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Mainzer Journal. Nr. 253. Mainz, 24. Oktober 1849.

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Mainzer Journal.


Nro 253. Mittwoch, den 24. October. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Herr Tafel und seine Rosinante.

^ Aus der bayrischen Pfalz 21. October. Wenn ein Pferd
scheu geworden, so pflegt es ohne die mindeste Rücksicht auf die
sich ihm entgegenstellenden Hindernisse geradenweges fortzurennen,
nichts zu achten, was sich ihm entgegenstellt, und sollte es darüber
zu Grunde gehen. Solch ein Scheuwerden findet sich auch manch-
mal bei Menschen ein, denn ich wüßte wirklich nicht besser und
richtiger jenen Zustand des Geistes zu bezeichnen, wo der Mensch,
ohne alle Rücksicht auf Verhältnisse, Gründe und Wahrheit, in
Einer Richtung hin sich fortbewegt, zur Aeußerung dieser Thätig-
keit die Gelegenheit selbst vom Zaune bricht, und so fort macht
wenn er auch dabei zu Grunde ginge. So dachte ich, als ich die-
ser Tage las, daß der Herr Deputirte Tafel, den die katholi-
sche Geistlichkeit der Pfalz leider! auch noch unter die Jhrigen
zählen muß, in München der endgiltigen Beschlüsse und De-
crete der souveränen, auch in hundert Häuptern noch vollgiltigen
Frankfurt=Stuttgarter Nationalversammlung schon zum zweiten
oder gar dritten Male ( d. h. fast so oft als die Blätter von Er-
öffnung seines Mundes berichten ) anerkennende Erwähnung ge-
than. Ein recht gottinniger Mensch trägt immer Gott im Munde,
ein Verliebter spricht bei der kleinsten Veranlassung vom Gegen-
stande seiner Liebe: ist denn, möchte ich da fragen, am Ende auch
der Bürger Tafel verliebt, ist die Reichsverfassung sein Ab-
gott,
da er immer sie im Munde und in dem Grunde seiner
Gedanken führt? -- Kindern gestattet man ihre Puppen, Mäd-
chen dürfen mit Flitterwaaren spielen; der Mann aber hält am
Realen fest und zeigt sich eben darin. Was ist denn aber diese
Frankfurter Reichsverfassung heute anders mehr als ein Spiel-
werk, als ein Product vorübergegangener Zeiten und Verhältnisse,
über dessen starrer, rücksichtsloser Festhaltung der Einzelne sich
geradezu lächerlich macht? Es gibt manchmal Dinge und Mo-
mente im trügerischen Menschenleben, wo man sich so stellt, wo
man sich selbst und Andere glauben machen möchte: es verhalte
sich mit Dem und Jenem so, und wo man doch selbst nur zu gut
weiß, auch ohne es sich recht zu gestehen, daß das Gegentheil der
Fall ist. Was man gern hätte, das glaubt, das spricht, das be-
hauptet man gern. So machen's die politischen Komödi-
anten,
die Demagogen und Verführer des Volkes. Aber sie
machen sich mit alle diesem Wesen bei jedem Vernünftigen lächer-
lich, sie verlieren Vertrauen und guten Ruf; Niemand glaubt
ihnen mehr, weder das Erkünstelte und Verstellte, noch das Wahre
und Natürliche.

