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Marburger Zeitung. Nr. 77, Marburg, 10.07.1900.

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Marburger Zeitung.



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Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zustellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Postversendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.


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Erscheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechstunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11--12 Uhr vormittags Postgasse 4.

Die Verwaltung befindet sich: Postgasse 4. (Telephon-Nr. 24.)


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Einschaltungen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen.
Inseratenpreis: Für die 5mal gespaltene Zeile 12 h, bei
Wiederholung bedeutender Nachlass. -- Schluss für Ein-
schaltungen Dienstag, Donnerstag und Samstag mittags.

Die Einzelnummer kostet 10 h.




Nr. 77 Dienstag, 10. Juli 1900 39. Jahrgang


[Spaltenumbruch]
Die Steuerschraube.

Die österreichische Steuergesetzgebung kann
gewiss nicht als Muster bezeichnet werden. Sie
ist auf rein fiskalischer Grundlage aufgebaut und
bezweckt nur, die Steuerschraube so fest als möglich
anzuziehen, ohne Rücksicht darauf, ob dadurch die
steuerzahlende Bevölkerung, namentlich jener Groß-
theil, der schwer arbeiten muss, in seinen Erwerbs-
verhältnissen geschädigt wird oder nicht. Die von
dem verflossenen Finanzminister Dr. Steinbach
in Angriff genommene Steuerreform ist bekanntlich
in ihrer Fortentwicklung stecken geblieben. Es wurde
nur die Personal-Einkommensteuer ins Leben gerufen,
eine Besteuerung, welche sich in ihrer Abstufung im
Allgemeinen als gerechte Steuer bezeichnen lässt.
Wenn übereifrige Bureaukraten und eingefleischte
Finanzbeamte bei der Durchführung dieser Steuer
in fiskalischer Weise durch unbegründete Steuer-
erhöhungen, Beschränkungen der Recursrechte etc. etc.
vorgehen wollten, so hat das Finanzministerium im
großen Ganzen solche Uebergriffe rasch beseitigt.
Wie sehr das neue System sich auch praktisch als
fruchtbringend erweist, das beweisen am besten die
Ergebnisse der directen Personalsteuern, welche im
Vorjahre eine solche Höhe erreicht haben, dass bei
den Nachlässen an den Ertragsteuern für das laufende
Jahr bis zum gesetzlichen Maximum gegangen werden
konnte. Mit Recht ist das Finanzministerium stolz
auf diese günstigen Ergebnisse. Wir lassen nun
dem ministeriellen Berichte das Wort:

Aus der im letzten Reichsgesetzblatte zur
Publication gelangenden Verordnung des Finanz-
ministeriums vom 18. Juni 1900 ergibt sich die
Thatsache, dass die im Jahre 1899 erzielten Er-
trägnisse der reformierten directen Personalsteuern
die Erhöhung der Individual-Nachlässe an den Er-
tragsteuern für das Jahr 1900 bis zum gesetzlichen
Maximum ermöglichen.


[Spaltenumbruch]

Während nämlich nach der Verordnung des
Finanzministeriums vom 28. Juni v. J. in Durch-
führung des Finanzplanes die Nachlässe für das
Jahr 1899 an der Grundsteuer nur mit 12·5 Percent,
an der Gebäudesteuer mit 11·2 Percent und an der
allgemeinen Erwerbsteuer mit 23·7 Percent festgesetzt
werden konnten, werden sie mit der eingangs er-
wähnten Finanz-Ministerial-Verordnung für das
Jahr 1900 bereits in dem gesetzlich in Aussicht ge-
nommenen Höchstausmaße, nämlich mit 15 Percent
der Grundsteuer, 12·5 Percent der Gebäudesteuer
und mit 25 Percent der allgemeinen Erwerbsteuer
bestimmt.

Dieses Ergebnis ist der im Allgemeinen fort-
schreitenden Entwicklung der neuen Personalsteuern
zu verdanken, welche im Jahre 1899 insgesammt
einen Betrag von 137,175.059 K abgeworfen haben,
wovon dem Staatsschatze nach den Bestimmungen
des Finanzplanes nur 109,305.232 K verbleiben,
während der gesammte Rest zu Steuernachlässen
und Ueberweisungen an die Landesfonds zu ver-
wenden ist.

Allerdings darf über dem Erreichten dasjenige
nicht vergessen werden, was zu thun übrig bleibt.
Der Staat und die Länder sehen mit Ungeduld dem
Zeitpunkte entgegen, wo die Antheilnahme an den
"weiteren Ueberschüssen" ihre Finanzen kräftigen soll.
Auch die Ermäßigung der Steuer der Actien-Ge-
sellschaften von 101/2 auf 10 Percent ist noch nicht
vollzogen.

Für Erfolge in diesen Beziehungen sind nach-
stehende Gesichtspunkte maßgebend: Um das bisher
Erreichte zu bewahren, das heißt, um auch aus
den Ereignissen des Jahres 1900 wieder das volle
Ausmaß der Realsteuer-Nachlässe und der Ermä-
ßigung der Erwerbsteuer-Hauptsumme eintreten
lassen zu können, müssen die Einzahlungs-Ergebnisse
des Jahres 1900 jene des Jahres 1899 um etwas
mehr als 2,000.000 Kronen übersteigen, ein Er-
[Spaltenumbruch] gebnis, das zwar zu hoffen, aber nach den nicht
besonders günstigen Einzahlungs-Ergebnissen der
Personalsteuern in den ersten Monaten des Jahres
1900 noch keineswegs gesichert ist.

