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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 933, Czernowitz, 20.02.1907.

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Redaktion u. Administration:
Rathausstraße 16.




Telephon-Nummer 161.




Abonnementsbedingungen:

Für Czernowitz
(mit Zustellung ins Haus):
monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40,
halbj. K 10.80, ganzjähr. K 21.60.
(mit täglicher Postversendung)
monatl. K 2, vierteljähr. K 6,
halbjähr. K 12, ganzjähr. K 24.

Für Deutschland:
vierteljährig ..... 7 Mark.

Für Rumänien und den Balkan:
[vi]erteljährig ..... 10 Lei.




Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.


[Spaltenumbruch]
Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

[Spaltenumbruch]

Ankündigungen:
Es kostet im gewöhnlichen Inse-
ratenteil 12 h die 6mal gespaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einschaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inserate
nehmen alle in- und ausländischen
Inseratenbureaux sowie die Ad-
ministration entgegen. -- Einzel-
exemplare sind in allen Zeitungs-
verschleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
versitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Administration (Rat-
hausstr. 16) erhältlich. In Wien
im Zeitungsbureau Goldschmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
10 Heller für Czernowitz.






Nr. 933. Czernowitz, Mittw[o]ch, den 20. Februar. 1907.



[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Vom Tage.

Die Landtage von Oberösterreich, Steiermark, Mähren
und Triest sind auf den 25. Februar einberufen worden.

Bunte Chronik.

Die Assistenzärzte der Berliner Krankenhäuser haben wegen
der Ablehnung ihrer wirtschaftlichen Forderungen beschlossen, am
1. März in den Streik zu treten.

Letzte Telegramme.

Der deutsche Reichstag ist vom Kaiser Wilhelm mit einer
Thronrede eröffnet worden.




Ministerkandidaturen.


Also ist wieder einmal ein schöner Plan in Nichts zer-
ronnen. Als vor wenigen Wochen das allgemeine Wahlrecht
Gesetz wurde, da hörte man, daß auch die Baumeister des
neuen, stolzen Baues sich in dem von ihnen errichteten Hause
des neuen Oesterreich einen Platz sichern wollen, daß -- ein
Novum in der innerpolitischen Geschichte Oesterreichs -- das
gesamte Kabinett in den Wahlkampf eintreten wolle, um
dann im Mai als parlamentarische Regierung par
excellence
sich dem neuen Abgeordnetenhause vorzustellen.
Vorsichtig, in unverbindlicher Form wurde diese Nachricht in
die Oeffentlichkeit lanziert; man wollte erst den Boden son-
dieren, wollte sich überzeugen, ob das Experiment, das ver-
sucht werden sollte, auch Aussicht habe, zu gelingen. Nun,
die Erfahrungen, die man bei diesem Tasten und Erproben
machten, waren unerfreulich genug; so unerfreulich, daß drei
der gewichtigsten Persönlichkeiten des Kabinetts, der Minister-
präsident, der Minister des Innern und der Ackerbauminister,
die Absicht, sich um ein Mandat zu bewerben, aufgegeben
haben und daß also außer den Landsmannministern voraus-
sichtlich nur noch Korytowski, Derschatta und Marchet als
Kandidaten auf den Plan treten werden. Was das zu be-
deuten hat, liegt auf der Hand: das erste Volksparlament
Oesterreichs wird bei seinem Zusammentritt wieder nur
[Spaltenumbruch] ein parlamentarisch aufgeputztes Beamtenkabinett vorfinden
und -- mit gutem Grund -- wieder Ursache haben, die
tatsächliche Parlamentarisierung des Kabinetts zu fordern
und mit diesem gewiß berechtigten Verlangen den Anstoß zu
endlosen Verhandlungen zu geben, die nur allzuleicht der
Ausgangspunkt von Krisen werden können.

Einem Parlamente, das aus dem allgemeinen Wahlrecht
hervorgegangen ist, muß eine durchwegs parlamentarische
Regierung gegenüberstehen. Das ist nun einmal ein Grund-
satz, über den sich nicht weiter disputieren läßt. Die richtige
Erkenntnis dieser Tatsache hat offenbar auch in den Ministern
den Entschluß reifen lassen, sich um Mandate zu bewerben
und das Kabinett so ohne einen Personenwechsel, der bei
unseren innerpolitischen Verhältnissen immer eine mißliche
und nicht ungefährliche Sach[e] ist, quasi automatisch zu par-
lamentarisieren. Damit wäre der Zwittercharakter des
Kabinettes Beck beseitigt und den Hitzköpfen, an denen es ja
im neuen Abgeordnetenhause nicht fehlen wird, die Möglichkeit
benommen worden, sich über die "unparlamentarische"
Regierung aufzuregen. Aber so wenig dagegen auch einzu-
wenden ist und so wenig Ursache wir auch, unseres Erachtens
wenigstens, haben, mit den dem Beamtenstande entnommenen
Mitgliedern des gegewärtigen Kabinettes, das in vielen
schwierigen Fragen bis jetzt eine nicht gewöhnliche Tatkraft,
Konsequenz und politische Klugheit gezeigt hat, unzufrieden
zu sein, so haben sich doch Leute gefunden, die sich verflichtet
fühlten, den Ministern, vor allem dem Ministerpräsidenten, die
Suppe zu versalzen. Um Gründe für ihre Ablehnung der
Ministerkandidaturen waren diese Herrschaften allerdings nicht
verlegen, aber welcher Art diese Gründe sind, das ist so echt
österreichisch, daß man dar[ü]ber nicht stillschweigend hinweg-
gehen kann.

