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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 572, Czernowitz, 28.11.1905.

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Czernowitzer Allgemeine Zeitung 28. November 1905.

[Spaltenumbruch]
Die Vorgänge in Russland
Unruhen bei der Schwarzen Meerflotte.

(Meldungen der Peters-
burger Telegraphenagentur. Nach einer Meldung des General-
stabs der Marine haben die Kronstädter Ereignisse in der
Schwarzen Meer-Flotte Widerhall gefunden. Admiral
Tschuchnin berichtet, Matrosen hätten unter dem Einflusse
sozialistischer Propaganda in Sebastopol eine Reihe von
Kundgebungen veranstaltet. Die Bewegung habe sich auf
mehrere Teile der Armee verpflanzt. Auf einem Meeting sei
Admiral Pissarevsky schwer verwundet worden. Die Lage sei
ernst, obwohl nach einem gestern um halb 7 Uhr abends
eingetroffenen Berichte Plünderungen und Ausschreitungen
kaum zu erwarten seien.

Semstwokongreß. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

In der gestrigen Beratung des Semstwokongresses wurde die
Polenfrage zu Ende beraten und eine Resolution angenommen,
welche unter anderem verlangt: Die Autonomie für
Polen, die Aufhebung des Kriegszustandes in Polen und
die Freiheit des Gebrauches der polnischen Sprache.

Die Streiks.
(Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Der Strike in Moskau gewinnt an Ausdehnung. -- Der in
den letzten Tagen durch die Strikenden verursachte Schaden
beträgt eine Million Rubel.

(Meldung der Peters-
burger Telegraphenagentur.)

Der Ausstand hat an Aus-
dehnung nicht zugenommen. Die Zahl der Ausständigen über-
steigt nicht 24000.




Vom Tage.


Das allgemeine Wahlrecht und die
Bukowina.

Die "Konservative Kor-
respondenz" veröffentlicht eine kleine Studie, aus der unter
anderem hervorgeht, daß bei Festhaltung an dem Berechnungs-
modus des arithmetischen Mittels zwischen Einwohnerzahl
und Steuerleistung auf die Bukowina 8 Madate (statt, wie
bisher 11) entfallen würden. Den Verlust hätten die Rumänen
zu tragen, welche statt mit 5 mit blos 2 Mandaten bedacht
werden müßten. Ueber dasselbe Thema veröffentlicht der
Abg. Berks in der "Zeit" einen Artikel. Derselbe gelangt
jedoch auf Grund derselben Berechnungsmethode zu wesentlich
anderen Resultaten. Die Bukowina würde nämlich diesem
Artikel zufolge keine wesentliche Einbuße erleiden. Zu bemerken
wäre noch, daß die "Konservative Korrespondenz" blos die
direkten Steuern als Maßstab anlegt, während Abge-
ordneter Berks sämtliche (direkte und indirekte) Steuern
seiner Berechnung zugrundelegt. Wir kommen auf dieses
Thema noch zurück.




[Spaltenumbruch]
Die Krise in Ungarn.
(Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Fejervary, Vörös und Staatssekretär Popovics sind
nach Budapest zurückgereist.

(Meldung des ungarischen
Tel.-Korr.-B.)

Im Prozesse wegen der Zeysig-Broschüre
wurde um halb 3 Uhr früh das Urteil gefällt. Darnach
wurden alle Angeklagten freigesprochen.




Der Friedensvertrag zwischen Japan
und Rußland.
(Tel. der "Cz. Allg.
Ztg.")

Um 4 Uhr nachmittags soll im Staatsdepartement
der Austausch der ratifizierten Urkunden des Friedensver-
trages zwischen Rußland und Japan erfolgen.




Die Flottendemonstration. (Tel. der "Cz.
Allg. Ztg.")

Die Flottendemonstration hat mit
Verständigung des Gouverneurs von Mytilene, mit der Be-
setzung des Zollamtes und des Telegraphenamtes von Myti-
lene begonnen.




Bunte Chronik.


Der Kaiser. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Der
Kaiser wohnte vormittags der ersten Messe in der neu-
errichteten Notkirche Zwischenbrücken bei, wozu er die ge-
samten Kosten gespendet hatte. Bei der Ankunft und Abfahrt
wurde er von einem zahlreichen Publikum mit begeisterten
Ovationen begrüßt.




Erdstöße. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Gestern früh waren Erdstöße in Benevent, Faggia, Avellino,
Ariano, Neapel und Apice-Benevent bemerkbar. Es entstand
eine große Panik. In Apice wurden mehrere Gebäude,
darunter die Kaserne, derart beschädigt, daß sie geräumt
werden mußten. -- In Ariano wurden auch mehrere Kirchen,
darunter die Kathedrale, beschädigt.




Die verwandtschaftlichen Beziehungen der
englischen Königsfamilie.

Aus London, 23. November
wird uns geschrieben: Die Königswahl der Norweger hat aus
der jüngsten Tochter des Königs Eduard, der seit dem 22. Juli
1896 mit dem Prinzen Karl von Dänemark, jetzigem König
Haakon VII. vermählten Prinzessin Moud, eine Königin ge-
macht und dadurch die zahlreichen verwandtschaftlichen Bezie-
hungen der englischen Herrscherfamilie um eine wichtige Ver-
bindung vermehrt. Welchen Einfluß müßte nicht der Londoner
Hof auf die Geschicke Europas ausüben, wenn solchen dyna-
stischen Verhältnissen noch eine Bedeutung wie in vergangenen
Zeiten zukäme, sie nicht vielmehr fast belangslos in poli-
tischer Hinsicht geworden wären! Der Kaiser von Rußland
ist der Neffe der Königen Alexandra, der deutsche Kaiser der
Neffe König Eduards; der König von Griechenland ist der
Bruder der Königin Alexandra, der König von Dänemark ihr
Vater; die Königin von Norwegen ihre Tochter und der




[Spaltenumbruch]

der Marne jährlich ein Wettrennen von -- Krüppeln mit
Holzbeinen zu veranstalten. Annehmbarer und amüsanter ist
jedenfalls das gleichfalls von einem Turfblatte organisierte
Radwettfahren der "100 Kilo Klub"-Mitglieder, bei dem
dieses Jahr einer der wuchtigsten dieser beleibten Radler --
1241/2 Kilo Nettogewicht -- den Sieg errang.

