beginn des Krieges ſind
bereits 260 Todesfälle vorgekommen.

Letzte Telegramme.

Die Verhandlungen in Ungarn zum Zwecke der Her-
beiführung eines Kompromiſſes zwiſchen der Oppoſition
und der Regierung ſind geſcheitert. — In der Station
Trzebina hat ſich geſtern ein ſchwerer Eiſenbahnunfall
ereignet. — Nach Konſtantinopeler Meldungen ſollen die
Italiener bei Benghazi eine ſchwere Niederlage erlitten
haben.




Vierter und letzter Brief.


Hören Sie, an Einkommen geſegneter Herr Doktor
Straucher, wie es kommt, daß ich Sie nach Ihrem poli-
tiſchen Fall und all den Affären, die Sie zu einem Men-
ſchen geſtempelt haben, dem man nicht mehr von Ange-
ſicht zu Angeſicht entgegentritt, dennoch — einer letzten —
Anwort würdige. Hören Sie: Geſtern kam ich von einer
Reiſe, die ich in beruflichen Angelegenheiten nach Wien
unternommen hatte, zurück. Kaum hatte ich mein Re-
daktionsbureau betreten, als mir mein jüngſter Mitar-
beiter mit flammender Röte im Geſicht mitteilte, Sie
hätten ſich unterfangen — ſo drückte ſich der junge Mann
aus — mich in Ihrem Zeitungsblatte perſönlich zu be-
ſchimpfen; ich müſſe die entſprechende Antwort erteilen.
Daß Sie, an Revenuen reicher Herr Dr. Straucher, der
Verfaſſer des Schmähartikels ſeien, erkenne er an dem
ſehr mangelhaften Deutſch, an der geſchmackloſen Selbſt-
beräucherung, an dem verworrenen Durcheinander der
ſogenannten Gedanken und nicht zuletzt an dem beiſpiel-
los rohen Ton, der nur Ihnen eigen ſei! Ich müſſe ſofort
erwidern. Gemach, mein Freund, meinte ich nun, der Herr
Dr. Straucher iſt heute ein Mann, den man höchſtens
a tergo dem wohlverdienten Schickſal entgegenſtößt, ſeine
Anfälle ſind mir nur eine Quelle ſtiller Heiterkeit. Im
Uebrigen, fügte ich, zu meinem Mitarbeiter gewandt, hin-
[Spaltenumbruch] zu, können Sie mir am morgigen Sonntag den kurzen
Inhalt des Artikels mitteilen. Sie dürften, vielfach pau-
ſchalierter Herr Dr. Straucher, nämlich wiſſen, daß ich
auf Sauberkeit in meinem Hauſe ſehr viel gebe und aus
dieſem Grunde Ihr Blatt aus demſelben verbannt habe.

