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Mainzer Journal. Nr. 42. Mainz, 27. Juli 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 42. Donnerstag, den 27. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.
Reichstag.

f Frankfurt 25. Juli. Seit zwei Tagen dauern schon die
Verhandlungen über die Posener Frage, ohne daß die endliche
Entscheidung mit Sicherheit vorauszusehen wäre. Uns scheint in
dieser Sache vor Allem zweierlei wohl unterschieden werden zu
müssen: die polnische Nationalität und die politische
Selbstständigkeit Polens.
Von letzterer kann in so lange
nicht die Rede seyn, als nicht das ganze Polenreich, dessen bei
weitem größter Theil in den Händen Rußlands sich befindet, her-
gestellt wird. Die polnische Nationalität hingegen kann und muß
unbeschadet der deutschen Oberherrlichkeit ungekränkt gewahrt
werden; und hier hat ohne Zweifel das preußische Beamtenthum
sich sowohl gegen das Nationalgefühl, wie gegen die religiöse
Ueberzeugung der Polen viel zu Schulden kommen lassen. Wenn
nun das deutsche Reich den Polen in dieser doppelten Beziehung
eine sichere Gewähr leisten wird, so dürften sie vielleicht selbst
einer Verbindung mit Deutschland nicht abgeneigt seyn. Jn die-
sem Falle wäre die so schwierige Frage über das Ausscheiden des
deutschen vom polnischen Elemente in Posen, das am Ende ohne
chikanöse Künstelei unmöglich ist, ganz beseitigt. Doch wir wollen
dem Gang der Verhandlung nicht vorgreifen, und stellen aus den
gehaltenen, höchst interessanten Reden das Wesentliche zusammen.

Die drei bedeutendsten Redner am ersten Tage waren Ro-
bert Blum, Jordan
und Vogt. "Wir haben noch keinen
wichtigeren Beschluß gefaßt, sagte Blum, als wir heute zu
thun im Begriffe sind. ( Vergessen wir dabei auch nicht, was
wir den Polen zu danken haben, die in früheren Jahrhunderten
ein Wall waren zwischen nordischer Barberei und der Cultur des
Westens. ) Es mag seyn, daß die Polen gesunken sind. Wer
aber alle Schuld auf Polen wälzen will, dem sage ich, daß,
wenn ein Volk seit achtzig Jahren in den Schmutz getreten ist,
man diesem Volke nicht vorwerfen darf, wenn es beschmutzt auf-
steht. An dem deutschen Volke ist es zu sühnen, was das Volk,
wenn auch ohne seine Zustimmung, gesündigt hat. Ein Mann,
dessen staatsmännische Weisheit Alle anerkannt haben, der alte
Gagern hat gesagt, daß es Ruhe und Sicherheit nicht geben
kann, bis diese Schuld gesühnt ist. Was ist aber bis jetzt zur
Sühne geschehen? Die Polen glaubten, daß auch ihnen die
Stunde der Wiedergeburt geschlagen habe. Sie haben die Hand
an jene Wiedergeburt gelegt, und wenn sie dabei gefehlt haben,
und zum Theil verbrecherisch gehandelt, so muß doch gesagt wer-
den, daß ihr Trieb ein edler war. Jch will nicht anklagen, um
nicht in den Fehler des Ausschußberichts zu verfallen. Jch will
nur fragen, nach welchem Princip entschieden werden soll bei
dieser europäischen Frage. Jst es das Princip des Territoriums,
wie in Schleswig und in Triest; warum kann dann nicht dasselbe
stattfinden zu Gunsten Polens, wie dort für uns, warum kann
man nicht Deutsche Polen einverleiben, wie Jtaliener Deutschland
einverleibt sind? Jst es der nationale Standpunkt, weßhalb man
Posen theilen will, so durchschneide man auch Schleswig und
Schlesien; dann ziehe man auch die Ostsee=Provinzen wieder an
sich; dann befreie man auch die 800,000 Deutsche, welche im
Elsaß sogar unter einer Republik schmachten. Es ist möglich,
daß für die Polen die Nothwendigkeit vorhanden ist, einen Theil
ihres Landes abzugeben, aber in dem Ausschußberichte suche ich
vergeblich nach dem geringsten Nachweis. Jch begreife nicht,
wie ein solcher Bericht in die deutsche Nationalversammlung ge-
bracht werden konnte. Jch will nichts als die Prüfung, die hier
so nothwendig ist. Die preußische Regierung hat die Nothwen-
digkeit anerkannt, die Acten wieder aufzunehmen; sie hat eine
[Spaltenumbruch] neue Untersuchung im Einverständniß mit den Volksvertretern
angeordnet. Beauftragen auch Sie die Gewalt, welche Sie ge-
schaffen haben, daß sie mit eigenen Augen sehe, nicht mit den
trüben Augen der Parteileidenschaft. Lassen Sie alsdann das
verantwortliche Ministerium uns berichten, was nothwendig ist;
dann werden Sie beschließen. Jndem ich dies empfehle, schließe
ich mit den Worten einer Herrscherin, die bei der Theilung Po-
lens betheiligt war: "Bedenke das der Fürst, was wir der Welt
für ein Beispiel geben, wenn wir um ein Stück Polen unsere
Ehre und Reputation in die Schanze schlagen." Dies schrieb
Maria Theresia."