Ein gleichfalls sehr interessantes und zu abfälligen Ur-
teilen überreichlich Stoff lieferndes Kapitel des Pariser Jour-
nalismus sind die Preisausschreibungen für allerlei politische,
wissenschaftliche, literarische und andere Problemlösungen.
Da wird den Lesern aufgegeben, den Namen des künftigen
Präsidenten der Republik zu erraten, ferner die auf ihn
entfallende Stimmenzahl des Nationalkongresses im voraus
zu bestimmen, dem Ministerium seine Lebensdauer zu pro-
phezeien, selbst die internationalen Ent- und Verwicklungen
zu verkünden, wobei besonders viel chauvinistischer Unfug ge-
trieben wird. Der Weisheit und dem Scharfblicke des Pub-
likums wird aufgegeben, Lösungen von Fragen, wie der
Heilung der Tuberkulose, der Abstellung der Arbeitslosigkeit
und des Elends und ähnlicher Bagatellen zu finden, den
Werdegang der literarischen und geistigen Bewegung vorzu-
zeichnen, so beispielsweise anzugeben, welche Richtung die
Philosophie in unserer Zeit einzuschlagen habe, um ihrer
Aufgabe gerecht zu werden (wörtlich!). Man weiß da oft
wirklich nicht, über was man sich mehr wundern, eventuell,
wenn es sich der Mühe verlohnte, entrüsten soll, über die
Unverfrorenheit gewisser Zeitungsleiter, solche Konkurrenzen
auszuschreiben, oder über die -- Naivetät der Leute, die sich
an diesen zu beteiligen das Selbstbewußtsein haben.

An eine besondere "Intelligenz" richtet sich eine andere
Art dieser Kundenfangmittel, nämlich das Aussetzen von oft
bedeutenden Preisen für richtige Lösungen von Fragen, wie:
viele Weizenkörner sind in einer in unserer Redaktion aus-
[Spaltenumbruch] gestellten versiegelten Flasche enthalten?" -- Der "Petit
Parisien", der in richtiger Taxierung der Durchschnitts-
Geistesfähigkeiten des großen französischen Publikums diese
geistreiche Preisfrage stellte, brachte es während der Dauer
des vorgeschriebenen Lesezwanges, -- denn den Lösungen
mußten natürlich eine bestimmte Zahl von Ausschnitten des
Blattes beigelegt werden! -- auf nahezu zwei Millionen
Exemplare täglich und hat seitdem seinen Leserkreis dauernd
um mehr als 200.000 Personen vermehrt. Andere Blätter,
die ähnliche Experimente veranstalteten, erzielten ebenfalls
gute Ergebnisse und schlugen aus dem Mehrabsatze der
Nummern während der obligatorischen Leseperiode den Betrag
der ausgesetzten Preise reichlich heraus.

Eine Zeit lang florierte hier auch der allerdings den
Amerikanern entlehnte Trick, daß eine Zeitung ankündigte,
sie sende so und viel Mitarbeiter in den Straßen herum,
die Begegnenden, wenn sie die Tagesnummer des Blattes
sichtbar trügen, Umschläge mit Anweisungen auf Preise in
die Hand drücken würden, die in der Redaktion ausgestellt
seien. Da aber natürlich nur wenig Auserwählte unter den
anfangs zahllosen Bewerbern waren, zog das nicht lange
und erwies sich auch aus dem Grunde als undankbar, ja
gefährlich, weil viele alte Leser der betreffenden Zeitungen,
die trotz allen auffälligen Tragens der Nummern leer aus-
gingen, sich ärgerten, Skandal schlugen, die ganze Sache als
Schwindel brandmarkten und sich anderweitig abbonierten.
Aber wenn auch der eine oder der andere "Bluff" fehlschlägt,
so verharren die Pariser Zeitungsleiter doch bei dieser ultra-
modernen Tendenz, sich Lesermassen, wenn auch nur zeit-
weilig, durch Sensationen "heranzureißen". Sie haben schließ-
lich Recht: Die guten Leute werden eben in Frankreich eben-
so wenig, als anderweitig, alle.




[Spaltenumbruch]

König von Norwegen ihr Neffe; die künftige Königin von
Schweden ist eine Nichte König Eduards, die Königin von
Holland die Nichte seiner Schwägerin, der Herzog von Sachsen-
Coburg-Gotha sein Neffe; der König von Portugal ist ein
Vetter König Eduards, als Nachkomme des Herzogs Franz
von Sachsen-Coburg, des Onkels der Königin Viktoria, und
ein gleiches Verwandtschaftsverhältnis besteht zwischen dem
König der Belgier (Sohn eines Onkels der Königin Viktoria,
Leopold's I.) und dem König Eduard. Außer Oesterreich und
Italien, Frankreich und Spanien gibt es kaum ein Land in
Europa, in dem nicht der regierende Fürst oder das Staats-
oberhaupt, der Kronprinz oder Prinzregent, ein Verwandter
des Königs von England wäre. In alten Zeiten wäre dies
von außerordentlicher Bedeutung gewesen; heute ist es gleich-
giltig, ist doch gerade die Politik der beiden Staaten, deren
Souveräne zu den nächsten Verwandten Eduards VII. ge-
hören, die Rußlands und Deutschlands, am meisten der
britischen entgegengesetzt. Allerdings sind neuerdings lebhafte
Bemühungen im Gange, eine Annäherung nicht nur zwischen
England und Rußland, sondern auch zwischen England und
Deutschland herbeizuführen, wenn diese sich auch, soweit
Deutschland in Frage kommt, vorläufig noch wenig erfolg-
verheißend ausnehmen. Gesprochen wird allerdings von einer
Teilnahme König Eduards und der Königin Alexandra an
der silbernen Hochzeit Kaiser Wilhelms im nächsten Frühjahr,
und es wird versichert, der König von Griechenland benütze
seinen Aufenthalt in London, um an einer Versöhnung
zwischen den Höfen von England und Deutschland zu arbeiten.
Solche Bestrebungen werden aber wohl noch geraume Zeit
fromme Wünsche bleiben, ohne daß deshalb die Weltgeschichte
von ihrem natürlichen Verlaufe abgelenkt werden könnte.

Verrohte Kritik.

Die Wiederaufführung des Lust-
spiels "Damenkrieg" im Königlichen Schauspielhause zu
Berlin erinnert einen alten Theaterfreund, der seinerzeit in
Paris lebte, an einen tragischen Vorfall, der beweist, daß die
neuerdings von vielen Mimen ostentativ zur Schau getragene
Verachtung der Kritik in früheren Jahren nicht eben sehr
verbreitet war, wenigstens nicht -- auswärts. Bei einer vor
vielen Jahren in Paris stattgefundenen Aufführung des
"Damenkriegs", dessen wesentliche Handlung sich bekanntlich
darum dreht, daß eine noch jugendliche Tante und eine ganz
jugendliche Nichte um die Liebe eines Jünglings kämpfen,
wurde die Tante von einer der berühmtesten und bei der
Presse besonders beliebten alteingesessenen Künstlerinnen, die
Nichte von einer Debütantin gespielt, die zum ersten Male
eine öffentliche Bühne betrat. Unter den über die Vorstellung
erschienenen Kritiken befand sich nun eine, in der mit unsäg-
licher Grausamkeit über die junge Debütantin gesagt war.
"Fräulein X. spielte dem Dichter übel mit, denn sie raubte
der Pointe seines Stücks die Glaubwürdigkeit ... Wie kann
Henry von Flavigneul zögern, wenn er zu wählen hat
zwischen dieser Tante und dieser Nichte? -- Die Tante, der
Geist und die Grazie und hinreißend -- die Nichte ein hilf-
loses, bleichsüchtiges Ding, dessen Naivität kindisch und lang-
weilig anmutet und das mit seinen linkischen Bewegungen
kläglich absticht von ihrer anmutigen Partnerin. Es ist be-
dauerlich, Licht und Schatten so nahe beieinander und den
Eindruck einer Dichtung darunter leiden zu sehen". -- Der
Kritiker, der das geschrieben, war zweifellos weder geistreich
noch gerecht, denn er war ein allzeit zu begeisteter Anhänger
der "geistvollen, reifen Künstlerin". Die arme Debütantin
aber nahm sich dieses harte Urteil derart zu Herzen, daß
man sie zwei Tage später tot im Bett auffand -- sie hatte
sich vergiftet ... Die Affäre machte damals in Paris unge-
heures Aufsehen und gab einem der bekanntesten Dramatiker
Veranlassung zu einem öffentlichen Erguß, der sich -- gleich-
wie vor einiger Zeit die Artikel Sudermanns -- mit der
"Verrohung der Kritik" beschäftigte.

