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Mährisches Tagblatt. Nr. 1, Olmütz, 02.01.1893.

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"Mährische Tagblatt"
erscheint mit Ausnahme der
Sonn- und Feiertage täglich.
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Niederring Nr. 41 neu.
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Mährisches
Tagblatt.

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Insertionsgebühren
[n]ach aufliegendem Tari[f].



Außerhalb Olmütz überneh-
men Insertions-Aufträge:
Heinrich Schalek, Annon-
cen-Exped in Wien, I. Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein &
Vogler,
in Wien, Prag, Buda-
pest, Berlin, Frankfurt a. M.
Hamburg, Basel und Leipzig.
Alois Opellik, in Wien. Rud.
Mosse,
in Wien, München u.
Berlin. M. Dukes, Wien, I.
Schulerstraße 8. G. L. Daube,
und Co.,
Frankfurt a. M.
Adolf Steiner's Annoncen-
bureau in Hamburg, sowie
sämmtl. conc. Insertionsbu-
reaus des In- u. Auslandes.
Manuscripte werden nicht
zurückgestellt.


Telephon Nr. 9.




Nr. 1. Olmütz, Montag den 2. Jänner 1893. 14 Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Die landwirthschaftliche Krise.

(Orig.-Corr.)

In der "alten Zeit", welche die großen
Herren die "gute" und die meisten aus dem
Volke die "schlimme" zu nennen alle Ursache
hatten, da war der Grund und Boden, schreibt
die "Linzer Tagespost", nicht nur die sicherste
Capitalsanlage, was er wohl auch heute noch
ist, sondern auch die regelmäßigste und stetigste
Einnahmsquelle. Die großen und kleinen Land-
güter konnten freilich mit ihren Feldfrüchten
keine entlegenen Märkte aufsuchen, aber sie hatten
dafür auch keine Mitbewerbung zu fürchten. Die
Unmöglichkeit des Transportes der verhältniß-
mäßig geringwerthigen und schweren Producte
des Feldbaues war für sie ein Schutzzoll, der,
wie alle Schutzzölle, eine Minderheit begünstigte
und die große Mehrheit bedrückte. Hatte das
Volk bei guter Ernte Brot, oder hungerte es
nach einer Mißernte, dem Gutsherrn war es
gleich. Wurde viel gebaut und wurde das Ge-
treide billig, so hatte er viel zu verkaufen, gab
es ein schlechtes Erntejahr, so stieg der Preis.
Der Geldbetrag für ihn blieb immer ziemlich
derselbe, die Rente des Grundbesitzes war eine
unveränderte, feste.

Dann kam die Dampfkraft und brachte Völker
und Länder einander näher. Friedlich und still
vollzog sich da die größte und segenreichste Revo-
lution, welche in der Geschichte des Menschenge-
schlechtes verzeichnet steht. Die große Masse des
Volkes wurde von der Scholle unabhängig, sie
wurde freizügig; sie konnte mit Leichtigkeit den
besseren, wenn auch noch so fernen Markt für
ihre Artikel aufsuchen und die Producte dieses
[Spaltenumbruch] Marktes wurden ihr nahegerückt; sie blieb nicht
länger von dem örtlichen Ertrage der Scholle
abhängig; die Mißernten verloren ihren Schrecken,
das bleiche Gespenst der Hungersnoth wurde ge-
bannt.

Aber während es im westlichen Europa ver-
schwand, tauchte ein anderes Gespenst auf: die
landwirthschaftliche Krise. Die Getreidepreise stie-
gen und fielen nicht länger mit dem Ausfalle der
localen Ernte. Die ungeheuren Preisschwankungen
hörten auf; was früher dem beständigen Wechsel
unterworfen war, erlangte eine verhältnißmäßige
Stetigkeit, und umgekehrt, das früher Feststehende,
der Geldertrag aus Grund und Boden, schwankte
auf und ab. Der Grundherr wurde vom Ernte-
ertrag ebenso abhängig, wie es früher das Volk
war. Die Agrarkrise war da und sie verschärfte
sich beständig. Ungeheuere Gebiete jungfräulichen
Bodens wurden urbar gemacht und bebaut; un-
geheuere Herden von Schafen, Rindern und
Schweinen wurden herangezüchtet. Die Zunahme
an Nahrungsmitteln hielt nicht nur Schritt mit
der Zunahme der Menschenzähl, sie überflügelte
sie bei weitem. Die Ueberproduction der über-
seeischen Länder konnte bei den geänderten Trans-
portverhältnissen nur die Folge haben, die Preise
auf den Märkten der alten Welt herabzudrücken.
Alles wurde billiger: Brotfrucht, Wolle, Speck,
Fleisch. Die Landwirthe der alten Welt wurden
von ihren Collegen in der neuen Welt gezwun-
gen, billiger zu verkaufen. Der Grundbesitz klam-
merte sich dabei noch immer an die hohe Bewer-
tung seines Bodens; er verlangte noch immer
eine Rente, die dieser Boden unter dem Einflusse
der überseeischen Concurrenz nicht geben konnte.
Wurde doch alles, was der Boden erzeugt, billi-
[Spaltenumbruch] ger und billiger. Es war dies ein Segen für
die arme Menschheit, aber eine Calamität für den
Grundbesitz.