Das Mehrerfordernis zur Erreichung des
gleichen Zweckes rührt theils daher, dass unter den
Realsteuern die Gebäudesteuer rasch zunimmt und
daher der Nachlass an derselben immer höhere Be-
träge in Anspruch nimmt, theils ist es in dem
Zuwachse des dem Staatsschatze vorbehaltenen An-
theiles an den Personalsteuern begründet.

Die Herabsetzung der Erwerbsteuer nach dem
II. Hauptstücke von 101/2 auf 10 Perzent würde
bereits nach den Ergebnissen des Jahres 1899
den erheblichen Betrag von 2·14 Millionen Kronen
erfordern. Im ganzen müssten daher die Mehr-
eingänge im Jahre 1900 etwas mehr als 4 Mil-
lionen Kronen betragen, damit die Steuer der
Actien-Gesellschaften auf 10 Perzent zurückgeführt
werden könnte.

Wenn man erwägt, dass die Einzahlungen
auf die bisherige Erwerb- und Einkommensteuer,
die im Jahre 1899 noch 1,961.277 Kronen be-
tragen haben, in Wegfall kommen, sowie, dass ein
etwaiges Zurückbleiben der Eingänge in der einen
oder anderen Steuer-Kategorie aus verschiedenen
Ursachen, z. B. wegen Wechsel geschäftlicher Con-
juncturen oder infolge lieberaler Gesetzesauslegung
seitens der obersten Instanzen, keineswegs als aus-
geschlossen bezeichnet werden kann, so kommt man
zum Schlusse, dass die Eingänge an Personal-
steuern im laufenden Jahre eine ganz besonders
günstige Entwicklung nehmen müssten, wenn für
das Jahr 1901 nicht nur -- was wohl zu ge-
wärtigen ist -- das Höchstausmaß der Invidual-
Nachlässe aufrechterhalten, sondern darüber hinaus
auch noch die gewiss allseits erwünschte Herab-
setzung der Erwerbsteuer der Actien-Gesellschaften
und eine stärkere Betheiligung der Länder ermöglicht




[Spaltenumbruch]
(Nachdruck verboten.)
Seine Schwester.
(22. Fortsetzung.)

Diese Ruhe in der luxuriös eingerichteten
Villa, die sie bewohnten, hatte manchmal etwas
unheimlich Bedrückendes, als schlummere etwas
unter dieser glatten stillen Außenseite, das nur des
geeigneten Moments bedürfe, um vulcanartig hervor-
zubrechen und das künstlich aufgebaute Gebäude
einer nach außenhin glücklich scheinenden Ehe er-
barmungslos zu zerstören.

Die Rosen blühten in seltener Fülle in dem
Garten der stillen Villa des jungen Doctors Fred
Brenken; eine ganz von Clematis umsponnene Laube
lud förmlich zum Kosen und Tändeln, wenn der
Mond schien und drüben das Meer rauschte. Die
Welt war schön! Fred, der gedankenvoll durch den
stillen Garten schritt, musste sich das heute an
einem köstlichen Sommertag eingestehen, so wenig
er auch sonst auf die herrliche Natur, die ihn um-
gab, achtete, es war, als vernähme er in diesen
Augenblicken einmal wieder eine der Stimmen, die
immer und immer noch durch das Weltall tönen,
von Daseinsfreude singen und klingen, wie es so
schön auf Gottes Erde und wert, darauf vergnügt
zu sein.

Ach, wo war seine Daseinsfreudigkeit ge-
blieben! Untergegangen in dem ermüdenden Gleich-
lauf der Tage, wo es nichts mehr zu fürchten, zu
hoffen und zu sorgen gab. Es war die Pappel-
allee des Lebens, die er glücklich erreicht, rechts eine
[Spaltenumbruch] Pappel, links eine Pappel; in unheimlicher Regel-
mäßigkeit standen sie da, die öden, langweiligen
Bäume, einer wie der andere, seine Tage! Flora
war pünktlich wie ein Uhrwerk in allen Dingen,
es wurde zur bestimmten Zeit gefrühstückt, zu Mittag
gegessen, regelmäßig kehrten die großen Wäschen,
die Reinmachentage wieder, und wenn die junge
Frau auch selbst nicht weiter thätig war, die Dienst-
boten wusste sie zu dirigieren wie ein Feldherr.

Die besten Stunden seiner Tage waren noch
die, die er bei seiner Mutter und Schwester zu-
brachte. Sie wohnten beide ganz in der Nähe, in
einem der neugebauten Häuser des Seebades, und
die Einrichtung ihrer Zimmer hatte wieder das
alte Ansehen wie in G., von den modernen Ber-
liner Herrlichkeiten, die er einst mit solchem Eifer
herangeschleppt, waren nur noch geringe Ueberreste
vorhanden, sie waren verblichen und vergangen,
wie die ganze tolle Zeit damals.