Er weiß es besser.

In einer kleinen Kreisstadt exi-
stiert -- so erzählt man der "Tgl. Rdsch." -- ein Bürger-
verein, bei dessen allsonntäglicher Tagung neben populär
wissenschaftlichen Vorträgen die Beantwortung von Fragen,
welche einem dazu bestimmten Fragekasten entnommen werden,
eine große Rolle spielt. Unter anderem befand sich eines
Tages die Frage in dem Kasten? Wer oder was ist Pro-
metheus? Nachdem diese durch einen der anwesenden Ober-
lehrer die Beantwortung gefunden, daß Prometheus in der
griechischen Mythologie als Halbgott gelte, meldet sich jemand,
vielleicht der Fragesteller selbst, und meinte: "Ohne den
Kenntnissen des Herrn Oberlehrers nahetreten zu wollen,
muß ich ihn hier doch eines Besseren belehren, denn nach
meinem Wissen ist Prometheus eine Versicherungsgesell-
schaft!"

Ein Aergernis.

In seiner Monatsschrift "Heimgarten"
schreibt Peter Rosegger: In dem steirischen Marktflecken
St. ist es geschehen am Fronleichnamstage des Jahres 1905.
Zog die Prozession durch den Ort, kam in der Menschenmenge
ein evangelischer Geistlicher vorbei und der zog nicht den Hut.
-- Gleich nach der ersten Nachricht habe ich das bedauert.
Schon die allgemeine Menschenfreundlichkeit verlangt es, daß
wir gegenseitig Achtung haben vor unserer religiösen Ueber-
zeugung. Ich neige mein Haupt vor jeder wahren Frömmigkeit
und wenn es jüdische oder selbst heidnische ist. Darf also auch
das gleiche für mich fordern. Wenn mir aber die Rücksicht
einmal versagt bleibt, so mache ich mir auch nichts daraus,
und nicht einen Augenblick kommt mir bei, daß mein Gott
erniedrigt werden könnte, weil es irgend jemandem an Anstand
gebricht. -- Aber die Sache in St. war schließlich ein wenig
anders. Zweien Pastoren, von ihrer Berufsangelegenheit den-
selben Weg geführt, war es sehr peinlich, daß sie der Fron-
leichnamsprozession begegneten, die nach den Begründungen
des Tridentinischen Konzils vor allem als Trutzdemonstration
gegen die Lutheraner gedacht ist. Nach ihrem Gewissen konnten
sie also diesem Aufzug -- so wenig sein ursprünglicher Zweck
auch den katholischen Teilnehmern bekannt sein mochte --
nicht die Reverenz bezeugen. Aber es war auch keine Gelegenheit
mehr, auszuweichen, und so duckten sie, wie jene Schweizer
vor dem Geßlerhut, rasch vorüber. Das war nun verständlich.

Czernowitzer Allgemeine Zeitung 28. November 1905.

[Spaltenumbruch]
Die Vorgänge in Russland
Unruhen bei der Schwarzen Meerflotte.

(Meldungen der Peters-
burger Telegraphenagentur. Nach einer Meldung des General-
ſtabs der Marine haben die Kronſtädter Ereigniſſe in der
Schwarzen Meer-Flotte Widerhall gefunden. Admiral
Tſchuchnin berichtet, Matroſen hätten unter dem Einfluſſe
ſozialiſtiſcher Propaganda in Sebaſtopol eine Reihe von
Kundgebungen veranſtaltet. Die Bewegung habe ſich auf
mehrere Teile der Armee verpflanzt. Auf einem Meeting ſei
Admiral Piſſarevsky ſchwer verwundet worden. Die Lage ſei
ernſt, obwohl nach einem geſtern um halb 7 Uhr abends
eingetroffenen Berichte Plünderungen und Ausſchreitungen
kaum zu erwarten ſeien.

Semſtwokongreß. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

In der geſtrigen Beratung des Semſtwokongreſſes wurde die
Polenfrage zu Ende beraten und eine Reſolution angenommen,
welche unter anderem verlangt: Die Autonomie für
Polen, die Aufhebung des Kriegszuſtandes in Polen und
die Freiheit des Gebrauches der polniſchen Sprache.

Die Streiks.
(Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Der Strike in Moskau gewinnt an Ausdehnung. — Der in
den letzten Tagen durch die Strikenden verurſachte Schaden
beträgt eine Million Rubel.

(Meldung der Peters-
burger Telegraphenagentur.)

Der Ausſtand hat an Aus-
dehnung nicht zugenommen. Die Zahl der Ausſtändigen über-
ſteigt nicht 24000.




Vom Tage.


Das allgemeine Wahlrecht und die
Bukowina.

Die „Konſervative Kor-
reſpondenz“ veröffentlicht eine kleine Studie, aus der unter
anderem hervorgeht, daß bei Feſthaltung an dem Berechnungs-
modus des arithmetiſchen Mittels zwiſchen Einwohnerzahl
und Steuerleiſtung auf die Bukowina 8 Madate (ſtatt, wie
bisher 11) entfallen würden. Den Verluſt hätten die Rumänen
zu tragen, welche ſtatt mit 5 mit blos 2 Mandaten bedacht
werden müßten. Ueber dasſelbe Thema veröffentlicht der
Abg. Berks in der „Zeit“ einen Artikel. Derſelbe gelangt
jedoch auf Grund derſelben Berechnungsmethode zu weſentlich
anderen Reſultaten. Die Bukowina würde nämlich dieſem
Artikel zufolge keine weſentliche Einbuße erleiden. Zu bemerken
wäre noch, daß die „Konſervative Korreſpondenz“ blos die
direkten Steuern als Maßſtab anlegt, während Abge-
ordneter Berks ſämtliche (direkte und indirekte) Steuern
ſeiner Berechnung zugrundelegt. Wir kommen auf dieſes
Thema noch zurück.




