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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 48. Stuttgart/Tübingen, 30. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] seines Genies, daß er jeden Raum auf das zierlichste
zu füllen und zu schmücken wußte, wie er augenfällig
in der Farnesina gethan hat. Eben so ist auch in den
Sibyllen die verheimlichte Symmetrie, worauf bei der
Composition alles ankommt, auf eine höchst geistvolle
Weise obwaltend; denn wie in dem Organismus der
Natur, so thut sich auch in der Kunst innerhalb der
genauesten Schranken die Vollkommenheit der Lebens-
äußerung kund." Auch Cornelius kann uns in der
Glyptothek wie in der Ludwigskirche zum Beispiele der
Raumbenutzung dienen.

Jn den Wandgemälden also verlangen wir einen
ungebrochenen Zusammenhang mit dem Raum, so daß
dieser, wie er gegeben ist, verwerthet wird und die Bilder
selbst an ihm seine architektonische Gliederung hervor-
zuheben oder näher zu bestimmen scheinen, während die
äußere Form für Staffeleigemälde Sache der freien
Wahl ist, und Schwierigkeiten, deren Ueberwindung
dort zu Motiven der Schönheit werden kann, hier, wo
sie nicht bestehen, auch nicht gesucht werden dürfen,
weil sie sonst, an sich grundlos, nur ein Prunken mit
eitlem, nutzlosem Kraftaufwand zeigen würden. Für
die Durchführung des Wandgemäldes aber ergibt sich
die architektonische Strenge des Styls, die allem Mo-
numentalen eignet, indem sie das geistig Bedeutende
und Wesenhafte rein und voll ausspricht. Sie kann,
sie wird unter Umständen mit Recht auf die natura-
listisch glänzende Durchbildung des malerischen Scheins
verzichten, da sie in der Welt der Jdeale lebt und webt
und von dem Eindruck des großen Ganzen die Sorg-
samkeit für die Jllusion im Einzelnen leicht abzieht;
zugleich aber wird diese von der Technik kaum gestat-
tet, die auf den Zauber der Farbe, bei der Unmöglich-
keit des Uebergehens im Fresco, um der Zeichnung willen
verzichtet. Die idealistische Auffassung und Ausführung
gehen also hier Hand in Hand.

Der Gegensatz gegen die großräumige Wandmale-
rei sind die kleinen auf der Staffelei ausgeführten Ka-
binetsbilder, die auf die Betrachtung in der Nähe be-
rechnet, die feinste Durchbildung alles Besondern ver-
langen, bei denen für die Gegenstände der Darstellung
selbst oft das Jnteresse von Seiten des Künstlers erst
durch die Sorgfalt und Liebe der Ausführung geweckt
werden muß, und die Virtuosität des Machens in der
Wiedergabe der Erscheinungswelt als solcher ihren
Spielraum hat. Jn ihrer Vollendung werden sie in-
deß eben so wenig des Styls als jene der Naturwahr-
heit ermangeln.

Wasserfarben wirken ( in der Aquarellmalerei )
kälter, als wenn das Bindemittel ein fettes, voll-
saftiges ist. Man nahm dazu früher Eiweiß oder
[Spaltenumbruch] Feigensaft in der Temperamalerei. Das Mittel scheint
hier etwas zu fest und zäh; es trocknet schnell, es läßt
die Farben zu wenig in einander verfließen, bringt ei-
nen mehr gestrichelten Vortrag als den breiten Zug
des Pinsels mit sich. Jm späteren Alterthum war die
enkaustische Malerei beliebt, die man auch in neuerer
Zeit wieder versucht hat. Hier war Wachs das Binde-
mittel, und man verschmolz die Farben dadurch inniger
in einander, daß man eine glühende Platte oder heiße
Stifte über das fertige Bild hinführte und so die an
einander grenzenden Töne in Fluß und zu inniger
Verbindung brachte.