Der alte Hauch von Gemüthlichkeit lag wieder
über den Räumen des stillen Witwenheims, nur
der fröhliche Student und seine Freunde fehlten.
Statt seiner saß in der Ecke des alten Sophas ein
ernster Mann, um dessen Lippen nur selten ein
Lächeln spielte, aber er litt es gern, wenn die sanfte
Hand der Mutter wie sonst über seine Stirn strich
und die guten Augen ihn theilnehmend anschauten.
Von niemand weiter hätte er Theilnahme vertragen
als von ihr, zu ihr allein sprach er sich denn auch
bisweilen aus; vieler Worte bedurfte es nicht, sie
verstand ihn und wufste, woran sein Herz krankte,
und wie er Carla Axhausen und jene Zeit in Berlin
nicht vergessen konnte. Flora war eben nicht die
[Spaltenumbruch] Frau, ihm solches Vergessen zu lehren, so muster-
haft sie auch für sein leibliche Wohl sorgte.

War Melitta im Zimmer, wurden solche Ge-
spräche, die das Vergangene berührten, nie geführt;
sie hatte ja jene Zeit in Berlin nicht mit durch-
lebt, wusste wenig von der Herzensgeschichte ihres
Bruders, da er sich so schnell damals entschlossen,
sich mit Flora zu verloben, musste er doch Carla
bald vergessen haben. Dass es kein volles Glück
war, was er an Floras Seite gefunden, das sah
sie wohl, aber sie machte sich nicht viel Gedanken
darüber, sie dachte in dieser Zeit, vielleicht zum
erstenmale in ihrem Leben mehr an sich als an den
Bruder. Ein Glanz inneren Glückes lag über ihrem
ganzen Wesen, strahlte aus ihren Augen, dass Fred
sie manchmal ganz verwundert anschaute. Woher
kam ihr nur diese sonnige Heiterkeit, diese Freude
an ihrem doch wahrlich nicht reichen Leben. Ihre
schönsten Jugendjahre hatte sie auf dem Gute seiner
Schwiegereltern verbringen müssen, wo sie wahrlich
nicht auf Rosen gewandelt. War es nun das Glück,
wieder mit der Mutter vereint zu sein, was ihr
Wesen so verklärte oder hatte es noch einen andern
Grund. Dachte sie vielleicht noch an Martin
Harden, aber der war ja, trotz aller Ueberlegenheit,
die er ihm stets gezeigt, jetzt noch nicht einmal so
weit wie er, hatte noch keine feste Anstellung. Er
hatte ja wohl Melitta stets sehr gern gehabt, auch
wohl ernstlich daran gedacht, sie einst zu seiner
Frau zu machen, wer weiß aber, ob er nicht doch
schließlich dem Zuge der Zeit folgte und eine reiche
Frau wählte. Die idealen Lebensanschauungen
halten meistens dem realen Leben nicht stand, man

Mit einer Extra-Beilage.


Marburger Zeitung.



[Spaltenumbruch]

Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Poſtverſendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.


[Spaltenumbruch]

Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr vormittags Poſtgaſſe 4.

Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.)


[Spaltenumbruch]

Einſchaltungen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen.
Inſeratenpreis: Für die 5mal geſpaltene Zeile 12 h, bei
Wiederholung bedeutender Nachlaſs. — Schluſs für Ein-
ſchaltungen Dienstag, Donnerstag und Samstag mittags.

Die Einzelnummer koſtet 10 h.




Nr. 77 Dienstag, 10. Juli 1900 39. Jahrgang


[Spaltenumbruch]
Die Steuerſchraube.

Die öſterreichiſche Steuergeſetzgebung kann
gewiſs nicht als Muſter bezeichnet werden. Sie
iſt auf rein fiskaliſcher Grundlage aufgebaut und
bezweckt nur, die Steuerſchraube ſo feſt als möglich
anzuziehen, ohne Rückſicht darauf, ob dadurch die
ſteuerzahlende Bevölkerung, namentlich jener Groß-
theil, der ſchwer arbeiten muſs, in ſeinen Erwerbs-
verhältniſſen geſchädigt wird oder nicht. Die von
dem verfloſſenen Finanzminiſter Dr. Steinbach
in Angriff genommene Steuerreform iſt bekanntlich
in ihrer Fortentwicklung ſtecken geblieben. Es wurde
nur die Perſonal-Einkommenſteuer ins Leben gerufen,
eine Beſteuerung, welche ſich in ihrer Abſtufung im
Allgemeinen als gerechte Steuer bezeichnen läſst.
Wenn übereifrige Bureaukraten und eingefleiſchte
Finanzbeamte bei der Durchführung dieſer Steuer
in fiskaliſcher Weiſe durch unbegründete Steuer-
erhöhungen, Beſchränkungen der Recursrechte ꝛc. ꝛc.
vorgehen wollten, ſo hat das Finanzminiſterium im
großen Ganzen ſolche Uebergriffe raſch beſeitigt.
Wie ſehr das neue Syſtem ſich auch praktiſch als
fruchtbringend erweist, das beweiſen am beſten die
Ergebniſſe der directen Perſonalſteuern, welche im
Vorjahre eine ſolche Höhe erreicht haben, daſs bei
den Nachläſſen an den Ertragſteuern für das laufende
Jahr bis zum geſetzlichen Maximum gegangen werden
konnte. Mit Recht iſt das Finanzminiſterium ſtolz
auf dieſe günſtigen Ergebniſſe. Wir laſſen nun
dem miniſteriellen Berichte das Wort:

Aus der im letzten Reichsgeſetzblatte zur
Publication gelangenden Verordnung des Finanz-
miniſteriums vom 18. Juni 1900 ergibt ſich die
Thatſache, daſs die im Jahre 1899 erzielten Er-
trägniſſe der reformierten directen Perſonalſteuern
die Erhöhung der Individual-Nachläſſe an den Er-
tragſteuern für das Jahr 1900 bis zum geſetzlichen
Maximum ermöglichen.


[Spaltenumbruch]

Während nämlich nach der Verordnung des
Finanzminiſteriums vom 28. Juni v. J. in Durch-
führung des Finanzplanes die Nachläſſe für das
Jahr 1899 an der Grundſteuer nur mit 12·5 Percent,
an der Gebäudeſteuer mit 11·2 Percent und an der
allgemeinen Erwerbſteuer mit 23·7 Percent feſtgeſetzt
werden konnten, werden ſie mit der eingangs er-
wähnten Finanz-Miniſterial-Verordnung für das
Jahr 1900 bereits in dem geſetzlich in Ausſicht ge-
nommenen Höchſtausmaße, nämlich mit 15 Percent
der Grundſteuer, 12·5 Percent der Gebäudeſteuer
und mit 25 Percent der allgemeinen Erwerbſteuer
beſtimmt.

Dieſes Ergebnis iſt der im Allgemeinen fort-
ſchreitenden Entwicklung der neuen Perſonalſteuern
zu verdanken, welche im Jahre 1899 insgeſammt
einen Betrag von 137,175.059 K abgeworfen haben,
wovon dem Staatsſchatze nach den Beſtimmungen
des Finanzplanes nur 109,305.232 K verbleiben,
während der geſammte Reſt zu Steuernachläſſen
und Ueberweiſungen an die Landesfonds zu ver-
wenden iſt.

Allerdings darf über dem Erreichten dasjenige
nicht vergeſſen werden, was zu thun übrig bleibt.
Der Staat und die Länder ſehen mit Ungeduld dem
Zeitpunkte entgegen, wo die Antheilnahme an den
„weiteren Ueberſchüſſen“ ihre Finanzen kräftigen ſoll.
Auch die Ermäßigung der Steuer der Actien-Ge-
ſellſchaften von 10½ auf 10 Percent iſt noch nicht
vollzogen.

Für Erfolge in dieſen Beziehungen ſind nach-
ſtehende Geſichtspunkte maßgebend: Um das bisher
Erreichte zu bewahren, das heißt, um auch aus
den Ereigniſſen des Jahres 1900 wieder das volle
Ausmaß der Realſteuer-Nachläſſe und der Ermä-
ßigung der Erwerbſteuer-Hauptſumme eintreten
laſſen zu können, müſſen die Einzahlungs-Ergebniſſe
des Jahres 1900 jene des Jahres 1899 um etwas
mehr als 2,000.000 Kronen überſteigen, ein Er-
[Spaltenumbruch] gebnis, das zwar zu hoffen, aber nach den nicht
beſonders günſtigen Einzahlungs-Ergebniſſen der
Perſonalſteuern in den erſten Monaten des Jahres
1900 noch keineswegs geſichert iſt.

Das Mehrerfordernis zur Erreichung des
gleichen Zweckes rührt theils daher, daſs unter den
Realſteuern die Gebäudeſteuer raſch zunimmt und
daher der Nachlaſs an derſelben immer höhere Be-
träge in Anſpruch nimmt, theils iſt es in dem
Zuwachſe des dem Staatsſchatze vorbehaltenen An-
theiles an den Perſonalſteuern begründet.

Die Herabſetzung der Erwerbſteuer nach dem
II. Hauptſtücke von 10½ auf 10 Perzent würde
bereits nach den Ergebniſſen des Jahres 1899
den erheblichen Betrag von 2·14 Millionen Kronen
erfordern. Im ganzen müſsten daher die Mehr-
eingänge im Jahre 1900 etwas mehr als 4 Mil-
lionen Kronen betragen, damit die Steuer der
Actien-Geſellſchaften auf 10 Perzent zurückgeführt
werden könnte.