Die landwirthschaftliche Krise war nun da,
sie wurde immer acuter und wird noch
acuter werden. Schon seit langem stehen
die Viehpreise und besonders die Getreidepreise
so niedrig, daß unsere Landwirthe dabei nicht
existiren können. Die Ansprüche der Dienstboten
werden immer höher, die Staats- Landes- und
Gemeindesteuern wachsen fortwährend und der
Landwirth nimmt nicht mehr, sondern weniger
ein wie früher. In guten und regelmäßig ver-
laufenden Zeiten kann der Landwirth bei aller
Sparsamkeit, Mühe und Plage nur mühselig
schwimmen, hat er irgend ein Unglück oder ist
seine Realität mit Schulden belastet, so ist er
geliefert. Das war schon bis heute der Fall, in
Zukunft wird es noch schlimmer werden. Das
Getreide hat schon heute einen beispiellos nie-
drigen Preis, und doch ist dieser Preis des Ge-
treides in Oesterreich-Ungarn noch viel zu hoch,
da ganz West- und Centraleuropa von ameri-
kanischem Getreide überschwemmt wird, so zwar,
daß der Metercentner des schwersten amerika-
nischen Weizens in der Schweiz, in Deutsch-
land um zwei Francs oder zwei Mark billiger
ist als der Weizen aus Oesterreich-Ungarn, und
das Getreide aus Rußland, Rumänien etc. ist
noch billiger. Die Folge davon ist, daß die Ge-
treideausfuhr aus Oesterreich-Ungarn fast ganz
aufgehört hat und daß bei uns das Getreide noch
billiger werden muß als jetzt.

Daß die Landwirthschaft unter solchen Um-
ständen nicht bestehen kann und zugrunde gehen
muß, ist selbstverständlich und es wäre Pflicht




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Gerade wie sonst --!
Eine Neujahrsplau derei von
Maximilian W. Trapp.

(Nachdruck verboten.)

Der Schnee fällt in dichten Massen.

Der noch vor wenigen Stunden frostig-klare
Himmel hatte sich mit grauem Gewölk überzogen,
das der Wind nur hin und wieder auseinander
trieb, um dem Mond einen Ausblick zu gestatten.
Auf den hartgefrorenen Straßen knirschte der
Schnee unter den Füßen. Die Menschen eilen
jetzt, die Nase im Rockkragen, die Hände in den
Taschen, hastig vorwärts: Niemand bleibt stehen
und die Hausthüren öffnen und schließen sich
unmittelbar wieder, um Schnee und Kälte nicht
einzulassen.

Bei alledem ist es ein lustiges Schneetrei-
ben, wenigstens für diejenigen, die sorglos ihrem
Vergnügen oder der warmen Stube zustreben.

So streben dort drüben glänzende Unifor-
men, kokette "alte Fräulein" und junge Dämchen
den erhellten Salons des Baron Herrnig'schen
Hauses zum Sylvesterball zu.

Wagen auf Wagen rollt in das weitge-
öffnete Portal.

Eine Anzahl Gassenjungen hat sich dort trotz
Wind und Wetter angesammelt und begrüßt
jeden Wagen, welcher Gäste bringt, mit Schreien
[Spaltenumbruch] und Lachen und jeden Aussteigenden mit einem
verwunderten "Ah!"

Da tritt eine einzelne Frauengestalt in
dunklem Kleid und Mantel tief verschleiert in
das Portal.

"O je, da kommt gar eine zu Fuß, zum
Tanzen!" rufen die Gassenjungen mit dem ihnen
eigenthümlichen Spott, doch schon zieht ein eben
einfahrender Wagen ihre Aufmerksamkeit auf sich.

Ein junges Mädchen springt heraus, leicht
und behend, noch ehe ein Diener herbeieilen kann,
ihr folgt ein Herr in Officiers-Uniform und
diesem wieder eine ältere Dame. Die einzelne
Dame, die vorher einen Schritt vor dem anfah-
renden Wagen zurückgetreten war, folgt nun
ebenfalls, ohne von den ihr Vorangehenden bemerkt
zu werden.