Die "begründeten Zweifel", die man bezüglich ihrer
Wahlprogramme, die zu entwickeln den Beamten-Ministern
durch die ablehnende Haltung gegenüber ihrer Kandidatur
überhaupt unmöglich gemacht wurde, äußerte, gründeten sich
natürlich -- in Oesterreich ist das ja nun schon einmal
nicht anders -- auf das "nationale Moment". Zwar hat
man den Ministerpräsidenten noch in keiner Wählerversamm-
lung sprechen gehört, nichts desto weniger aber befürchtete
[Spaltenumbruch] man, als seine Wiener Kandidatur besprochen wurde, in
deutschen Kreisen, er werde zu wenig deutsch, in czechischen
Kreisen, er werde zu viel deutsch sein. Daran aber er-
innerte sich keiner von den Herrschaften, die nur nationale
Sorgen kennen, daß auch andere als nationale Wahlpro-
gramme ihre Berechtigung haben, daß es vor allem öster-
reichische Wahlprogramme
geben muß, und daß ein
Abgeordneter, der die in dem seinerzeitigen Maydenspeech des
Ministerpräsidenten ausgesprochenen Grundsätze zu der Richt-
schnur seines Wahlprogramms macht und demnach in erster
Linie eine österreichische Realpolitik zu verfolgen
entschlossen ist, in erster Linie Anspruch auf ein Mandat
haben sollte. Die Ablehnung der Ministerkandidaturen ist ein
trauriges Zeichen dafür, daß man in Oesterreich noch nicht
daran geht, sich von dem nationalen Schlagwort zu eman-
zipieren. Und daß selbst Baron Beck, der doch nicht gewohnt
ist, so bald die Flinte ins Korn zu werfen, auf seine Kandi-
datur verzichtet, daraus könnten Schwarzseher schließen, daß
auch er zu der von ihm so oft betonten werbenden Kraft
wirtschaftlicher, realpolitischer Programme nicht mehr das volle
Vertrauen hat. Ja, die Zukunft gehört ihnen zweifellos,
aber es scheint nicht, als könnten sie sich schon die Gegen-
wart
erobern.




Die russischen Finanzen und der
Zweibund.

(Orig.-Korr.)

Die russische Rente, die nach Auflösung der Duma auf
68 stand, schwankt heute zwischen 80--82. Sie hat sich von
ihrem Tiefstand langsam und allmählich auf diese Höhe
gehoben und scheint sich nun dort zu halten. Russenfreundliche
Kreise haben das mit der im Lande eingetretenen Beruhigung,
russenfeindliche mit dem Herannahen einer neuen Anleihe
begründet. Es wird wohl beides seinen Anteil an der
Steigerung haben. Bekanntlich hat die russische Regierung
schon vor einiger Zeit zugestanden, daß zur Deckung eines
Defizits von ungefähr 250 Millionen Rubel auch in diesem
Jahre eine Anleihe nötig sein wird. Russische Anleihen sind
aber jetzt keine rein finanzielle, sondern weltpolitische Ange-
legenheiten von größter Tragweite. In den letzten Tagen




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Die Hausapotheke.

Nachdruck verboten.

Seit Jahren hatte sich Frau Margarete eine Haus-
apotheke gewünscht. Sie hatte sie nie bekommen. Es waren
meist notwendigere Gegenstände gewesen, die an Weihnachts-
festen oder zu Geburtstagen für sie auf dem Gabentisch
lagen.

Der Wunsch wuchs schließlich von Monat zu Monat
heftiger.

"Eine Hausapotheke? ... Wozu?" ... meinte Frau
Margaretes Gatte. "Wir haben genug Möbelstücke und genug
Kram im Hause. Deine Tuben, Fläschchen und Kranken-
pülverchen sind sehr gut im Büffet oder in irgend einem
andern Schubfach aufgehoben. Lieber mal einen anständigen
Zigarrenkasten zum Verschließen, aber Doppelschloß ....
lieber Schatz".

Die junge Frau war dann jedesmal sehr entrüstet.

"Du denkst immer nur an dich, ... natürlich! Aber
wenn ich mal irgend eine Medizin verwechsle, wenn ich dir
oder den Kindern mal anstatt Hoffmannstropfen, Lysol gebe,
ich habe keine Schuld".

"Um Gottes willen, nee, ... haste denn überhaupt Lysol
im Hause? Wo haste denn das?"

"D .. a .. s weiß .. ich .. nicht augenblicklich ...
so genau" ... stotterte Frau Margarete.

Da suchte der Hausherr selber. Und als er endlich dieses
"todsichere Hausmittel" neben der Essig- und Oelflasche im
Küchenschrank fand, stimmte er bei: "Ja wirklich, wir müssen
eine Hausapotheke haben".

"Ein oder das andere Kind ist ja doch immer krank",
setzte die geplagte Mama hinzu, als sie ihre vier kaum die
Masern überstandenen Sprößlinge betrachtete, die augenblicklich,
der Abwechslung halber, den Husten hatten.


[Spaltenumbruch]

Tante Röschen verplichtete sich sogar, eine Hausapotheke
sehr kunstvoll, mit Heckenrosen zu brennen, wenn man ihr das
nötige Material dazu gratis liefern würde.

Das lehnte aber der Hausherr dankend ab. Er war fürs
Praktischere und Billigere. Er ging zum Tischler, bestellte
nach Maß einen zweiunddreißig Fächer bergenden, braun-
gebeizten Holzkasten, den man an die Wand hängen konnte,
und bezahlte für das Ungetüm nach vierwöchiger Wartezeit
pro Arbeitsstunde bei den augenblicklichen schlechten Zeiten
eine Reichsmark ... was eine Riesensumme ausmachte.

Weder Tante Röschen noch Frau Margarete erfuhren
jemals den also erzielten Preis.

Letztere war aber doch sehr glücklich, als die Hausapotheke
wirklich im Hause war. Im Korridor natürlich. Für die
Zimmer paßte der Farbenton der Holzbeize nicht zu den
Möbeln....

Eine Woche lang blieb Frau Margarete unter begeisterter
Assistenz sämtlicher Kinder beim Suchen und Zusammenstellen
des Inhalts dieser Hausapotheke. Die ganze Wohnung wurde
nach Medikamenten und sonstigen hygienischen Gebrauchs-
artikeln förmlich umgeräumt. Die Verbandwatte fand man
nach tagelangem Suchen als Unterlage in Lieschens Puppen-
bettchen. Lanolin, Vaseline und Heftpflaster in Mamas Nähtisch,
und Bittersalz, Kamillentee und doppeltkohlensaures Natron
im Schreibtisch in der Briefkassette.

