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Mainzer Journal. Nr. 175. Mainz, 28. Dezember 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 175. Donnerstag, den 28. December. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die sociale Noth.

C An die Menschheit ist eine große Frage gestellt: ob ihre
Jnstitutionen nämlich auf Principien ruhen, die in sich die Kraft
haben die Krankheiten, die Wunden, welche einzelne ihrer Glie-
der ergreifen, zu heilen, oder ob sie nur im Stande sey ihr Leben
zu erhalten, wenn sie es durch deren unbarmherziges Abschneiden
verkümmert. Es ist Vieles krank an unseren europäischen Staa-
ten, aber schrecklicher ist keine Krankheit, als das Zehrfieber
der Armuth.
Diese Seuche ist auch in Deutschland heimisch
geworden und auch unser Proletariat ist mächtig genug, um das
ganze sociale Leben mit der Auflösung zu bedrohen.

Es wäre daher die nächste Aufgabe, den gewaltsamen und
planmäßig angelegten Versuchen dieser Auflösung in kräftiger
Weise zu begegnen: damit ist aber der Noth gerade so wenig ab-
geholfen als einem Menschen, der zwar von einer heftigen Ent-
zündung geheilt wird, aber fortfährt an der Auszehrung zu lei-
den. Es genügt nicht, mit Gewalt die Proletarier von der Em-
pörung abzuhalten, sondern wenn man sich vor den Greueln
eines römischen Sklavenkrieges oder eines mittelalterlichen Bau-
ernaufruhres bewahren will, so muß man die Quellen des Prole-
tariats abgraben. Es genügt auch nicht die politische Ruhe auf-
recht zu halten, wenn man nicht eine wahre Versöhnung der
Stände herbeiführen kann: sonst ist jede Unterwerfung des einen
Theiles nur ein treuloser Waffenstillstand. Mit der Proclami-
rung der Gleichheit aller Stände ist diese Versöhnung auch nicht
gegeben. Die Gleichheit des Besitzthumes ist längst als ein wahn-
witziges Hirngespinnst anerkannt; also wird die Versöhnung
nicht dadurch erreicht werden, daß man die höheren Stände zu
Gunsten der Untergeordneten verdächtig und verächtlich macht
und entwürdigt: sondern dadurch, daß man seine eigenthümliche
Würde und die Bedingungen seiner Blüthe, seines Gedeihens,
jedem Stande zu verschaffen versteht, daß man Jedem beibringt
das Bewußtseyn seiner Nothwendigkeit, aber auch das Bewußt-
seyn der Nothwendigkeit aller Anderen; daß man nicht Einen
Stand hinstellt als eine Person, welche von den anderen
tyrannisirt werden oder sie tyrannisiren muß, fondern
als ein Glied eines Leibes, welches nur an seiner Stelle, nur im
geordneten Verbande mit dem Haupte und allen übrigen Gliedern,
ein gesundes Leben zu fristen vermag. Seyen wir überzeugt,
wenn wir den Armen die Bitterkeit des Neides und der Empö-
rung aus den Herzen genommen, dann haben wir das Gift aus
den Wunden ihrer Noth herausgesogen, wir haben das Lager
unserer Gegner auf jene Unglücklichen beschränkt, welche nur
wirkliche Noth zusammengetrieben.