Nach ihm sprach Jordan von Berlin: "Es kömmt nicht
darauf an, wem früher das Land augehörte, sondern wer es
jetzt bewohnt. Darum begehrten die Deutschen in Polen Schei-
dung und es fragt sich bei uns, sollen wir eine halbe Million zu
Deutschland ziehen, oder als geduldetes Volk bei einer anderen
Nation lassen, die nicht so viel Humanität hat, als die deutsche.
Wer den letzten Theil der Frage bejaht, den halte ich mindestens
für einen unbewußten Volksverräther. Dazu kommt noch die
eigene Sicherheit Deutschlands, nämlich die Behaltung der stra-
tegischen Linie. Deßhalb mußte das Princip der Scheidungslinie
in etwas verletzt werden. Preußen hätte sich bei einer andern
Handlungsweise einer Pflichtvergessenheit gegen Deutschland
schuldig gemacht. Es bestehen für Polen viele Sympathien, und
wer erkennt den tapfern Charakter dieser Nation nicht an, und
hat Mitgefühl mit ihrem Schicksal, aber es ist etwas Anderes,
menschlich ergriffen zu seyn von einem Trauerspiel, und etwas An-
deres, es rückgängig machen, das Rad der Geschichte zurückschrau-
ben zu wollen. Man sagt, die politische Klugheit rathe,
die Gerechtigkeit gebiete, und die Humanität ver-
lange
die Wiederherstellung Polens. Es heißt, Deutschland
bedürfe einer Vormauer gegen Rußland, gegen die östliche Bar-
barei. Es wäre eine Schmach, wenn ein compactes Volk von
45 Millionen gegen ein Volk, welches auf ausgedehntem Raume
um ein Drittel stärker ist, überhaupt einer Vormauer bedürfte.
Und wäre es nicht möglich, daß sich Polen mit Rußland gegen
Deutschland erhöbe? Man sagt ferner, wir müßten Frankreich
fürchten, wenn wir Polen nicht frei geben. Aber geziemt es der
Versammlung, diesen Grund in die Wagschale zu legen? Es
ist Zeit für Deutschland, zu einem gesunden Völkeregoismus zu
kommen, ohne den noch nie ein Volk groß geworden ist. Die
politische Klugheit fordert also die Wiederherstellung Polens nicht.
Aber etwa die Gerechtigkeit und Humanität? Unser Recht in
Polen ist das der Eroberung, der Eroberung durch die Pflug-
schar, welche nicht zurückgegeben werden kann. Jm Westen sind
wir erobert worden, im Osten haben wir das Unglück gehabt, zu
erobern, und dies hat viel Poeten Gelegenheit gegeben zu Jere-
miaden. Wollten wir so gerecht seyn, so mußten wir Deutsch-
land aufgeben bis an die Saale. Posen war schon vor Preußens
Herrschaft zum Theile deutsch. Die Theilung Polens war nur
die Proclamation einer Thatsache, die Bestattung einer Leiche.
Die Reformpartei war zu schwach; ein großer Theil des Adels
warf sich Rußland in die Arme, und da blieb nichts übrig,
als entweder Rußland den Raub ganz zu überlassen mit
Gefahr für die eigenen Provinzen, oder den Raub zu theilen.
Auf welche Weise nun Oesterreich und Rußland ihre Aufgabe bei
Polen begriffen haben kann nicht berühren. Preußen hat die
Polen erzogen zur Humanität, soweit es bei dem widerstreben-
den Elemente möglich war. Die Polen waren unter preußischer
Herrschaft leider etwas unterdrückt, aber nicht mehr als die
Preußen selbst. Die Polen hat man auf alle mögliche Weise
aufgemuntert sich zu Beamten auszubilden. Aber sie wollten sich
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 42. Donnerstag, den 27. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.