Das Fieberthermometer mußte durch ein neues ersetzt
werden, weil Kurtchen es als Peitschenstiel gebraucht hatte,
und die Gifte hoch oben auf dem Kleiderspind waren so fest
zwischen Holz und Tapete eingeklemmt, daß die Tüten beim
Hervorziehen sämtlich in die Brüche gingen.

Allerseits ergab sich aber die doppelte Notwendigkeit einer
Hausapotheke.

Als Frau Margarete endlich ihre vorhandenen Sachen
eingeräumt hatte, kam ihr zum erstenmal in den sechs Jahren
ihrer Ehe zum Bewußtsein, wie wenig von derartigen guten
Hausmitteln sie doch eigentlich im Hause hatte. Wie unvorsichtig
und leichtsinnig das war! .. Sie ließ sich darum von ihrem
Apotheker eine Liste aufstellen, in der die wichtigsten Haus-
[Spaltenumbruch] mittel aufgezeichnet waren. Und da mußte sie zu ihrem
Schrecken erkennen, daß sie nicht einmal Chloroform- und
Kampferspiritus, Rizinusöl und Lindenblütentee im Hause
hatte. Sagradatabletten zum Abführen fehlten auch, ebenso
essigsaure Tonerde und Bleiwasser, zwei sehr wichtige Verband-
wasser, wie der Apotheker bemerkt hatte.

Also kaufte sie .... Das und noch mehreres. Frau
Margarete hatte noch niemals so viel Wirtschaftsgeld gebraucht
wie in jenen Tagen, seit die Hausapotheke im Korridor hing.

Endlich, nachdem die zweiunddreißig Fächer gefüllt waren,
hatte sie ihr Ziel erreicht. Im feierlichen Zuge führte sie
Mann, Kinder und Emilie, das Mädchen für alles, vor den
braungebeizten Wandkasten, an dem sich der Hausherr schon
zweimal in dem dunklen Korridor den Kopf gestoßen hatte.

"So, meine Lieben, nun könnt ihr getrost krank werden,
wir sparen den Arzt. Ich bin für alle vorkommenden Fälle
versorgt und kann euch selben helfen."

Sie staunen alle. Auf der Innenseite der Tür hatte die
kluge Hausfrau eine Liste angebracht. Da stand sein fäuberlich
Inhalt und Zweck der Fächer erklärt: Kamillentee
für Leibschmerzen, Lindenblütentee für Magenbeschwerden,
Baldriantropfen für Nervosität, Salmiakgeist für Insekten-
stiche usw.

"Na denn man zu", ermunterte der Hausherr. "Mir
fehlt ja leider augenblicklich nichts ... Aber Kinder, habt
ihr nicht irgendwo Schmerzen? Mutter hilft."

Erwartungsvoller Schweigen. Eins blickt das andere an,
und Frau Margarete stand linderungsbereit.

"Ich will 'n Hustenbonbon", brüllte dann Kurtchen nach
einem fürchterlichen, künstlich angelegten Hustenansall.

Die Hausfran erbleichte. Darauf war sie nicht vorbereitet.
Sie überflog das Register und wandte sich dann, hastig ihr
Portemonnaie ziehend, an das greinende Dienstmädchen.

"Gehen Sie sofort zur Drogerie drüben und holen Sie
ein halbes Pfund Hustenbonbons."

"Donnerwetter", sagte darauf der Hausherr, während
alle Kinder sich plötzlich unter Hustenanfällen förmlich
krümmten ...


[Spaltenumbruch]

Redaktion u. Adminiſtration:
Rathausſtraße 16.




Telephon-Nummer 161.




Abonnementsbedingungen:

Für Czernowitz
(mit Zuſtellung ins Haus):
monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40,
halbj. K 10.80, ganzjähr. K 21.60.
(mit täglicher Poſtverſendung)
monatl. K 2, vierteljähr. K 6,
halbjähr. K 12, ganzjähr. K 24.

Für Deutſchland:
vierteljährig ..... 7 Mark.

Für Rumänien und den Balkan:
[vi]erteljährig ..... 10 Lei.




Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.


[Spaltenumbruch]
Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

[Spaltenumbruch]

Ankündigungen:
Es koſtet im gewöhnlichen Inſe-
ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einſchaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inſerate
nehmen alle in- und ausländiſchen
Inſeratenbureaux ſowie die Ad-
miniſtration entgegen. — Einzel-
exemplare ſind in allen Zeitungs-
verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
verſitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Adminiſtration (Rat-
hausſtr. 16) erhältlich. In Wien
im Zeitungsbureau Goldſchmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
10 Heller für Czernowitz.






Nr. 933. Czernowitz, Mittw[o]ch, den 20. Februar. 1907.



[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Vom Tage.

Die Landtage von Oberöſterreich, Steiermark, Mähren
und Trieſt ſind auf den 25. Februar einberufen worden.

Bunte Chronik.

Die Aſſiſtenzärzte der Berliner Krankenhäuſer haben wegen
der Ablehnung ihrer wirtſchaftlichen Forderungen beſchloſſen, am
1. März in den Streik zu treten.

Letzte Telegramme.

Der deutſche Reichstag iſt vom Kaiſer Wilhelm mit einer
Thronrede eröffnet worden.




Miniſterkandidaturen.