Aber auch so werden sie noch zahlreich, werden sie noch gefährlich
genug, werden sie noch eine Krankheit seyn, die alle Lebensnahrung
und Lebenskraft unseres Volkslebens in Siechthum aufzehrt. Der
wirklichen Noth muß also wirkliche Hilfe werden, sonst ist kein
Friede denkbar zwischen Besitz und Armuth. Und doch ist dieser
Friede nothwendig wie die Lebensluft, wie das tägliche Brod jedem
europäischen Volke, das nicht russisch werden will, oder so elend,
daß kein Eroberer mit seinem Gebiete sich belasten mag. Denn
wenn Armuth und Reichthum sich bekriegen, verliert immer
der Reichthum. Der Armenstand wird reicher -- zahlreicher,
und ein so in Haß zerspaltenes, so in Noth verkommenes, so
unversöhnlich in Parteiung geschiedenes Volk muß zur Ent-
scheidung seiner inneren Kämpfe die Fremden herbeirufen, es
muß käuflich werden, und seine Selbstständigkeit einbüßen. Das
ist das Uebel, welches wir abzuwenden haben, und dazu wird
nicht geringe Kraft erfordert; eine Kraft, welche die Staats-
[Spaltenumbruch] wohlthätigkeit nicht bewährt hat, eine Kraft, welche wir in den
Gesetzen der Nationalversammlung auch nicht suchen: denn die
Beschlüsse bezüglich der Fideicommisse, der Parcellirung u. dgl.
sind vielmehr geeignet, noch mehr Familien zu Grunde zu rich-
ten, nach dem Sprüchworte: Viele Brüder -- schmale Güter.
Möchte doch Nichts davon zur Ausführung kommen!

Fragen wir aber nach nachhaltigen Mitteln gegen die Volks-
verarmung, so ist eines der bedeutendsten die Auswande-
rung,
denn keine Kunst vermag, eine überzählige Bevölkerung
auf dem Boden der Heimath zu ernähren. Wenn statt der Güter-
parcellirung da, wo noch große Bauernhöfe mit dem Rechte der
Erstgeburt sich vorfinden, den jüngeren Söhnen eine verhältniß-
mäßige Entschädigung verabreicht wird, die vielleicht genügt, ihnen
in Amerika eine selbstständige Existenz zu sichern: ist das nicht
besser für beide Theile, als wenn jeder auf einem überschuldeten
Gütchen ein kümmerliches Daseyn fortschleppt? Es ist freilich
ein herber Eingriff in die persönliche Freiheit, Jemanden zur Aus-
wanderung zu nöthigen. Aber -- Seyn oder Nichtseyn ist die
Frage, und es ist noch viel härter, wenn Alle zusammen zu Grunde
gehen sollen, als wenn ein Theil den heimischen Heerd aufgeben muß.
Doch sind wir noch nicht in der traurigen Lage, durch Zwangsgesetze
eine Massen=Auswanderung bewirken zu müssen, aber nothwen-
dig ist uns die Erwerbung von Colonien, welche den Auswan-
derern eine Stellung bieten, die selbst zum Aufgeben der Heimath
anlockt. Hier möchten beschränkende Gesetze schwerer entbehrlich
seyn, damit nicht die Masse des Capitals dem Mutterlande entzogen
werde. Ebenso verlangt die Billigkeit eine Sorgfalt, welche ver-
hütet, daß die Auswanderer als Bettler den Boden ihres neuen
Vaterlandes betreten. Doch ist die erste Frage: wo finden wir
die Colonien? Vorläufig in Amerika. Der Zug nach Amerika
ist naturgemäß, und wenn er nach verständigem Plane angelegt
wird, auch von gutem Erfolge für die Auswanderer. Hier ist es
aber dringende Aufgabe, alle Mittel in Unterricht und rechtlichem
Schutze zu erschöpfen, durch Verträge mit den Vereinigten Staa-
ten die Behandlung der Auswanderer zu sichern, damit nicht die,
welche mit einem Vermögen, welches sie noch dem Mittelstande ein-
gereiht hatte, über den Ocean gezogen sind, als Proletarier,
nachdem die Heimfahrt den letzten Heller verschlungen, zu uns wie-
derkehren. Und dazu bedürfen wir eine Flotte, die von Staats-
wegen ebenso die Ueberfahrt besorge, und gegen den Betrug
mancher Agenten die deutschen Bürger schütze, als sie auch durch
das Gewicht ihrer Kanonen gegen allenfallsige Gelüste Seitens
der Amerikaner, etwa geschlossene Verträge zu brechen, einen nach-
haltigen Gegengrund abgebe. Außerdem bietet für Ackerbau-
Colonien auch die österreichische Monarchie noch Raum genug,
und hier kann es bei der gehörigen Umsicht nicht schwer seyn, den
Uebersiedlern die Bedingungen einer befriedigenden Existenz zu
bereiten.