Reichstag.

f Frankfurt 25. Juli. Seit zwei Tagen dauern schon die
Verhandlungen über die Posener Frage, ohne daß die endliche
Entscheidung mit Sicherheit vorauszusehen wäre. Uns scheint in
dieser Sache vor Allem zweierlei wohl unterschieden werden zu
müssen: die polnische Nationalität und die politische
Selbstständigkeit Polens.
Von letzterer kann in so lange
nicht die Rede seyn, als nicht das ganze Polenreich, dessen bei
weitem größter Theil in den Händen Rußlands sich befindet, her-
gestellt wird. Die polnische Nationalität hingegen kann und muß
unbeschadet der deutschen Oberherrlichkeit ungekränkt gewahrt
werden; und hier hat ohne Zweifel das preußische Beamtenthum
sich sowohl gegen das Nationalgefühl, wie gegen die religiöse
Ueberzeugung der Polen viel zu Schulden kommen lassen. Wenn
nun das deutsche Reich den Polen in dieser doppelten Beziehung
eine sichere Gewähr leisten wird, so dürften sie vielleicht selbst
einer Verbindung mit Deutschland nicht abgeneigt seyn. Jn die-
sem Falle wäre die so schwierige Frage über das Ausscheiden des
deutschen vom polnischen Elemente in Posen, das am Ende ohne
chikanöse Künstelei unmöglich ist, ganz beseitigt. Doch wir wollen
dem Gang der Verhandlung nicht vorgreifen, und stellen aus den
gehaltenen, höchst interessanten Reden das Wesentliche zusammen.

Die drei bedeutendsten Redner am ersten Tage waren Ro-
bert Blum, Jordan
und Vogt. „Wir haben noch keinen
wichtigeren Beschluß gefaßt, sagte Blum, als wir heute zu
thun im Begriffe sind. ( Vergessen wir dabei auch nicht, was
wir den Polen zu danken haben, die in früheren Jahrhunderten
ein Wall waren zwischen nordischer Barberei und der Cultur des
Westens. ) Es mag seyn, daß die Polen gesunken sind. Wer
aber alle Schuld auf Polen wälzen will, dem sage ich, daß,
wenn ein Volk seit achtzig Jahren in den Schmutz getreten ist,
man diesem Volke nicht vorwerfen darf, wenn es beschmutzt auf-
steht. An dem deutschen Volke ist es zu sühnen, was das Volk,
wenn auch ohne seine Zustimmung, gesündigt hat. Ein Mann,
dessen staatsmännische Weisheit Alle anerkannt haben, der alte
Gagern hat gesagt, daß es Ruhe und Sicherheit nicht geben
kann, bis diese Schuld gesühnt ist. Was ist aber bis jetzt zur
Sühne geschehen? Die Polen glaubten, daß auch ihnen die
Stunde der Wiedergeburt geschlagen habe. Sie haben die Hand
an jene Wiedergeburt gelegt, und wenn sie dabei gefehlt haben,
und zum Theil verbrecherisch gehandelt, so muß doch gesagt wer-
den, daß ihr Trieb ein edler war. Jch will nicht anklagen, um
nicht in den Fehler des Ausschußberichts zu verfallen. Jch will
nur fragen, nach welchem Princip entschieden werden soll bei
dieser europäischen Frage. Jst es das Princip des Territoriums,
wie in Schleswig und in Triest; warum kann dann nicht dasselbe
stattfinden zu Gunsten Polens, wie dort für uns, warum kann
man nicht Deutsche Polen einverleiben, wie Jtaliener Deutschland
einverleibt sind? Jst es der nationale Standpunkt, weßhalb man
Posen theilen will, so durchschneide man auch Schleswig und
Schlesien; dann ziehe man auch die Ostsee=Provinzen wieder an
sich; dann befreie man auch die 800,000 Deutsche, welche im
Elsaß sogar unter einer Republik schmachten. Es ist möglich,
daß für die Polen die Nothwendigkeit vorhanden ist, einen Theil
ihres Landes abzugeben, aber in dem Ausschußberichte suche ich
vergeblich nach dem geringsten Nachweis. Jch begreife nicht,
wie ein solcher Bericht in die deutsche Nationalversammlung ge-