Alſo iſt wieder einmal ein ſchöner Plan in Nichts zer-
ronnen. Als vor wenigen Wochen das allgemeine Wahlrecht
Geſetz wurde, da hörte man, daß auch die Baumeiſter des
neuen, ſtolzen Baues ſich in dem von ihnen errichteten Hauſe
des neuen Oeſterreich einen Platz ſichern wollen, daß — ein
Novum in der innerpolitiſchen Geſchichte Oeſterreichs — das
geſamte Kabinett in den Wahlkampf eintreten wolle, um
dann im Mai als parlamentariſche Regierung par
excellence
ſich dem neuen Abgeordnetenhauſe vorzuſtellen.
Vorſichtig, in unverbindlicher Form wurde dieſe Nachricht in
die Oeffentlichkeit lanziert; man wollte erſt den Boden ſon-
dieren, wollte ſich überzeugen, ob das Experiment, das ver-
ſucht werden ſollte, auch Ausſicht habe, zu gelingen. Nun,
die Erfahrungen, die man bei dieſem Taſten und Erproben
machten, waren unerfreulich genug; ſo unerfreulich, daß drei
der gewichtigſten Perſönlichkeiten des Kabinetts, der Miniſter-
präſident, der Miniſter des Innern und der Ackerbauminiſter,
die Abſicht, ſich um ein Mandat zu bewerben, aufgegeben
haben und daß alſo außer den Landsmannminiſtern voraus-
ſichtlich nur noch Korytowski, Derſchatta und Marchet als
Kandidaten auf den Plan treten werden. Was das zu be-
deuten hat, liegt auf der Hand: das erſte Volksparlament
Oeſterreichs wird bei ſeinem Zuſammentritt wieder nur
[Spaltenumbruch] ein parlamentariſch aufgeputztes Beamtenkabinett vorfinden
und — mit gutem Grund — wieder Urſache haben, die
tatſächliche Parlamentariſierung des Kabinetts zu fordern
und mit dieſem gewiß berechtigten Verlangen den Anſtoß zu
endloſen Verhandlungen zu geben, die nur allzuleicht der
Ausgangspunkt von Kriſen werden können.

Einem Parlamente, das aus dem allgemeinen Wahlrecht
hervorgegangen iſt, muß eine durchwegs parlamentariſche
Regierung gegenüberſtehen. Das iſt nun einmal ein Grund-
ſatz, über den ſich nicht weiter disputieren läßt. Die richtige
Erkenntnis dieſer Tatſache hat offenbar auch in den Miniſtern
den Entſchluß reifen laſſen, ſich um Mandate zu bewerben
und das Kabinett ſo ohne einen Perſonenwechſel, der bei
unſeren innerpolitiſchen Verhältniſſen immer eine mißliche
und nicht ungefährliche Sach[e] iſt, quaſi automatiſch zu par-
lamentariſieren. Damit wäre der Zwittercharakter des
Kabinettes Beck beſeitigt und den Hitzköpfen, an denen es ja
im neuen Abgeordnetenhauſe nicht fehlen wird, die Möglichkeit
benommen worden, ſich über die „unparlamentariſche“
Regierung aufzuregen. Aber ſo wenig dagegen auch einzu-
wenden iſt und ſo wenig Urſache wir auch, unſeres Erachtens
wenigſtens, haben, mit den dem Beamtenſtande entnommenen
Mitgliedern des gegewärtigen Kabinettes, das in vielen
ſchwierigen Fragen bis jetzt eine nicht gewöhnliche Tatkraft,
Konſequenz und politiſche Klugheit gezeigt hat, unzufrieden
zu ſein, ſo haben ſich doch Leute gefunden, die ſich verflichtet
fühlten, den Miniſtern, vor allem dem Miniſterpräſidenten, die
Suppe zu verſalzen. Um Gründe für ihre Ablehnung der
Miniſterkandidaturen waren dieſe Herrſchaften allerdings nicht
verlegen, aber welcher Art dieſe Gründe ſind, das iſt ſo echt
öſterreichiſch, daß man dar[ü]ber nicht ſtillſchweigend hinweg-
gehen kann.

Die „begründeten Zweifel“, die man bezüglich ihrer
Wahlprogramme, die zu entwickeln den Beamten-Miniſtern
durch die ablehnende Haltung gegenüber ihrer Kandidatur
überhaupt unmöglich gemacht wurde, äußerte, gründeten ſich
natürlich — in Oeſterreich iſt das ja nun ſchon einmal
nicht anders — auf das „nationale Moment“. Zwar hat
man den Miniſterpräſidenten noch in keiner Wählerverſamm-
lung ſprechen gehört, nichts deſto weniger aber befürchtete
[Spaltenumbruch] man, als ſeine Wiener Kandidatur beſprochen wurde, in
deutſchen Kreiſen, er werde zu wenig deutſch, in czechiſchen
Kreiſen, er werde zu viel deutſch ſein. Daran aber er-
innerte ſich keiner von den Herrſchaften, die nur nationale
Sorgen kennen, daß auch andere als nationale Wahlpro-
gramme ihre Berechtigung haben, daß es vor allem öſter-
reichiſche Wahlprogramme
geben muß, und daß ein
Abgeordneter, der die in dem ſeinerzeitigen Maydenſpeech des
Miniſterpräſidenten ausgeſprochenen Grundſätze zu der Richt-
ſchnur ſeines Wahlprogramms macht und demnach in erſter
Linie eine öſterreichiſche Realpolitik zu verfolgen
entſchloſſen iſt, in erſter Linie Anſpruch auf ein Mandat
haben ſollte. Die Ablehnung der Miniſterkandidaturen iſt ein
trauriges Zeichen dafür, daß man in Oeſterreich noch nicht
daran geht, ſich von dem nationalen Schlagwort zu eman-
zipieren. Und daß ſelbſt Baron Beck, der doch nicht gewohnt
iſt, ſo bald die Flinte ins Korn zu werfen, auf ſeine Kandi-
datur verzichtet, daraus könnten Schwarzſeher ſchließen, daß
auch er zu der von ihm ſo oft betonten werbenden Kraft
wirtſchaftlicher, realpolitiſcher Programme nicht mehr das volle
Vertrauen hat. Ja, die Zukunft gehört ihnen zweifellos,
aber es ſcheint nicht, als könnten ſie ſich ſchon die Gegen-
wart
erobern.




Die ruſſiſchen Finanzen und der
Zweibund.

(Orig.-Korr.)