Die durch van Eyck zwar nicht erfundene, aber in
ihrem Wesen erkannte und ausgebildete Oelmalerei hat
an sich das flüssigere Bindemittel; sie ist für die Lebens-
wärme der Natur dadurch am fähigsten, daß sie untere
Farben durch die oberen durchschimmern läßt und somit
es möglich macht, das Colorit nicht als ein an der
Oberfläche der Körper haftendes, sondern als eine
Offenbarung ihres innern Wesens, so wie die Wechsel-
wirkung der in einander verschwebenden Reflexe, oder
den über die Lokalfarben sich ausbreitenden Gesammt-
ton in der Luftperspektive, im Abendroth, in der Ge-
witterschwüle u. s. w. darzustellen. Man untermalt ein
Bild nicht bloß, um es nachzubessern, sondern um eine
farbige Unterlage zu gewinnen, die da und dort, wie
namentlich in Schattenpartien, andere, manchmal die
complementäre, entgegengesetzte Farbe trägt, als das
vollendete Werk zeigen soll. Auch das übermalte Bild
kann dann noch einmal mit durchsichtigen Farben über-
gangen oder lasirt werden. Die Farben selbst gestatten
ein kräftiges, pastoses Auftragen, so daß die hervor-
ragenden Punkte selbst dadurch leuchtend werden können.
Die Technik an sich reizt hier zur vollen Entwicklung
des specifisch Malerischen, des Elementes der Farben;
sie gründet sich auf ein sorgsames Naturstudium, und
wie sie die Erscheinungswelt als solche wiedergibt, wird
sie auch die äußern Bedingungen und Umstände, unter
denen ein Geistiges in die Erscheinung tritt, eine That
sich vollzieht, ein Ereigniß sich begibt, neben, ja vor
deren innerer Bedeutung, deren idealem Werth in's
Auge fassen und wieder zur Darstellung bringen. Dieß,
der realistische, auf Naturwahrheit ausgehende, auf
Farbenwirkung hinarbeitende Styl ist hier berechtigt, so
fern nur nicht die Sache selbst, das heißt der Zweck
des Bildes und die Bedeutung des Gegenstandes da-
durch beeinträchtigt wird.

Der neueren Zeit, die nach Vermählung des Jdea-
len und Realen, des Religiösen und Historischen, der
Natur und des Geistes strebt, ist eine neue Erfinduug
in der Stereochromie geworden. Hier wird nicht auf
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] seines Genies, daß er jeden Raum auf das zierlichste
zu füllen und zu schmücken wußte, wie er augenfällig
in der Farnesina gethan hat. Eben so ist auch in den
Sibyllen die verheimlichte Symmetrie, worauf bei der
Composition alles ankommt, auf eine höchst geistvolle
Weise obwaltend; denn wie in dem Organismus der
Natur, so thut sich auch in der Kunst innerhalb der
genauesten Schranken die Vollkommenheit der Lebens-
äußerung kund.“ Auch Cornelius kann uns in der
Glyptothek wie in der Ludwigskirche zum Beispiele der
Raumbenutzung dienen.

Jn den Wandgemälden also verlangen wir einen
ungebrochenen Zusammenhang mit dem Raum, so daß
dieser, wie er gegeben ist, verwerthet wird und die Bilder
selbst an ihm seine architektonische Gliederung hervor-
zuheben oder näher zu bestimmen scheinen, während die
äußere Form für Staffeleigemälde Sache der freien
Wahl ist, und Schwierigkeiten, deren Ueberwindung
dort zu Motiven der Schönheit werden kann, hier, wo
sie nicht bestehen, auch nicht gesucht werden dürfen,
weil sie sonst, an sich grundlos, nur ein Prunken mit
eitlem, nutzlosem Kraftaufwand zeigen würden. Für
die Durchführung des Wandgemäldes aber ergibt sich
die architektonische Strenge des Styls, die allem Mo-
numentalen eignet, indem sie das geistig Bedeutende
und Wesenhafte rein und voll ausspricht. Sie kann,
sie wird unter Umständen mit Recht auf die natura-
listisch glänzende Durchbildung des malerischen Scheins
verzichten, da sie in der Welt der Jdeale lebt und webt
und von dem Eindruck des großen Ganzen die Sorg-
samkeit für die Jllusion im Einzelnen leicht abzieht;
zugleich aber wird diese von der Technik kaum gestat-
tet, die auf den Zauber der Farbe, bei der Unmöglich-
keit des Uebergehens im Fresco, um der Zeichnung willen
verzichtet. Die idealistische Auffassung und Ausführung
gehen also hier Hand in Hand.