bracht werden konnte. Jch will nichts als die Prüfung, die hier
so nothwendig ist. Die preußische Regierung hat die Nothwen-
digkeit anerkannt, die Acten wieder aufzunehmen; sie hat eine
[Spaltenumbruch] neue Untersuchung im Einverständniß mit den Volksvertretern
angeordnet. Beauftragen auch Sie die Gewalt, welche Sie ge-
schaffen haben, daß sie mit eigenen Augen sehe, nicht mit den
trüben Augen der Parteileidenschaft. Lassen Sie alsdann das
verantwortliche Ministerium uns berichten, was nothwendig ist;
dann werden Sie beschließen. Jndem ich dies empfehle, schließe
ich mit den Worten einer Herrscherin, die bei der Theilung Po-
lens betheiligt war: „Bedenke das der Fürst, was wir der Welt
für ein Beispiel geben, wenn wir um ein Stück Polen unsere
Ehre und Reputation in die Schanze schlagen.“ Dies schrieb
Maria Theresia.“

Nach ihm sprach Jordan von Berlin: „Es kömmt nicht
darauf an, wem früher das Land augehörte, sondern wer es
jetzt bewohnt. Darum begehrten die Deutschen in Polen Schei-
dung und es fragt sich bei uns, sollen wir eine halbe Million zu
Deutschland ziehen, oder als geduldetes Volk bei einer anderen
Nation lassen, die nicht so viel Humanität hat, als die deutsche.
Wer den letzten Theil der Frage bejaht, den halte ich mindestens
für einen unbewußten Volksverräther. Dazu kommt noch die
eigene Sicherheit Deutschlands, nämlich die Behaltung der stra-
tegischen Linie. Deßhalb mußte das Princip der Scheidungslinie
in etwas verletzt werden. Preußen hätte sich bei einer andern
Handlungsweise einer Pflichtvergessenheit gegen Deutschland
schuldig gemacht. Es bestehen für Polen viele Sympathien, und
wer erkennt den tapfern Charakter dieser Nation nicht an, und
hat Mitgefühl mit ihrem Schicksal, aber es ist etwas Anderes,
menschlich ergriffen zu seyn von einem Trauerspiel, und etwas An-
deres, es rückgängig machen, das Rad der Geschichte zurückschrau-
ben zu wollen. Man sagt, die politische Klugheit rathe,
die Gerechtigkeit gebiete, und die Humanität ver-
lange
die Wiederherstellung Polens. Es heißt, Deutschland
bedürfe einer Vormauer gegen Rußland, gegen die östliche Bar-
barei. Es wäre eine Schmach, wenn ein compactes Volk von
45 Millionen gegen ein Volk, welches auf ausgedehntem Raume
um ein Drittel stärker ist, überhaupt einer Vormauer bedürfte.
Und wäre es nicht möglich, daß sich Polen mit Rußland gegen
Deutschland erhöbe? Man sagt ferner, wir müßten Frankreich
fürchten, wenn wir Polen nicht frei geben. Aber geziemt es der
Versammlung, diesen Grund in die Wagschale zu legen? Es
ist Zeit für Deutschland, zu einem gesunden Völkeregoismus zu
kommen, ohne den noch nie ein Volk groß geworden ist. Die
politische Klugheit fordert also die Wiederherstellung Polens nicht.
Aber etwa die Gerechtigkeit und Humanität? Unser Recht in
Polen ist das der Eroberung, der Eroberung durch die Pflug-
schar, welche nicht zurückgegeben werden kann. Jm Westen sind
wir erobert worden, im Osten haben wir das Unglück gehabt, zu
erobern, und dies hat viel Poeten Gelegenheit gegeben zu Jere-
miaden. Wollten wir so gerecht seyn, so mußten wir Deutsch-
land aufgeben bis an die Saale. Posen war schon vor Preußens
Herrschaft zum Theile deutsch. Die Theilung Polens war nur
die Proclamation einer Thatsache, die Bestattung einer Leiche.
Die Reformpartei war zu schwach; ein großer Theil des Adels
warf sich Rußland in die Arme, und da blieb nichts übrig,
als entweder Rußland den Raub ganz zu überlassen mit
Gefahr für die eigenen Provinzen, oder den Raub zu theilen.