Die ruſſiſche Rente, die nach Auflöſung der Duma auf
68 ſtand, ſchwankt heute zwiſchen 80—82. Sie hat ſich von
ihrem Tiefſtand langſam und allmählich auf dieſe Höhe
gehoben und ſcheint ſich nun dort zu halten. Ruſſenfreundliche
Kreiſe haben das mit der im Lande eingetretenen Beruhigung,
ruſſenfeindliche mit dem Herannahen einer neuen Anleihe
begründet. Es wird wohl beides ſeinen Anteil an der
Steigerung haben. Bekanntlich hat die ruſſiſche Regierung
ſchon vor einiger Zeit zugeſtanden, daß zur Deckung eines
Defizits von ungefähr 250 Millionen Rubel auch in dieſem
Jahre eine Anleihe nötig ſein wird. Ruſſiſche Anleihen ſind
aber jetzt keine rein finanzielle, ſondern weltpolitiſche Ange-
legenheiten von größter Tragweite. In den letzten Tagen




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Die Hausapotheke.

Nachdruck verboten.

Seit Jahren hatte ſich Frau Margarete eine Haus-
apotheke gewünſcht. Sie hatte ſie nie bekommen. Es waren
meiſt notwendigere Gegenſtände geweſen, die an Weihnachts-
feſten oder zu Geburtstagen für ſie auf dem Gabentiſch
lagen.

Der Wunſch wuchs ſchließlich von Monat zu Monat
heftiger.

„Eine Hausapotheke? ... Wozu?“ ... meinte Frau
Margaretes Gatte. „Wir haben genug Möbelſtücke und genug
Kram im Hauſe. Deine Tuben, Fläſchchen und Kranken-
pülverchen ſind ſehr gut im Büffet oder in irgend einem
andern Schubfach aufgehoben. Lieber mal einen anſtändigen
Zigarrenkaſten zum Verſchließen, aber Doppelſchloß ....
lieber Schatz“.

Die junge Frau war dann jedesmal ſehr entrüſtet.

„Du denkſt immer nur an dich, ... natürlich! Aber
wenn ich mal irgend eine Medizin verwechſle, wenn ich dir
oder den Kindern mal anſtatt Hoffmannstropfen, Lyſol gebe,
ich habe keine Schuld“.

„Um Gottes willen, nee, ... haſte denn überhaupt Lyſol
im Hauſe? Wo haſte denn das?“

„D .. a .. s weiß .. ich .. nicht augenblicklich ...
ſo genau“ ... ſtotterte Frau Margarete.

Da ſuchte der Hausherr ſelber. Und als er endlich dieſes
„todſichere Hausmittel“ neben der Eſſig- und Oelflaſche im
Küchenſchrank fand, ſtimmte er bei: „Ja wirklich, wir müſſen
eine Hausapotheke haben“.

„Ein oder das andere Kind iſt ja doch immer krank“,
ſetzte die geplagte Mama hinzu, als ſie ihre vier kaum die
Maſern überſtandenen Sprößlinge betrachtete, die augenblicklich,
der Abwechslung halber, den Huſten hatten.


[Spaltenumbruch]

Tante Röschen verplichtete ſich ſogar, eine Hausapotheke
ſehr kunſtvoll, mit Heckenroſen zu brennen, wenn man ihr das
nötige Material dazu gratis liefern würde.

Das lehnte aber der Hausherr dankend ab. Er war fürs
Praktiſchere und Billigere. Er ging zum Tiſchler, beſtellte
nach Maß einen zweiunddreißig Fächer bergenden, braun-
gebeizten Holzkaſten, den man an die Wand hängen konnte,
und bezahlte für das Ungetüm nach vierwöchiger Wartezeit
pro Arbeitsſtunde bei den augenblicklichen ſchlechten Zeiten
eine Reichsmark ... was eine Rieſenſumme ausmachte.

Weder Tante Röschen noch Frau Margarete erfuhren
jemals den alſo erzielten Preis.

Letztere war aber doch ſehr glücklich, als die Hausapotheke
wirklich im Hauſe war. Im Korridor natürlich. Für die
Zimmer paßte der Farbenton der Holzbeize nicht zu den
Möbeln....

Eine Woche lang blieb Frau Margarete unter begeiſterter
Aſſiſtenz ſämtlicher Kinder beim Suchen und Zuſammenſtellen
des Inhalts dieſer Hausapotheke. Die ganze Wohnung wurde
nach Medikamenten und ſonſtigen hygieniſchen Gebrauchs-
artikeln förmlich umgeräumt. Die Verbandwatte fand man
nach tagelangem Suchen als Unterlage in Lieschens Puppen-
bettchen. Lanolin, Vaſeline und Heftpflaſter in Mamas Nähtiſch,
und Bitterſalz, Kamillentee und doppeltkohlenſaures Natron
im Schreibtiſch in der Briefkaſſette.

Das Fieberthermometer mußte durch ein neues erſetzt
werden, weil Kurtchen es als Peitſchenſtiel gebraucht hatte,
und die Gifte hoch oben auf dem Kleiderſpind waren ſo feſt
zwiſchen Holz und Tapete eingeklemmt, daß die Tüten beim
Hervorziehen ſämtlich in die Brüche gingen.

Allerſeits ergab ſich aber die doppelte Notwendigkeit einer
Hausapotheke.

Als Frau Margarete endlich ihre vorhandenen Sachen
eingeräumt hatte, kam ihr zum erſtenmal in den ſechs Jahren
ihrer Ehe zum Bewußtſein, wie wenig von derartigen guten
Hausmitteln ſie doch eigentlich im Hauſe hatte. Wie unvorſichtig
und leichtſinnig das war! .. Sie ließ ſich darum von ihrem
Apotheker eine Liſte aufſtellen, in der die wichtigſten Haus-
[Spaltenumbruch] mittel aufgezeichnet waren. Und da mußte ſie zu ihrem
Schrecken erkennen, daß ſie nicht einmal Chloroform- und
Kampferſpiritus, Rizinusöl und Lindenblütentee im Hauſe
hatte. Sagradatabletten zum Abführen fehlten auch, ebenſo
eſſigſaure Tonerde und Bleiwaſſer, zwei ſehr wichtige Verband-
waſſer, wie der Apotheker bemerkt hatte.

Alſo kaufte ſie .... Das und noch mehreres. Frau
Margarete hatte noch niemals ſo viel Wirtſchaftsgeld gebraucht
wie in jenen Tagen, ſeit die Hausapotheke im Korridor hing.