Heute iſt nun Sonntag. Nach einer arbeitsreichen
Woche gönne ich mir eine Stunde Ruhe, und dieſe benütze
ich, um Ihnen nach der mir von dem erwähnten Mitar-
beiter erteilten Information in aller Gemütlichkeit einige
Worte zu widmen. An einem Werktage hätte ich jede Mi-
nute für verloren gehalten, die von Ihrer lieblichen Per-
ſönlichkeit in Anſpruch genommen worden wäre. Zunächſt
in möglichſter Kürze von mir ſelbſt. Der Zuſammenhang
erfordert es leider, daß ich meinem Prinzipe, meine Per-
ſon nicht in den Vordergrund zu drängen, für einige Au-
genblicke untreu werde. Sie ſollen geſagt haben, daß ich
aus öffentlichen Geldern gefüttert werde, daß mir eine
Reihe ſchändlicher Dinge nachgeſagt wurden, ohne daß ich
den Gerichtsweg betreten hätte und daß ich ſchließlich bei
Empfangnahme fremder Depoſitengelder und fremder
Wechſel irgend etwas begangen hätte. Sehen Sie, ver-
floſſener Alleinherrſcher von Czernowitz: da ſind Sie
über mich entweder ſchlecht informiert oder Sie lügen
und verleumden. Das Letztere ſcheint Ihrem in dieſem
Belangen erprobten Charakter mehr zu entſprechen. Es
wird Sie aber für alle Fälle intereſſieren zu erfahren,
daß ich keinerlei Unterſtützungen aus öffentlichen oder
privaten Mitteln empfange und noch mehr wird Sie
freuen, zu hören, daß ich in den zwölf Jahren, die ſeit
meiner Verehelichung verfloſſen ſind, das mir von meiner
Frau und von nahen Angehörigen derſelben zur Verfü-
gung geſtellte Vermögen in der Höhe von mehr als zwei-
malhunderttauſend Kronen aus dem Auslande in dieſe
Stadt ſukzeſſive herübergeſchafft und in die von Ihnen
ſo gehaßte „Czernowitzer Allgemeine Zeitung“ inveſtiert
habe. Vielleicht wiſſen Sie auch das Folgende nicht: daß
ich einen großen Teil des Ertrages meiner flott gehenden
Advokaturskanzlei in eben dieſem Zeitungsunternehmen
vertan habe und daß ich ſchließlich — Gott und meine
Gläubiger ſeien mir gnädig! — Darlehen kontrahieren
mußte, die gleichfalls von der „Allgemeinen“ verſchlungen
wurden, bis ſich die Zeitung durchrang und heute ſich Ein-
nahmen und Ausgaben zur Not decken. Sie, der Sie ſich
im Laufe Ihrer glorreichen politiſchen Wirkſamkeit einen
ſehr praktiſchen Sinn erworben haben, halten ſolches für
unmöglich. Aber es iſt dennoch wahr. Die ganze Stadt weiß
es, und in allen Informationen, die über mich erteilt
werden, können Sie es Schwarz auf Weiß leſen. Ich be-
ſaß den Ehrgeiz, dieſem Lande eine anſtändige Preſſe zu
[Spaltenumbruch] verſchaffen und opferte dieſem Ehrgeiz mein Vermögen
und neun Jahre übermenſchlicher Arbeit. Die einzige
Genugtuung, die ich habe, iſt, daß ich verhüten konnte,
daß das Land zu Hauſe und auswärts durch Blätter re-
präſentiert werde, die Sie herausgeben.

Daß ich auf Schmähungen und Verleumdungen, die
in einem beſtimmten Falle gegen mich erhoben wurden,
nicht mit der gerichtlichen Klage reagierte, iſt richtig. Sie
ſpekulieren aber auf die Vergeßlichkeit des Publikums,
wenn Sie behaupten, daß ich den Schimpf auf mir ſitzen
ließ. Ich erſtattete, wie Sie ſich, ſchon mit Rückſicht auf die
traurige Rolle, die gerade Sie in dieſer Sache ſpielten,
wohl erinnern dürften, bei dem Disziplinarrate der Bu-
kowiner Advokatenkammer gegen mich die Selbſtanzeige
und bat um die ſtrengſte und umſtändlichſte Unterſuchung.
Die Bitte wurde mir gewährt. Sollten Sie am Ende ver-
geſſen haben, was das Reſultat dieſer Unterſuchung war?
Ich will Ihrem ſchwachen Gedächtniſſe zu Hilfe kommen.
Drei Jahre lang wurde die Unterſuchung geführt. Es
wurden unzählige Perſonen, die etwas wiſſen konnten,
im Requiſitionswege gerichtlich unter Eid vernommen.
Denken Sie ſich, was die allermeiſten Zeugen ausſagten!
Sie ſagten, Sie ſelbſt wüßten in der Sache nichts mitzuteilen
aber der Herr Dr. Straucher habe ihnen geſagt, ich
hätte das und jenes begangen. Dann wurden Sie ſelbſt
vernommen. Leſen Sie doch heute nach ſieben oder acht
Jahren Ihr diesbezügliches Protokoll! Wenn Sie noch
einen letzten Reſt von Schamgefühl haben, müſſen Sie
ſelbſt entſetzt ſein über die Unſumme von feiger Dreherei
und ſüßlichem Nichtwiſſen und Nichterinnern, das Sie
da zum Beſten gaben. Ich hatte meine Satisfaktion, ich
wurde von meinen Kollegen, die mir ſtrenge, aber gerechte
Richter waren, einſtimmig freigeſprochen und konnte auf
eine gerichtliche Genugtuung umſo eher verzichten, als ich
zu meiner Freude wahrnahm, daß meine geſellſchaftliche
und ſoziale Poſition von Tag zu Tag wuchs und daß ihr
alle Ihre verleumderiſchen Ueberfälle nichts anhaben
konnten. Sie ſelbſt, den expenſenſtarken Herrn Dr. Strau-
cher, forderte ich allerdings eines Tages vor die Schranken
des Gerichtes, als Sie einmal Ihre gewohnte Vorſicht zu
Hauſe ließen und behaupteten, ich ſtünde im Solde der
Bojaren. Was taten Sie, tapferer Herr? Sie leugneten
vorerſt, dann überreichten Sie einen ellenlangen Schrift-
ſatz, der einen Wahrheitsbeweis beinhalten ſollte und —
o weh! — bei nächſter Verhandlung beriefen Sie ſich auf
Ihre Immunität. Eine Fehlentſcheidung der unteren In-
ſtanzen ſprach Ihnen die Immunität zu, nud ehe ich noch
die Nichtigkeitsbeſchwerde zur Wahrung des Geſetzes über-
reichen konnte, war der Bukowiner Landtag einberufen