Was aber, fragen wir, sind die Frankfurt=Stuttgarter Reichs-
versammlungsbeschlüsse, was ist diese Versammlung heute selber
anders als ein Vergangenes, mit leider! sehr untergeordneter
factischer und rechtlicher Bedeutung? Gehört sie -- die Consti-
tuirung des Reichsverwesers ausgenommen -- nicht meist blos
noch der Geschichte an; ist die Stuttgarter Periode und Phase
unseres Nationaltraumes nicht offenbar rebellisch? Und nun in
den einzelnen Ständekammern, in der bayrischen z. B., auf dem
souveränen Rechte und der Gewalt eben jener Versammlung,
wie auf einem Steckenpferde herum manövriren: nein, das ist
wirklich nicht mehr consequent und eines Ehrenmannes Sache,
es ist blos spaßig und amusant, pedantisch, kleinlich und ver-
zweifelt zugleich. Wir hatten bisher den Pfarrer Tafel, der bei
den Katholiken der Pfalz in einem höchst eigenthümlichen Lichte
steht, doch wenigstens als einen gescheidten Mann schildern hören,
und durch sein Benehmen in manchen Dingen auch diese Gescheidt-
heit bestätigt gefunden; wenn er aber fortfährt in der Münchener
Kammer auf dem Stuttgarter Rumpfparlamente herumzureiten,
so müssen wir bekennen, daß wir uns getäuscht haben, oder besser,
daß jenes Bild eines scheuen, wild und besinnungslos geworde-
nen Renners bei ihm in seiner vollen Wahrheit in Anwendung
gekommen ist. Jch begreife die Demokratie, wenn sie ihre Prin-
cipien
auf die Wirklichkeit anwenden will: aber Schatten
für wirklich und wahr zu halten, mit ihnen fechten und verkehren
zu wollen, dazu muß man selbst ein Schatten seyn oder es wer-
[Spaltenumbruch] den wollen. Was aber ist diese Versammlung nun noch mehr
als ein Schatten und zwar durch die eigene Schuld ihrer Wühler
und Renner!

Manche Menschen haben Liebhabereien, es gibt Sonderlinge;
man bewundert und belacht sie oder staunt sie an, je nachdem ihr
Sparren das verdient. Sie selber sind bei ihrer Sache ganz ernst,
die Gewohnheit als andere Natur bringt das mit sich. Kann man
sich doch in die Rolle eines Spaßvogels, eines Komikers mit aller
Gravität hineinarbeiten und mit vollkommener Unterdrückung des
eigenen Humors sie spielen. Was sind denn aber unsere renom-
mirtesten Kammerlöwen der linken Seite anders als solche Ko-
miker,
zur guten Unterhaltung und zum großen Verderben des
Publicums? Hat doch einer jüngst aus dieser Sippschaft, als er
mit seines Gleichen verkehrte und nicht dem dummen Volke zuge-
wendet war, brieflich das naive Geständniß gemacht: "Damit
will ich auch meinen Württembergern weiß machen, daß sie von
Baden kräftigst unterstützt werden, wenn's gleich nichts ist. Aber
hilf, was helfen mag! Wenn die Kerl's nur einmal im Gange
sind." So schrieb Ludwig Pfau, vulgo Eulenspiegel an den
Dictator Werner. Und so denken und agiren die Reichsverfas-
sungskomödianten an gar vielen Orten auch jetzt noch, und das
"dumme Volk" glaubt unabwendig ihren Worten!

Kommen dann diese Helden heim, haben sie ihrem Leibe die
Saison durch draußen Gutes angethan, -- welch ein Gebahren
nehmen wir dann wahr! Wie legen sie dem Volke ihre guten
Absichten, ihre Bestrebungen für sein Wohl aus; wie wissen sie
von der Unverbesserlichkeit der Aristokraten, Pfaffen und aller
Classen ihrer Gegner zu reden, wie die Jntriguen zu schildern,
die man zur Vernichtung der Volksrechte und Freiheiten, zur
Hemmung des Volkswohles habe springen lassen; wie haben sie
gearbeitet, geredet, fest gesessen: aber Alles umsonst! Die Re-
action, die Fürsten, die Jesuiten und wer noch mehr, sie haben
wieder Alles vereitelt! -- Und das Volk hört sie andächtig an,
es hat Bedauern mit seinen Freunden, es glaubt ihnen, es
brummt und murrt, schilt und flucht, es trinkt und toastet, droht
und verspricht bald dreinzuschlagen; es geht heim -- und bleibt
selber das alte, wie seine Verführer und der unglückliche Staat
auch! -- Die Komödianten aber lachen heimlich über das alberne
Geschlecht, sie bewundern ihre Pfiffigkeit, und glauben am Ende
selbst, was sie Anderen vorgemacht.

Sollte in diesem Bilde nicht auch Dieser und Je-
ner sich erkennen?



Deutschland.