[Spaltenumbruch]
Die Kriſe in Ungarn.
(Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Fejervary, Vörös und Staatsſekretär Popovics ſind
nach Budapeſt zurückgereiſt.

(Meldung des ungariſchen
Tel.-Korr.-B.)

Im Prozeſſe wegen der Zeyſig-Broſchüre
wurde um halb 3 Uhr früh das Urteil gefällt. Darnach
wurden alle Angeklagten freigeſprochen.




Der Friedensvertrag zwiſchen Japan
und Rußland.
(Tel. der „Cz. Allg.
Ztg.“)

Um 4 Uhr nachmittags ſoll im Staatsdepartement
der Austauſch der ratifizierten Urkunden des Friedensver-
trages zwiſchen Rußland und Japan erfolgen.




Die Flottendemonſtration. (Tel. der „Cz.
Allg. Ztg.“)

Die Flottendemonſtration hat mit
Verſtändigung des Gouverneurs von Mytilene, mit der Be-
ſetzung des Zollamtes und des Telegraphenamtes von Myti-
lene begonnen.




Bunte Chronik.


Der Kaiſer. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Der
Kaiſer wohnte vormittags der erſten Meſſe in der neu-
errichteten Notkirche Zwiſchenbrücken bei, wozu er die ge-
ſamten Koſten geſpendet hatte. Bei der Ankunft und Abfahrt
wurde er von einem zahlreichen Publikum mit begeiſterten
Ovationen begrüßt.




Erdſtöße. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Geſtern früh waren Erdſtöße in Benevent, Faggia, Avellino,
Ariano, Neapel und Apice-Benevent bemerkbar. Es entſtand
eine große Panik. In Apice wurden mehrere Gebäude,
darunter die Kaſerne, derart beſchädigt, daß ſie geräumt
werden mußten. — In Ariano wurden auch mehrere Kirchen,
darunter die Kathedrale, beſchädigt.




Die verwandtſchaftlichen Beziehungen der
engliſchen Königsfamilie.

Aus London, 23. November
wird uns geſchrieben: Die Königswahl der Norweger hat aus
der jüngſten Tochter des Königs Eduard, der ſeit dem 22. Juli
1896 mit dem Prinzen Karl von Dänemark, jetzigem König
Haakon VII. vermählten Prinzeſſin Moud, eine Königin ge-
macht und dadurch die zahlreichen verwandtſchaftlichen Bezie-
hungen der engliſchen Herrſcherfamilie um eine wichtige Ver-
bindung vermehrt. Welchen Einfluß müßte nicht der Londoner
Hof auf die Geſchicke Europas ausüben, wenn ſolchen dyna-
ſtiſchen Verhältniſſen noch eine Bedeutung wie in vergangenen
Zeiten zukäme, ſie nicht vielmehr faſt belangslos in poli-
tiſcher Hinſicht geworden wären! Der Kaiſer von Rußland
iſt der Neffe der Königen Alexandra, der deutſche Kaiſer der
Neffe König Eduards; der König von Griechenland iſt der
Bruder der Königin Alexandra, der König von Dänemark ihr
Vater; die Königin von Norwegen ihre Tochter und der




[Spaltenumbruch]

der Marne jährlich ein Wettrennen von — Krüppeln mit
Holzbeinen zu veranſtalten. Annehmbarer und amüſanter iſt
jedenfalls das gleichfalls von einem Turfblatte organiſierte
Radwettfahren der „100 Kilo Klub“-Mitglieder, bei dem
dieſes Jahr einer der wuchtigſten dieſer beleibten Radler —
124½ Kilo Nettogewicht — den Sieg errang.

Ein gleichfalls ſehr intereſſantes und zu abfälligen Ur-
teilen überreichlich Stoff lieferndes Kapitel des Pariſer Jour-
nalismus ſind die Preisausſchreibungen für allerlei politiſche,
wiſſenſchaftliche, literariſche und andere Problemlöſungen.
Da wird den Leſern aufgegeben, den Namen des künftigen
Präſidenten der Republik zu erraten, ferner die auf ihn
entfallende Stimmenzahl des Nationalkongreſſes im voraus
zu beſtimmen, dem Miniſterium ſeine Lebensdauer zu pro-
phezeien, ſelbſt die internationalen Ent- und Verwicklungen
zu verkünden, wobei beſonders viel chauviniſtiſcher Unfug ge-
trieben wird. Der Weisheit und dem Scharfblicke des Pub-
likums wird aufgegeben, Löſungen von Fragen, wie der
Heilung der Tuberkuloſe, der Abſtellung der Arbeitsloſigkeit
und des Elends und ähnlicher Bagatellen zu finden, den
Werdegang der literariſchen und geiſtigen Bewegung vorzu-
zeichnen, ſo beiſpielsweiſe anzugeben, welche Richtung die
Philoſophie in unſerer Zeit einzuſchlagen habe, um ihrer
Aufgabe gerecht zu werden (wörtlich!). Man weiß da oft
wirklich nicht, über was man ſich mehr wundern, eventuell,
wenn es ſich der Mühe verlohnte, entrüſten ſoll, über die
Unverfrorenheit gewiſſer Zeitungsleiter, ſolche Konkurrenzen
auszuſchreiben, oder über die — Naivetät der Leute, die ſich
an dieſen zu beteiligen das Selbſtbewußtſein haben.

An eine beſondere „Intelligenz“ richtet ſich eine andere
Art dieſer Kundenfangmittel, nämlich das Ausſetzen von oft
bedeutenden Preiſen für richtige Löſungen von Fragen, wie:
viele Weizenkörner ſind in einer in unſerer Redaktion aus-
[Spaltenumbruch] geſtellten verſiegelten Flaſche enthalten?“ — Der „Petit
Pariſien“, der in richtiger Taxierung der Durchſchnitts-
Geiſtesfähigkeiten des großen franzöſiſchen Publikums dieſe
geiſtreiche Preisfrage ſtellte, brachte es während der Dauer
des vorgeſchriebenen Leſezwanges, — denn den Löſungen
mußten natürlich eine beſtimmte Zahl von Ausſchnitten des
Blattes beigelegt werden! — auf nahezu zwei Millionen
Exemplare täglich und hat ſeitdem ſeinen Leſerkreis dauernd
um mehr als 200.000 Perſonen vermehrt. Andere Blätter,
die ähnliche Experimente veranſtalteten, erzielten ebenfalls
gute Ergebniſſe und ſchlugen aus dem Mehrabſatze der
Nummern während der obligatoriſchen Leſeperiode den Betrag
der ausgeſetzten Preiſe reichlich heraus.