[Spaltenumbruch]
Das rote Signal.

35] (Nachdruck verboten.)

Iſa ſah durch das Fenſter auf die Felder hinaus, die
vorüberflogen. Der Zug rollte über die Mainbrücke. Maje-
ſtätiſch wogte unter ihnen der breite Strom. Die hohen,
vielzackigen und ſpitzigen Türme des Domes ragten in den
dämmernden Abendnebel.

Sie ſchwieg. Doch in ihren Augen war ein Flim-
mern. Der Horizont weitete ſich und unendliche Fernen
dehnten ſich vor ihrem Blick.

— Nur ihrer Familie? —

Ach, in dieſem Augenblick fühlte ſie, daß ſie ſich nur
ungeſchickt ausgedrückt hatte, vielleicht konventionell; daß
er ihr, ihr allein unentbehrlich geworden war; mehr als
das, daß ſie ſich das Leben ohne ihn nicht mehr denken
konnte. Daß ſie ihr eigenes Leben, alles, was ſie umgab,
was ſie bewegte, im Guten wie im Schlimmen, nur in ſei-
nem Sinn erlebte und fühlte.

Doch eher wäre die zinnoberrote Scheibe, die, von
blaugrauen Untiefen umgeben, oſtwärts wieder aufgeſtie-
gen, ſtatt weſtwärts hinter fahlen Hügelzügen zu ver-
ſinken, als daß Iſa nur mit einer Geſte oder Gebärde das
ausgedrückt hätte, was ſie bewegte.

Um das drückende Schweigen, das zwiſchen ihnen
herrſchte, zu beenden, knüpfte ſie das unterbrochene Ge-
ſpräch übr Gabriele wieder an.

„Was meinten Sie vorhin über Balder Ohmen?“

„Daß das Glück Fräulein Gabrieles eigentlich nur
in ihr ſelbſt begründet iſt. Sie iſt eine jener ſtarken Na-
turen, die aus ſich ſelber ſchaffen. Gewiß ſind ſie nicht
unabhängig von äußeren Erſcheinungen und Kataſtrophen.
Doch glaube ich, daß ſelbſt, wenn Balder Ohmens Liebe
eine Etappe der Enttäuſchung auf ihrem Lebenswege be-
deuten ſollte, ihr Charakter daran nicht zerſchellen würde.“

Iſa wandte ihm ihr Antlitz mit einem verſtörten
Ausdruck zu.


[Spaltenumbruch]

„Das ſoll doch immerhin heißen, daß Sie an keine
glückliche Zukunft Gabys glauben!“

Er ſchwieg.

Der Zug rollte in die Bahnhofshalle.

Das Haſten und Jagen der Reiſenden, das Schreien
der Gepäckträger, das Fauchen der Maſchine und das
Stampfen der Waggons enthob ihn der Antwort.

„Ich werde Papa zuerſt allein beſuchen,“ ſagte Iſa
„und verſuchen ihn vorzubereiten.“

„Gut. Fahren wir gemeinſam nach Homburg. Ich
werde Sie in der Nähe des Kurhauſes erwarten, um dann
meine eigene ſchwere Miſſion zu erfüllen.“

Auf Iſa wirkte die Fahrt in der elektriſchen Bahn
wenig erheiternd. Der idylliſche Höhenzug des Taunus
blieb ihr verborgen; die öde Gleichmäßigkeit der Felder,
die wenig eingeſtreuten Gärten, die paar kleinen Dörfer
boten ihrem Auge, das durch die Silhoutten tannenbe-
kränzter Bergeshöhen verwöhnt war, kaum etwas Poe-
tiſches.