Endlich, nachdem die zweiunddreißig Fächer gefüllt waren,
hatte ſie ihr Ziel erreicht. Im feierlichen Zuge führte ſie
Mann, Kinder und Emilie, das Mädchen für alles, vor den
braungebeizten Wandkaſten, an dem ſich der Hausherr ſchon
zweimal in dem dunklen Korridor den Kopf geſtoßen hatte.

„So, meine Lieben, nun könnt ihr getroſt krank werden,
wir ſparen den Arzt. Ich bin für alle vorkommenden Fälle
verſorgt und kann euch ſelben helfen.“

Sie ſtaunen alle. Auf der Innenſeite der Tür hatte die
kluge Hausfrau eine Liſte angebracht. Da ſtand ſein fäuberlich
Inhalt und Zweck der Fächer erklärt: Kamillentee
für Leibſchmerzen, Lindenblütentee für Magenbeſchwerden,
Baldriantropfen für Nervoſität, Salmiakgeiſt für Inſekten-
ſtiche uſw.

„Na denn man zu“, ermunterte der Hausherr. „Mir
fehlt ja leider augenblicklich nichts ... Aber Kinder, habt
ihr nicht irgendwo Schmerzen? Mutter hilft.“

Erwartungsvoller Schweigen. Eins blickt das andere an,
und Frau Margarete ſtand linderungsbereit.

„Ich will ’n Huſtenbonbon“, brüllte dann Kurtchen nach
einem fürchterlichen, künſtlich angelegten Huſtenanſall.

Die Hausfran erbleichte. Darauf war ſie nicht vorbereitet.
Sie überflog das Regiſter und wandte ſich dann, haſtig ihr
Portemonnaie ziehend, an das greinende Dienſtmädchen.

„Gehen Sie ſofort zur Drogerie drüben und holen Sie
ein halbes Pfund Huſtenbonbons.“

„Donnerwetter“, ſagte darauf der Hausherr, während
alle Kinder ſich plötzlich unter Huſtenanfällen förmlich
krümmten ...


