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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 31. Köln, 1. Juli 1848. Beilage.

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Beilage zu Nr. 31 der Neuen Rheinisch. Zeitung.
Samstag, 1. Juli. 1848.
Uebersicht.

Deutschland. Köln (die "Kölnische Zeitung" über die Junirevolution.) Berlin. (Vereinbarungsdebatten. - Betrachtung Rimplers. - Minister Hansemann. - Arbeiterparlament. - Rückkehr des Tann'schen Freicorps. - Berliner Scharfsinn. - Vermischtes.) Breslau. (Milde - Pinder.) Hannover. (Aufhebung der Adelsbank bei den Gerichten.) Dresden. (Polizeiwirthschaft.) München. (Fanatismus der Toleranz.) Wien. (Proklamation des Erzherzogs Johann.)

Französische Republik. Paris. (Die Junirevolution. - Schluß der Sitzung der Nationalversammlung v. 27. Juni. - Sitzung der Nationalversammlung v. 28. Juni. - Brutalität der Bourgeoisie und ihrer Journale. - Vermischtes. - Erklärung des National über Italien. - Cavaignac's Großmuth. - Neue Beispiele der bürgerlichen Fraternität.)

Großbritannien. London. (Lord John Russel. - Der "Telegraph" und die "Times" über die Pariser Junirevolution. - Privatkorrespondenz der Times aus dem piomontesischen Hauptquartier.) Manchester. (Handelsaussichten.

[Neueste Nachrichten]

Die 5., 8. und 12. Legion der Nationalgarde sollen aufgelöst werden. In der 12. Legion haben nur 50 Mann auf den Appell geantwortet.

Zahlreiche Gefangene sind gestern Nacht wieder im Luxembourg und auf dem Champ de Mars todt geschossen worden.

"Ich war gestern," schreibt selbst der Korrespondent der "Independance," "in der Nationalversammlung gewesen. Ich sage es mit Bedauern, aber die Repräsentanten sind von der schweren Bedeutung der jetzigen Lage gar nicht durchdrungen. Sie meinen, es sei Alles aus, und es handle sich jetzt um weiter nichts mehr, als um Repressions-Maßregeln. Gott wolle, sie hätten Recht."

Eine Kommission ist beauftragt worden, sich mit der exekutiven Gewalt über die Leichenceremonien und die Organisirung einer Revue der Nationalgarde und der Armee zu verständigen.

Der Belagerungszustand soll noch 10 bis 15 Tage fortgesetzt werden.

Die Untersuchungskommission ist sehr beschäftigt, viele Repräsentanten sollen kompromittirt sein.

So viel kann ich Sie aus direkten, um nicht grade zu sagen aus persönlichen Renseignements versichern, daß drei Repräsentanten Samstag um Mittag an der Barriere Pigale von Nationalgardisten von Montmartre arretirt worden sind.

Sie sind auf die Mairie des zweiten Arrondissements geführt worden; ich habe dieses von dem Offizier, der sie auf die Wache geführt, vernommen.

Man spricht immer noch davon, Caussidiere, Louis Blanc und Lagrange zu verhaften.

Zwei Korrespondenzen bestätigen, daß der Erzbischof, so wie der General Negrier durch die Kugeln der Mobilgarde getroffen niedergesunken sind, nicht durch die der Insurgenten.

- Die ganze Bevölkerung strömt seit gestern, wo wir wieder etwas freier athmen, nach den Schauplätzen der Revolution (City, Rue St. Jacques, Faubourg St. Antoine und dem Kanale). In der City und am Pantheon sind die Verwüstungen viel weniger sichtbar als im Faubourg St. Antoine, wo Held Lamoriciere vier Tage lang mit Feuer und Schwert wüthete.

- Die gefangenen Insurgenten sind sämmtlich in die Aussenwerke unserer Festungswälle gesperrt, wo sie ihrem Schicksale entgegensehen. Die Leiter des Aufstandes werden erschossen, die anderen in die aussereuropäischen Kolonien verbannt. Ganz wie nach dem Fruktidor, Nivose und der Rückkehr der Bourbonen.

- Heute früh fand eine Revue der aus den Departements herbeigeeilten Bürgerwehren an der Eintrachtsbrücke im Beisein der National-Versammlung statt.