Sie traf den Baron in den Anlagen.

Das faſhionable Leben des Sommers fehlte voll-
ſtändig. Aber ſchon begannen die Wieſen zagend das erſte
junge Grün zu treiben.

Die mächtigen Buchen und Ahornbäume ſtanden noch
mit kahlen Aeſten, doch an den Sträuchern trieben frühe
Knoſpen, und eine Amſel ſang, als das junge Mädchen,
dem man im Hotel die Richtung bezeichnet hatte, die der
Baron genommen, den kleinen See umſchritt, um alsbald
die etwas vorgebeugte Geſtalt ihres Vaters vor ſich zu
erkennen.

Sie beſchleunigte ihren Schritt und rief vernehmlich:
„Papa!“

Er wandte ſich mit einer erſchrockenen Bewegung um
und lief dann auf ſie zu, ergriff ihre beiden Hände und
zog ſie an ſich.

„Kind, wie kommſt du hierher? Was tuſt du hier,
und ...“ Er brach ab.

Iſas gerötete Augen machten ihn ſtutzig. Sie ver-
ſuchte, ihn mit einem Lächeln darüber zu täuſchen.


[Spaltenumbruch]

„Wo kann ich herkommen, Papa?“ Sie ſchob ihren
Arm vertraulich in den ſeinen und ſchritt leichtfüßig neben
ihm her.

„Von München komme ich, nachſehen wollte ich, wie
es dir geht ...“

„Aber das kann dich doch allein nicht hergeführt
haben?“

„Warum nicht? Die Sehnſucht ...“

Er drückte ihre Hand ſchweigend an ſich, und ſie tra-
ten den Rückweg an.

Das Hotel lag im Schwedenpfad, ſie hatten nicht weit.
Iſa fürchtete, er möchte Döring vor der Zeit bemerken,
und nun bedauerte ſie, ihm die ſchwerſte Aufgabe abge-
nommen zu haben.

Wie ſollte ſie es dem Vater ſagen?

Er ſah ſo wohl aus und war ſo froh! Er fragte ſie
alles Mögliche über München, den Karneval ... „Daß
ihr grade am Faſchingsdienstag gereiſt ſeid. Heute iſt doch
das bunteſte Treiben in der Maximilianſtraße! Da hätteſt
du und Gaby ...“

Er brach ab und ſah vor ſich nieder.

Sie nickte vor ſich hin. Sie fühlte wohl, wie ihm die
Frage nach Gaby mehrmals auf den Lippen ſchwebte, und
daß er nur nicht ſelbſt den Anfang machen wollte, daß er
erwartete, ſie würde von der Schweſter ſprechen.

Vor dem Hotel blieb er ſtehen. „Was ſollen wir in
dem trüben Salon? Weißt du was, wir gehen in die Kon-
ditorei, da iſt den Tag über kein Menſch, und wir können
plandern ... und morgen fahren wir nach der Saalburg,
da haſt du einen freien, wunderbaren Blick weit über die
Ebene, bis zum Weſter- und Odenwald!“

Sie wollte nicht mit, aber er hatte ſchon ein paar
Schritte getan, und ſie war ſo verwirrt, daß ſie ihm folgte.
An der Ecke der Luiſenſtraße ſtand richtig Theodor Döring.
Zu ſpät verſuchte er, ſich zurückzuziehen. Der Baron hatte
ihn ſchon bemerkt und ging ſchnell auf ihn zu; das Geſicht
wurde wieder grau, wie bei allen Anläſſen, die ihm Auf-
regung brachten.

(Fortſetzung folgt.)