Wenn wir oben gesagt haben, die Staatswohlthätigkeit sey
nicht zureichend zur Abhilfe gegen die Massenverarmung und die
Gesetzgebung sey es auch nicht: so sind wir doch keineswegs der
Meinung, der Staat solle plötzlich die bisherige Sorgfalt für
die verarmten Bürger fallen lassen. Ein solcher Schritt müßte
Alle, die von ihm Unterstützung zogen, der Hilflosigkeit und Ver-
zweiflung Preis geben. Aber der Staat soll unter allen Formen
die Privatwohlthätigkeit frei und ungehemmt ihre Wege gehen
lassen, er soll nicht noch weiter gehen in Besteuerung des geringen
Mittelstandes, der Halbarmen, zu Gunsten der entschiedenen Ar-
muth. Er soll nicht durch freie Concurrenz, durch absolute Ge-
werbfreiheit, durch treibhausartige Steigerung der Fabrikthätig-
keit, durch übermäßige Ausdehnung der öffentlichen Arbeiten,
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 175. Donnerstag, den 28. December. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die sociale Noth.

C An die Menschheit ist eine große Frage gestellt: ob ihre
Jnstitutionen nämlich auf Principien ruhen, die in sich die Kraft
haben die Krankheiten, die Wunden, welche einzelne ihrer Glie-
der ergreifen, zu heilen, oder ob sie nur im Stande sey ihr Leben
zu erhalten, wenn sie es durch deren unbarmherziges Abschneiden
verkümmert. Es ist Vieles krank an unseren europäischen Staa-
ten, aber schrecklicher ist keine Krankheit, als das Zehrfieber
der Armuth.
Diese Seuche ist auch in Deutschland heimisch
geworden und auch unser Proletariat ist mächtig genug, um das
ganze sociale Leben mit der Auflösung zu bedrohen.

Es wäre daher die nächste Aufgabe, den gewaltsamen und
planmäßig angelegten Versuchen dieser Auflösung in kräftiger
Weise zu begegnen: damit ist aber der Noth gerade so wenig ab-
geholfen als einem Menschen, der zwar von einer heftigen Ent-
zündung geheilt wird, aber fortfährt an der Auszehrung zu lei-
den. Es genügt nicht, mit Gewalt die Proletarier von der Em-
pörung abzuhalten, sondern wenn man sich vor den Greueln
eines römischen Sklavenkrieges oder eines mittelalterlichen Bau-
ernaufruhres bewahren will, so muß man die Quellen des Prole-
tariats abgraben. Es genügt auch nicht die politische Ruhe auf-
recht zu halten, wenn man nicht eine wahre Versöhnung der
Stände herbeiführen kann: sonst ist jede Unterwerfung des einen
Theiles nur ein treuloser Waffenstillstand. Mit der Proclami-
rung der Gleichheit aller Stände ist diese Versöhnung auch nicht
gegeben. Die Gleichheit des Besitzthumes ist längst als ein wahn-
witziges Hirngespinnst anerkannt; also wird die Versöhnung
nicht dadurch erreicht werden, daß man die höheren Stände zu
Gunsten der Untergeordneten verdächtig und verächtlich macht
und entwürdigt: sondern dadurch, daß man seine eigenthümliche
Würde und die Bedingungen seiner Blüthe, seines Gedeihens,
jedem Stande zu verschaffen versteht, daß man Jedem beibringt
das Bewußtseyn seiner Nothwendigkeit, aber auch das Bewußt-
seyn der Nothwendigkeit aller Anderen; daß man nicht Einen
Stand hinstellt als eine Person, welche von den anderen
tyrannisirt werden oder sie tyrannisiren muß, fondern
als ein Glied eines Leibes, welches nur an seiner Stelle, nur im
geordneten Verbande mit dem Haupte und allen übrigen Gliedern,
ein gesundes Leben zu fristen vermag. Seyen wir überzeugt,
wenn wir den Armen die Bitterkeit des Neides und der Empö-
rung aus den Herzen genommen, dann haben wir das Gift aus
den Wunden ihrer Noth herausgesogen, wir haben das Lager
unserer Gegner auf jene Unglücklichen beschränkt, welche nur
wirkliche Noth zusammengetrieben.