Alle vier steigen jetzt die breite, mit Teppi-
chen belegte Treppe hinan.

Oben im Saale ein ceremonielles Begrüßen
-- ein bewunderndes oder auch neidisches Be-
trachten einer neuen Toilette -- ein mitleidiges
Achselzucken bei einem gewaschenen Mullfähnchen
-- feurige Blicke aus dunklen Männeraugen --
verheißungsvolles Lächeln von rosigen Lippen.
Das fade Schmeichelwort des alten Stutzers --
das kokette Fächerspiel der pikanten Witwe --
alles das zugleich und in jedem Moment ein
anderes Bild, bietet ein Ball in seinem Anfang,
wo die Kerzen und Augen noch hell leuchten, die
Toiletten und Stimmungen noch unzerd[r]ückt sind
[Spaltenumbruch] -- wie ein Kaleidoskop, das bei jedem Bewegen
ein neues buntes Gestalten zeigt.

"Wer ist denn dieser "pauvere" Nachtvogel?"
wendet sich eine "reizende Schöne" an die neben
ihr stehende Nichte der Hausfrau. Sie selbst
war allerdings neuester Bazar und sah mit
spöttischem Lächeln zu dem etwas altmodischen
Seidenkleide, das von der uns schon bekannten
alten Dame getragen wird, hinüber.

"Das ist Fräulein von Stern, eine Jugend-
freundin meiner Tante, sie ist auf der Durchreise
hier und besucht die Verwandten," antwortet die
Gefragte, ohne selbst ein leises Zucken um die
Mundwinkel unterdrücken zu können, als sie dem
besprochenen Kleide näher kommt.

Doch schnell ist dieses Lächeln verschwunden,
als das alte Fräulein auf so gewinnend liebens-
würdige Weise mit ihr spricht. -- Sie drückt
mit herzlichen Worten die Freude aus, die liebe
Nichte ihrer Jugendfreundin zu sehen und er-
zählt, daß sie selbst als junges Mädchen hier
getanzt habe -- vor genau 30 Jahren, im
Sylvester 1862, war es das letzte Mal gewesen
-- als das Haus noch von den Eltern ihrer
Freundin -- der jetzigen Freiin Herrnig -- be-
wohnt wurde. "Doch nun mein liebes Kind",
unterbrach sie sich, "dürfen Sie nicht länger mit
einer alten Frau sprechen, die gar kein Recht
hat, der frohen Jugend die schönen Minuten
des Ballabends zu rauben, denn ich sehe da
drüben einen jungen Herrn böse Blicke auf mich
werfen, daß ich seine Tänzerin ihm so lange


[Spaltenumbruch]

Das
„Mähriſche Tagblatt“
erſcheint mit Ausnahme der
Sonn- und Feiertage täglich.
Ausgabe 2 Uhr Nachmittag
im Adminiſtrationslocale
Niederring Nr. 41 neu.
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Halbjährig „ 5.—
Vierteljährig „ 2.50
Monatlich „ —.90
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lich 10 kr.
Auswärts durch die Poſt:
Ganzjährig fl. 14.—
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Vierteljährig „ 3.50
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Mähriſches
Tagblatt.

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[n]ach aufliegendem Tari[f].



Außerhalb Olmütz überneh-
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Heinrich Schalek, Annon-
cen-Exped in Wien, I. Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein &
Vogler,
in Wien, Prag, Buda-
peſt, Berlin, Frankfurt a. M.
Hamburg, Baſel und Leipzig.
Alois Opellik, in Wien. Rud.
Mosse,
in Wien, München u.
Berlin. M. Dukes, Wien, I.
Schulerſtraße 8. G. L. Daube,
und Co.,
Frankfurt a. M.
Adolf Steiner’s Annoncen-
bureau in Hamburg, ſowie
ſämmtl. conc. Inſertionsbu-
reaus des In- u. Auslandes.
Manuſcripte werden nicht
zurückgeſtellt.


Telephon Nr. 9.




Nr. 1. Olmütz, Montag den 2. Jänner 1893. 14 Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Die landwirthſchaftliche Kriſe.

(Orig.-Corr.)