- Cabet, das bekannte Haupt der ikarischen Kommunisten, protestirt in allen Blättern gegen die Behauptung mehrerer Bürgerwehren, die ihn mit eignen Augen an der Spitze des Aufstandes gesehen haben wollten.

- Der National enthält folgenden, für die italienischen Verhältnisse wichtigen Artikel: "Im Auslande, namentlich in Italien und der Schweiz, verbreitet sich die Nachricht, daß sich die Regierung der französischen Republik zu einer Vermittelung im italienischen Kriege geneigt zeige, deren Grundlage die Abzweigung Venedigs wäre. Wir hoffen, daß so etwas noch nicht beschlossen worden und ein ähnlicher Fehler nicht begangen werden wird. Dies hieße, den Frieden von Campo Formio erneuern und in eine Theilung Italiens willigen. Dies wollen aber weder die Italiäner, noch kann es Frankreich wünschen. 1799 opferte der General Bonaparte Venedig auf, weil er nach blutigen Kämpfen den Frieden erstrebte. Der errungene Frieden war aber nur ein ephemerer, und Venedig wurde wieder von Oesterreich losgerissen und an Italien gefügt, zu dessen König sich Napoleon proklamirt hatte. Will man heute ernstlich etwas Dauerhaftes, so muß Oestreich definitiv Italien verlassen, und die italienische Nation darf Niemand als sich selbst angehören. Jede andere Kombination wäre ein unhaltbares Werk für die Völker, eine Schande für das insurgirte Italien und eine feige Desertion von der französischen Politik.

* Paris, 28. Juni.

General Cavaignac und die Nationalversammlung ließen diesen Morgen über 50,000 Nationalgarden des Seine-Departements Revue passiren. Aus Bordeaux und Tonlouse langten heute Morgen ebenfalls Bataillons an. Gestern wurden in den Faubourgs St. Jacques und St. Marceau 1,700 Gefallene beerdigt. Die Zahl der bis jetzt gefangen genommenen Insurgenten beträgt 5 - 6000, die Zahl der in der Umgegend von Paris befindlichen Insurgenten schätzt man auf 20,000 Mann.

- Nach dem 24. Februar allgemeiner Ruf: Es giebt keine Sieger, keine Besiegten, es giebt nur Franzosen! II n'ya pas des vaincqueurs, il n'ya pas des vaincus, il n'y a que des francais.

Heute muß die "Reforme" selbst Cavaignae's Großmuth preisen, womit er an die National-Versammlung schreibt: Ich sehe zu Paris Sieger und Besiegte! mein Name bliebe mit Fluch bedeckt, wenn ich zugebe, daß man hier Schlachtopfer sieht! Und wie zweideutig ist noch die Großmuth!

- Kersausie und Napoleon Lebon sind gestern arretirt worden.