Auf welche Weise nun Oesterreich und Rußland ihre Aufgabe bei
Polen begriffen haben kann nicht berühren. Preußen hat die
Polen erzogen zur Humanität, soweit es bei dem widerstreben-
den Elemente möglich war. Die Polen waren unter preußischer
Herrschaft leider etwas unterdrückt, aber nicht mehr als die
Preußen selbst. Die Polen hat man auf alle mögliche Weise
aufgemuntert sich zu Beamten auszubilden. Aber sie wollten sich
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Uns scheint in dieser Sache vor Allem zweierlei wohl unterschieden werden zu müssen: die polnische Nationalität und die politische Selbstständigkeit Polens. Von letzterer kann in so lange nicht die Rede seyn, als nicht das ganze Polenreich, dessen bei weitem größter Theil in den Händen Rußlands sich befindet, her- gestellt wird. Die polnische Nationalität hingegen kann und muß unbeschadet der deutschen Oberherrlichkeit ungekränkt gewahrt werden; und hier hat ohne Zweifel das preußische Beamtenthum sich sowohl gegen das Nationalgefühl, wie gegen die religiöse Ueberzeugung der Polen viel zu Schulden kommen lassen. Wenn nun das deutsche Reich den Polen in dieser doppelten Beziehung eine sichere Gewähr leisten wird, so dürften sie vielleicht selbst einer Verbindung mit Deutschland nicht abgeneigt seyn. Jn die- sem Falle wäre die so schwierige Frage über das Ausscheiden des deutschen vom polnischen Elemente in Posen, das am Ende ohne chikanöse Künstelei unmöglich ist, ganz beseitigt. Doch wir wollen dem Gang der Verhandlung nicht vorgreifen, und stellen aus den gehaltenen, höchst interessanten Reden das Wesentliche zusammen. Die drei bedeutendsten Redner am ersten Tage waren Ro- bert Blum, Jordan und Vogt. „Wir haben noch keinen wichtigeren Beschluß gefaßt, sagte Blum, als wir heute zu thun im Begriffe sind. ( Vergessen wir dabei auch nicht, was wir den Polen zu danken haben, die in früheren Jahrhunderten ein Wall waren zwischen nordischer Barberei und der Cultur des Westens. ) Es mag seyn, daß die Polen gesunken sind. Wer aber alle Schuld auf Polen wälzen will, dem sage ich, daß, wenn ein Volk seit achtzig Jahren in den Schmutz getreten ist, man diesem Volke nicht vorwerfen darf, wenn es beschmutzt auf- steht. An dem deutschen Volke ist es zu sühnen, was das Volk, wenn auch ohne seine Zustimmung, gesündigt hat. Ein Mann, dessen staatsmännische Weisheit Alle anerkannt haben, der alte Gagern hat gesagt, daß es Ruhe und Sicherheit nicht geben kann, bis diese Schuld gesühnt ist. Was ist aber bis jetzt zur Sühne geschehen? Die Polen glaubten, daß auch ihnen die Stunde der Wiedergeburt geschlagen habe. Sie haben die Hand an jene Wiedergeburt gelegt, und wenn sie dabei gefehlt haben, und zum Theil verbrecherisch gehandelt, so muß doch gesagt wer- den, daß ihr Trieb ein edler war. Jch will nicht anklagen, um nicht in den Fehler des Ausschußberichts zu verfallen. Jch will nur fragen, nach welchem Princip entschieden werden soll bei dieser europäischen Frage. Jst es das Princip des Territoriums, wie in Schleswig und in Triest; warum kann dann nicht dasselbe stattfinden zu Gunsten Polens, wie dort für uns, warum kann man nicht Deutsche Polen einverleiben, wie Jtaliener Deutschland einverleibt sind? Jst es der nationale Standpunkt, weßhalb man Posen theilen will, so durchschneide man auch Schleswig und Schlesien; dann ziehe man auch die Ostsee=Provinzen wieder an sich; dann befreie man auch die 800,000 Deutsche, welche im Elsaß sogar unter einer Republik schmachten. Es ist möglich, daß für die Polen die Nothwendigkeit vorhanden ist, einen Theil ihres Landes abzugeben, aber in dem Ausschußberichte suche ich vergeblich nach dem geringsten Nachweis. Jch begreife nicht, wie ein solcher Bericht in die deutsche Nationalversammlung ge- bracht werden konnte. Jch will nichts als die Prüfung, die hier so nothwendig ist. Die preußische Regierung hat die Nothwen- digkeit anerkannt, die Acten