♓ In der „alten Zeit“, welche die großen
Herren die „gute“ und die meiſten aus dem
Volke die „ſchlimme“ zu nennen alle Urſache
hatten, da war der Grund und Boden, ſchreibt
die „Linzer Tagespoſt“, nicht nur die ſicherſte
Capitalsanlage, was er wohl auch heute noch
iſt, ſondern auch die regelmäßigſte und ſtetigſte
Einnahmsquelle. Die großen und kleinen Land-
güter konnten freilich mit ihren Feldfrüchten
keine entlegenen Märkte aufſuchen, aber ſie hatten
dafür auch keine Mitbewerbung zu fürchten. Die
Unmöglichkeit des Transportes der verhältniß-
mäßig geringwerthigen und ſchweren Producte
des Feldbaues war für ſie ein Schutzzoll, der,
wie alle Schutzzölle, eine Minderheit begünſtigte
und die große Mehrheit bedrückte. Hatte das
Volk bei guter Ernte Brot, oder hungerte es
nach einer Mißernte, dem Gutsherrn war es
gleich. Wurde viel gebaut und wurde das Ge-
treide billig, ſo hatte er viel zu verkaufen, gab
es ein ſchlechtes Erntejahr, ſo ſtieg der Preis.
Der Geldbetrag für ihn blieb immer ziemlich
derſelbe, die Rente des Grundbeſitzes war eine
unveränderte, feſte.

Dann kam die Dampfkraft und brachte Völker
und Länder einander näher. Friedlich und ſtill
vollzog ſich da die größte und ſegenreichſte Revo-
lution, welche in der Geſchichte des Menſchenge-
ſchlechtes verzeichnet ſteht. Die große Maſſe des
Volkes wurde von der Scholle unabhängig, ſie
wurde freizügig; ſie konnte mit Leichtigkeit den
beſſeren, wenn auch noch ſo fernen Markt für
ihre Artikel aufſuchen und die Producte dieſes
[Spaltenumbruch] Marktes wurden ihr nahegerückt; ſie blieb nicht
länger von dem örtlichen Ertrage der Scholle
abhängig; die Mißernten verloren ihren Schrecken,
das bleiche Geſpenſt der Hungersnoth wurde ge-
bannt.

Aber während es im weſtlichen Europa ver-
ſchwand, tauchte ein anderes Geſpenſt auf: die
landwirthſchaftliche Kriſe. Die Getreidepreiſe ſtie-
gen und fielen nicht länger mit dem Ausfalle der
localen Ernte. Die ungeheuren Preisſchwankungen
hörten auf; was früher dem beſtändigen Wechſel
unterworfen war, erlangte eine verhältnißmäßige
Stetigkeit, und umgekehrt, das früher Feſtſtehende,
der Geldertrag aus Grund und Boden, ſchwankte
auf und ab. Der Grundherr wurde vom Ernte-
ertrag ebenſo abhängig, wie es früher das Volk
war. Die Agrarkriſe war da und ſie verſchärfte
ſich beſtändig. Ungeheuere Gebiete jungfräulichen
Bodens wurden urbar gemacht und bebaut; un-
geheuere Herden von Schafen, Rindern und
Schweinen wurden herangezüchtet. Die Zunahme
an Nahrungsmitteln hielt nicht nur Schritt mit
der Zunahme der Menſchenzähl, ſie überflügelte
ſie bei weitem. Die Ueberproduction der über-
ſeeiſchen Länder konnte bei den geänderten Trans-
portverhältniſſen nur die Folge haben, die Preiſe
auf den Märkten der alten Welt herabzudrücken.
Alles wurde billiger: Brotfrucht, Wolle, Speck,
Fleiſch. Die Landwirthe der alten Welt wurden
von ihren Collegen in der neuen Welt gezwun-
gen, billiger zu verkaufen. Der Grundbeſitz klam-
merte ſich dabei noch immer an die hohe Bewer-
tung ſeines Bodens; er verlangte noch immer
eine Rente, die dieſer Boden unter dem Einfluſſe
der überſeeiſchen Concurrenz nicht geben konnte.
Wurde doch alles, was der Boden erzeugt, billi-
[Spaltenumbruch] ger und billiger. Es war dies ein Segen für
die arme Menſchheit, aber eine Calamität für den
Grundbeſitz.