- Nationalversammlung. Sitzung vom 28. Juni. Senard eröffnet sie um 121/2 Uhr Mittags. General Changarnier, so eben aus Algier angekommen, ist anwesend. Es herrscht eine außerordentliche Spannung im Saale, Vorläuferin wichtiger parlamentarischer Ereignisse. Man weiß, daß Cavaignac und sämmtliche Minister ihr Amt niederlegen wollen. Unter lebhaften Gesprächen liest der Präsident einen Brief des Bischofs von Calzedonien (in partibus) vor, worin derselbe der Versammlung anzeigt, daß die religiöse Kongregation von Picpus (Frauenkloster bei Paris) die nach den Marquisen-Inseln zu transportirenden Insurgenten zu begleiten wünscht. Dann liest derselbe den Entwurf einer Proklamation vor, die wir ihrer prinzipiellen Merkwürdigkeit halber hier fast wörtlich mittheilen. "An das französische Volk Franzosen! Die Anarchie ist besiegt; Paris steht aufrecht und die Gerechtigkeit wird ihren Lauf haben Ehre der Bürgerwehr der Hauptstadt und Departements, Ehre der Armee, der Mobilgarde, den Schulen, der republikanischen Garde und allen Freiwilligen, die herbeieilten, um gegen die Barrikaden Ordnung und Freiheit zu vertheidigen. Alle haben beigetragen, mit Nichtachtung ihres Lebens und mit übermenschlichem Muthe die Unternehmung von Rasenden zu unterdrücken. Alle haben von Barrikade zu Barrikade und selbst bis in ihre letzten Schlupfwinkel jene Rasenden zurückgestoßen, die ohne Grundsätze, ohne Fahne, sich nur für Mord und Plünderung bewaffnet zu haben scheinen. (Ja, ja). Familie, gesellschaftliche Einrichtungen, Freiheit, Vaterland, Alles sollte von diesen neuen Barbaren zerstört werden. Die Civilisation des 19. Jahrhundert war mit Untergang bedroht. Doch nein; die Civilisation soll nicht untergehen! Die Republik, Werk Gottes, lebendiges Gesetz der Menschheit, wird nicht untergehen! Wir schwören es beim gesammten Frankreich, das mit Entsetzen jene wilden Lehren zurückstößt (Bravos), laut welchen die Familie nur ein leerer Name und das Eigenthum nur Diebstahl. (Bravo, bravo!). Wir schwören es beim Blute so vieler edler Opfer, die unter den brudermörderischen Kugeln fielen. Alle Feinde der Republik hatten sich gegen sie in gewaltsamer und verzweifelter Anstrengung vereint. Sie sind überwunden und Keiner von ihnen kann es wagen, uns zu neuen blutigen Kämpfen herauszufordern. Sagt uns der erhabene Aufschwung, der so viele Tausende bewaffneter Bürger in die Hauptstadt trieb, um für sie zu kämpfen, nicht klar genug, daß das größte aller Verbrechen darin besteht, sich gegen die aus dem allgemeinen und direkten Stimmrecht hervorgegangene Volkssouveränetät zu empören? (Ja, ja.) Und beweisen die Dekrete der Nationalversammlung nicht klar genug, daß es in unserer Republik keine Klassen, keine Privilegien mehr gibt, daß die Arbeiter unsere Brüder sind, daß ihr Interesse für uns das heiligste ist, und daß wir nach Herstellung der Ordnung und Erfüllung strenger Gerechtigkeit bereit sind, unsere Arme und Herzen allen Denen zu öffnen, die da unter uns leiden? Franzosen! Einigen wir uns in der heiligen Vaterlandsliebe, vertilgen wir die letzte Spur unseres inneren Zwiespalts und halten wir alle Eroberungen der Freiheit und Demokratie aufrecht. Möge uns nichts von den Grundsätzen der Revolution abführen! Aber vergessen wir nicht, daß die Gesellschafft geleitet sein will, daß die Gleichheit und Brüderschaft sich nur in der Eintracht und in Frieden entwickeln können, und daß die Freiheit der Ordnung bedarf um sich zu befestigen und sich gegen ihre eignen Uebergriffe zu schützen. Auf diese Weise wollen wir die Dauer unserer jungen Republik begründen und sie von Tag zu Tag größer und glücklicher einer Zukunft entgegenführen, für welche die eben bestandenen Prüfungen neue Bürgschaften sind."

Diese Proklamation erntete stürmischen Beifall. Man wollte ihren Verfasser wissen, der Präsident aber verschwieg seinen Namen.

Cavaignac bestieg demnächst die Tribüne und legte sein hohes Amt nieder. Flocon folgte ihm, um im Namen seiner sämmtlichen Kollegen die Entlassung des Ministeriums zu überreichen. Der Präsident schlug vor, dem General den Dank des Vaterlandes zu votiren, das mit großem Enthusiasmus geschah. Die Versammlung schritt dann zur Wahl eines neuen Vollziehungsausschusses, der in einem Ministerrathe bestehe, als dessen Präsident Cavaignac vorgeschlagen wurde. Senard brachte den diesfälligen Gesetzentwurf zur Abstimmung. Dieselbe erfolgte par Division und bestätigte den gemachten Vorschlag vollständig. Cavaignac ist also provisorischer Präsident der Regierung bis zur Verfassungsannahme. Die Versammlung ist damit beschäftigt, die Minister zu wählen.

Kurz vor der Abstimmung erklärte Cavaignac, daß es nothwendig, den Belagerungszustand von Paris noch für einige Tage beizubehalten.