Aber auch so werden sie noch zahlreich, werden sie noch gefährlich
genug, werden sie noch eine Krankheit seyn, die alle Lebensnahrung
und Lebenskraft unseres Volkslebens in Siechthum aufzehrt. Der
wirklichen Noth muß also wirkliche Hilfe werden, sonst ist kein
Friede denkbar zwischen Besitz und Armuth. Und doch ist dieser
Friede nothwendig wie die Lebensluft, wie das tägliche Brod jedem
europäischen Volke, das nicht russisch werden will, oder so elend,
daß kein Eroberer mit seinem Gebiete sich belasten mag. Denn
wenn Armuth und Reichthum sich bekriegen, verliert immer
der Reichthum. Der Armenstand wird reicher — zahlreicher,
und ein so in Haß zerspaltenes, so in Noth verkommenes, so
unversöhnlich in Parteiung geschiedenes Volk muß zur Ent-
scheidung seiner inneren Kämpfe die Fremden herbeirufen, es
muß käuflich werden, und seine Selbstständigkeit einbüßen. Das
ist das Uebel, welches wir abzuwenden haben, und dazu wird
nicht geringe Kraft erfordert; eine Kraft, welche die Staats-
[Spaltenumbruch] wohlthätigkeit nicht bewährt hat, eine Kraft, welche wir in den
Gesetzen der Nationalversammlung auch nicht suchen: denn die
Beschlüsse bezüglich der Fideicommisse, der Parcellirung u. dgl.
sind vielmehr geeignet, noch mehr Familien zu Grunde zu rich-
ten, nach dem Sprüchworte: Viele Brüder — schmale Güter.
Möchte doch Nichts davon zur Ausführung kommen!

Fragen wir aber nach nachhaltigen Mitteln gegen die Volks-
verarmung, so ist eines der bedeutendsten die Auswande-
rung,
denn keine Kunst vermag, eine überzählige Bevölkerung
auf dem Boden der Heimath zu ernähren. Wenn statt der Güter-
parcellirung da, wo noch große Bauernhöfe mit dem Rechte der
Erstgeburt sich vorfinden, den jüngeren Söhnen eine verhältniß-
mäßige Entschädigung verabreicht wird, die vielleicht genügt, ihnen
in Amerika eine selbstständige Existenz zu sichern: ist das nicht
besser für beide Theile, als wenn jeder auf einem überschuldeten
Gütchen ein kümmerliches Daseyn fortschleppt? Es ist freilich
ein herber Eingriff in die persönliche Freiheit, Jemanden zur Aus-
wanderung zu nöthigen. Aber — Seyn oder Nichtseyn ist die
Frage, und es ist noch viel härter, wenn Alle zusammen zu Grunde
gehen sollen, als wenn ein Theil den heimischen Heerd aufgeben muß.