Die landwirthſchaftliche Kriſe war nun da,
ſie wurde immer acuter und wird noch
acuter werden. Schon ſeit langem ſtehen
die Viehpreiſe und beſonders die Getreidepreiſe
ſo niedrig, daß unſere Landwirthe dabei nicht
exiſtiren können. Die Anſprüche der Dienſtboten
werden immer höher, die Staats- Landes- und
Gemeindeſteuern wachſen fortwährend und der
Landwirth nimmt nicht mehr, ſondern weniger
ein wie früher. In guten und regelmäßig ver-
laufenden Zeiten kann der Landwirth bei aller
Sparſamkeit, Mühe und Plage nur mühſelig
ſchwimmen, hat er irgend ein Unglück oder iſt
ſeine Realität mit Schulden belaſtet, ſo iſt er
geliefert. Das war ſchon bis heute der Fall, in
Zukunft wird es noch ſchlimmer werden. Das
Getreide hat ſchon heute einen beiſpiellos nie-
drigen Preis, und doch iſt dieſer Preis des Ge-
treides in Oeſterreich-Ungarn noch viel zu hoch,
da ganz Weſt- und Centraleuropa von ameri-
kaniſchem Getreide überſchwemmt wird, ſo zwar,
daß der Metercentner des ſchwerſten amerika-
niſchen Weizens in der Schweiz, in Deutſch-
land um zwei Francs oder zwei Mark billiger
iſt als der Weizen aus Oeſterreich-Ungarn, und
das Getreide aus Rußland, Rumänien ꝛc. iſt
noch billiger. Die Folge davon iſt, daß die Ge-
treideausfuhr aus Oeſterreich-Ungarn faſt ganz
aufgehört hat und daß bei uns das Getreide noch
billiger werden muß als jetzt.

Daß die Landwirthſchaft unter ſolchen Um-
ſtänden nicht beſtehen kann und zugrunde gehen
muß, iſt ſelbſtverſtändlich und es wäre Pflicht




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Gerade wie ſonſt —!
Eine Neujahrsplau derei von
Maximilian W. Trapp.

(Nachdruck verboten.)

Der Schnee fällt in dichten Maſſen.

Der noch vor wenigen Stunden froſtig-klare
Himmel hatte ſich mit grauem Gewölk überzogen,
das der Wind nur hin und wieder auseinander
trieb, um dem Mond einen Ausblick zu geſtatten.
Auf den hartgefrorenen Straßen knirſchte der
Schnee unter den Füßen. Die Menſchen eilen
jetzt, die Naſe im Rockkragen, die Hände in den
Taſchen, haſtig vorwärts: Niemand bleibt ſtehen
und die Hausthüren öffnen und ſchließen ſich
unmittelbar wieder, um Schnee und Kälte nicht
einzulaſſen.

Bei alledem iſt es ein luſtiges Schneetrei-
ben, wenigſtens für diejenigen, die ſorglos ihrem
Vergnügen oder der warmen Stube zuſtreben.

So ſtreben dort drüben glänzende Unifor-
men, kokette „alte Fräulein“ und junge Dämchen
den erhellten Salons des Baron Herrnig’ſchen
Hauſes zum Sylveſterball zu.

Wagen auf Wagen rollt in das weitge-
öffnete Portal.

Eine Anzahl Gaſſenjungen hat ſich dort trotz
Wind und Wetter angeſammelt und begrüßt
jeden Wagen, welcher Gäſte bringt, mit Schreien
[Spaltenumbruch] und Lachen und jeden Ausſteigenden mit einem
verwunderten „Ah!“

Da tritt eine einzelne Frauengeſtalt in
dunklem Kleid und Mantel tief verſchleiert in
das Portal.

„O je, da kommt gar eine zu Fuß, zum
Tanzen!“ rufen die Gaſſenjungen mit dem ihnen
eigenthümlichen Spott, doch ſchon zieht ein eben
einfahrender Wagen ihre Aufmerkſamkeit auf ſich.

Ein junges Mädchen ſpringt heraus, leicht
und behend, noch ehe ein Diener herbeieilen kann,
ihr folgt ein Herr in Officiers-Uniform und
dieſem wieder eine ältere Dame. Die einzelne
Dame, die vorher einen Schritt vor dem anfah-
renden Wagen zurückgetreten war, folgt nun
ebenfalls, ohne von den ihr Vorangehenden bemerkt
zu werden.

Alle vier ſteigen jetzt die breite, mit Teppi-
chen belegte Treppe hinan.

Oben im Saale ein ceremonielles Begrüßen
— ein bewunderndes oder auch neidiſches Be-
trachten einer neuen Toilette — ein mitleidiges
Achſelzucken bei einem gewaſchenen Mullfähnchen
— feurige Blicke aus dunklen Männeraugen —
verheißungsvolles Lächeln von roſigen Lippen.
Das fade Schmeichelwort des alten Stutzers —
das kokette Fächerſpiel der pikanten Witwe —
alles das zugleich und in jedem Moment ein
anderes Bild, bietet ein Ball in ſeinem Anfang,
wo die Kerzen und Augen noch hell leuchten, die
Toiletten und Stimmungen noch unzerd[r]ückt ſind
[Spaltenumbruch] — wie ein Kaleidoſkop, das bei jedem Bewegen
ein neues buntes Geſtalten zeigt.