Man erfährt gleichzeitig, daß die große Begräbnißfeier der Gefallenen für Freitag, den 30. Juni, angeordnet ist.

So eben hören wir folgendes Resultat:

Cavaignac, Präsident; Senard, Inneres; Recurt, Staatsbauten; Lamoriciere, Krieg; Thouret (aus Allier), Handel (?); Bethmont, Justiz; Bastide, Auswärtiges; Changarnier, Obergeneral der Nationalgarde; Verninac, Marine.

Die Börse zwar offen, aber keine Geschäfte.

- Schluß der Nationalversammlung vom 27. Juni. 1/4 vor 9 Uhr.

Der Präsident zeigt den Tod Charbonnels und des Erzbischofs von Paris an.

Bürger Sarrans hat das Wort. (Nein, nein!) Mehre Stimmen: Keine Diskussion. (Lärm.)

Sarrans: Ich habe die erste Huldigung dem Dienst der Nationalgarde dargebracht und ich habe von ihr die Ehre verlangt, in ihren Reihen zu marschiren. Ich erhebe mich nicht gegen das Prinzip des Dekrets, aber ich glaube, daß man sich hüten muß vor massenhaften Proscriptionen. auch am 13. Nivose hatte man massenhaft geschlagen und man hatte die Republikaner getroffen, während man die Royalisten verschont hatte. (Genügt. Zur Abstimmung!)

Sarrans: Die Versammlung will mich nicht hören, ich verzichte auf's Wort.

Ein Mitglied hatte das Wort verlangt, es sagt: Zeuge dessen, was so eben unserm Kollegen passirt, verzichte ich auf's Wort. (Bewegung.)

Der Präsident: Bürger Sarrans hat das Wort.

Sarrans: Ich verzichte darauf.

Pierre Leroux. (Zeichen der Spannung.) Seit drei Tagen leben wir in einer Sphäre von Agitationen. Kein Wort von Religion, nichts als Leidenschaften! Als ich mich um die Kandidatur bewarb, glaubte ich nicht, in eine Versammlung einzutreten, die so leidenschaftlich ist, sondern in ein Concil.

Eine Stimme: Sprecht nicht von Euch! Eine andere Stimme: Warum nicht? (Agitation.)

Pierre Leroux: Nicht so kann eine Versammlung berathschlagen. Die menschliche Seele erträgt solche Aufregungen nicht. Fragt die Aerzte, sie werden euch sagen, daß das unmöglich ist. Es sind hier Prediger des Evangeliums. Warum, sagen sie es nicht? Ist es möglich!

Coquerel: Ich verlange das Wort.

Pierre Leroux: Ihr wollt überstürzte Revolutionen machen. Ihr studirt die Fragen nicht. (Unterbrechung.) Erlaubt mir, es euch zu sagen, man kann hier nur schwatzen, nicht sprechen, in einer solchen Versammlung, die so wenig Ueberlegung in ihren Berathschlagungen zeigt. (Neuer Skandal.) Verschiedene Stimmen: Zur Ordnung!

Der Präsident: Ich kann nicht dulden, daß der Redner die der Versammlung geschuldete Achtung verletzt, ich rufe ihn zur Ordnung.

Pierre Leroux: Wenn Ihr dem menschlichen Gewissen nicht erlauben wollt, sich frei auf dieser Tribüne zu äußern, so werde ich gezwungen sein, meine Entlassung zu geben. (Ein Mitglied unterbricht dem Redner so skandalös, daß der Präsident es zur Ordnung ruft.) Kommen wir zur Frage! Es wäre logischer gewesen, daß die Untersuchungskommission vor der Präsentation des Dekrets ihren Bericht eingereicht. Man hat gesprochen von Bonapartisten, von Legitimisten, von vielen andern noch und wir sind verpflichtet zu entscheiden, ohne die Gründe dieser fürchterlichen Insurrektion zu kennen. Aber, sagt man, die Sache drängt. Es sei! Aber bitten wir Gott, in Ermangelung der Logik, uns zu leiten. Wir müssen berathschlagen, ohne die Gründe kennen. Bedenkt es, bedenkt es! Seht, wie verwickelt die Fragen sind. Es handelt sich davon, zu richten, ohne zu urtheilen, zu sprechen, ohne zu wissen; so urtheilen wir wenigstens so mild, so menschlich wie möglich. Ich habe in dem Konferenz-Saal schon Worte eines seinem Volke milden Königs gelesen: Das Evangelium lehrt mich die Milde. Man ruft die Nothwendigkeit an; es bedarf einer Maßregel, welche die Gesellschaft beschützt, aber sie sei ein Heilmittel, kein Gift. Wenn wir auf den Grund der Dinge gehen, können wir nicht läugnen, daß eine Art von Fatalität den menschlichen Geist trübt. Seht Europa. Diese Fatalität drückt auf alle Geister, auf alle Parteien. Die Lösung weiß man voraus, kein Denker, der sie nicht wüßte; seht den Zustand von Deutschland, von England, diese Fatalität existirt überall.