Wien 20. October. Die Ernennung der Herren v. Schön-
hals und v. Kübeck zu Mitgliedern der provisorischen Centralge-
walt wird als definitiv bezeichnet. F. Z. M. Nugent ist zum Feld-
marschall ernannt.

Die aus Böhmen berichteten Unruhen reduciren sich, sicherem
Vernehmen nach, auf einen blosen Arbeiter=Krawall in Bielitz,
der durch geringe Militärkräfte beendigt wurde.

Jn der letzten Generalversammlung des Vereines der deut-
schen Eisenbahnverwaltungen ist Aachen für den nächsten Con-
greßort bestimmt worden.

Gestern wurde in dem schönen Sophienbadsaale das Ab-
schiedsfest den heute abreisenden Vertretern sämmtlicher 46 deut-
schen Eisenbahngesellschaften gegeben. Der Saal war besonders
reich geschmückt und erleuchtet, und es gewährte einen imposanten
Anblick, die langen, mit 400 Personen besetzten Tafeln zu über-
blicken, wo im bunten Gemisch Männer aus allen deutschen Gauern
in inniger Eintracht zusammensaßen. Verschiedene Toaste in Be-
ziehung auf das Eisenbahnwesen und die freundliche Aufnahme
in Wien wurden ausgebracht und sorgfältig wurde jede Anspie-
lung auf Politik vermieden.

Da erklangen rauschend die Töne der österreichischen Volks-
hymne und mit dem vollen Glase in der Hand ward von allen
Anwesenden die Hymne mitgesungen. Und als nach deren Been-
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Nro 253. Mittwoch, den 24. October. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Herr Tafel und seine Rosinante.

△ Aus der bayrischen Pfalz 21. October. Wenn ein Pferd
scheu geworden, so pflegt es ohne die mindeste Rücksicht auf die
sich ihm entgegenstellenden Hindernisse geradenweges fortzurennen,
nichts zu achten, was sich ihm entgegenstellt, und sollte es darüber
zu Grunde gehen. Solch ein Scheuwerden findet sich auch manch-
mal bei Menschen ein, denn ich wüßte wirklich nicht besser und
richtiger jenen Zustand des Geistes zu bezeichnen, wo der Mensch,
ohne alle Rücksicht auf Verhältnisse, Gründe und Wahrheit, in
Einer Richtung hin sich fortbewegt, zur Aeußerung dieser Thätig-
keit die Gelegenheit selbst vom Zaune bricht, und so fort macht
wenn er auch dabei zu Grunde ginge. So dachte ich, als ich die-
ser Tage las, daß der Herr Deputirte Tafel, den die katholi-
sche Geistlichkeit der Pfalz leider! auch noch unter die Jhrigen
zählen muß, in München der endgiltigen Beschlüsse und De-
crete der souveränen, auch in hundert Häuptern noch vollgiltigen
Frankfurt=Stuttgarter Nationalversammlung schon zum zweiten
oder gar dritten Male ( d. h. fast so oft als die Blätter von Er-
öffnung seines Mundes berichten ) anerkennende Erwähnung ge-
than. Ein recht gottinniger Mensch trägt immer Gott im Munde,
ein Verliebter spricht bei der kleinsten Veranlassung vom Gegen-
stande seiner Liebe: ist denn, möchte ich da fragen, am Ende auch
der Bürger Tafel verliebt, ist die Reichsverfassung sein Ab-
gott,
da er immer sie im Munde und in dem Grunde seiner
Gedanken führt? — Kindern gestattet man ihre Puppen, Mäd-
chen dürfen mit Flitterwaaren spielen; der Mann aber hält am
Realen fest und zeigt sich eben darin. Was ist denn aber diese
Frankfurter Reichsverfassung heute anders mehr als ein Spiel-
werk, als ein Product vorübergegangener Zeiten und Verhältnisse,
über dessen starrer, rücksichtsloser Festhaltung der Einzelne sich
geradezu lächerlich macht? Es gibt manchmal Dinge und Mo-
mente im trügerischen Menschenleben, wo man sich so stellt, wo
man sich selbst und Andere glauben machen möchte: es verhalte
sich mit Dem und Jenem so, und wo man doch selbst nur zu gut
weiß, auch ohne es sich recht zu gestehen, daß das Gegentheil der
Fall ist. Was man gern hätte, das glaubt, das spricht, das be-
hauptet man gern. So machen's die politischen Komödi-
anten,
die Demagogen und Verführer des Volkes. Aber sie
machen sich mit alle diesem Wesen bei jedem Vernünftigen lächer-
lich, sie verlieren Vertrauen und guten Ruf; Niemand glaubt
ihnen mehr, weder das Erkünstelte und Verstellte, noch das Wahre
und Natürliche.