Der Gegensatz gegen die großräumige Wandmale-
rei sind die kleinen auf der Staffelei ausgeführten Ka-
binetsbilder, die auf die Betrachtung in der Nähe be-
rechnet, die feinste Durchbildung alles Besondern ver-
langen, bei denen für die Gegenstände der Darstellung
selbst oft das Jnteresse von Seiten des Künstlers erst
durch die Sorgfalt und Liebe der Ausführung geweckt
werden muß, und die Virtuosität des Machens in der
Wiedergabe der Erscheinungswelt als solcher ihren
Spielraum hat. Jn ihrer Vollendung werden sie in-
deß eben so wenig des Styls als jene der Naturwahr-
heit ermangeln.

Wasserfarben wirken ( in der Aquarellmalerei )
kälter, als wenn das Bindemittel ein fettes, voll-
saftiges ist. Man nahm dazu früher Eiweiß oder
[Spaltenumbruch] Feigensaft in der Temperamalerei. Das Mittel scheint
hier etwas zu fest und zäh; es trocknet schnell, es läßt
die Farben zu wenig in einander verfließen, bringt ei-
nen mehr gestrichelten Vortrag als den breiten Zug
des Pinsels mit sich. Jm späteren Alterthum war die
enkaustische Malerei beliebt, die man auch in neuerer
Zeit wieder versucht hat. Hier war Wachs das Binde-
mittel, und man verschmolz die Farben dadurch inniger
in einander, daß man eine glühende Platte oder heiße
Stifte über das fertige Bild hinführte und so die an
einander grenzenden Töne in Fluß und zu inniger
Verbindung brachte.

Die durch van Eyck zwar nicht erfundene, aber in
ihrem Wesen erkannte und ausgebildete Oelmalerei hat
an sich das flüssigere Bindemittel; sie ist für die Lebens-
wärme der Natur dadurch am fähigsten, daß sie untere
Farben durch die oberen durchschimmern läßt und somit
es möglich macht, das Colorit nicht als ein an der
Oberfläche der Körper haftendes, sondern als eine
Offenbarung ihres innern Wesens, so wie die Wechsel-
wirkung der in einander verschwebenden Reflexe, oder
den über die Lokalfarben sich ausbreitenden Gesammt-
ton in der Luftperspektive, im Abendroth, in der Ge-
witterschwüle u. s. w. darzustellen. Man untermalt ein
Bild nicht bloß, um es nachzubessern, sondern um eine
farbige Unterlage zu gewinnen, die da und dort, wie
namentlich in Schattenpartien, andere, manchmal die
complementäre, entgegengesetzte Farbe trägt, als das
vollendete Werk zeigen soll. Auch das übermalte Bild
kann dann noch einmal mit durchsichtigen Farben über-
gangen oder lasirt werden. Die Farben selbst gestatten
ein kräftiges, pastoses Auftragen, so daß die hervor-
ragenden Punkte selbst dadurch leuchtend werden können.
Die Technik an sich reizt hier zur vollen Entwicklung
des specifisch Malerischen, des Elementes der Farben;
sie gründet sich auf ein sorgsames Naturstudium, und
wie sie die Erscheinungswelt als solche wiedergibt, wird
sie auch die äußern Bedingungen und Umstände, unter
denen ein Geistiges in die Erscheinung tritt, eine That
sich vollzieht, ein Ereigniß sich begibt, neben, ja vor
deren innerer Bedeutung, deren idealem Werth in's
Auge fassen und wieder zur Darstellung bringen. Dieß,
der realistische, auf Naturwahrheit ausgehende, auf
Farbenwirkung hinarbeitende Styl ist hier berechtigt, so
fern nur nicht die Sache selbst, das heißt der Zweck
des Bildes und die Bedeutung des Gegenstandes da-
durch beeinträchtigt wird.