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[[1]/0001] Redaktion u. Adminiſtration: Rathausſtraße 16. Telephon-Nummer 161. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz (mit Zuſtellung ins Haus): monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40, halbj. K 10.80, ganzjähr. K 21.60. (mit täglicher Poſtverſendung) monatl. K 2, vierteljähr. K 6, halbjähr. K 12, ganzjähr. K 24. Für Deutſchland: vierteljährig ..... 7 Mark. Für Rumänien und den Balkan: vierteljährig ..... 10 Lei. Telegramme: Allgemeine, Czernowitz. Czernowitzer Allgemeine Zeitung Ankündigungen: Es koſtet im gewöhnlichen Inſe- ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei mehrmaliger Einſchaltung, für Re- klame 40 h die Petitzeile. Inſerate nehmen alle in- und ausländiſchen Inſeratenbureaux ſowie die Ad- miniſtration entgegen. — Einzel- exemplare ſind in allen Zeitungs- verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni- verſitätsbuchhandlung H. Pardini und in der Adminiſtration (Rat- hausſtr. 16) erhältlich. In Wien im Zeitungsbureau Goldſchmidt, Wollzeile 11. Einzelexemplare 10 Heller für Czernowitz. Nr. 933. Czernowitz, Mittwoch, den 20. Februar. 1907. Uebersicht. Vom Tage. Die Landtage von Oberöſterreich, Steiermark, Mähren und Trieſt ſind auf den 25. Februar einberufen worden. Bunte Chronik. Die Aſſiſtenzärzte der Berliner Krankenhäuſer haben wegen der Ablehnung ihrer wirtſchaftlichen Forderungen beſchloſſen, am 1. März in den Streik zu treten. Letzte Telegramme. Der deutſche Reichstag iſt vom Kaiſer Wilhelm mit einer Thronrede eröffnet worden. Miniſterkandidaturen. Czernowitz, 19. Februar. Alſo iſt wieder einmal ein ſchöner Plan in Nichts zer- ronnen. Als vor wenigen Wochen das allgemeine Wahlrecht Geſetz wurde, da hörte man, daß auch die Baumeiſter des neuen, ſtolzen Baues ſich in dem von ihnen errichteten Hauſe des neuen Oeſterreich einen Platz ſichern wollen, daß — ein Novum in der innerpolitiſchen Geſchichte Oeſterreichs — das geſamte Kabinett in den Wahlkampf eintreten wolle, um dann im Mai als parlamentariſche Regierung par excellence ſich dem neuen Abgeordnetenhauſe vorzuſtellen. Vorſichtig, in unverbindlicher Form wurde dieſe Nachricht in die Oeffentlichkeit lanziert; man wollte erſt den Boden ſon- dieren, wollte ſich überzeugen, ob das Experiment, das ver- ſucht werden ſollte, auch Ausſicht habe, zu gelingen. Nun, die Erfahrungen, die man bei dieſem Taſten und Erproben machten, waren unerfreulich genug; ſo unerfreulich, daß drei der gewichtigſten Perſönlichkeiten des Kabinetts, der Miniſter- präſident, der Miniſter des Innern und der Ackerbauminiſter, die Abſicht, ſich um ein Mandat zu bewerben, aufgegeben haben und daß alſo außer den Landsmannminiſtern voraus- ſichtlich nur noch Korytowski, Derſchatta und Marchet als Kandidaten auf den Plan treten werden. Was das zu be- deuten hat, liegt auf der Hand: das erſte Volksparlament Oeſterreichs wird bei ſeinem Zuſammentritt wieder nur ein parlamentariſch aufgeputztes Beamtenkabinett vorfinden und — mit gutem Grund — wieder Urſache haben, die tatſächliche Parlamentariſierung des Kabinetts zu fordern und mit dieſem gewiß berechtigten Verlangen den Anſtoß zu endloſen Verhandlungen zu geben, die nur allzuleicht der Ausgangspunkt von Kriſen werden können. Einem Parlamente, das aus dem allgemeinen Wahlrecht hervorgegangen iſt, muß eine durchwegs parlamentariſche Regierung gegenüberſtehen. Das iſt nun einmal ein Grund- ſatz, über den ſich nicht weiter disputieren läßt. Die richtige Erkenntnis dieſer Tatſache hat offenbar auch in den Miniſtern den Entſchluß reifen laſſen, ſich um Mandate zu bewerben und das Kabinett ſo ohne einen Perſonenwechſel, der bei unſeren innerpolitiſchen Verhältniſſen immer eine mißliche und nicht ungefährliche Sache iſt, quaſi automatiſch zu par- lamentariſieren. Damit wäre der Zwittercharakter des Kabinettes Beck beſeitigt und den Hitzköpfen, an denen es ja im neuen Abgeordnetenhauſe nicht fehlen wird, die Möglichkeit benommen worden, ſich über die „unparlamentariſche“ Regierung aufzuregen. Aber ſo wenig dagegen auch einzu- wenden iſt und ſo wenig Urſache wir auch, unſeres Erachtens wenigſtens, haben, mit den dem Beamtenſtande entnommenen Mitgliedern des gegewärtigen Kabinettes, das in vielen ſchwierigen Fragen bis jetzt eine nicht gewöhnliche Tatkraft, Konſequenz und politiſche Klugheit gezeigt hat, unzufrieden zu ſein, ſo haben ſich doch Leute gefunden, die ſich verflichtet fühlten, den Miniſtern, vor allem dem Miniſterpräſidenten, die Suppe zu verſalzen. Um Gründe für ihre Ablehnung der Miniſterkandidaturen waren dieſe Herrſchaften allerdings nicht verlegen, aber welcher Art dieſe Gründe ſind, das iſt ſo echt öſterreichiſch, daß man darüber nicht ſtillſchweigend hinweg- gehen kann. Die „begründeten Zweifel“, die man bezüglich ihrer Wahlprogramme, die zu entwickeln den Beamten-Miniſtern durch die ablehnende Haltung gegenüber ihrer Kandidatur überhaupt unmöglich gemacht wurde, äußerte, gründeten ſich natürlich — in Oeſterreich iſt das ja nun ſchon einmal nicht anders — auf das „nationale Moment“. Zwar hat man den Miniſterpräſidenten noch in keiner Wählerverſamm- lung ſprechen gehört, nichts deſto weniger aber befürchtete man, als ſeine Wiener Kandidatur beſprochen wurde, in deutſchen Kreiſen, er werde zu wenig deutſch, in czechiſchen Kreiſen, er werde zu viel deutſch ſein. Daran aber er- innerte ſich keiner von den Herrſchaften, die nur nationale Sorgen kennen, daß auch andere als nationale Wahlpro- gramme ihre Berechtigung haben, daß es vor allem öſter- reichiſche Wahlprogramme geben muß, und daß ein Abgeordneter, der die in dem ſeinerzeitigen Maydenſpeech des Miniſterpräſidenten ausgeſprochenen Grundſätze zu der Richt- ſchnur ſeines Wahlprogramms macht und demnach in erſter Linie eine öſterreichiſche Realpolitik zu verfolgen entſchloſſen iſt, in erſter Linie Anſpruch auf ein Mandat haben ſollte. Die Ablehnung der Miniſterkandidaturen iſt ein trauriges Zeichen dafür, daß man in Oeſterreich noch nicht daran geht, ſich von dem nationalen Schlagwort zu eman- zipieren. Und daß ſelbſt Baron Beck, der doch nicht gewohnt iſt, ſo bald die Flinte ins Korn zu werfen, auf ſeine Kandi- datur verzichtet, daraus könnten Schwarzſeher ſchließen, daß auch er zu der von ihm ſo oft betonten werbenden Kraft wirtſchaftlicher, realpolitiſcher Programme nicht mehr das volle Vertrauen hat. Ja, die Zukunft gehört ihnen zweifellos, aber es ſcheint nicht, als könnten ſie ſich ſchon die Gegen- wart erobern. Die ruſſiſchen Finanzen und der Zweibund. Paris, 17. Februar. (Orig.