Doch sind wir noch nicht in der traurigen Lage, durch Zwangsgesetze
eine Massen=Auswanderung bewirken zu müssen, aber nothwen-
dig ist uns die Erwerbung von Colonien, welche den Auswan-
derern eine Stellung bieten, die selbst zum Aufgeben der Heimath
anlockt. Hier möchten beschränkende Gesetze schwerer entbehrlich
seyn, damit nicht die Masse des Capitals dem Mutterlande entzogen
werde. Ebenso verlangt die Billigkeit eine Sorgfalt, welche ver-
hütet, daß die Auswanderer als Bettler den Boden ihres neuen
Vaterlandes betreten. Doch ist die erste Frage: wo finden wir
die Colonien? Vorläufig in Amerika. Der Zug nach Amerika
ist naturgemäß, und wenn er nach verständigem Plane angelegt
wird, auch von gutem Erfolge für die Auswanderer. Hier ist es
aber dringende Aufgabe, alle Mittel in Unterricht und rechtlichem
Schutze zu erschöpfen, durch Verträge mit den Vereinigten Staa-
ten die Behandlung der Auswanderer zu sichern, damit nicht die,
welche mit einem Vermögen, welches sie noch dem Mittelstande ein-
gereiht hatte, über den Ocean gezogen sind, als Proletarier,
nachdem die Heimfahrt den letzten Heller verschlungen, zu uns wie-
derkehren. Und dazu bedürfen wir eine Flotte, die von Staats-
wegen ebenso die Ueberfahrt besorge, und gegen den Betrug
mancher Agenten die deutschen Bürger schütze, als sie auch durch
das Gewicht ihrer Kanonen gegen allenfallsige Gelüste Seitens
der Amerikaner, etwa geschlossene Verträge zu brechen, einen nach-
haltigen Gegengrund abgebe. Außerdem bietet für Ackerbau-
Colonien auch die österreichische Monarchie noch Raum genug,
und hier kann es bei der gehörigen Umsicht nicht schwer seyn, den
Uebersiedlern die Bedingungen einer befriedigenden Existenz zu
bereiten.

Wenn wir oben gesagt haben, die Staatswohlthätigkeit sey
nicht zureichend zur Abhilfe gegen die Massenverarmung und die
Gesetzgebung sey es auch nicht: so sind wir doch keineswegs der
Meinung, der Staat solle plötzlich die bisherige Sorgfalt für
die verarmten Bürger fallen lassen. Ein solcher Schritt müßte
Alle, die von ihm Unterstützung zogen, der Hilflosigkeit und Ver-
zweiflung Preis geben. Aber der Staat soll unter allen Formen
die Privatwohlthätigkeit frei und ungehemmt ihre Wege gehen
lassen, er soll nicht noch weiter gehen in Besteuerung des geringen
Mittelstandes, der Halbarmen, zu Gunsten der entschiedenen Ar-
muth. Er soll nicht durch freie Concurrenz, durch absolute Ge-
werbfreiheit, durch treibhausartige Steigerung der Fabrikthätig-
keit, durch übermäßige Ausdehnung der öffentlichen Arbeiten,
[Ende Spaltensatz]

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C An die Menschheit ist eine große Frage gestellt: ob ihre Jnstitutionen nämlich auf Principien ruhen, die in sich die Kraft haben die Krankheiten, die Wunden, welche einzelne ihrer Glie- der ergreifen, zu heilen, oder ob sie nur im Stande sey ihr Leben zu erhalten, wenn sie es durch deren unbarmherziges Abschneiden verkümmert. Es ist Vieles krank an unseren europäischen Staa- ten, aber schrecklicher ist keine Krankheit, als das Zehrfieber der Armuth. Diese Seuche ist auch in Deutschland heimisch geworden und auch unser Proletariat ist mächtig genug, um das ganze sociale Leben mit der Auflösung zu bedrohen. Es wäre daher die nächste Aufgabe, den gewaltsamen und planmäßig angelegten Versuchen dieser Auflösung in kräftiger Weise zu begegnen: damit ist aber der Noth