Wenn man erwägt, daſs die Einzahlungen
auf die bisherige Erwerb- und Einkommenſteuer,
die im Jahre 1899 noch 1,961.277 Kronen be-
tragen haben, in Wegfall kommen, ſowie, daſs ein
etwaiges Zurückbleiben der Eingänge in der einen
oder anderen Steuer-Kategorie aus verſchiedenen
Urſachen, z. B. wegen Wechſel geſchäftlicher Con-
juncturen oder infolge lieberaler Geſetzesauslegung
ſeitens der oberſten Inſtanzen, keineswegs als aus-
geſchloſſen bezeichnet werden kann, ſo kommt man
zum Schluſſe, daſs die Eingänge an Perſonal-
ſteuern im laufenden Jahre eine ganz beſonders
günſtige Entwicklung nehmen müſsten, wenn für
das Jahr 1901 nicht nur — was wohl zu ge-
wärtigen iſt — das Höchſtausmaß der Invidual-
Nachläſſe aufrechterhalten, ſondern darüber hinaus
auch noch die gewiſs allſeits erwünſchte Herab-
ſetzung der Erwerbſteuer der Actien-Geſellſchaften
und eine ſtärkere Betheiligung der Länder ermöglicht




[Spaltenumbruch]
(Nachdruck verboten.)
Seine Schweſter.
(22. Fortſetzung.)

Dieſe Ruhe in der luxuriös eingerichteten
Villa, die ſie bewohnten, hatte manchmal etwas
unheimlich Bedrückendes, als ſchlummere etwas
unter dieſer glatten ſtillen Außenſeite, das nur des
geeigneten Moments bedürfe, um vulcanartig hervor-
zubrechen und das künſtlich aufgebaute Gebäude
einer nach außenhin glücklich ſcheinenden Ehe er-
barmungslos zu zerſtören.

Die Roſen blühten in ſeltener Fülle in dem
Garten der ſtillen Villa des jungen Doctors Fred
Brenken; eine ganz von Clematis umſponnene Laube
lud förmlich zum Koſen und Tändeln, wenn der
Mond ſchien und drüben das Meer rauſchte. Die
Welt war ſchön! Fred, der gedankenvoll durch den
ſtillen Garten ſchritt, muſste ſich das heute an
einem köſtlichen Sommertag eingeſtehen, ſo wenig
er auch ſonſt auf die herrliche Natur, die ihn um-
gab, achtete, es war, als vernähme er in dieſen
Augenblicken einmal wieder eine der Stimmen, die
immer und immer noch durch das Weltall tönen,
von Daſeinsfreude ſingen und klingen, wie es ſo
ſchön auf Gottes Erde und wert, darauf vergnügt
zu ſein.

Ach, wo war ſeine Daſeinsfreudigkeit ge-
blieben! Untergegangen in dem ermüdenden Gleich-
lauf der Tage, wo es nichts mehr zu fürchten, zu
hoffen und zu ſorgen gab. Es war die Pappel-
allee des Lebens, die er glücklich erreicht, rechts eine
[Spaltenumbruch] Pappel, links eine Pappel; in unheimlicher Regel-
mäßigkeit ſtanden ſie da, die öden, langweiligen
Bäume, einer wie der andere, ſeine Tage! Flora
war pünktlich wie ein Uhrwerk in allen Dingen,
es wurde zur beſtimmten Zeit gefrühſtückt, zu Mittag
gegeſſen, regelmäßig kehrten die großen Wäſchen,
die Reinmachentage wieder, und wenn die junge
Frau auch ſelbſt nicht weiter thätig war, die Dienſt-
boten wuſste ſie zu dirigieren wie ein Feldherr.

Die beſten Stunden ſeiner Tage waren noch
die, die er bei ſeiner Mutter und Schweſter zu-
brachte. Sie wohnten beide ganz in der Nähe, in
einem der neugebauten Häuſer des Seebades, und
die Einrichtung ihrer Zimmer hatte wieder das
alte Anſehen wie in G., von den modernen Ber-
liner Herrlichkeiten, die er einſt mit ſolchem Eifer
herangeſchleppt, waren nur noch geringe Ueberreſte
vorhanden, ſie waren verblichen und vergangen,
wie die ganze tolle Zeit damals.

Der alte Hauch von Gemüthlichkeit lag wieder
über den Räumen des ſtillen Witwenheims, nur
der fröhliche Student und ſeine Freunde fehlten.
Statt ſeiner ſaß in der Ecke des alten Sophas ein
ernſter Mann, um deſſen Lippen nur ſelten ein
Lächeln ſpielte, aber er litt es gern, wenn die ſanfte
Hand der Mutter wie ſonſt über ſeine Stirn ſtrich
und die guten Augen ihn theilnehmend anſchauten.
Von niemand weiter hätte er Theilnahme vertragen
als von ihr, zu ihr allein ſprach er ſich denn auch
bisweilen aus; vieler Worte bedurfte es nicht, ſie
verſtand ihn und wufste, woran ſein Herz krankte,
und wie er Carla Axhauſen und jene Zeit in Berlin
nicht vergeſſen konnte. Flora war eben nicht die
[Spaltenumbruch] Frau, ihm ſolches Vergeſſen zu lehren, ſo muſter-
haft ſie auch für ſein leibliche Wohl ſorgte.