Was aber, fragen wir, sind die Frankfurt=Stuttgarter Reichs-
versammlungsbeschlüsse, was ist diese Versammlung heute selber
anders als ein Vergangenes, mit leider! sehr untergeordneter
factischer und rechtlicher Bedeutung? Gehört sie — die Consti-
tuirung des Reichsverwesers ausgenommen — nicht meist blos
noch der Geschichte an; ist die Stuttgarter Periode und Phase
unseres Nationaltraumes nicht offenbar rebellisch? Und nun in
den einzelnen Ständekammern, in der bayrischen z. B., auf dem
souveränen Rechte und der Gewalt eben jener Versammlung,
wie auf einem Steckenpferde herum manövriren: nein, das ist
wirklich nicht mehr consequent und eines Ehrenmannes Sache,
es ist blos spaßig und amusant, pedantisch, kleinlich und ver-
zweifelt zugleich. Wir hatten bisher den Pfarrer Tafel, der bei
den Katholiken der Pfalz in einem höchst eigenthümlichen Lichte
steht, doch wenigstens als einen gescheidten Mann schildern hören,
und durch sein Benehmen in manchen Dingen auch diese Gescheidt-
heit bestätigt gefunden; wenn er aber fortfährt in der Münchener
Kammer auf dem Stuttgarter Rumpfparlamente herumzureiten,
so müssen wir bekennen, daß wir uns getäuscht haben, oder besser,
daß jenes Bild eines scheuen, wild und besinnungslos geworde-
nen Renners bei ihm in seiner vollen Wahrheit in Anwendung
gekommen ist. Jch begreife die Demokratie, wenn sie ihre Prin-
cipien
auf die Wirklichkeit anwenden will: aber Schatten
für wirklich und wahr zu halten, mit ihnen fechten und verkehren
zu wollen, dazu muß man selbst ein Schatten seyn oder es wer-
[Spaltenumbruch] den wollen. Was aber ist diese Versammlung nun noch mehr
als ein Schatten und zwar durch die eigene Schuld ihrer Wühler
und Renner!

Manche Menschen haben Liebhabereien, es gibt Sonderlinge;
man bewundert und belacht sie oder staunt sie an, je nachdem ihr
Sparren das verdient. Sie selber sind bei ihrer Sache ganz ernst,
die Gewohnheit als andere Natur bringt das mit sich. Kann man
sich doch in die Rolle eines Spaßvogels, eines Komikers mit aller
Gravität hineinarbeiten und mit vollkommener Unterdrückung des
eigenen Humors sie spielen. Was sind denn aber unsere renom-
mirtesten Kammerlöwen der linken Seite anders als solche Ko-
miker,
zur guten Unterhaltung und zum großen Verderben des
Publicums? Hat doch einer jüngst aus dieser Sippschaft, als er
mit seines Gleichen verkehrte und nicht dem dummen Volke zuge-
wendet war, brieflich das naive Geständniß gemacht: „Damit
will ich auch meinen Württembergern weiß machen, daß sie von
Baden kräftigst unterstützt werden, wenn's gleich nichts ist. Aber
hilf, was helfen mag! Wenn die Kerl's nur einmal im Gange
sind.“ So schrieb Ludwig Pfau, vulgo Eulenspiegel an den
Dictator Werner. Und so denken und agiren die Reichsverfas-
sungskomödianten an gar vielen Orten auch jetzt noch, und das
„dumme Volk“ glaubt unabwendig ihren Worten!