„Wer iſt denn dieſer „pauvere“ Nachtvogel?“
wendet ſich eine „reizende Schöne“ an die neben
ihr ſtehende Nichte der Hausfrau. Sie ſelbſt
war allerdings neueſter Bazar und ſah mit
ſpöttiſchem Lächeln zu dem etwas altmodiſchen
Seidenkleide, das von der uns ſchon bekannten
alten Dame getragen wird, hinüber.

„Das iſt Fräulein von Stern, eine Jugend-
freundin meiner Tante, ſie iſt auf der Durchreiſe
hier und beſucht die Verwandten,“ antwortet die
Gefragte, ohne ſelbſt ein leiſes Zucken um die
Mundwinkel unterdrücken zu können, als ſie dem
beſprochenen Kleide näher kommt.

Doch ſchnell iſt dieſes Lächeln verſchwunden,
als das alte Fräulein auf ſo gewinnend liebens-
würdige Weiſe mit ihr ſpricht. — Sie drückt
mit herzlichen Worten die Freude aus, die liebe
Nichte ihrer Jugendfreundin zu ſehen und er-
zählt, daß ſie ſelbſt als junges Mädchen hier
getanzt habe — vor genau 30 Jahren, im
Sylveſter 1862, war es das letzte Mal geweſen
— als das Haus noch von den Eltern ihrer
Freundin — der jetzigen Freiin Herrnig — be-
wohnt wurde. „Doch nun mein liebes Kind“,
unterbrach ſie ſich, „dürfen Sie nicht länger mit
einer alten Frau ſprechen, die gar kein Recht
hat, der frohen Jugend die ſchönen Minuten
des Ballabends zu rauben, denn ich ſehe da
drüben einen jungen Herrn böſe Blicke auf mich
werfen, daß ich ſeine Tänzerin ihm ſo lange