Eine Zeit lang florierte hier auch der allerdings den
Amerikanern entlehnte Trick, daß eine Zeitung ankündigte,
ſie ſende ſo und viel Mitarbeiter in den Straßen herum,
die Begegnenden, wenn ſie die Tagesnummer des Blattes
ſichtbar trügen, Umſchläge mit Anweiſungen auf Preiſe in
die Hand drücken würden, die in der Redaktion ausgeſtellt
ſeien. Da aber natürlich nur wenig Auserwählte unter den
anfangs zahlloſen Bewerbern waren, zog das nicht lange
und erwies ſich auch aus dem Grunde als undankbar, ja
gefährlich, weil viele alte Leſer der betreffenden Zeitungen,
die trotz allen auffälligen Tragens der Nummern leer aus-
gingen, ſich ärgerten, Skandal ſchlugen, die ganze Sache als
Schwindel brandmarkten und ſich anderweitig abbonierten.
Aber wenn auch der eine oder der andere „Bluff“ fehlſchlägt,
ſo verharren die Pariſer Zeitungsleiter doch bei dieſer ultra-
modernen Tendenz, ſich Leſermaſſen, wenn auch nur zeit-
weilig, durch Senſationen „heranzureißen“. Sie haben ſchließ-
lich Recht: Die guten Leute werden eben in Frankreich eben-
ſo wenig, als anderweitig, alle.




[Spaltenumbruch]

König von Norwegen ihr Neffe; die künftige Königin von
Schweden iſt eine Nichte König Eduards, die Königin von
Holland die Nichte ſeiner Schwägerin, der Herzog von Sachſen-
Coburg-Gotha ſein Neffe; der König von Portugal iſt ein
Vetter König Eduards, als Nachkomme des Herzogs Franz
von Sachſen-Coburg, des Onkels der Königin Viktoria, und
ein gleiches Verwandtſchaftsverhältnis beſteht zwiſchen dem
König der Belgier (Sohn eines Onkels der Königin Viktoria,
Leopold’s I.) und dem König Eduard. Außer Oeſterreich und
Italien, Frankreich und Spanien gibt es kaum ein Land in
Europa, in dem nicht der regierende Fürſt oder das Staats-
oberhaupt, der Kronprinz oder Prinzregent, ein Verwandter
des Königs von England wäre. In alten Zeiten wäre dies
von außerordentlicher Bedeutung geweſen; heute iſt es gleich-
giltig, iſt doch gerade die Politik der beiden Staaten, deren
Souveräne zu den nächſten Verwandten Eduards VII. ge-
hören, die Rußlands und Deutſchlands, am meiſten der
britiſchen entgegengeſetzt. Allerdings ſind neuerdings lebhafte
Bemühungen im Gange, eine Annäherung nicht nur zwiſchen
England und Rußland, ſondern auch zwiſchen England und
Deutſchland herbeizuführen, wenn dieſe ſich auch, ſoweit
Deutſchland in Frage kommt, vorläufig noch wenig erfolg-
verheißend ausnehmen. Geſprochen wird allerdings von einer
Teilnahme König Eduards und der Königin Alexandra an
der ſilbernen Hochzeit Kaiſer Wilhelms im nächſten Frühjahr,
und es wird verſichert, der König von Griechenland benütze
ſeinen Aufenthalt in London, um an einer Verſöhnung
zwiſchen den Höfen von England und Deutſchland zu arbeiten.
Solche Beſtrebungen werden aber wohl noch geraume Zeit
fromme Wünſche bleiben, ohne daß deshalb die Weltgeſchichte
von ihrem natürlichen Verlaufe abgelenkt werden könnte.

Verrohte Kritik.

Die Wiederaufführung des Luſt-
ſpiels „Damenkrieg“ im Königlichen Schauſpielhauſe zu
Berlin erinnert einen alten Theaterfreund, der ſeinerzeit in
Paris lebte, an einen tragiſchen Vorfall, der beweiſt, daß die
neuerdings von vielen Mimen oſtentativ zur Schau getragene
Verachtung der Kritik in früheren Jahren nicht eben ſehr
verbreitet war, wenigſtens nicht — auswärts. Bei einer vor
vielen Jahren in Paris ſtattgefundenen Aufführung des
„Damenkriegs“, deſſen weſentliche Handlung ſich bekanntlich
darum dreht, daß eine noch jugendliche Tante und eine ganz
jugendliche Nichte um die Liebe eines Jünglings kämpfen,
wurde die Tante von einer der berühmteſten und bei der
Preſſe beſonders beliebten alteingeſeſſenen Künſtlerinnen, die
Nichte von einer Debütantin geſpielt, die zum erſten Male
eine öffentliche Bühne betrat. Unter den über die Vorſtellung
erſchienenen Kritiken befand ſich nun eine, in der mit unſäg-
licher Grauſamkeit über die junge Debütantin geſagt war.
„Fräulein X. ſpielte dem Dichter übel mit, denn ſie raubte
der Pointe ſeines Stücks die Glaubwürdigkeit ... Wie kann
Henry von Flavigneul zögern, wenn er zu wählen hat
zwiſchen dieſer Tante und dieſer Nichte? — Die Tante, der
Geiſt und die Grazie und hinreißend — die Nichte ein hilf-
loſes, bleichſüchtiges Ding, deſſen Naivität kindiſch und lang-
weilig anmutet und das mit ſeinen linkiſchen Bewegungen
kläglich abſticht von ihrer anmutigen Partnerin. Es iſt be-
dauerlich, Licht und Schatten ſo nahe beieinander und den
Eindruck einer Dichtung darunter leiden zu ſehen“. — Der
Kritiker, der das geſchrieben, war zweifellos weder geiſtreich
noch gerecht, denn er war ein allzeit zu begeiſteter Anhänger
der „geiſtvollen, reifen Künſtlerin“. Die arme Debütantin
aber nahm ſich dieſes harte Urteil derart zu Herzen, daß
man ſie zwei Tage ſpäter tot im Bett auffand — ſie hatte
ſich vergiftet ... Die Affäre machte damals in Paris unge-
heures Aufſehen und gab einem der bekannteſten Dramatiker
Veranlaſſung zu einem öffentlichen Erguß, der ſich — gleich-
wie vor einiger Zeit die Artikel Sudermanns — mit der
„Verrohung der Kritik“ beſchäftigte.

Er weiß es beſſer.

In einer kleinen Kreisſtadt exi-
ſtiert — ſo erzählt man der „Tgl. Rdſch.“ — ein Bürger-
verein, bei deſſen allſonntäglicher Tagung neben populär
wiſſenſchaftlichen Vorträgen die Beantwortung von Fragen,
welche einem dazu beſtimmten Fragekaſten entnommen werden,
eine große Rolle ſpielt. Unter anderem befand ſich eines
Tages die Frage in dem Kaſten? Wer oder was iſt Pro-
metheus? Nachdem dieſe durch einen der anweſenden Ober-
lehrer die Beantwortung gefunden, daß Prometheus in der
griechiſchen Mythologie als Halbgott gelte, meldet ſich jemand,
vielleicht der Frageſteller ſelbſt, und meinte: „Ohne den
Kenntniſſen des Herrn Oberlehrers nahetreten zu wollen,
muß ich ihn hier doch eines Beſſeren belehren, denn nach
meinem Wiſſen iſt Prometheus eine Verſicherungsgeſell-
ſchaft!“

Ein Aergernis.