War Melitta im Zimmer, wurden ſolche Ge-
ſpräche, die das Vergangene berührten, nie geführt;
ſie hatte ja jene Zeit in Berlin nicht mit durch-
lebt, wuſste wenig von der Herzensgeſchichte ihres
Bruders, da er ſich ſo ſchnell damals entſchloſſen,
ſich mit Flora zu verloben, muſste er doch Carla
bald vergeſſen haben. Daſs es kein volles Glück
war, was er an Floras Seite gefunden, das ſah
ſie wohl, aber ſie machte ſich nicht viel Gedanken
darüber, ſie dachte in dieſer Zeit, vielleicht zum
erſtenmale in ihrem Leben mehr an ſich als an den
Bruder. Ein Glanz inneren Glückes lag über ihrem
ganzen Weſen, ſtrahlte aus ihren Augen, daſs Fred
ſie manchmal ganz verwundert anſchaute. Woher
kam ihr nur dieſe ſonnige Heiterkeit, dieſe Freude
an ihrem doch wahrlich nicht reichen Leben. Ihre
ſchönſten Jugendjahre hatte ſie auf dem Gute ſeiner
Schwiegereltern verbringen müſſen, wo ſie wahrlich
nicht auf Roſen gewandelt. War es nun das Glück,
wieder mit der Mutter vereint zu ſein, was ihr
Weſen ſo verklärte oder hatte es noch einen andern
Grund. Dachte ſie vielleicht noch an Martin
Harden, aber der war ja, trotz aller Ueberlegenheit,
die er ihm ſtets gezeigt, jetzt noch nicht einmal ſo
weit wie er, hatte noch keine feſte Anſtellung. Er
hatte ja wohl Melitta ſtets ſehr gern gehabt, auch
wohl ernſtlich daran gedacht, ſie einſt zu ſeiner
Frau zu machen, wer weiß aber, ob er nicht doch
ſchließlich dem Zuge der Zeit folgte und eine reiche
Frau wählte. Die idealen Lebensanſchauungen
halten meiſtens dem realen Leben nicht ſtand, man

Mit einer Extra-Beilage.