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[[1]/0001] Das „Mähriſche Tagblatt“ erſcheint mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage täglich. Ausgabe 2 Uhr Nachmittag im Adminiſtrationslocale Niederring Nr. 41 neu. Abonnement für Olmütz: Ganzjährig fl. 10.— Halbjährig „ 5.— Vierteljährig „ 2.50 Monatlich „ —.90 Zuſtellung ins Haus monat- lich 10 kr. Auswärts durch die Poſt: Ganzjährig fl. 14.— Halbjährig „ 7.— Vierteljährig „ 3.50 Einzelne Nummern 5 kr. Celephon Nr. 9. Mähriſches Tagblatt. Inſertionsgebühren nach aufliegendem Tarif. Außerhalb Olmütz überneh- men Inſertions-Aufträge: Heinrich Schalek, Annon- cen-Exped in Wien, I. Woll- zeile Nr. 11, Haasenstein & Vogler, in Wien, Prag, Buda- peſt, Berlin, Frankfurt a. M. Hamburg, Baſel und Leipzig. Alois Opellik, in Wien. Rud. Mosse, in Wien, München u. Berlin. M. Dukes, Wien, I. Schulerſtraße 8. G. L. Daube, und Co., Frankfurt a. M. Adolf Steiner’s Annoncen- bureau in Hamburg, ſowie ſämmtl. conc. Inſertionsbu- reaus des In- u. Auslandes. Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. Telephon Nr. 9. Nr. 1. Olmütz, Montag den 2. Jänner 1893. 14 Jahrgang. Die landwirthſchaftliche Kriſe. Wien, 1. Jänner. (Orig.-Corr.) ♓ In der „alten Zeit“, welche die großen Herren die „gute“ und die meiſten aus dem Volke die „ſchlimme“ zu nennen alle Urſache hatten, da war der Grund und Boden, ſchreibt die „Linzer Tagespoſt“, nicht nur die ſicherſte Capitalsanlage, was er wohl auch heute noch iſt, ſondern auch die regelmäßigſte und ſtetigſte Einnahmsquelle. Die großen und kleinen Land- güter konnten freilich mit ihren Feldfrüchten keine entlegenen Märkte aufſuchen, aber ſie hatten dafür auch keine Mitbewerbung zu fürchten. Die Unmöglichkeit des Transportes der verhältniß- mäßig geringwerthigen und ſchweren Producte des Feldbaues war für ſie ein Schutzzoll, der, wie alle Schutzzölle, eine Minderheit begünſtigte und die große Mehrheit bedrückte. Hatte das Volk bei guter Ernte Brot, oder hungerte es nach einer Mißernte, dem Gutsherrn war es gleich. Wurde viel gebaut und wurde das Ge- treide billig, ſo hatte er viel zu verkaufen, gab es ein ſchlechtes Erntejahr, ſo ſtieg der Preis. Der Geldbetrag für ihn blieb immer ziemlich derſelbe, die Rente des Grundbeſitzes war eine unveränderte, feſte. Dann kam die Dampfkraft und brachte Völker und Länder einander näher. Friedlich und ſtill vollzog ſich da die größte und ſegenreichſte Revo- lution, welche in der Geſchichte des Menſchenge- ſchlechtes verzeichnet ſteht. Die große Maſſe des Volkes wurde von der Scholle unabhängig, ſie wurde freizügig; ſie konnte mit Leichtigkeit den beſſeren, wenn auch noch ſo fernen Markt für ihre Artikel aufſuchen und die Producte dieſes Marktes wurden ihr nahegerückt; ſie blieb nicht länger von dem örtlichen Ertrage der Scholle abhängig; die Mißernten verloren ihren Schrecken, das bleiche Geſpenſt der Hungersnoth wurde ge- bannt. Aber während es im weſtlichen Europa ver- ſchwand, tauchte ein anderes Geſpenſt auf: die landwirthſchaftliche Kriſe. Die Getreidepreiſe ſtie- gen und fielen nicht länger mit dem Ausfalle der localen Ernte. Die ungeheuren Preisſchwankungen hörten auf; was früher dem beſtändigen Wechſel unterworfen war, erlangte eine verhältnißmäßige Stetigkeit, und umgekehrt, das früher Feſtſtehende, der Geldertrag aus Grund und Boden, ſchwankte auf und ab. Der Grundherr wurde vom Ernte- ertrag ebenſo abhängig, wie es früher das Volk war. Die Agrarkriſe war da und ſie verſchärfte ſich beſtändig. Ungeheuere Gebiete jungfräulichen Bodens wurden urbar gemacht und bebaut; un- geheuere Herden von Schafen, Rindern und Schweinen wurden herangezüchtet. Die Zunahme an Nahrungsmitteln hielt nicht nur Schritt mit der Zunahme der Menſchenzähl, ſie überflügelte ſie bei weitem. Die Ueberproduction der über- ſeeiſchen Länder konnte bei den geänderten Trans- portverhältniſſen nur die Folge haben, die Preiſe auf den Märkten der alten Welt herabzudrücken. Alles wurde billiger: Brotfrucht, Wolle, Speck, Fleiſch. Die Landwirthe der alten Welt wurden von ihren Collegen in der neuen Welt gezwun- gen, billiger zu verkaufen. Der Grundbeſitz klam- merte ſich dabei noch immer an die hohe Bewer- tung ſeines Bodens; er verlangte noch immer eine Rente, die dieſer Boden unter dem Einfluſſe der überſeeiſchen Concurrenz nicht geben konnte. Wurde doch alles, was der Boden erzeugt, billi- ger und billiger. Es war dies ein Segen für die arme Menſchheit, aber eine Calamität für den Grundbeſitz. Die landwirthſchaftliche Kriſe war nun da, ſie wurde immer acuter und wird noch acuter werden. Schon ſeit langem ſtehen die Viehpreiſe und beſonders die Getreidepreiſe ſo niedrig, daß unſere Landwirthe dabei nicht exiſtiren können. Die Anſprüche der Dienſtboten werden immer höher, die