gerade so wenig ab- geholfen als einem Menschen, der zwar von einer heftigen Ent- zündung geheilt wird, aber fortfährt an der Auszehrung zu lei- den. Es genügt nicht, mit Gewalt die Proletarier von der Em- pörung abzuhalten, sondern wenn man sich vor den Greueln eines römischen Sklavenkrieges oder eines mittelalterlichen Bau- ernaufruhres bewahren will, so muß man die Quellen des Prole- tariats abgraben. Es genügt auch nicht die politische Ruhe auf- recht zu halten, wenn man nicht eine wahre Versöhnung der Stände herbeiführen kann: sonst ist jede Unterwerfung des einen Theiles nur ein treuloser Waffenstillstand. Mit der Proclami- rung der Gleichheit aller Stände ist diese Versöhnung auch nicht gegeben. Die Gleichheit des Besitzthumes ist längst als ein wahn- witziges Hirngespinnst anerkannt; also wird die Versöhnung nicht dadurch erreicht werden, daß man die höheren Stände zu Gunsten der Untergeordneten verdächtig und verächtlich macht und entwürdigt: sondern dadurch, daß man seine eigenthümliche Würde und die Bedingungen seiner Blüthe, seines Gedeihens, jedem Stande zu verschaffen versteht, daß man Jedem beibringt das Bewußtseyn seiner Nothwendigkeit, aber auch das Bewußt- seyn der Nothwendigkeit aller Anderen; daß man nicht Einen Stand hinstellt als eine Person, welche von den anderen tyrannisirt werden oder sie tyrannisiren muß, fondern als ein Glied eines Leibes, welches nur an seiner Stelle, nur im geordneten Verbande mit dem Haupte und allen übrigen Gliedern, ein gesundes Leben zu fristen vermag. Seyen wir überzeugt, wenn wir den Armen die Bitterkeit des Neides und der Empö- rung aus den Herzen genommen, dann haben wir das Gift aus den Wunden ihrer Noth herausgesogen, wir haben das Lager unserer Gegner auf jene Unglücklichen beschränkt, welche nur wirkliche Noth zusammengetrieben. Aber auch so werden sie noch zahlreich, werden sie noch gefährlich genug, werden sie noch eine Krankheit seyn, die alle Lebensnahrung und Lebenskraft unseres Volkslebens in Siechthum aufzehrt. Der wirklichen Noth muß also wirkliche Hilfe werden, sonst ist kein Friede denkbar zwischen Besitz und Armuth. Und doch ist dieser Friede nothwendig wie die Lebensluft, wie das tägliche Brod jedem europäischen Volke, das nicht russisch werden will, oder so elend, daß kein Eroberer mit seinem Gebiete sich belasten mag. Denn wenn Armuth und Reichthum sich bekriegen, verliert immer der Reichthum. Der Armenstand wird reicher — zahlreicher, und ein so in Haß zerspaltenes, so in Noth verkommenes, so unversöhnlich in Parteiung geschiedenes Volk muß zur Ent- scheidung seiner inneren Kämpfe die Fremden herbeirufen, es muß käuflich werden, und seine Selbstständigkeit einbüßen. Das ist das Uebel, welches wir abzuwenden haben, und dazu wird nicht geringe Kraft erfordert; eine Kraft, welche die Staats- wohlthätigkeit nicht bewährt hat, eine Kraft, welche wir in den Gesetzen der Nationalversammlung auch nicht suchen: denn die Beschlüsse bezüglich der Fideicommisse, der Parcellirung u. dgl. sind vielmehr geeignet, noch mehr Familien zu Grunde zu rich- ten, nach dem Sprüchworte: Viele Brüder — schmale Güter. Möchte doch Nichts davon zur Ausführung kommen! Fragen wir aber nach nachhaltigen Mitteln gegen die Volks- verarmung, so ist eines der bedeutendsten die Auswande- rung, denn keine Kunst vermag, eine überzählige Bevölkerung auf dem Boden der Heimath zu