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[[1]/0001] Redaktion und Adminiſtration: Ringplatz 4, 2. Stock. Telephon-Nummer 161. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz (mit Zuſtellung ins Haus): monatl. K 1·80, vierteljähr. K 5·40 halbj. K 10·80, ganzjähr. K 21·60, (mit täglicher Poſtverſendung): monatlich K 2, vierteljähr. K 6, halbjähr. K 12, ganzjähr. K 24. Für Deutſchland: vierteljährig ... 7 Mark. für Rumänien und den Balkan: vierteljährig .... 10 Lei. Telegramme Allgemeine, Czernowitz. Czernowitzer Allgemeine Zeitung Ankündigungen: Es koſtet im gewöhnlichen Inſe- ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei mehrmaliger Einſchaltung, für Re- klame 40 h die Petitzeile. Inſerate nehmen alle in- und ausländiſchen Inſeratenbureaux ſowie die Ad- miniſtration entgegen. — Einzel- exemplare ſind in allen Zeitungs- verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni- verſitätsbuchhandlung H. Pardini und in der Adminiſtration (Ring- platz 4, 2. St.) erhältlich. In Wien im Zeitungsbureau Goldſchmidt, Wollzeile 11. Einzelexemplare 10 Heller für Czernowitz. Manuſkripte werden in keinem Falle zurück- geſendet, unfrankierte Briefe nicht an- genommen. Nr. 2329. Czernowitz, Dienſtag, den 24. Oktober 1911. Ueberſicht. Vom Tage. Im Herrenhauſe wurde eine mehrgliedrige Kommiſ- ſion zur Beratung der Teuerungsfrage gewählt. — Heute begannen in Budapeſt wieder die Verhandlungen über die Zulaſſung von Fleiſchimporten nach Oeſterreich. — Unter den italieniſchen Truppen in Tripolis wütet die Cholera in ſchreckligcher Weiſe; ſeit Beginn des Krieges ſind bereits 260 Todesfälle vorgekommen. Letzte Telegramme. Die Verhandlungen in Ungarn zum Zwecke der Her- beiführung eines Kompromiſſes zwiſchen der Oppoſition und der Regierung ſind geſcheitert. — In der Station Trzebina hat ſich geſtern ein ſchwerer Eiſenbahnunfall ereignet. — Nach Konſtantinopeler Meldungen ſollen die Italiener bei Benghazi eine ſchwere Niederlage erlitten haben. Vierter und letzter Brief. Czernowitz, 22. Oktober. Hören Sie, an Einkommen geſegneter Herr Doktor Straucher, wie es kommt, daß ich Sie nach Ihrem poli- tiſchen Fall und all den Affären, die Sie zu einem Men- ſchen geſtempelt haben, dem man nicht mehr von Ange- ſicht zu Angeſicht entgegentritt, dennoch — einer letzten — Anwort würdige. Hören Sie: Geſtern kam ich von einer Reiſe, die ich in beruflichen Angelegenheiten nach Wien unternommen hatte, zurück. Kaum hatte ich mein Re- daktionsbureau betreten, als mir mein jüngſter Mitar- beiter mit flammender Röte im Geſicht mitteilte, Sie hätten ſich unterfangen — ſo drückte ſich der junge Mann aus — mich in Ihrem Zeitungsblatte perſönlich zu be- ſchimpfen; ich müſſe die entſprechende Antwort erteilen. Daß Sie, an Revenuen reicher Herr Dr. Straucher, der Verfaſſer des Schmähartikels ſeien, erkenne er an dem ſehr mangelhaften Deutſch, an der geſchmackloſen Selbſt- beräucherung, an dem verworrenen Durcheinander der ſogenannten Gedanken und nicht zuletzt an dem beiſpiel- los rohen Ton, der nur Ihnen eigen ſei! Ich müſſe ſofort erwidern. Gemach, mein Freund, meinte ich nun, der Herr Dr. Straucher iſt heute ein Mann, den man höchſtens a tergo dem wohlverdienten Schickſal entgegenſtößt, ſeine Anfälle ſind mir nur eine Quelle ſtiller Heiterkeit. Im Uebrigen, fügte ich, zu meinem Mitarbeiter gewandt, hin- zu, können Sie mir am morgigen Sonntag den kurzen Inhalt des Artikels mitteilen. Sie dürften, vielfach pau- ſchalierter Herr Dr. Straucher, nämlich wiſſen, daß ich