Der neueren Zeit, die nach Vermählung des Jdea-
len und Realen, des Religiösen und Historischen, der
Natur und des Geistes strebt, ist eine neue Erfinduug
in der Stereochromie geworden. Hier wird nicht auf
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Sie kann, sie wird unter Umständen mit Recht auf die natura- listisch glänzende Durchbildung des malerischen Scheins verzichten, da sie in der Welt der Jdeale lebt und webt und von dem Eindruck des großen Ganzen die Sorg- samkeit für die Jllusion im Einzelnen leicht abzieht; zugleich aber wird diese von der Technik kaum gestat- tet, die auf den Zauber der Farbe, bei der Unmöglich- keit des Uebergehens im Fresco, um der Zeichnung willen verzichtet. Die idealistische Auffassung und Ausführung gehen also hier Hand in Hand. Der Gegensatz gegen die großräumige Wandmale- rei sind die kleinen auf der Staffelei ausgeführten Ka- binetsbilder, die auf die Betrachtung in der Nähe be- rechnet, die feinste Durchbildung alles Besondern ver- langen, bei denen für die Gegenstände der Darstellung selbst oft das Jnteresse von Seiten des Künstlers erst durch die Sorgfalt und Liebe der Ausführung geweckt werden muß, und die Virtuosität des Machens in der Wiedergabe der Erscheinungswelt als solcher ihren Spielraum hat. Jn ihrer Vollendung werden sie in- deß eben so wenig des Styls als jene der Naturwahr- heit ermangeln. Wasserfarben wirken ( in der Aquarellmalerei ) kälter, als wenn das Bindemittel ein fettes, voll- saftiges ist. Man nahm dazu früher Eiweiß oder Feigensaft in der Temperamalerei. Das Mittel scheint hier etwas zu fest und zäh; es trocknet schnell, es läßt die Farben zu wenig in einander verfließen, bringt ei- nen mehr gestrichelten Vortrag als den breiten Zug des Pinsels mit sich. Jm späteren Alterthum war die enkaustische Malerei beliebt, die man auch in neuerer Zeit wieder versucht hat. Hier war Wachs das Binde- mittel, und man verschmolz die Farben dadurch inniger in einander, daß man eine glühende Platte oder heiße Stifte über das fertige Bild hinführte und so die an einander grenzenden Töne in Fluß und zu inniger Verbindung brachte. Die durch van Eyck zwar nicht erfundene, aber in ihrem Wesen erkannte und ausgebildete Oelmalerei hat an sich das flüssigere Bindemittel; sie ist für die Lebens- wärme der Natur dadurch am fähigsten, daß sie untere Farben durch die oberen durchschimmern läßt und somit es möglich macht, das Colorit nicht als ein an der Oberfläche der Körper haftendes, sondern als eine Offenbarung ihres innern Wesens, so wie die Wechsel- wirkung der in einander verschwebenden Reflexe, oder den über die Lokalfarben sich ausbreitenden Gesammt- ton in der Luftperspektive, im Abendroth, in der Ge- witterschwüle u. s. w. darzustellen. Man untermalt ein Bild nicht bloß, um es nachzubessern, sondern um eine farbige Unterlage zu gewinnen, die da und dort, wie namentlich in Schattenpartien, andere, manchmal die complementäre, entgegengesetzte Farbe trägt, als das vollendete Werk zeigen soll. Auch das übermalte Bild kann dann noch einmal mit durchsichtigen Farben über- gangen oder lasirt werden. Die Farben selbst gestatten ein kräftiges, pastoses Auftragen, so daß die hervor- ragenden Punkte selbst dadurch leuchtend werden können. Die Technik an sich reizt hier zur vollen Entwicklung des specifisch Malerischen, des Elementes der Farben; sie gründet sich auf ein sorgsames Naturstudium, und wie sie die Erscheinungswelt als solche wiedergibt, wird sie auch die äußern Bedingungen und Umstände, unter denen ein Geistiges in die Erscheinung tritt, eine That sich vollzieht, ein Ereigniß sich begibt, neben, ja vor deren innerer Bedeutung, deren idealem Werth in's Auge fassen und wieder zur Darstellung bringen. Dieß, der realistische, auf Naturwahrheit ausgehende, auf Farbenwirkung hinarbeitende Styl ist hier berechtigt, so fern nur nicht die Sache selbst, das heißt der Zweck des Bildes und die Bedeutung des Gegenstandes da- durch beeinträchtigt wird. Der neueren Zeit, die nach Vermählung des Jdea- len und Realen, des Religiösen und Historischen, der Natur und des Geistes strebt, ist eine neue Erfinduug in der Stereochromie geworden. Hier wird nicht auf

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 48. Stuttgart/Tübingen, 30. November 1856, S. 1138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt48_1856/10>, abgerufen am 28.05.2024.