ernähren. Wenn statt der Güter- parcellirung da, wo noch große Bauernhöfe mit dem Rechte der Erstgeburt sich vorfinden, den jüngeren Söhnen eine verhältniß- mäßige Entschädigung verabreicht wird, die vielleicht genügt, ihnen in Amerika eine selbstständige Existenz zu sichern: ist das nicht besser für beide Theile, als wenn jeder auf einem überschuldeten Gütchen ein kümmerliches Daseyn fortschleppt? Es ist freilich ein herber Eingriff in die persönliche Freiheit, Jemanden zur Aus- wanderung zu nöthigen. Aber — Seyn oder Nichtseyn ist die Frage, und es ist noch viel härter, wenn Alle zusammen zu Grunde gehen sollen, als wenn ein Theil den heimischen Heerd aufgeben muß. Doch sind wir noch nicht in der traurigen Lage, durch Zwangsgesetze eine Massen=Auswanderung bewirken zu müssen, aber nothwen- dig ist uns die Erwerbung von Colonien, welche den Auswan- derern eine Stellung bieten, die selbst zum Aufgeben der Heimath anlockt. Hier möchten beschränkende Gesetze schwerer entbehrlich seyn, damit nicht die Masse des Capitals dem Mutterlande entzogen werde. Ebenso verlangt die Billigkeit eine Sorgfalt, welche ver- hütet, daß die Auswanderer als Bettler den Boden ihres neuen Vaterlandes betreten. Doch ist die erste Frage: wo finden wir die Colonien? Vorläufig in Amerika. Der Zug nach Amerika ist naturgemäß, und wenn er nach verständigem Plane angelegt wird, auch von gutem Erfolge für die Auswanderer. Hier ist es aber dringende Aufgabe, alle Mittel in Unterricht und rechtlichem Schutze zu erschöpfen, durch Verträge mit den Vereinigten Staa- ten die Behandlung der Auswanderer zu sichern, damit nicht die, welche mit einem Vermögen, welches sie noch dem Mittelstande ein- gereiht hatte, über den Ocean gezogen sind, als Proletarier, nachdem die Heimfahrt den letzten Heller verschlungen, zu uns wie- derkehren. Und dazu bedürfen wir eine Flotte, die von Staats- wegen ebenso die Ueberfahrt besorge, und gegen den Betrug mancher Agenten die deutschen Bürger schütze, als sie auch durch das Gewicht ihrer Kanonen gegen allenfallsige Gelüste Seitens der Amerikaner, etwa geschlossene Verträge zu brechen, einen nach- haltigen Gegengrund abgebe. Außerdem bietet für Ackerbau- Colonien auch die österreichische Monarchie noch Raum genug, und hier kann es bei der gehörigen Umsicht nicht schwer seyn, den Uebersiedlern die Bedingungen einer befriedigenden Existenz zu bereiten. Wenn wir oben gesagt haben, die Staatswohlthätigkeit sey nicht zureichend zur Abhilfe gegen die Massenverarmung und die Gesetzgebung sey es auch nicht: so sind wir doch keineswegs der Meinung, der Staat solle plötzlich die bisherige Sorgfalt für die verarmten Bürger fallen lassen. Ein solcher Schritt müßte Alle, die von ihm Unterstützung zogen, der Hilflosigkeit und Ver- zweiflung Preis geben. Aber der Staat soll unter allen Formen die Privatwohlthätigkeit frei und ungehemmt ihre Wege gehen lassen, er soll nicht noch weiter gehen in Besteuerung des geringen Mittelstandes, der Halbarmen, zu Gunsten der entschiedenen Ar- muth. Er soll nicht durch freie Concurrenz, durch absolute Ge- werbfreiheit, durch treibhausartige Steigerung der Fabrikthätig- keit, durch übermäßige Ausdehnung der öffentlichen Arbeiten,

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 175. Mainz, 28. Dezember 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal175_1848/1>, abgerufen am 09.10.2024.