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[[1]/0001] Marburger Zeitung. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat- lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr. Mit Poſtverſendung: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr vormittags Poſtgaſſe 4. Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.) Einſchaltungen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen. Inſeratenpreis: Für die 5mal geſpaltene Zeile 12 h, bei Wiederholung bedeutender Nachlaſs. — Schluſs für Ein- ſchaltungen Dienstag, Donnerstag und Samstag mittags. Die Einzelnummer koſtet 10 h. Nr. 77 Dienstag, 10. Juli 1900 39. Jahrgang Die Steuerſchraube. Die öſterreichiſche Steuergeſetzgebung kann gewiſs nicht als Muſter bezeichnet werden. Sie iſt auf rein fiskaliſcher Grundlage aufgebaut und bezweckt nur, die Steuerſchraube ſo feſt als möglich anzuziehen, ohne Rückſicht darauf, ob dadurch die ſteuerzahlende Bevölkerung, namentlich jener Groß- theil, der ſchwer arbeiten muſs, in ſeinen Erwerbs- verhältniſſen geſchädigt wird oder nicht. Die von dem verfloſſenen Finanzminiſter Dr. Steinbach in Angriff genommene Steuerreform iſt bekanntlich in ihrer Fortentwicklung ſtecken geblieben. Es wurde nur die Perſonal-Einkommenſteuer ins Leben gerufen, eine Beſteuerung, welche ſich in ihrer Abſtufung im Allgemeinen als gerechte Steuer bezeichnen läſst. Wenn übereifrige Bureaukraten und eingefleiſchte Finanzbeamte bei der Durchführung dieſer Steuer in fiskaliſcher Weiſe durch unbegründete Steuer- erhöhungen, Beſchränkungen der Recursrechte ꝛc. ꝛc. vorgehen wollten, ſo hat das Finanzminiſterium im großen Ganzen ſolche Uebergriffe raſch beſeitigt. Wie ſehr das neue Syſtem ſich auch praktiſch als fruchtbringend erweist, das beweiſen am beſten die Ergebniſſe der directen Perſonalſteuern, welche im Vorjahre eine ſolche Höhe erreicht haben, daſs bei den Nachläſſen an den Ertragſteuern für das laufende Jahr bis zum geſetzlichen Maximum gegangen werden konnte. Mit Recht iſt das Finanzminiſterium ſtolz auf dieſe günſtigen Ergebniſſe. Wir laſſen nun dem miniſteriellen Berichte das Wort: Aus der im letzten Reichsgeſetzblatte zur Publication gelangenden Verordnung des Finanz- miniſteriums vom 18. Juni 1900 ergibt ſich die Thatſache, daſs die im Jahre 1899 erzielten Er- trägniſſe der reformierten directen Perſonalſteuern die Erhöhung der Individual-Nachläſſe an den Er- tragſteuern für das Jahr 1900 bis zum geſetzlichen Maximum ermöglichen. Während nämlich nach der Verordnung des Finanzminiſteriums vom 28. Juni v. J. in Durch- führung des Finanzplanes die Nachläſſe für das Jahr 1899 an der Grundſteuer nur mit 12·5 Percent, an der Gebäudeſteuer mit 11·2 Percent und an der allgemeinen Erwerbſteuer mit 23·7 Percent feſtgeſetzt werden konnten, werden ſie mit der eingangs er- wähnten Finanz-Miniſterial-Verordnung für das Jahr 1900 bereits in dem geſetzlich in Ausſicht ge- nommenen Höchſtausmaße, nämlich mit 15 Percent der Grundſteuer, 12·5 Percent der Gebäudeſteuer und mit 25 Percent der allgemeinen Erwerbſteuer beſtimmt. Dieſes Ergebnis iſt der im Allgemeinen fort- ſchreitenden Entwicklung der neuen Perſonalſteuern zu verdanken, welche im Jahre 1899 insgeſammt einen Betrag von 137,175.059 K abgeworfen haben, wovon dem Staatsſchatze nach den Beſtimmungen des Finanzplanes nur 109,305.232 K verbleiben, während der geſammte Reſt zu Steuernachläſſen und Ueberweiſungen an die Landesfonds zu ver- wenden iſt. Allerdings darf über dem Erreichten dasjenige nicht vergeſſen werden, was zu thun übrig bleibt. Der Staat und die Länder ſehen mit Ungeduld dem Zeitpunkte entgegen, wo die Antheilnahme an den „weiteren Ueberſchüſſen“ ihre Finanzen kräftigen ſoll. Auch die Ermäßigung der Steuer der Actien-Ge- ſellſchaften von 10½ auf 10 Percent iſt noch nicht vollzogen. Für Erfolge in dieſen Beziehungen ſind nach- ſtehende Geſichtspunkte maßgebend: Um das bisher Erreichte zu bewahren, das heißt, um auch aus den Ereigniſſen des Jahres 1900 wieder das volle Ausmaß der Realſteuer-Nachläſſe und der Ermä- ßigung der Erwerbſteuer-Hauptſumme eintreten laſſen zu können, müſſen die Einzahlungs-Ergebniſſe des Jahres 1900 jene des Jahres 1899 um etwas mehr als 2,000.000 Kronen überſteigen, ein Er- gebnis, das zwar zu hoffen, aber nach den nicht beſonders günſtigen Einzahlungs-Ergebniſſen der Perſonalſteuern in den erſten Monaten des Jahres 1900 noch keineswegs geſichert iſt. Das Mehrerfordernis zur Erreichung des gleichen Zweckes rührt theils daher, daſs unter den Realſteuern die Gebäudeſteuer raſch zunimmt und daher der Nachlaſs an derſelben immer höhere Be- träge in Anſpruch nimmt, theils iſt es in dem Zuwachſe des dem Staatsſchatze vorbehaltenen An- theiles an den Perſonalſteuern begründet. Die Herabſetzung der Erwerbſteuer nach dem II. Hauptſtücke von 10½ auf 10 Perzent würde bereits nach den Ergebniſſen des Jahres 1899 den erheblichen Betrag von 2·14 Millionen Kronen erfordern. Im ganzen müſsten daher die Mehr- eingänge im Jahre 1900 etwas mehr als 4 Mil- lionen Kronen betragen, damit die Steuer der Actien-Geſellſchaften auf 10 Perzent zurückgeführt werden könnte. Wenn man erwägt, daſs die Einzahlungen auf die bisherige Erwerb- und Einkommenſteuer, die im Jahre 1899 noch 1,961.277 Kronen be- tragen haben, in Wegfall kommen, ſowie, daſs ein etwaiges Zurückbleiben der Eingänge in der einen oder anderen Steuer-Kategorie aus verſchiedenen Urſachen, z. B. wegen