Noch einmal, erhebt eure Seelen, Bürger, erheben wir sie dahin, wo auch wir fallen werden wie Sklaven unter dem Joch dieser Fatalität. Seit lange kenne ich die Situation des 24. Februar; man hat sich einer Regierungsform entledigt, die man Monarchie nannte. Ich erinnere nicht an die Korruption dieses Regimes: man fragt sich, wie man in einer solchen Infamie leben konnte. Diese politische Form ist verschwunden. Nun wohl! Sprechen wir offenherzig: die Republik, ist sie dauerhaft, wird sie dauern? Ja, sonst müßte man ins Chaos zurückkehren.

(Hier wird der Redner mit solcher Heftigkeit unterbrochen, daß es unmöglich ist, seine Stimme zu vernehmen durch das Messergeklapper auf den Pulten).

Präsident. Hört den Redner.

Pierre Leroux verläßt die Tribüne und kündet an, daß er Amendements stellen werde.

Labordie unterstützt den Dekretentwurf und verlangt den Schluß der allgemeinen Diskussion.

Der Schluß wird ausgesprochen. Man geht über zur Diskussion des Artikels 1: "Im Interesse der allgemeinen Sicherheit werden die jetzt verhafteten Individuen, die am Gefecht des 22. Juni und der folgenden Tage Theil genommen haben, in die überseeischen französischen Besitzungen mit Ausnahme deren des Mittelmeeres gesandt werden."

Caussidiere. Ich bin demokratischer und socialistischer Republikaner, unterbrecht mich nicht von vorn herein. Rothe Republik, weiße Republik, Bonapartism, Regentism, mit allem hat man sich beschäftigt, nur nicht mit dem öffentlichen Wohl. Es herrscht ein Schwindel; werden wir fortfahren, uns von ihm hinreißen zu lassen? Nein, Bürger, vergessen wir unsre traurigen Zwiste. Ich hatte einen Bruder zu Lyon, durchbohrt von 34 Bajonnettstichen; kürzlich ist auch mein Vater gestorben, von Verfolgungen und vom Schmerze erschöpft. Machen wir kein Gesetz der Strenge. Ich appelire an Paris, an alle Provinzen, respektiren wir die Gerechtigkeit. Jeder Mann vor diesem Tribunal gestehe, daß auch er Fehler begehen konnte.

Unter den Insurgenten gab es viele, die der Schwindel fortgerissen.

Eine Stimme. Und die vergifteten Kugeln? (Vereinendes Murren).

Caussidiere. Man erinnere sich, daß vor vier Monaten das Volk allmächtig war, daß es viel Rache auszuüben hatte, daß es alles in den Sack der Vergessenheit gesteckt und seine grollenden Empfindungen in das Wasser des Styx geschleudert hat. Wandeln wir eben so in den gegenwärtigen Umständen... Heute ist der erste Tag, daß ich wieder aufathme... Eine ganz natürliche Betrachtung drängt sich auf nach einem Siege, der davongetragen in Folge eines Bürgerkrieges, der verursacht wurde durch Unglücksfälle, durch Mißverständnisse (Lärm). Durch Irrthümer. . . . Glaubt nicht, daß alle die, welche die Muskete abgefeuert, Verbrecher waren. Es fand hier Irrthum Statt.