Kommen dann diese Helden heim, haben sie ihrem Leibe die
Saison durch draußen Gutes angethan, — welch ein Gebahren
nehmen wir dann wahr! Wie legen sie dem Volke ihre guten
Absichten, ihre Bestrebungen für sein Wohl aus; wie wissen sie
von der Unverbesserlichkeit der Aristokraten, Pfaffen und aller
Classen ihrer Gegner zu reden, wie die Jntriguen zu schildern,
die man zur Vernichtung der Volksrechte und Freiheiten, zur
Hemmung des Volkswohles habe springen lassen; wie haben sie
gearbeitet, geredet, fest gesessen: aber Alles umsonst! Die Re-
action, die Fürsten, die Jesuiten und wer noch mehr, sie haben
wieder Alles vereitelt! — Und das Volk hört sie andächtig an,
es hat Bedauern mit seinen Freunden, es glaubt ihnen, es
brummt und murrt, schilt und flucht, es trinkt und toastet, droht
und verspricht bald dreinzuschlagen; es geht heim — und bleibt
selber das alte, wie seine Verführer und der unglückliche Staat
auch! — Die Komödianten aber lachen heimlich über das alberne
Geschlecht, sie bewundern ihre Pfiffigkeit, und glauben am Ende
selbst, was sie Anderen vorgemacht.

Sollte in diesem Bilde nicht auch Dieser und Je-
ner sich erkennen?



Deutschland.

Wien 20. October. Die Ernennung der Herren v. Schön-
hals und v. Kübeck zu Mitgliedern der provisorischen Centralge-
walt wird als definitiv bezeichnet. F. Z. M. Nugent ist zum Feld-
marschall ernannt.

Die aus Böhmen berichteten Unruhen reduciren sich, sicherem
Vernehmen nach, auf einen blosen Arbeiter=Krawall in Bielitz,
der durch geringe Militärkräfte beendigt wurde.

Jn der letzten Generalversammlung des Vereines der deut-
schen Eisenbahnverwaltungen ist Aachen für den nächsten Con-
greßort bestimmt worden.

Gestern wurde in dem schönen Sophienbadsaale das Ab-
schiedsfest den heute abreisenden Vertretern sämmtlicher 46 deut-
schen Eisenbahngesellschaften gegeben. Der Saal war besonders
reich geschmückt und erleuchtet, und es gewährte einen imposanten
Anblick, die langen, mit 400 Personen besetzten Tafeln zu über-
blicken, wo im bunten Gemisch Männer aus allen deutschen Gauern
in inniger Eintracht zusammensaßen. Verschiedene Toaste in Be-
ziehung auf das Eisenbahnwesen und die freundliche Aufnahme
in Wien wurden ausgebracht und sorgfältig wurde jede Anspie-
lung auf Politik vermieden.

Da erklangen rauschend die Töne der österreichischen Volks-
hymne und mit dem vollen Glase in der Hand ward von allen
Anwesenden die Hymne mitgesungen. Und als nach deren Been-
[Ende Spaltensatz]