In ſeiner Monatsſchrift „Heimgarten“
ſchreibt Peter Roſegger: In dem ſteiriſchen Marktflecken
St. iſt es geſchehen am Fronleichnamstage des Jahres 1905.
Zog die Prozeſſion durch den Ort, kam in der Menſchenmenge
ein evangeliſcher Geiſtlicher vorbei und der zog nicht den Hut.
— Gleich nach der erſten Nachricht habe ich das bedauert.
Schon die allgemeine Menſchenfreundlichkeit verlangt es, daß
wir gegenſeitig Achtung haben vor unſerer religiöſen Ueber-
zeugung. Ich neige mein Haupt vor jeder wahren Frömmigkeit
und wenn es jüdiſche oder ſelbſt heidniſche iſt. Darf alſo auch
das gleiche für mich fordern. Wenn mir aber die Rückſicht
einmal verſagt bleibt, ſo mache ich mir auch nichts daraus,
und nicht einen Augenblick kommt mir bei, daß mein Gott
erniedrigt werden könnte, weil es irgend jemandem an Anſtand
gebricht. — Aber die Sache in St. war ſchließlich ein wenig
anders. Zweien Paſtoren, von ihrer Berufsangelegenheit den-
ſelben Weg geführt, war es ſehr peinlich, daß ſie der Fron-
leichnamsprozeſſion begegneten, die nach den Begründungen
des Tridentiniſchen Konzils vor allem als Trutzdemonſtration
gegen die Lutheraner gedacht iſt. Nach ihrem Gewiſſen konnten
ſie alſo dieſem Aufzug — ſo wenig ſein urſprünglicher Zweck
auch den katholiſchen Teilnehmern bekannt ſein mochte —
nicht die Reverenz bezeugen. Aber es war auch keine Gelegenheit
mehr, auszuweichen, und ſo duckten ſie, wie jene Schweizer
vor dem Geßlerhut, raſch vorüber. Das war nun verſtändlich.