Mehre Stimmen. Wie? Ihr nennt den Meuchelmord Irrthum?

Caussidiere. Der Irrthum fand Statt beim Beginn. Den 25. Februar begründete man die Republik nicht sofort auf ihre wahre Grundlage. Konservirt einen Gefangnen, protegirt sie, wenn ihr die Septembriseurs fürchtet. (Zur Ordnung! Zur Ordnung!) Ihr unterbrecht mich nur mitten in der Phrase, ohne sie mich vollenden zu lassen. Nach der Hitze des Kampfes behauptet die Humanität wieder ihre Rechte. - Ich verlange, daß man der Gerechtigkeit ihren gewöhnlichen Lauf läßt, daß man Kommissionen ernennt, die untersuchen, ob dies oder jenes Individuum hinreichende Ursache giebt, es zu deportiren. - Caussidiere wird mit Lärm, Ordnungsruf, Drohungen u. s. w. unterbrochen.

Um Mitternacht schließt die Versammlung ihre Sitzung, sie adoptirt fast einstimmig das Dekret der Deportation. Der Präsident findet die Sache so amüsant, daß er von einem Paket von Amendements spricht, die zur Abstimmung vorlägen. Nur zwei oder drei von diesen Amendements sind angenommen worden, eins, welches den Familien erlaubt, auf Regierungskosten ihren deportirten Verwandten zu folgen, ein andres, welches die Angeklagten selbst nach Aufhebung des Belagerungszustandes der Jurisdiktion der Kriegsgerichte anheimstellt.

Nachschrift. Um 4 Uhr Nachmittags wird die Sitzung der Nationalversammlung wieder eröffnet. Der Präsident berichtet, daß der Zustand ihres Kollegen Dornes sehr befriedigend ist und verliest hierauf das kurz zuvor beschlossene Dekret in Betreff des Erzbischofs von Paris. Es lautet:

"Die Nationalversammlung betrachtet es als ihre Pflicht, für den heilig-heroischen Tod des Erzbischofs von Paris ihre andächtige Erkenntlichkeit und tiefen Schmerz auszusprechen."

Die Fassung des Dekrets wird einstimmig angenommen.

Remilly macht hierauf eine Reihe Vorschläge:

1. Erlassung eines Dekrets gegen geheime Gesellschaften; ein gleiches in Betreff der Klubs; wegen Bau's der Barrikaden; über Affichiren und Kolportiren; über die Polizei der Presse; über Auflösung der National-Werkstätten (eine Stimme: das ist vollbracht); die Nichtbewaffnung der Nationalgarden, welche ihren Dienst nicht verrichten; und endlich 8. wegen sofortiger Errichtung eines Lagers auf dem Marsfelde von Paris. Die Sitzung wird bis um 8 Uhr Abends vertagt.

Es heißt, daß Herr Dufaure Präsident der National-Versammlung werden wird.

Großbritannien.
* London, 27. Juni.

Nachdem "The London Telegraph" in seiner heutigen Nr. Stellen aus der "Post", dem "Chronicle", den "Times" in Betreff der Juni-Revolution zitirt hat: fährt er weiter fort: "Das Alles zeigt so klar, wie nur irgend möglich, daß die Revolution des 24. Februar die unausweichliche Folge von der unter der großen Masse herrschenden Noth und Armuth war; und dergleichen Uebel werden nicht durch Artillerie und Dragoner kurirt. Ja, grade unter einer solchen humanen Kanonen-und Säbel-Verwaltung gedeihen jene Uebel noch viel herrlicher." Was wird nun der aufgeklärte Theil des Publikums zur "Times" sagen, die jene unausbleiblichen Folgen des allbeherrschenden unterdrückerischen Systems von Guizot und Louis Philippe als einen "frischen Beweis von der Natur der demokratischen Gewalt und den Gefahren sozialer Insubordination" hinstellt! Den Schluß, den die Times ziehen, ist weder für unsere Regierung sehr schmeichelhaft, noch auch für die Freunde des Fortschritts sehr ermunternd. Der Schluß lautet: "Wie volksthümlich eine Regierungsform auch immer sein mag, die Aufrechterhaltung der Ordnung und der Gewalt des Gesetzes beruhen zuletzt doch nur auf einer festen und selbst rücksichtslosen Ausübung militärischer Gewalt." Ein hübsches Dilemma für die Sozietät. Die Times bezeichnet Revolution und Insurrektion als die unausbleiblichen Folgen des früheren Systems militärischer Herrschaft, und andererseits "selbst die rücksichtslose Ausübung der Militärgewalt"

Beilage zu Nr. 31 der Neuen Rheinisch. Zeitung.
Samstag, 1. Juli. 1848.
Uebersicht.