-Korr.) Die ruſſiſche Rente, die nach Auflöſung der Duma auf 68 ſtand, ſchwankt heute zwiſchen 80—82. Sie hat ſich von ihrem Tiefſtand langſam und allmählich auf dieſe Höhe gehoben und ſcheint ſich nun dort zu halten. Ruſſenfreundliche Kreiſe haben das mit der im Lande eingetretenen Beruhigung, ruſſenfeindliche mit dem Herannahen einer neuen Anleihe begründet. Es wird wohl beides ſeinen Anteil an der Steigerung haben. Bekanntlich hat die ruſſiſche Regierung ſchon vor einiger Zeit zugeſtanden, daß zur Deckung eines Defizits von ungefähr 250 Millionen Rubel auch in dieſem Jahre eine Anleihe nötig ſein wird. Ruſſiſche Anleihen ſind aber jetzt keine rein finanzielle, ſondern weltpolitiſche Ange- legenheiten von größter Tragweite. In den letzten Tagen Feuilleton. Die Hausapotheke. Von Elſe Krafft. Nachdruck verboten. Seit Jahren hatte ſich Frau Margarete eine Haus- apotheke gewünſcht. Sie hatte ſie nie bekommen. Es waren meiſt notwendigere Gegenſtände geweſen, die an Weihnachts- feſten oder zu Geburtstagen für ſie auf dem Gabentiſch lagen. Der Wunſch wuchs ſchließlich von Monat zu Monat heftiger. „Eine Hausapotheke? ... Wozu?“ ... meinte Frau Margaretes Gatte. „Wir haben genug Möbelſtücke und genug Kram im Hauſe. Deine Tuben, Fläſchchen und Kranken- pülverchen ſind ſehr gut im Büffet oder in irgend einem andern Schubfach aufgehoben. Lieber mal einen anſtändigen Zigarrenkaſten zum Verſchließen, aber Doppelſchloß .... lieber Schatz“. Die junge Frau war dann jedesmal ſehr entrüſtet. „Du denkſt immer nur an dich, ... natürlich! Aber wenn ich mal irgend eine Medizin verwechſle, wenn ich dir oder den Kindern mal anſtatt Hoffmannstropfen, Lyſol gebe, ich habe keine Schuld“. „Um Gottes willen, nee, ... haſte denn überhaupt Lyſol im Hauſe? Wo haſte denn das?“ „D .. a .. s weiß .. ich .. nicht augenblicklich ... ſo genau“ ... ſtotterte Frau Margarete. Da ſuchte der Hausherr ſelber. Und als er endlich dieſes „todſichere Hausmittel“ neben der Eſſig- und Oelflaſche im Küchenſchrank fand, ſtimmte er bei: „Ja wirklich, wir müſſen eine Hausapotheke haben“. „Ein oder das andere Kind iſt ja doch immer krank“, ſetzte die geplagte Mama hinzu, als ſie ihre vier kaum die Maſern überſtandenen Sprößlinge betrachtete, die augenblicklich, der Abwechslung halber, den Huſten hatten. Tante Röschen verplichtete ſich ſogar, eine Hausapotheke ſehr kunſtvoll, mit Heckenroſen zu brennen, wenn man ihr das nötige Material dazu gratis liefern würde. Das lehnte aber der Hausherr dankend ab. Er war fürs Praktiſchere und Billigere. Er ging zum Tiſchler, beſtellte nach Maß einen zweiunddreißig Fächer bergenden, braun- gebeizten Holzkaſten, den man an die Wand hängen konnte, und bezahlte für das Ungetüm nach vierwöchiger Wartezeit pro Arbeitsſtunde bei den augenblicklichen ſchlechten Zeiten eine Reichsmark ... was eine Rieſenſumme ausmachte. Weder Tante Röschen noch Frau Margarete erfuhren jemals den alſo erzielten Preis. Letztere war aber doch ſehr glücklich, als die Hausapotheke wirklich im Hauſe war. Im Korridor natürlich. Für die Zimmer paßte der Farbenton der Holzbeize nicht zu den Möbeln.... Eine Woche lang blieb Frau Margarete unter begeiſterter Aſſiſtenz ſämtlicher Kinder beim Suchen und Zuſammenſtellen des Inhalts dieſer Hausapotheke. Die ganze Wohnung wurde nach Medikamenten und ſonſtigen hygieniſchen Gebrauchs- artikeln förmlich umgeräumt. Die Verbandwatte fand man nach tagelangem Suchen als Unterlage in Lieschens Puppen- bettchen. Lanolin, Vaſeline und Heftpflaſter in Mamas Nähtiſch, und Bitterſalz, Kamillentee und doppeltkohlenſaures Natron im Schreibtiſch in der Briefkaſſette. Das Fieberthermometer mußte durch ein neues erſetzt werden, weil Kurtchen es als Peitſchenſtiel gebraucht hatte, und die Gifte hoch oben auf dem Kleiderſpind waren ſo feſt zwiſchen Holz und Tapete eingeklemmt, daß die Tüten beim Hervorziehen ſämtlich in die Brüche gingen. Allerſeits ergab ſich aber die doppelte Notwendigkeit einer Hausapotheke. Als Frau Margarete endlich ihre vorhandenen Sachen eingeräumt hatte, kam ihr zum erſtenmal in den ſechs Jahren ihrer Ehe zum Bewußtſein, wie wenig von derartigen guten Hausmitteln ſie doch eigentlich im Hauſe hatte. Wie unvorſichtig und leichtſinnig das war! .. Sie ließ ſich darum von ihrem Apotheker eine Liſte aufſtellen, in der die wichtigſten Haus- mittel aufgezeichnet waren. Und da mußte ſie zu ihrem Schrecken erkennen, daß ſie nicht einmal Chloroform- und Kampferſpiritus, Rizinusöl und Lindenblütentee im Hauſe hatte. Sagradatabletten zum Abführen fehlten auch, ebenſo eſſigſaure Tonerde und Bleiwaſſer, zwei ſehr wichtige Verband- waſſer, wie der Apotheker bemerkt hatte. Alſo kaufte ſie .... Das und noch mehreres. Frau Margarete hatte noch niemals ſo viel Wirtſchaftsgeld gebraucht wie in jenen Tagen, ſeit die Hausapotheke im Korridor hing. Endlich, nachdem die zweiunddreißig Fächer gefüllt waren, hatte ſie ihr Ziel erreicht. Im feierlichen Zuge führte ſie Mann, Kinder und Emilie, das Mädchen für alles, vor den braungebeizten Wandkaſten, an dem ſich der Hausherr ſchon zweimal in dem dunklen Korridor den Kopf geſtoßen hatte. „So, meine Lieben, nun könnt ihr getroſt krank werden, wir ſparen den Arzt. Ich bin für alle vorkommenden Fälle verſorgt und kann euch ſelben helfen.“ Sie ſtaunen alle. Auf der Innenſeite der Tür hatte die kluge Hausfrau eine Liſte angebracht. Da ſtand ſein fäuberlich Inhalt und Zweck der Fächer erklärt: Kamillentee für Leibſchmerzen, Lindenblütentee für Magenbeſchwerden, Baldriantropfen für Nervoſität, Salmiakgeiſt für Inſekten- ſtiche uſw. „Na denn man zu“, ermunterte der Hausherr. „Mir fehlt ja leider augenblicklich nichts ... Aber Kinder, habt ihr nicht irgendwo Schmerzen? Mutter hilft.“ Erwartungsvoller Schweigen. Eins blickt das andere an, und Frau Margarete ſtand linderungsbereit. „Ich will ’n Huſtenbonbon“, brüllte dann Kurtchen nach einem fürchterlichen, künſtlich angelegten Huſtenanſall. Die Hausfran erbleichte. Darauf war ſie nicht vorbereitet. Sie überflog das Regiſter und wandte ſich dann, haſtig ihr Portemonnaie ziehend, an das greinende Dienſtmädchen. „Gehen Sie ſofort zur Drogerie drüben und holen Sie ein halbes Pfund Huſtenbonbons.“ „Donnerwetter“, ſagte darauf der Hausherr, während alle Kinder ſich plötzlich unter Huſtenanfällen förmlich krümmten ...

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 933, Czernowitz, 20.02.1907, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer933_1907/1>, abgerufen am 29.03.2024.