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[2/0002] Czernowitzer Allgemeine Zeitung 28. November 1905. Die Vorgänge in Russland Unruhen bei der Schwarzen Meerflotte. Petersburg, 27. November. (Meldungen der Peters- burger Telegraphenagentur. Nach einer Meldung des General- ſtabs der Marine haben die Kronſtädter Ereigniſſe in der Schwarzen Meer-Flotte Widerhall gefunden. Admiral Tſchuchnin berichtet, Matroſen hätten unter dem Einfluſſe ſozialiſtiſcher Propaganda in Sebaſtopol eine Reihe von Kundgebungen veranſtaltet. Die Bewegung habe ſich auf mehrere Teile der Armee verpflanzt. Auf einem Meeting ſei Admiral Piſſarevsky ſchwer verwundet worden. Die Lage ſei ernſt, obwohl nach einem geſtern um halb 7 Uhr abends eingetroffenen Berichte Plünderungen und Ausſchreitungen kaum zu erwarten ſeien. Semſtwokongreß. Moskan, 27. November. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) In der geſtrigen Beratung des Semſtwokongreſſes wurde die Polenfrage zu Ende beraten und eine Reſolution angenommen, welche unter anderem verlangt: Die Autonomie für Polen, die Aufhebung des Kriegszuſtandes in Polen und die Freiheit des Gebrauches der polniſchen Sprache. Die Streiks. Petersburg, 27. November. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Der Strike in Moskau gewinnt an Ausdehnung. — Der in den letzten Tagen durch die Strikenden verurſachte Schaden beträgt eine Million Rubel. Petersburg, 26. November. (Meldung der Peters- burger Telegraphenagentur.) Der Ausſtand hat an Aus- dehnung nicht zugenommen. Die Zahl der Ausſtändigen über- ſteigt nicht 24000. Vom Tage. Czernowitz, 27. November. Das allgemeine Wahlrecht und die Bukowina. Czernowitz, 27. November. Die „Konſervative Kor- reſpondenz“ veröffentlicht eine kleine Studie, aus der unter anderem hervorgeht, daß bei Feſthaltung an dem Berechnungs- modus des arithmetiſchen Mittels zwiſchen Einwohnerzahl und Steuerleiſtung auf die Bukowina 8 Madate (ſtatt, wie bisher 11) entfallen würden. Den Verluſt hätten die Rumänen zu tragen, welche ſtatt mit 5 mit blos 2 Mandaten bedacht werden müßten. Ueber dasſelbe Thema veröffentlicht der Abg. Berks in der „Zeit“ einen Artikel. Derſelbe gelangt jedoch auf Grund derſelben Berechnungsmethode zu weſentlich anderen Reſultaten. Die Bukowina würde nämlich dieſem Artikel zufolge keine weſentliche Einbuße erleiden. Zu bemerken wäre noch, daß die „Konſervative Korreſpondenz“ blos die direkten Steuern als Maßſtab anlegt, während Abge- ordneter Berks ſämtliche (direkte und indirekte) Steuern ſeiner Berechnung zugrundelegt. Wir kommen auf dieſes Thema noch zurück. Die Kriſe in Ungarn. Wien, 27. November. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Fejervary, Vörös und Staatsſekretär Popovics ſind nach Budapeſt zurückgereiſt. Budapeſt, 27. November. (Meldung des ungariſchen Tel.-Korr.-B.) Im Prozeſſe wegen der Zeyſig-Broſchüre wurde um halb 3 Uhr früh das Urteil gefällt. Darnach wurden alle Angeklagten freigeſprochen. Der Friedensvertrag zwiſchen Japan und Rußland. Washington, 26. November. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Um 4 Uhr nachmittags ſoll im Staatsdepartement der Austauſch der ratifizierten Urkunden des Friedensver- trages zwiſchen Rußland und Japan erfolgen. Die Flottendemonſtration. Konſtantinopel, 27. November. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Die Flottendemonſtration hat mit Verſtändigung des Gouverneurs von Mytilene, mit der Be- ſetzung des Zollamtes und des Telegraphenamtes von Myti- lene begonnen. Bunte Chronik. Czernowitz, 27. November. Der Kaiſer. Wien, 27. November. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Der Kaiſer wohnte vormittags der erſten Meſſe in der neu- errichteten Notkirche Zwiſchenbrücken bei, wozu er die ge- ſamten Koſten geſpendet hatte. Bei der Ankunft und Abfahrt wurde er von einem zahlreichen Publikum mit begeiſterten Ovationen begrüßt. Erdſtöße. Roin, 27. November. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Geſtern früh waren Erdſtöße in Benevent, Faggia, Avellino, Ariano, Neapel und Apice-Benevent bemerkbar. Es entſtand eine große Panik. In Apice wurden mehrere Gebäude, darunter die Kaſerne, derart beſchädigt, daß ſie geräumt werden mußten. — In Ariano wurden auch mehrere Kirchen, darunter die Kathedrale, beſchädigt. Die verwandtſchaftlichen Beziehungen der engliſchen Königsfamilie. Aus London, 23. November wird uns geſchrieben: Die Königswahl der Norweger hat aus der jüngſten Tochter des Königs Eduard, der ſeit dem 22. Juli 1896 mit dem Prinzen Karl von Dänemark, jetzigem König Haakon VII. vermählten Prinzeſſin Moud, eine Königin ge- macht und dadurch die zahlreichen verwandtſchaftlichen Bezie- hungen der engliſchen Herrſcherfamilie um eine wichtige Ver- bindung vermehrt. Welchen Einfluß müßte nicht der Londoner Hof auf die Geſchicke Europas ausüben, wenn ſolchen dyna- ſtiſchen Verhältniſſen noch eine Bedeutung wie in vergangenen Zeiten zukäme, ſie nicht vielmehr faſt belangslos in poli- tiſcher Hinſicht geworden wären! Der Kaiſer von Rußland iſt der Neffe der Königen Alexandra, der deutſche Kaiſer der Neffe König Eduards; der König von Griechenland iſt der Bruder der Königin Alexandra, der König von Dänemark ihr Vater; die Königin von Norwegen ihre Tochter und der der Marne jährlich ein Wettrennen von — Krüppeln mit Holzbeinen zu veranſtalten. Annehmbarer und amüſanter iſt jedenfalls das gleichfalls von einem Turfblatte organiſierte Radwettfahren der „100 Kilo Klub“-Mitglieder, bei dem dieſes Jahr einer der wuchtigſten dieſer beleibten Radler — 124½ Kilo Nettogewicht — den Sieg errang. Ein gleichfalls ſehr intereſſantes und zu abfälligen Ur- teilen überreichlich Stoff lieferndes Kapitel des Pariſer Jour- nalismus ſind die Preisausſchreibungen für allerlei politiſche, wiſſenſchaftliche, literariſche und andere Problemlöſungen. Da wird den Leſern aufgegeben, den Namen des künftigen Präſidenten der Republik zu erraten, ferner die auf ihn entfallende Stimmenzahl des Nationalkongreſſes im voraus zu beſtimmen, dem Miniſterium ſeine Lebensdauer zu pro- phezeien, ſelbſt die internationalen Ent- und Verwicklungen zu verkünden, wobei beſonders viel chauviniſtiſcher Unfug ge- trieben wird. Der Weisheit und dem Scharfblicke des Pub- likums wird aufgegeben, Löſungen von Fragen, wie der Heilung der Tuberkuloſe, der Abſtellung der Arbeitsloſigkeit und des Elends und ähnlicher Bagatellen zu finden, den Werdegang der literariſchen und geiſtigen Bewegung vorzu- zeichnen, ſo beiſpielsweiſe anzugeben, welche Richtung die Philoſophie in unſerer Zeit einzuſchlagen habe, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden (wörtlich!). Man weiß da oft wirklich nicht, über was man ſich mehr wundern, eventuell, wenn es ſich der Mühe verlohnte, entrüſten ſoll, über die Unverfrorenheit gewiſſer Zeitungsleiter, ſolche Konkurrenzen auszuſchreiben, oder über die — Naivetät der Leute, die ſich an dieſen zu beteiligen das Selbſtbewußtſein haben. An eine beſondere „Intelligenz“ richtet ſich eine andere Art dieſer Kundenfangmittel, nämlich das Ausſetzen von oft bedeutenden Preiſen für richtige Löſungen von Fragen, wie: viele Weizenkörner ſind in einer in unſerer Redaktion aus- geſtellten verſiegelten Flaſche enthalten?