Deutschland. Köln (die „Kölnische Zeitung“ über die Junirevolution.) Berlin. (Vereinbarungsdebatten. ‒ Betrachtung Rimplers. ‒ Minister Hansemann. ‒ Arbeiterparlament. ‒ Rückkehr des Tann'schen Freicorps. ‒ Berliner Scharfsinn. ‒ Vermischtes.) Breslau. (Milde ‒ Pinder.) Hannover. (Aufhebung der Adelsbank bei den Gerichten.) Dresden. (Polizeiwirthschaft.) München. (Fanatismus der Toleranz.) Wien. (Proklamation des Erzherzogs Johann.)

Französische Republik. Paris. (Die Junirevolution. ‒ Schluß der Sitzung der Nationalversammlung v. 27. Juni. ‒ Sitzung der Nationalversammlung v. 28. Juni. ‒ Brutalität der Bourgeoisie und ihrer Journale. ‒ Vermischtes. ‒ Erklärung des National über Italien. ‒ Cavaignac's Großmuth. ‒ Neue Beispiele der bürgerlichen Fraternität.)

Großbritannien. London. (Lord John Russel. ‒ Der „Telegraph“ und die „Times“ über die Pariser Junirevolution. ‒ Privatkorrespondenz der Times aus dem piomontesischen Hauptquartier.) Manchester. (Handelsaussichten.

[Neueste Nachrichten]

Die 5., 8. und 12. Legion der Nationalgarde sollen aufgelöst werden. In der 12. Legion haben nur 50 Mann auf den Appell geantwortet.

Zahlreiche Gefangene sind gestern Nacht wieder im Luxembourg und auf dem Champ de Mars todt geschossen worden.

„Ich war gestern,“ schreibt selbst der Korrespondent der „Independance,“ „in der Nationalversammlung gewesen. Ich sage es mit Bedauern, aber die Repräsentanten sind von der schweren Bedeutung der jetzigen Lage gar nicht durchdrungen. Sie meinen, es sei Alles aus, und es handle sich jetzt um weiter nichts mehr, als um Repressions-Maßregeln. Gott wolle, sie hätten Recht.

Eine Kommission ist beauftragt worden, sich mit der exekutiven Gewalt über die Leichenceremonien und die Organisirung einer Revue der Nationalgarde und der Armee zu verständigen.

Der Belagerungszustand soll noch 10 bis 15 Tage fortgesetzt werden.

Die Untersuchungskommission ist sehr beschäftigt, viele Repräsentanten sollen kompromittirt sein.

So viel kann ich Sie aus direkten, um nicht grade zu sagen aus persönlichen Renseignements versichern, daß drei Repräsentanten Samstag um Mittag an der Barriere Pigale von Nationalgardisten von Montmartre arretirt worden sind.

Sie sind auf die Mairie des zweiten Arrondissements geführt worden; ich habe dieses von dem Offizier, der sie auf die Wache geführt, vernommen.

Man spricht immer noch davon, Caussidiere, Louis Blanc und Lagrange zu verhaften.

Zwei Korrespondenzen bestätigen, daß der Erzbischof, so wie der General Negrier durch die Kugeln der Mobilgarde getroffen niedergesunken sind, nicht durch die der Insurgenten.

‒ Die ganze Bevölkerung strömt seit gestern, wo wir wieder etwas freier athmen, nach den Schauplätzen der Revolution (City, Rue St. Jacques, Faubourg St. Antoine und dem Kanale). In der City und am Pantheon sind die Verwüstungen viel weniger sichtbar als im Faubourg St. Antoine, wo Held Lamoriciere vier Tage lang mit Feuer und Schwert wüthete.