Staats- Landes- und Gemeindeſteuern wachſen fortwährend und der Landwirth nimmt nicht mehr, ſondern weniger ein wie früher. In guten und regelmäßig ver- laufenden Zeiten kann der Landwirth bei aller Sparſamkeit, Mühe und Plage nur mühſelig ſchwimmen, hat er irgend ein Unglück oder iſt ſeine Realität mit Schulden belaſtet, ſo iſt er geliefert. Das war ſchon bis heute der Fall, in Zukunft wird es noch ſchlimmer werden. Das Getreide hat ſchon heute einen beiſpiellos nie- drigen Preis, und doch iſt dieſer Preis des Ge- treides in Oeſterreich-Ungarn noch viel zu hoch, da ganz Weſt- und Centraleuropa von ameri- kaniſchem Getreide überſchwemmt wird, ſo zwar, daß der Metercentner des ſchwerſten amerika- niſchen Weizens in der Schweiz, in Deutſch- land um zwei Francs oder zwei Mark billiger iſt als der Weizen aus Oeſterreich-Ungarn, und das Getreide aus Rußland, Rumänien ꝛc. iſt noch billiger. Die Folge davon iſt, daß die Ge- treideausfuhr aus Oeſterreich-Ungarn faſt ganz aufgehört hat und daß bei uns das Getreide noch billiger werden muß als jetzt. Daß die Landwirthſchaft unter ſolchen Um- ſtänden nicht beſtehen kann und zugrunde gehen muß, iſt ſelbſtverſtändlich und es wäre Pflicht Feuilleton. Gerade wie ſonſt —! Eine Neujahrsplau derei von Maximilian W. Trapp. (Nachdruck verboten.) Der Schnee fällt in dichten Maſſen. Der noch vor wenigen Stunden froſtig-klare Himmel hatte ſich mit grauem Gewölk überzogen, das der Wind nur hin und wieder auseinander trieb, um dem Mond einen Ausblick zu geſtatten. Auf den hartgefrorenen Straßen knirſchte der Schnee unter den Füßen. Die Menſchen eilen jetzt, die Naſe im Rockkragen, die Hände in den Taſchen, haſtig vorwärts: Niemand bleibt ſtehen und die Hausthüren öffnen und ſchließen ſich unmittelbar wieder, um Schnee und Kälte nicht einzulaſſen. Bei alledem iſt es ein luſtiges Schneetrei- ben, wenigſtens für diejenigen, die ſorglos ihrem Vergnügen oder der warmen Stube zuſtreben. So ſtreben dort drüben glänzende Unifor- men, kokette „alte Fräulein“ und junge Dämchen den erhellten Salons des Baron Herrnig’ſchen Hauſes zum Sylveſterball zu. Wagen auf Wagen rollt in das weitge- öffnete Portal. Eine Anzahl Gaſſenjungen hat ſich dort trotz Wind und Wetter angeſammelt und begrüßt jeden Wagen, welcher Gäſte bringt, mit Schreien und Lachen und jeden Ausſteigenden mit einem verwunderten „Ah!“ Da tritt eine einzelne Frauengeſtalt in dunklem Kleid und Mantel tief verſchleiert in das Portal. „O je, da kommt gar eine zu Fuß, zum Tanzen!“ rufen die Gaſſenjungen mit dem ihnen eigenthümlichen Spott, doch ſchon zieht ein eben einfahrender Wagen ihre Aufmerkſamkeit auf ſich. Ein junges Mädchen ſpringt heraus, leicht und behend, noch ehe ein Diener herbeieilen kann, ihr folgt ein Herr in Officiers-Uniform und dieſem wieder eine ältere Dame. Die einzelne Dame, die vorher einen Schritt vor dem anfah- renden Wagen zurückgetreten war, folgt nun ebenfalls, ohne von den ihr Vorangehenden bemerkt zu werden. Alle vier ſteigen jetzt die breite, mit Teppi- chen belegte Treppe hinan. Oben im Saale ein ceremonielles Begrüßen — ein bewunderndes oder auch neidiſches Be- trachten einer neuen Toilette — ein mitleidiges Achſelzucken bei einem gewaſchenen Mullfähnchen — feurige Blicke aus dunklen Männeraugen — verheißungsvolles Lächeln von roſigen Lippen. Das fade Schmeichelwort des alten Stutzers — das kokette Fächerſpiel der pikanten Witwe — alles das zugleich und in jedem Moment ein anderes Bild, bietet ein Ball in ſeinem Anfang, wo die Kerzen und Augen noch hell leuchten, die Toiletten und Stimmungen noch unzerdrückt ſind — wie ein Kaleidoſkop, das bei jedem Bewegen ein neues buntes Geſtalten zeigt. „Wer iſt denn dieſer „pauvere“ Nachtvogel?“ wendet ſich eine „reizende Schöne“ an die neben ihr ſtehende Nichte der Hausfrau. 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Doch ſchnell iſt dieſes Lächeln verſchwunden, als das alte Fräulein auf ſo gewinnend liebens- würdige Weiſe mit ihr ſpricht. — Sie drückt mit herzlichen Worten die Freude aus, die liebe Nichte ihrer Jugendfreundin zu ſehen und er- zählt, daß ſie ſelbſt als junges Mädchen hier getanzt habe — vor genau 30 Jahren, im Sylveſter 1862, war es das letzte Mal geweſen — als das Haus noch von den Eltern ihrer Freundin — der jetzigen Freiin Herrnig — be- wohnt wurde. „Doch nun mein liebes Kind“, unterbrach ſie ſich, „dürfen Sie nicht länger mit einer alten Frau ſprechen, die gar kein Recht hat, der frohen Jugend die ſchönen Minuten des Ballabends zu rauben, denn ich ſehe da drüben einen jungen Herrn böſe Blicke auf mich werfen, daß ich ſeine Tänzerin ihm ſo lange

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 1, Olmütz, 02.01.1893, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches1_1893/1>, abgerufen am 28.03.2024.