auf Sauberkeit in meinem Hauſe ſehr viel gebe und aus dieſem Grunde Ihr Blatt aus demſelben verbannt habe. Heute iſt nun Sonntag. Nach einer arbeitsreichen Woche gönne ich mir eine Stunde Ruhe, und dieſe benütze ich, um Ihnen nach der mir von dem erwähnten Mitar- beiter erteilten Information in aller Gemütlichkeit einige Worte zu widmen. An einem Werktage hätte ich jede Mi- nute für verloren gehalten, die von Ihrer lieblichen Per- ſönlichkeit in Anſpruch genommen worden wäre. Zunächſt in möglichſter Kürze von mir ſelbſt. Der Zuſammenhang erfordert es leider, daß ich meinem Prinzipe, meine Per- ſon nicht in den Vordergrund zu drängen, für einige Au- genblicke untreu werde. Sie ſollen geſagt haben, daß ich aus öffentlichen Geldern gefüttert werde, daß mir eine Reihe ſchändlicher Dinge nachgeſagt wurden, ohne daß ich den Gerichtsweg betreten hätte und daß ich ſchließlich bei Empfangnahme fremder Depoſitengelder und fremder Wechſel irgend etwas begangen hätte. Sehen Sie, ver- floſſener Alleinherrſcher von Czernowitz: da ſind Sie über mich entweder ſchlecht informiert oder Sie lügen und verleumden. Das Letztere ſcheint Ihrem in dieſem Belangen erprobten Charakter mehr zu entſprechen. Es wird Sie aber für alle Fälle intereſſieren zu erfahren, daß ich keinerlei Unterſtützungen aus öffentlichen oder privaten Mitteln empfange und noch mehr wird Sie freuen, zu hören, daß ich in den zwölf Jahren, die ſeit meiner Verehelichung verfloſſen ſind, das mir von meiner Frau und von nahen Angehörigen derſelben zur Verfü- gung geſtellte Vermögen in der Höhe von mehr als zwei- malhunderttauſend Kronen aus dem Auslande in dieſe Stadt ſukzeſſive herübergeſchafft und in die von Ihnen ſo gehaßte „Czernowitzer Allgemeine Zeitung“ inveſtiert habe. Vielleicht wiſſen Sie auch das Folgende nicht: daß ich einen großen Teil des Ertrages meiner flott gehenden Advokaturskanzlei in eben dieſem Zeitungsunternehmen vertan habe und daß ich ſchließlich — Gott und meine Gläubiger ſeien mir gnädig! — Darlehen kontrahieren mußte, die gleichfalls von der „Allgemeinen“ verſchlungen wurden, bis ſich die Zeitung durchrang und heute ſich Ein- nahmen und Ausgaben zur Not decken. Sie, der Sie ſich im Laufe Ihrer glorreichen politiſchen Wirkſamkeit einen ſehr praktiſchen Sinn erworben haben, halten ſolches für unmöglich. Aber es iſt dennoch wahr. Die ganze Stadt weiß es, und in allen Informationen, die über mich erteilt werden, können Sie es Schwarz auf Weiß leſen. Ich be- ſaß den Ehrgeiz, dieſem Lande eine anſtändige Preſſe zu verſchaffen und opferte dieſem Ehrgeiz mein Vermögen und neun Jahre übermenſchlicher Arbeit. Die einzige Genugtuung, die ich habe, iſt, daß ich verhüten konnte, daß das Land zu Hauſe und auswärts durch Blätter re- präſentiert werde, die Sie herausgeben. Daß ich auf Schmähungen und Verleumdungen, die in einem beſtimmten Falle gegen mich erhoben wurden, nicht mit der gerichtlichen Klage reagierte, iſt richtig. Sie ſpekulieren aber auf die Vergeßlichkeit des Publikums, wenn Sie behaupten, daß ich den Schimpf auf mir ſitzen ließ. Ich erſtattete, wie Sie ſich, ſchon mit Rückſicht auf die traurige Rolle, die gerade Sie in dieſer Sache ſpielten, wohl erinnern dürften, bei dem Disziplinarrate der Bu- kowiner Advokatenkammer gegen mich die Selbſtanzeige und bat um die ſtrengſte und umſtändlichſte Unterſuchung. Die Bitte wurde mir gewährt. Sollten Sie am Ende ver- geſſen haben, was das Reſultat dieſer Unterſuchung war? Ich will Ihrem ſchwachen Gedächtniſſe zu Hilfe kommen. Drei