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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 48. Stuttgart/Tübingen, 30. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz]

"O Mutter, das könnet Jhr nicht, aber ich will's
Euch sagen. Jch hab' Eine gesehen, die die Rechte
gewesen wäre, aber es ist die Unrechte gewesen." --
"Um Gotteswillen! Du hast dich doch nicht in eine
Ehefrau verliebt?" -- "Nein, es ist aber doch die Un-
rechte gewesen. Was soll ich da viel drum herum re-
den? Es war eine Magd."

Der Sohn athmete tief auf und Mutter und Sohn
schwiegen eine geraume Weile; endlich legte die Mutter
die Hand auf seine Schulter und sagte: "O du bist
brav; ich danke Gott, daß er dich so hat werden lassen.
Das hast du brav gemacht, daß du dir das aus dem
Sinn geschlagen hast. Dein Vater hätt' das nie zuge-
geben, und du weißt ja, was Vatersegen zu bedeuten
hat."

"Nein, Mutter, ich will mich nicht braver machen,
als ich bin; es hat mir selber ganz allein nicht gefallen,
daß sie eine Magd ist; das geht nicht, und drum bin
ich fort. Aber es ist mir doch härter geworden, mir
das aus dem Sinn zu bringen, als ich geglaubt habe;
aber jetzt ist's vorbei, und es muß vorbei seyn, ich habe
mir das Wort gegeben, daß ich mich nicht nach ihr er-
[Spaltenumbruch] kundige, niemand frage, wo sie ist und wer sie ist. Jch
bringe Euch, will's Gott, eine rechte Bauerntochter."

"Du hast doch den Rechtschaffenen an dem Mäd-
chen gemacht und hast ihm nicht den Kopf verwirrt?"
-- "Mutter, da, meine Hand, ich habe mir nichts vor-
zuwerfen." -- "Jch glaube dir," sagte die Mutter und
drückte mehrmals seine Hand, "und Glück und Segen
auf den Weg!"

Der Sohn stieg auf und die Mutter sah ihm nach,
und jetzt rief sie: "Halt, ich muß dir noch was sagen,
ich habe das Beste vergessen." Der Sohn wendete das
Pferd und bei der Mutter angekommen, sagte er lä-
chelnd: "Aber nicht wahr, Mutter, das ist das Letzte?"
-- "Ja, und die beste Probe. Frage das Mädchen
auch nach den Armen im Ort, und dann lauf' herum
und horch' die Armen aus, was sie über sie reden. Das
muß eine schlechte Bauerntochter seyn, die nicht ein
Armes an der Hand hat, dem sie Gutes thut. Merk'
dir das, und jetzt behüt' dich Gott, und reit' scharf zu!"

Und wie er nun davon ritt, sprach die Mutter
noch ein Gebet auf seinen Weg, dann kehrte sie zurück
nach dem Hof.

[Ende Spaltensatz]



Briefe über die bildende Kunst.
( Schluß. )
[Beginn Spaltensatz]

Für monumentale Werke verlangen wir einen der
Verewigung werthen, das Volksgemüth ergreifenden
oder von ihm getragenen, das Wesen der Menschheit
aussprechenden Stoff. An den Bau gebunden, sollen
sie in Beziehung mit ihm stehen, in der Kirche also
die heilige, im Rathhaus die weltliche, in der Aula
oder der Kunsthalle die Culturgeschichte veranschaulichen.
Wir verlangen aber auch, daß es dem Meister gelinge,
seine Compositionen der Gliederung des Raumes so
anzuschließen, daß sie durch dieselbe nicht beschränkt,
sondern vielmehr aus ihr wie eine Blüthe hervorge-
wachsen scheinen. So hat Raphael an den ununter-
brochenen Wänden eines Zimmers die Disputa und die
Schule von Athen entfaltet, den Parnaß aber von zwei
Seiten sich über ein Fenster erheben lassen und auf den
ansteigenden Seiten mit Dichtern bevölkert, während in
[Spaltenumbruch] der Mitte und Höhe Apoll mit den Musen weilt. Auf
der gegenüberliegenden Seite entspricht die Darstellung
von der Gründung des bürgerlichen und kirchlichen
Rechts auf eine frei symmetrische Weise, und die sym-
bolischen Gestalten der Decke, Theologie und Philosophie,
Poesie und Gerechtigkeit concentriren in Einzelgestalten,
was die großen Compositionen der Wände so reich und
voll in lebendigen Gruppen entfalten. So hat der
Künstler auch bei den Sibyllen in der Kirche Santa
Maria della Pace den scheinbar ungünstigen Raum sich
die glücklichsten Motive für die Composition selbst an die
Hand geben lassen. Dieß hat schon Goethe richtig
wahrgenommen und mit folgenden Worten den Meister
gegen schiefe Urtheile vertheidigt: "Raphael war nie-
mals von dem Raume genirt, den ihm die Architektur
darbot, vielmehr gehört zu der Großheit und Eleganz
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