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[0001] Mainzer Journal. Nro 253. Mittwoch, den 24. October. 1849. Herr Tafel und seine Rosinante. △ Aus der bayrischen Pfalz 21. October. Wenn ein Pferd scheu geworden, so pflegt es ohne die mindeste Rücksicht auf die sich ihm entgegenstellenden Hindernisse geradenweges fortzurennen, nichts zu achten, was sich ihm entgegenstellt, und sollte es darüber zu Grunde gehen. Solch ein Scheuwerden findet sich auch manch- mal bei Menschen ein, denn ich wüßte wirklich nicht besser und richtiger jenen Zustand des Geistes zu bezeichnen, wo der Mensch, ohne alle Rücksicht auf Verhältnisse, Gründe und Wahrheit, in Einer Richtung hin sich fortbewegt, zur Aeußerung dieser Thätig- keit die Gelegenheit selbst vom Zaune bricht, und so fort macht wenn er auch dabei zu Grunde ginge. So dachte ich, als ich die- ser Tage las, daß der Herr Deputirte Tafel, den die katholi- sche Geistlichkeit der Pfalz leider! auch noch unter die Jhrigen zählen muß, in München der endgiltigen Beschlüsse und De- crete der souveränen, auch in hundert Häuptern noch vollgiltigen Frankfurt=Stuttgarter Nationalversammlung schon zum zweiten oder gar dritten Male ( d. h. fast so oft als die Blätter von Er- öffnung seines Mundes berichten ) anerkennende Erwähnung ge- than. Ein recht gottinniger Mensch trägt immer Gott im Munde, ein Verliebter spricht bei der kleinsten Veranlassung vom Gegen- stande seiner Liebe: ist denn, möchte ich da fragen, am Ende auch der Bürger Tafel verliebt, ist die Reichsverfassung sein Ab- gott, da er immer sie im Munde und in dem Grunde seiner Gedanken führt? — Kindern gestattet man ihre Puppen, Mäd- chen dürfen mit Flitterwaaren spielen; der Mann aber hält am Realen fest und zeigt sich eben darin. Was ist denn aber diese Frankfurter Reichsverfassung heute anders mehr als ein Spiel- werk, als ein Product vorübergegangener Zeiten und Verhältnisse, über dessen starrer, rücksichtsloser Festhaltung der Einzelne sich geradezu lächerlich macht? Es gibt manchmal Dinge und Mo- mente im trügerischen Menschenleben, wo man sich so stellt, wo man sich selbst und Andere glauben machen möchte: es verhalte sich mit Dem und Jenem so, und wo man doch selbst nur zu gut weiß, auch ohne es sich recht zu gestehen, daß das Gegentheil der Fall ist. Was man gern hätte, das glaubt, das spricht, das be- hauptet man gern. So machen's die politischen Komödi- anten, die Demagogen und Verführer des Volkes. Aber sie machen sich mit alle diesem Wesen bei jedem Vernünftigen lächer- lich, sie verlieren Vertrauen und guten Ruf; Niemand glaubt ihnen mehr, weder das Erkünstelte und Verstellte, noch das Wahre und Natürliche. Was aber, fragen wir, sind die Frankfurt=Stuttgarter Reichs- versammlungsbeschlüsse, was ist diese Versammlung heute selber anders als ein Vergangenes, mit leider! sehr untergeordneter factischer und rechtlicher Bedeutung? Gehört sie — die Consti- tuirung des Reichsverwesers ausgenommen — nicht meist blos noch der Geschichte an; ist die Stuttgarter Periode und Phase unseres Nationaltraumes nicht offenbar rebellisch? Und nun in den einzelnen Ständekammern, in der bayrischen z. B., auf dem souveränen Rechte und der Gewalt eben jener Versammlung, wie auf einem Steckenpferde herum manövriren: nein, das ist wirklich nicht mehr consequent und eines Ehrenmannes Sache, es ist blos spaßig und amusant, pedantisch, kleinlich und ver- zweifelt zugleich. Wir hatten bisher den Pfarrer Tafel, der bei den Katholiken der Pfalz in einem höchst eigenthümlichen Lichte steht, doch wenigstens als einen gescheidten Mann schildern hören, und durch sein Benehmen in manchen Dingen auch diese Gescheidt- heit bestätigt gefunden; wenn er aber fortfährt in der Münchener Kammer auf dem Stuttgarter Rumpfparlamente herumzureiten, so müssen wir bekennen, daß wir uns getäuscht haben, oder besser, daß jenes Bild eines scheuen, wild und besinnungslos geworde- nen Renners bei ihm in seiner vollen Wahrheit in Anwendung gekommen ist. Jch begreife die Demokratie, wenn sie ihre Prin- cipien auf die Wirklichkeit