Wechſel geſchäftlicher Con- juncturen oder infolge lieberaler Geſetzesauslegung ſeitens der oberſten Inſtanzen, keineswegs als aus- geſchloſſen bezeichnet werden kann, ſo kommt man zum Schluſſe, daſs die Eingänge an Perſonal- ſteuern im laufenden Jahre eine ganz beſonders günſtige Entwicklung nehmen müſsten, wenn für das Jahr 1901 nicht nur — was wohl zu ge- wärtigen iſt — das Höchſtausmaß der Invidual- Nachläſſe aufrechterhalten, ſondern darüber hinaus auch noch die gewiſs allſeits erwünſchte Herab- ſetzung der Erwerbſteuer der Actien-Geſellſchaften und eine ſtärkere Betheiligung der Länder ermöglicht (Nachdruck verboten.) Seine Schweſter. Erzählung aus der Gegenwart von Fanny Stöckert. (22. Fortſetzung.) Dieſe Ruhe in der luxuriös eingerichteten Villa, die ſie bewohnten, hatte manchmal etwas unheimlich Bedrückendes, als ſchlummere etwas unter dieſer glatten ſtillen Außenſeite, das nur des geeigneten Moments bedürfe, um vulcanartig hervor- zubrechen und das künſtlich aufgebaute Gebäude einer nach außenhin glücklich ſcheinenden Ehe er- barmungslos zu zerſtören. Die Roſen blühten in ſeltener Fülle in dem Garten der ſtillen Villa des jungen Doctors Fred Brenken; eine ganz von Clematis umſponnene Laube lud förmlich zum Koſen und Tändeln, wenn der Mond ſchien und drüben das Meer rauſchte. Die Welt war ſchön! Fred, der gedankenvoll durch den ſtillen Garten ſchritt, muſste ſich das heute an einem köſtlichen Sommertag eingeſtehen, ſo wenig er auch ſonſt auf die herrliche Natur, die ihn um- gab, achtete, es war, als vernähme er in dieſen Augenblicken einmal wieder eine der Stimmen, die immer und immer noch durch das Weltall tönen, von Daſeinsfreude ſingen und klingen, wie es ſo ſchön auf Gottes Erde und wert, darauf vergnügt zu ſein. Ach, wo war ſeine Daſeinsfreudigkeit ge- blieben! Untergegangen in dem ermüdenden Gleich- lauf der Tage, wo es nichts mehr zu fürchten, zu hoffen und zu ſorgen gab. Es war die Pappel- allee des Lebens, die er glücklich erreicht, rechts eine Pappel, links eine Pappel; in unheimlicher Regel- mäßigkeit ſtanden ſie da, die öden, langweiligen Bäume, einer wie der andere, ſeine Tage! Flora war pünktlich wie ein Uhrwerk in allen Dingen, es wurde zur beſtimmten Zeit gefrühſtückt, zu Mittag gegeſſen, regelmäßig kehrten die großen Wäſchen, die Reinmachentage wieder, und wenn die junge Frau auch ſelbſt nicht weiter thätig war, die Dienſt- boten wuſste ſie zu dirigieren wie ein Feldherr. Die beſten Stunden ſeiner Tage waren noch die, die er bei ſeiner Mutter und Schweſter zu- brachte. Sie wohnten beide ganz in der Nähe, in einem der neugebauten Häuſer des Seebades, und die Einrichtung ihrer Zimmer hatte wieder das alte Anſehen wie in G., von den modernen Ber- liner Herrlichkeiten, die er einſt mit ſolchem Eifer herangeſchleppt, waren nur noch geringe Ueberreſte vorhanden, ſie waren verblichen und vergangen, wie die ganze tolle Zeit damals. Der alte Hauch von Gemüthlichkeit lag wieder über den Räumen des ſtillen Witwenheims, nur der fröhliche Student und ſeine Freunde fehlten. Statt ſeiner ſaß in der Ecke des alten Sophas ein ernſter Mann, um deſſen Lippen nur ſelten ein Lächeln ſpielte, aber er litt es gern, wenn die ſanfte Hand der Mutter wie ſonſt über ſeine Stirn ſtrich und die guten Augen ihn theilnehmend anſchauten. Von niemand weiter hätte er Theilnahme vertragen als von ihr, zu ihr allein ſprach er ſich denn auch bisweilen aus; vieler Worte bedurfte es nicht, ſie verſtand ihn und wufste, woran ſein Herz krankte, und wie er Carla Axhauſen und jene Zeit in Berlin nicht vergeſſen konnte. Flora war eben nicht die Frau, ihm ſolches Vergeſſen zu lehren, ſo muſter- haft ſie auch für ſein leibliche Wohl ſorgte. War Melitta im Zimmer, wurden ſolche Ge- ſpräche, die das Vergangene berührten, nie geführt; ſie hatte ja jene Zeit in Berlin nicht mit durch- lebt, wuſste wenig von der Herzensgeſchichte ihres Bruders, da er ſich ſo ſchnell damals entſchloſſen, ſich mit Flora zu verloben, muſste er doch Carla bald vergeſſen haben. Daſs es kein volles Glück war, was er an Floras Seite gefunden, das ſah ſie wohl, aber ſie machte ſich nicht viel Gedanken darüber, ſie dachte in dieſer Zeit, vielleicht zum erſtenmale in ihrem Leben mehr an ſich als an den Bruder. Ein Glanz inneren Glückes lag über ihrem ganzen Weſen, ſtrahlte aus ihren Augen, daſs Fred ſie manchmal ganz verwundert anſchaute. Woher kam ihr nur dieſe ſonnige Heiterkeit, dieſe Freude an ihrem doch wahrlich nicht reichen Leben. Ihre ſchönſten Jugendjahre hatte ſie auf dem Gute ſeiner Schwiegereltern verbringen müſſen, wo ſie wahrlich nicht auf Roſen gewandelt. War es nun das Glück, wieder mit der Mutter vereint zu ſein, was ihr Weſen ſo verklärte oder hatte es noch einen andern Grund. Dachte ſie vielleicht noch an Martin Harden, aber der war ja, trotz aller Ueberlegenheit, die er ihm ſtets gezeigt, jetzt noch nicht einmal ſo weit wie er, hatte noch keine feſte Anſtellung. Er hatte ja wohl Melitta ſtets ſehr gern gehabt, auch wohl ernſtlich daran gedacht, ſie einſt zu ſeiner Frau zu machen, wer weiß aber, ob er nicht doch ſchließlich dem Zuge der Zeit folgte und eine reiche Frau wählte. Die idealen Lebensanſchauungen halten meiſtens dem realen Leben nicht ſtand, man Mit einer Extra-Beilage.

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 77, Marburg, 10.07.1900, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger77_1900/1>, abgerufen am 28.03.2024.