„O Mutter, das könnet Jhr nicht, aber ich will's
Euch sagen. Jch hab' Eine gesehen, die die Rechte
gewesen wäre, aber es ist die Unrechte gewesen.“ —
„Um Gotteswillen! Du hast dich doch nicht in eine
Ehefrau verliebt?“ — „Nein, es ist aber doch die Un-
rechte gewesen. Was soll ich da viel drum herum re-
den? Es war eine Magd.“

Der Sohn athmete tief auf und Mutter und Sohn
schwiegen eine geraume Weile; endlich legte die Mutter
die Hand auf seine Schulter und sagte: „O du bist
brav; ich danke Gott, daß er dich so hat werden lassen.
Das hast du brav gemacht, daß du dir das aus dem
Sinn geschlagen hast. Dein Vater hätt' das nie zuge-
geben, und du weißt ja, was Vatersegen zu bedeuten
hat.“

„Nein, Mutter, ich will mich nicht braver machen,
als ich bin; es hat mir selber ganz allein nicht gefallen,
daß sie eine Magd ist; das geht nicht, und drum bin
ich fort. Aber es ist mir doch härter geworden, mir
das aus dem Sinn zu bringen, als ich geglaubt habe;
aber jetzt ist's vorbei, und es muß vorbei seyn, ich habe
mir das Wort gegeben, daß ich mich nicht nach ihr er-
[Spaltenumbruch] kundige, niemand frage, wo sie ist und wer sie ist. Jch
bringe Euch, will's Gott, eine rechte Bauerntochter.“

„Du hast doch den Rechtschaffenen an dem Mäd-
chen gemacht und hast ihm nicht den Kopf verwirrt?“
— „Mutter, da, meine Hand, ich habe mir nichts vor-
zuwerfen.“ — „Jch glaube dir,“ sagte die Mutter und
drückte mehrmals seine Hand, „und Glück und Segen
auf den Weg!“

Der Sohn stieg auf und die Mutter sah ihm nach,
und jetzt rief sie: „Halt, ich muß dir noch was sagen,
ich habe das Beste vergessen.“ Der Sohn wendete das
Pferd und bei der Mutter angekommen, sagte er lä-
chelnd: „Aber nicht wahr, Mutter, das ist das Letzte?“
— „Ja, und die beste Probe. Frage das Mädchen
auch nach den Armen im Ort, und dann lauf' herum
und horch' die Armen aus, was sie über sie reden. Das
muß eine schlechte Bauerntochter seyn, die nicht ein
Armes an der Hand hat, dem sie Gutes thut. Merk'
dir das, und jetzt behüt' dich Gott, und reit' scharf zu!“

Und wie er nun davon ritt, sprach die Mutter
noch ein Gebet auf seinen Weg, dann kehrte sie zurück
nach dem Hof.

[Ende Spaltensatz]



Briefe über die bildende Kunst.
( Schluß. )
[Beginn Spaltensatz]

Für monumentale Werke verlangen wir einen der
Verewigung werthen, das Volksgemüth ergreifenden
oder von ihm getragenen, das Wesen der Menschheit
aussprechenden Stoff. An den Bau gebunden, sollen
sie in Beziehung mit ihm stehen, in der Kirche also
die heilige, im Rathhaus die weltliche, in der Aula
oder der Kunsthalle die Culturgeschichte veranschaulichen.
Wir verlangen aber auch, daß es dem Meister gelinge,
seine Compositionen der Gliederung des Raumes so
anzuschließen, daß sie durch dieselbe nicht beschränkt,
sondern vielmehr aus ihr wie eine Blüthe hervorge-
wachsen scheinen. So hat Raphael an den ununter-
brochenen Wänden eines Zimmers die Disputa und die
Schule von Athen entfaltet, den Parnaß aber von zwei
Seiten sich über ein Fenster erheben lassen und auf den
ansteigenden Seiten mit Dichtern bevölkert, während in
[Spaltenumbruch] der Mitte und Höhe Apoll mit den Musen weilt. Auf
der gegenüberliegenden Seite entspricht die Darstellung
von der Gründung des bürgerlichen und kirchlichen
Rechts auf eine frei symmetrische Weise, und die sym-
bolischen Gestalten der Decke, Theologie und Philosophie,
Poesie und Gerechtigkeit concentriren in Einzelgestalten,
was die großen Compositionen der Wände so reich und
voll in lebendigen Gruppen entfalten. So hat der
Künstler auch bei den Sibyllen in der Kirche Santa
Maria della Pace den scheinbar ungünstigen Raum sich
die glücklichsten Motive für die Composition selbst an die
Hand geben lassen. Dieß hat schon Goethe richtig
wahrgenommen und mit folgenden Worten den Meister
gegen schiefe Urtheile vertheidigt: „Raphael war nie-
mals von dem Raume genirt, den ihm die Architektur
darbot, vielmehr gehört zu der Großheit und Eleganz
[Ende Spaltensatz]