“ — Der „Petit Pariſien“, der in richtiger Taxierung der Durchſchnitts- Geiſtesfähigkeiten des großen franzöſiſchen Publikums dieſe geiſtreiche Preisfrage ſtellte, brachte es während der Dauer des vorgeſchriebenen Leſezwanges, — denn den Löſungen mußten natürlich eine beſtimmte Zahl von Ausſchnitten des Blattes beigelegt werden! — auf nahezu zwei Millionen Exemplare täglich und hat ſeitdem ſeinen Leſerkreis dauernd um mehr als 200.000 Perſonen vermehrt. Andere Blätter, die ähnliche Experimente veranſtalteten, erzielten ebenfalls gute Ergebniſſe und ſchlugen aus dem Mehrabſatze der Nummern während der obligatoriſchen Leſeperiode den Betrag der ausgeſetzten Preiſe reichlich heraus. Eine Zeit lang florierte hier auch der allerdings den Amerikanern entlehnte Trick, daß eine Zeitung ankündigte, ſie ſende ſo und viel Mitarbeiter in den Straßen herum, die Begegnenden, wenn ſie die Tagesnummer des Blattes ſichtbar trügen, Umſchläge mit Anweiſungen auf Preiſe in die Hand drücken würden, die in der Redaktion ausgeſtellt ſeien. Da aber natürlich nur wenig Auserwählte unter den anfangs zahlloſen Bewerbern waren, zog das nicht lange und erwies ſich auch aus dem Grunde als undankbar, ja gefährlich, weil viele alte Leſer der betreffenden Zeitungen, die trotz allen auffälligen Tragens der Nummern leer aus- gingen, ſich ärgerten, Skandal ſchlugen, die ganze Sache als Schwindel brandmarkten und ſich anderweitig abbonierten. Aber wenn auch der eine oder der andere „Bluff“ fehlſchlägt, ſo verharren die Pariſer Zeitungsleiter doch bei dieſer ultra- modernen Tendenz, ſich Leſermaſſen, wenn auch nur zeit- weilig, durch Senſationen „heranzureißen“. Sie haben ſchließ- lich Recht: Die guten Leute werden eben in Frankreich eben- ſo wenig, als anderweitig, alle. König von Norwegen ihr Neffe; die künftige Königin von Schweden iſt eine Nichte König Eduards, die Königin von Holland die Nichte ſeiner Schwägerin, der Herzog von Sachſen- Coburg-Gotha ſein Neffe; der König von Portugal iſt ein Vetter König Eduards, als Nachkomme des Herzogs Franz von Sachſen-Coburg, des Onkels der Königin Viktoria, und ein gleiches Verwandtſchaftsverhältnis beſteht zwiſchen dem König der Belgier (Sohn eines Onkels der Königin Viktoria, Leopold’s I.) und dem König Eduard. Außer Oeſterreich und Italien, Frankreich und Spanien gibt es kaum ein Land in Europa, in dem nicht der regierende Fürſt oder das Staats- oberhaupt, der Kronprinz oder Prinzregent, ein Verwandter des Königs von England wäre. In alten Zeiten wäre dies von außerordentlicher Bedeutung geweſen; heute iſt es gleich- giltig, iſt doch gerade die Politik der beiden Staaten, deren Souveräne zu den nächſten Verwandten Eduards VII. ge- hören, die Rußlands und Deutſchlands, am meiſten der britiſchen entgegengeſetzt. Allerdings ſind neuerdings lebhafte Bemühungen im Gange, eine Annäherung nicht nur zwiſchen England und Rußland, ſondern auch zwiſchen England und Deutſchland herbeizuführen, wenn dieſe ſich auch, ſoweit Deutſchland in Frage kommt, vorläufig noch wenig erfolg- verheißend ausnehmen. Geſprochen wird allerdings von einer Teilnahme König Eduards und der Königin Alexandra an der ſilbernen Hochzeit Kaiſer Wilhelms im nächſten Frühjahr, und es wird verſichert, der König von Griechenland benütze ſeinen Aufenthalt in London, um an einer Verſöhnung zwiſchen den Höfen von England und Deutſchland zu arbeiten. Solche Beſtrebungen werden aber wohl noch geraume Zeit fromme Wünſche bleiben, ohne daß deshalb die Weltgeſchichte von ihrem natürlichen Verlaufe abgelenkt werden könnte. Verrohte Kritik. Die Wiederaufführung des Luſt- ſpiels „Damenkrieg“ im Königlichen Schauſpielhauſe zu Berlin erinnert einen alten Theaterfreund, der ſeinerzeit in Paris lebte, an einen tragiſchen Vorfall, der beweiſt, daß die neuerdings von vielen Mimen oſtentativ zur Schau getragene Verachtung der Kritik in früheren Jahren nicht eben ſehr verbreitet war, wenigſtens nicht — auswärts. Bei einer vor vielen Jahren in Paris ſtattgefundenen Aufführung des „Damenkriegs“, deſſen weſentliche Handlung ſich bekanntlich darum dreht, daß eine noch jugendliche Tante und eine ganz jugendliche Nichte um die Liebe eines Jünglings kämpfen, wurde die Tante von einer der berühmteſten und bei der Preſſe beſonders beliebten alteingeſeſſenen Künſtlerinnen, die Nichte von einer Debütantin geſpielt, die zum erſten Male eine öffentliche Bühne betrat. Unter den über die Vorſtellung erſchienenen Kritiken befand ſich nun eine, in der mit unſäg- licher Grauſamkeit über die junge Debütantin geſagt war. „Fräulein X. ſpielte dem Dichter übel mit, denn ſie raubte der Pointe ſeines Stücks die Glaubwürdigkeit ... Wie kann Henry von Flavigneul zögern, wenn er zu wählen hat zwiſchen dieſer Tante und dieſer Nichte? — Die Tante, der Geiſt und die Grazie und hinreißend — die Nichte ein hilf- loſes, bleichſüchtiges Ding, deſſen Naivität kindiſch und lang- weilig anmutet und das mit ſeinen linkiſchen Bewegungen kläglich abſticht von ihrer anmutigen Partnerin. Es iſt be- dauerlich, Licht und Schatten ſo nahe beieinander und den Eindruck einer Dichtung darunter leiden zu ſehen“. — Der Kritiker, der das geſchrieben, war zweifellos weder geiſtreich noch gerecht, denn er war ein allzeit zu begeiſteter Anhänger der „geiſtvollen, reifen Künſtlerin“. Die arme Debütantin aber nahm ſich dieſes harte Urteil derart zu Herzen, daß man ſie zwei Tage ſpäter tot im Bett auffand — ſie hatte ſich vergiftet ... Die Affäre machte damals in Paris unge- heures Aufſehen und gab einem der bekannteſten Dramatiker Veranlaſſung zu einem öffentlichen Erguß, der ſich — gleich- wie vor einiger Zeit die Artikel Sudermanns — mit der „Verrohung der Kritik“ beſchäftigte. Er weiß es beſſer. In einer kleinen Kreisſtadt exi- ſtiert — ſo erzählt man der „Tgl. Rdſch.“ — ein Bürger- verein, bei deſſen allſonntäglicher Tagung neben populär wiſſenſchaftlichen Vorträgen die Beantwortung von Fragen, welche einem dazu beſtimmten Fragekaſten entnommen werden, eine große Rolle ſpielt. Unter anderem befand ſich eines Tages die Frage in dem Kaſten? Wer oder was iſt Pro- metheus? Nachdem dieſe durch einen der anweſenden Ober- lehrer die Beantwortung gefunden, daß Prometheus in der griechiſchen Mythologie als Halbgott gelte, meldet ſich jemand, vielleicht der Frageſteller ſelbſt, und meinte: „Ohne den Kenntniſſen des Herrn Oberlehrers nahetreten zu wollen, muß ich ihn hier doch eines Beſſeren belehren, denn nach meinem Wiſſen iſt Prometheus eine Verſicherungsgeſell- ſchaft!“ Ein Aergernis. In ſeiner Monatsſchrift „Heimgarten“ ſchreibt Peter Roſegger: In dem ſteiriſchen Marktflecken St. iſt es geſchehen am Fronleichnamstage des Jahres 1905. Zog die Prozeſſion durch den Ort, kam in der Menſchenmenge ein evangeliſcher Geiſtlicher vorbei und der zog nicht den Hut. — Gleich nach der erſten Nachricht habe ich das bedauert. Schon die allgemeine Menſchenfreundlichkeit verlangt es, daß wir gegenſeitig Achtung haben vor unſerer religiöſen Ueber- zeugung. Ich neige mein Haupt vor jeder wahren Frömmigkeit und wenn es jüdiſche oder ſelbſt heidniſche iſt. Darf alſo auch das gleiche für mich fordern. Wenn mir aber die Rückſicht einmal verſagt bleibt, ſo mache ich mir auch nichts daraus, und nicht einen Augenblick kommt mir bei, daß mein Gott erniedrigt werden könnte, weil es irgend jemandem an Anſtand gebricht. — Aber die Sache in St. war ſchließlich ein wenig anders. Zweien Paſtoren, von ihrer Berufsangelegenheit den- ſelben Weg geführt, war es ſehr peinlich, daß ſie der Fron- leichnamsprozeſſion begegneten, die nach den Begründungen des Tridentiniſchen Konzils vor allem als Trutzdemonſtration gegen die Lutheraner gedacht iſt. Nach ihrem Gewiſſen konnten ſie alſo dieſem Aufzug — ſo wenig ſein urſprünglicher Zweck auch den katholiſchen Teilnehmern bekannt ſein mochte — nicht die Reverenz bezeugen. Aber es war auch keine Gelegenheit mehr, auszuweichen, und ſo duckten ſie, wie jene Schweizer vor dem Geßlerhut, raſch vorüber. Das war nun verſtändlich.

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 572, Czernowitz, 28.11.1905, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer572_1905/2>, abgerufen am 25.04.2024.