Jahre lang wurde die Unterſuchung geführt. Es wurden unzählige Perſonen, die etwas wiſſen konnten, im Requiſitionswege gerichtlich unter Eid vernommen. Denken Sie ſich, was die allermeiſten Zeugen ausſagten! Sie ſagten, Sie ſelbſt wüßten in der Sache nichts mitzuteilen aber der Herr Dr. Straucher habe ihnen geſagt, ich hätte das und jenes begangen. Dann wurden Sie ſelbſt vernommen. Leſen Sie doch heute nach ſieben oder acht Jahren Ihr diesbezügliches Protokoll! Wenn Sie noch einen letzten Reſt von Schamgefühl haben, müſſen Sie ſelbſt entſetzt ſein über die Unſumme von feiger Dreherei und ſüßlichem Nichtwiſſen und Nichterinnern, das Sie da zum Beſten gaben. Ich hatte meine Satisfaktion, ich wurde von meinen Kollegen, die mir ſtrenge, aber gerechte Richter waren, einſtimmig freigeſprochen und konnte auf eine gerichtliche Genugtuung umſo eher verzichten, als ich zu meiner Freude wahrnahm, daß meine geſellſchaftliche und ſoziale Poſition von Tag zu Tag wuchs und daß ihr alle Ihre verleumderiſchen Ueberfälle nichts anhaben konnten. Sie ſelbſt, den expenſenſtarken Herrn Dr. Strau- cher, forderte ich allerdings eines Tages vor die Schranken des Gerichtes, als Sie einmal Ihre gewohnte Vorſicht zu Hauſe ließen und behaupteten, ich ſtünde im Solde der Bojaren. Was taten Sie, tapferer Herr? Sie leugneten vorerſt, dann überreichten Sie einen ellenlangen Schrift- ſatz, der einen Wahrheitsbeweis beinhalten ſollte und — o weh! — bei nächſter Verhandlung beriefen Sie ſich auf Ihre Immunität. Eine Fehlentſcheidung der unteren In- ſtanzen ſprach Ihnen die Immunität zu, nud ehe ich noch die Nichtigkeitsbeſchwerde zur Wahrung des Geſetzes über- reichen konnte, war der Bukowiner Landtag einberufen Das rote Signal. Roman von Robert Heymann. 35] (Nachdruck verboten.) Iſa ſah durch das Fenſter auf die Felder hinaus, die vorüberflogen. Der Zug rollte über die Mainbrücke. Maje- ſtätiſch wogte unter ihnen der breite Strom. Die hohen, vielzackigen und ſpitzigen Türme des Domes ragten in den dämmernden Abendnebel. Sie ſchwieg. Doch in ihren Augen war ein Flim- mern. Der Horizont weitete ſich und unendliche Fernen dehnten ſich vor ihrem Blick. — Nur ihrer Familie? — Ach, in dieſem Augenblick fühlte ſie, daß ſie ſich nur ungeſchickt ausgedrückt hatte, vielleicht konventionell; daß er ihr, ihr allein unentbehrlich geworden war; mehr als das, daß ſie ſich das Leben ohne ihn nicht mehr denken konnte. Daß ſie ihr eigenes Leben, alles, was ſie umgab, was ſie bewegte, im Guten wie im Schlimmen, nur in ſei- nem Sinn erlebte und fühlte. Doch eher wäre die zinnoberrote Scheibe, die, von blaugrauen Untiefen umgeben, oſtwärts wieder aufgeſtie- gen, ſtatt weſtwärts hinter fahlen Hügelzügen zu ver- ſinken, als daß Iſa nur mit einer Geſte oder Gebärde das ausgedrückt hätte, was ſie bewegte. Um das drückende Schweigen, das zwiſchen ihnen herrſchte, zu beenden, knüpfte ſie das unterbrochene Ge- ſpräch übr Gabriele wieder an. „Was meinten Sie vorhin über Balder Ohmen?“ „Daß das Glück Fräulein Gabrieles eigentlich nur in ihr ſelbſt begründet iſt. Sie iſt eine jener ſtarken Na- turen, die aus ſich ſelber ſchaffen. Gewiß ſind ſie nicht unabhängig von äußeren Erſcheinungen und Kataſtrophen. Doch glaube ich, daß ſelbſt, wenn Balder Ohmens Liebe eine Etappe der Enttäuſchung auf ihrem Lebenswege be- deuten ſollte, ihr Charakter daran nicht zerſchellen würde.“ Iſa wandte ihm ihr Antlitz mit einem verſtörten Ausdruck zu. „Das ſoll doch immerhin heißen, daß Sie an keine glückliche Zukunft Gabys glauben!