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[1137/0009] 1137 „O Mutter, das könnet Jhr nicht, aber ich will's Euch sagen. Jch hab' Eine gesehen, die die Rechte gewesen wäre, aber es ist die Unrechte gewesen.“ — „Um Gotteswillen! Du hast dich doch nicht in eine Ehefrau verliebt?“ — „Nein, es ist aber doch die Un- rechte gewesen. Was soll ich da viel drum herum re- den? Es war eine Magd.“ Der Sohn athmete tief auf und Mutter und Sohn schwiegen eine geraume Weile; endlich legte die Mutter die Hand auf seine Schulter und sagte: „O du bist brav; ich danke Gott, daß er dich so hat werden lassen. Das hast du brav gemacht, daß du dir das aus dem Sinn geschlagen hast. Dein Vater hätt' das nie zuge- geben, und du weißt ja, was Vatersegen zu bedeuten hat.“ „Nein, Mutter, ich will mich nicht braver machen, als ich bin; es hat mir selber ganz allein nicht gefallen, daß sie eine Magd ist; das geht nicht, und drum bin ich fort. Aber es ist mir doch härter geworden, mir das aus dem Sinn zu bringen, als ich geglaubt habe; aber jetzt ist's vorbei, und es muß vorbei seyn, ich habe mir das Wort gegeben, daß ich mich nicht nach ihr er- kundige, niemand frage, wo sie ist und wer sie ist. Jch bringe Euch, will's Gott, eine rechte Bauerntochter.“ „Du hast doch den Rechtschaffenen an dem Mäd- chen gemacht und hast ihm nicht den Kopf verwirrt?“ — „Mutter, da, meine Hand, ich habe mir nichts vor- zuwerfen.“ — „Jch glaube dir,“ sagte die Mutter und drückte mehrmals seine Hand, „und Glück und Segen auf den Weg!“ Der Sohn stieg auf und die Mutter sah ihm nach, und jetzt rief sie: „Halt, ich muß dir noch was sagen, ich habe das Beste vergessen.“ Der Sohn wendete das Pferd und bei der Mutter angekommen, sagte er lä- chelnd: „Aber nicht wahr, Mutter, das ist das Letzte?“ — „Ja, und die beste Probe. Frage das Mädchen auch nach den Armen im Ort, und dann lauf' herum und horch' die Armen aus, was sie über sie reden. Das muß eine schlechte Bauerntochter seyn, die nicht ein Armes an der Hand hat, dem sie Gutes thut. Merk' dir das, und jetzt behüt' dich Gott, und reit' scharf zu!“ Und wie er nun davon ritt, sprach die Mutter noch ein Gebet auf seinen Weg, dann kehrte sie zurück nach dem Hof. Briefe über die bildende Kunst. ( Schluß. ) Für monumentale Werke verlangen wir einen der Verewigung werthen, das Volksgemüth ergreifenden oder von ihm getragenen, das Wesen der Menschheit aussprechenden Stoff. An den Bau gebunden, sollen sie in Beziehung mit ihm stehen, in der Kirche also die heilige, im Rathhaus die weltliche, in der Aula oder der Kunsthalle die Culturgeschichte veranschaulichen. Wir verlangen aber auch, daß es dem Meister gelinge, seine Compositionen der Gliederung des Raumes so anzuschließen, daß sie durch dieselbe nicht beschränkt, sondern vielmehr aus ihr wie eine Blüthe hervorge- wachsen scheinen. So hat Raphael an den ununter- brochenen Wänden eines Zimmers die Disputa und die Schule von Athen entfaltet, den Parnaß aber von zwei Seiten sich über ein Fenster erheben lassen und auf den ansteigenden Seiten mit Dichtern bevölkert, während in der Mitte und Höhe Apoll mit den Musen weilt. Auf der gegenüberliegenden Seite entspricht die Darstellung von der Gründung des bürgerlichen und kirchlichen Rechts auf eine frei symmetrische Weise, und die sym- bolischen Gestalten der Decke, Theologie und Philosophie, Poesie und Gerechtigkeit concentriren in Einzelgestalten, was die großen Compositionen der Wände so reich und voll in lebendigen Gruppen entfalten. So hat der Künstler auch bei den Sibyllen in der Kirche Santa Maria della Pace den scheinbar ungünstigen Raum sich die glücklichsten Motive für die Composition selbst an die Hand geben lassen. Dieß hat schon Goethe richtig wahrgenommen und mit folgenden Worten den Meister gegen schiefe Urtheile vertheidigt: „Raphael war nie- mals von dem Raume genirt, den ihm die Architektur darbot, vielmehr gehört zu der Großheit und Eleganz

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 48. Stuttgart/Tübingen, 30. November 1856, S. 1137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt48_1856/9>, abgerufen am 28.05.2024.