anwenden will: aber Schatten für wirklich und wahr zu halten, mit ihnen fechten und verkehren zu wollen, dazu muß man selbst ein Schatten seyn oder es wer- den wollen. Was aber ist diese Versammlung nun noch mehr als ein Schatten und zwar durch die eigene Schuld ihrer Wühler und Renner! Manche Menschen haben Liebhabereien, es gibt Sonderlinge; man bewundert und belacht sie oder staunt sie an, je nachdem ihr Sparren das verdient. Sie selber sind bei ihrer Sache ganz ernst, die Gewohnheit als andere Natur bringt das mit sich. Kann man sich doch in die Rolle eines Spaßvogels, eines Komikers mit aller Gravität hineinarbeiten und mit vollkommener Unterdrückung des eigenen Humors sie spielen. Was sind denn aber unsere renom- mirtesten Kammerlöwen der linken Seite anders als solche Ko- miker, zur guten Unterhaltung und zum großen Verderben des Publicums? Hat doch einer jüngst aus dieser Sippschaft, als er mit seines Gleichen verkehrte und nicht dem dummen Volke zuge- wendet war, brieflich das naive Geständniß gemacht: „Damit will ich auch meinen Württembergern weiß machen, daß sie von Baden kräftigst unterstützt werden, wenn's gleich nichts ist. Aber hilf, was helfen mag! Wenn die Kerl's nur einmal im Gange sind.“ So schrieb Ludwig Pfau, vulgo Eulenspiegel an den Dictator Werner. Und so denken und agiren die Reichsverfas- sungskomödianten an gar vielen Orten auch jetzt noch, und das „dumme Volk“ glaubt unabwendig ihren Worten! Kommen dann diese Helden heim, haben sie ihrem Leibe die Saison durch draußen Gutes angethan, — welch ein Gebahren nehmen wir dann wahr! Wie legen sie dem Volke ihre guten Absichten, ihre Bestrebungen für sein Wohl aus; wie wissen sie von der Unverbesserlichkeit der Aristokraten, Pfaffen und aller Classen ihrer Gegner zu reden, wie die Jntriguen zu schildern, die man zur Vernichtung der Volksrechte und Freiheiten, zur Hemmung des Volkswohles habe springen lassen; wie haben sie gearbeitet, geredet, fest gesessen: aber Alles umsonst! Die Re- action, die Fürsten, die Jesuiten und wer noch mehr, sie haben wieder Alles vereitelt! — Und das Volk hört sie andächtig an, es hat Bedauern mit seinen Freunden, es glaubt ihnen, es brummt und murrt, schilt und flucht, es trinkt und toastet, droht und verspricht bald dreinzuschlagen; es geht heim — und bleibt selber das alte, wie seine Verführer und der unglückliche Staat auch! — Die Komödianten aber lachen heimlich über das alberne Geschlecht, sie bewundern ihre Pfiffigkeit, und glauben am Ende selbst, was sie Anderen vorgemacht. Sollte in diesem Bilde nicht auch Dieser und Je- ner sich erkennen? Deutschland. Wien 20. October. Die Ernennung der Herren v. Schön- hals und v. Kübeck zu Mitgliedern der provisorischen Centralge- walt wird als definitiv bezeichnet. F. Z. M. Nugent ist zum Feld- marschall ernannt. Die aus Böhmen berichteten Unruhen reduciren sich, sicherem Vernehmen nach, auf einen blosen Arbeiter=Krawall in Bielitz, der durch geringe Militärkräfte beendigt wurde. Jn der letzten Generalversammlung des Vereines der deut- schen Eisenbahnverwaltungen ist Aachen für den nächsten Con- greßort bestimmt worden. Gestern wurde in dem schönen Sophienbadsaale das Ab- schiedsfest den heute abreisenden Vertretern sämmtlicher 46 deut- schen Eisenbahngesellschaften gegeben. Der Saal war besonders reich geschmückt und erleuchtet, und es gewährte einen imposanten Anblick, die langen, mit 400 Personen besetzten Tafeln zu über- blicken, wo im bunten Gemisch Männer aus allen deutschen Gauern in inniger Eintracht zusammensaßen. Verschiedene Toaste in Be- ziehung auf das Eisenbahnwesen und die freundliche Aufnahme in Wien wurden ausgebracht und sorgfältig wurde jede Anspie- lung auf Politik vermieden. Da erklangen rauschend die Töne der österreichischen Volks- hymne und mit dem vollen Glase in der Hand ward von allen Anwesenden die Hymne mitgesungen. Und als nach deren Been-

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 253. Mainz, 24. Oktober 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal253_1849/1>, abgerufen am 09.05.2024.