wieder aufzunehmen; sie hat eine neue Untersuchung im Einverständniß mit den Volksvertretern angeordnet. Beauftragen auch Sie die Gewalt, welche Sie ge- schaffen haben, daß sie mit eigenen Augen sehe, nicht mit den trüben Augen der Parteileidenschaft. Lassen Sie alsdann das verantwortliche Ministerium uns berichten, was nothwendig ist; dann werden Sie beschließen. Jndem ich dies empfehle, schließe ich mit den Worten einer Herrscherin, die bei der Theilung Po- lens betheiligt war: „Bedenke das der Fürst, was wir der Welt für ein Beispiel geben, wenn wir um ein Stück Polen unsere Ehre und Reputation in die Schanze schlagen.“ Dies schrieb Maria Theresia.“ Nach ihm sprach Jordan von Berlin: „Es kömmt nicht darauf an, wem früher das Land augehörte, sondern wer es jetzt bewohnt. Darum begehrten die Deutschen in Polen Schei- dung und es fragt sich bei uns, sollen wir eine halbe Million zu Deutschland ziehen, oder als geduldetes Volk bei einer anderen Nation lassen, die nicht so viel Humanität hat, als die deutsche. Wer den letzten Theil der Frage bejaht, den halte ich mindestens für einen unbewußten Volksverräther. Dazu kommt noch die eigene Sicherheit Deutschlands, nämlich die Behaltung der stra- tegischen Linie. Deßhalb mußte das Princip der Scheidungslinie in etwas verletzt werden. Preußen hätte sich bei einer andern Handlungsweise einer Pflichtvergessenheit gegen Deutschland schuldig gemacht. Es bestehen für Polen viele Sympathien, und wer erkennt den tapfern Charakter dieser Nation nicht an, und hat Mitgefühl mit ihrem Schicksal, aber es ist etwas Anderes, menschlich ergriffen zu seyn von einem Trauerspiel, und etwas An- deres, es rückgängig machen, das Rad der Geschichte zurückschrau- ben zu wollen. Man sagt, die politische Klugheit rathe, die Gerechtigkeit gebiete, und die Humanität ver- lange die Wiederherstellung Polens. Es heißt, Deutschland bedürfe einer Vormauer gegen Rußland, gegen die östliche Bar- barei. Es wäre eine Schmach, wenn ein compactes Volk von 45 Millionen gegen ein Volk, welches auf ausgedehntem Raume um ein Drittel stärker ist, überhaupt einer Vormauer bedürfte. Und wäre es nicht möglich, daß sich Polen mit Rußland gegen Deutschland erhöbe? Man sagt ferner, wir müßten Frankreich fürchten, wenn wir Polen nicht frei geben. Aber geziemt es der Versammlung, diesen Grund in die Wagschale zu legen? Es ist Zeit für Deutschland, zu einem gesunden Völkeregoismus zu kommen, ohne den noch nie ein Volk groß geworden ist. Die politische Klugheit fordert also die Wiederherstellung Polens nicht. Aber etwa die Gerechtigkeit und Humanität? Unser Recht in Polen ist das der Eroberung, der Eroberung durch die Pflug- schar, welche nicht zurückgegeben werden kann. Jm Westen sind wir erobert worden, im Osten haben wir das Unglück gehabt, zu erobern, und dies hat viel Poeten Gelegenheit gegeben zu Jere- miaden. Wollten wir so gerecht seyn, so mußten wir Deutsch- land aufgeben bis an die Saale. Posen war schon vor Preußens Herrschaft zum Theile deutsch. Die Theilung Polens war nur die Proclamation einer Thatsache, die Bestattung einer Leiche. Die Reformpartei war zu schwach; ein großer Theil des Adels warf sich Rußland in die Arme, und da blieb nichts übrig, als entweder Rußland den Raub ganz zu überlassen mit Gefahr für die eigenen Provinzen, oder den Raub zu theilen. Auf welche Weise nun Oesterreich und Rußland ihre Aufgabe bei Polen begriffen haben kann nicht berühren. Preußen hat die Polen erzogen zur Humanität, soweit es bei dem widerstreben- den Elemente möglich war. Die Polen waren unter preußischer Herrschaft leider etwas unterdrückt, aber nicht mehr als die Preußen selbst. Die Polen hat man auf alle mögliche Weise aufgemuntert sich zu Beamten auszubilden. Aber sie wollten sich

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 42. Mainz, 27. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal042_1848/1>, abgerufen am 06.10.2024.