“ Er ſchwieg. Der Zug rollte in die Bahnhofshalle. Das Haſten und Jagen der Reiſenden, das Schreien der Gepäckträger, das Fauchen der Maſchine und das Stampfen der Waggons enthob ihn der Antwort. „Ich werde Papa zuerſt allein beſuchen,“ ſagte Iſa „und verſuchen ihn vorzubereiten.“ „Gut. Fahren wir gemeinſam nach Homburg. Ich werde Sie in der Nähe des Kurhauſes erwarten, um dann meine eigene ſchwere Miſſion zu erfüllen.“ Auf Iſa wirkte die Fahrt in der elektriſchen Bahn wenig erheiternd. Der idylliſche Höhenzug des Taunus blieb ihr verborgen; die öde Gleichmäßigkeit der Felder, die wenig eingeſtreuten Gärten, die paar kleinen Dörfer boten ihrem Auge, das durch die Silhoutten tannenbe- kränzter Bergeshöhen verwöhnt war, kaum etwas Poe- tiſches. Sie traf den Baron in den Anlagen. Das faſhionable Leben des Sommers fehlte voll- ſtändig. Aber ſchon begannen die Wieſen zagend das erſte junge Grün zu treiben. Die mächtigen Buchen und Ahornbäume ſtanden noch mit kahlen Aeſten, doch an den Sträuchern trieben frühe Knoſpen, und eine Amſel ſang, als das junge Mädchen, dem man im Hotel die Richtung bezeichnet hatte, die der Baron genommen, den kleinen See umſchritt, um alsbald die etwas vorgebeugte Geſtalt ihres Vaters vor ſich zu erkennen. Sie beſchleunigte ihren Schritt und rief vernehmlich: „Papa!“ Er wandte ſich mit einer erſchrockenen Bewegung um und lief dann auf ſie zu, ergriff ihre beiden Hände und zog ſie an ſich. „Kind, wie kommſt du hierher? Was tuſt du hier, und ...“ Er brach ab. Iſas gerötete Augen machten ihn ſtutzig. Sie ver- ſuchte, ihn mit einem Lächeln darüber zu täuſchen. „Wo kann ich herkommen, Papa?“ Sie ſchob ihren Arm vertraulich in den ſeinen und ſchritt leichtfüßig neben ihm her. „Von München komme ich, nachſehen wollte ich, wie es dir geht ...“ „Aber das kann dich doch allein nicht hergeführt haben?“ „Warum nicht? Die Sehnſucht ...“ Er drückte ihre Hand ſchweigend an ſich, und ſie tra- ten den Rückweg an. Das Hotel lag im Schwedenpfad, ſie hatten nicht weit. Iſa fürchtete, er möchte Döring vor der Zeit bemerken, und nun bedauerte ſie, ihm die ſchwerſte Aufgabe abge- nommen zu haben. Wie ſollte ſie es dem Vater ſagen? Er ſah ſo wohl aus und war ſo froh! Er fragte ſie alles Mögliche über München, den Karneval ... „Daß ihr grade am Faſchingsdienstag gereiſt ſeid. Heute iſt doch das bunteſte Treiben in der Maximilianſtraße! Da hätteſt du und Gaby ...“ Er brach ab und ſah vor ſich nieder. Sie nickte vor ſich hin. Sie fühlte wohl, wie ihm die Frage nach Gaby mehrmals auf den Lippen ſchwebte, und daß er nur nicht ſelbſt den Anfang machen wollte, daß er erwartete, ſie würde von der Schweſter ſprechen. Vor dem Hotel blieb er ſtehen. „Was ſollen wir in dem trüben Salon? Weißt du was, wir gehen in die Kon- ditorei, da iſt den Tag über kein Menſch, und wir können plandern ... und morgen fahren wir nach der Saalburg, da haſt du einen freien, wunderbaren Blick weit über die Ebene, bis zum Weſter- und Odenwald!“ Sie wollte nicht mit, aber er hatte ſchon ein paar Schritte getan, und ſie war ſo verwirrt, daß ſie ihm folgte. An der Ecke der Luiſenſtraße ſtand richtig Theodor Döring. Zu ſpät verſuchte er, ſich zurückzuziehen. Der Baron hatte ihn ſchon bemerkt und ging ſchnell auf ihn zu; das Geſicht wurde wieder grau, wie bei allen Anläſſen, die ihm Auf- regung brachten. (Fortſetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2329, Czernowitz, 24.10.1911, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer2329_1911/1>, abgerufen am 18.04.2024.