‒ Die gefangenen Insurgenten sind sämmtlich in die Aussenwerke unserer Festungswälle gesperrt, wo sie ihrem Schicksale entgegensehen. Die Leiter des Aufstandes werden erschossen, die anderen in die aussereuropäischen Kolonien verbannt. Ganz wie nach dem Fruktidor, Nivose und der Rückkehr der Bourbonen.

‒ Heute früh fand eine Revue der aus den Departements herbeigeeilten Bürgerwehren an der Eintrachtsbrücke im Beisein der National-Versammlung statt.

‒ Cabet, das bekannte Haupt der ikarischen Kommunisten, protestirt in allen Blättern gegen die Behauptung mehrerer Bürgerwehren, die ihn mit eignen Augen an der Spitze des Aufstandes gesehen haben wollten.

‒ Der National enthält folgenden, für die italienischen Verhältnisse wichtigen Artikel: „Im Auslande, namentlich in Italien und der Schweiz, verbreitet sich die Nachricht, daß sich die Regierung der französischen Republik zu einer Vermittelung im italienischen Kriege geneigt zeige, deren Grundlage die Abzweigung Venedigs wäre. Wir hoffen, daß so etwas noch nicht beschlossen worden und ein ähnlicher Fehler nicht begangen werden wird. Dies hieße, den Frieden von Campo Formio erneuern und in eine Theilung Italiens willigen. Dies wollen aber weder die Italiäner, noch kann es Frankreich wünschen. 1799 opferte der General Bonaparte Venedig auf, weil er nach blutigen Kämpfen den Frieden erstrebte. Der errungene Frieden war aber nur ein ephemerer, und Venedig wurde wieder von Oesterreich losgerissen und an Italien gefügt, zu dessen König sich Napoleon proklamirt hatte. Will man heute ernstlich etwas Dauerhaftes, so muß Oestreich definitiv Italien verlassen, und die italienische Nation darf Niemand als sich selbst angehören. Jede andere Kombination wäre ein unhaltbares Werk für die Völker, eine Schande für das insurgirte Italien und eine feige Desertion von der französischen Politik.

* Paris, 28. Juni.

General Cavaignac und die Nationalversammlung ließen diesen Morgen über 50,000 Nationalgarden des Seine-Departements Revue passiren. Aus Bordeaux und Tonlouse langten heute Morgen ebenfalls Bataillons an. Gestern wurden in den Faubourgs St. Jacques und St. Marceau 1,700 Gefallene beerdigt. Die Zahl der bis jetzt gefangen genommenen Insurgenten beträgt 5 ‒ 6000, die Zahl der in der Umgegend von Paris befindlichen Insurgenten schätzt man auf 20,000 Mann.

‒ Nach dem 24. Februar allgemeiner Ruf: Es giebt keine Sieger, keine Besiegten, es giebt nur Franzosen! II n'ya pas des vaincqueurs, il n'ya pas des vaincus, il n'y a que des francais.

Heute muß die „Reforme“ selbst Cavaignae's Großmuth preisen, womit er an die National-Versammlung schreibt: Ich sehe zu Paris Sieger und Besiegte! mein Name bliebe mit Fluch bedeckt, wenn ich zugebe, daß man hier Schlachtopfer sieht! Und wie zweideutig ist noch die Großmuth!

Kersausie und Napoleon Lebon sind gestern arretirt worden.

Nationalversammlung. Sitzung vom 28. Juni. Senard eröffnet sie um 121/2 Uhr Mittags. General Changarnier, so eben aus Algier angekommen, ist anwesend. Es herrscht eine außerordentliche Spannung im Saale, Vorläuferin wichtiger parlamentarischer Ereignisse. Man weiß, daß Cavaignac und sämmtliche Minister ihr Amt niederlegen wollen. Unter lebhaften Gesprächen liest der Präsident einen Brief des Bischofs von Calzedonien (in partibus) vor, worin derselbe der Versammlung anzeigt, daß die religiöse Kongregation von Picpus (Frauenkloster bei Paris) die nach den Marquisen-Inseln zu transportirenden Insurgenten zu begleiten wünscht. Dann liest derselbe den Entwurf einer Proklamation vor, die wir ihrer prinzipiellen Merkwürdigkeit halber hier fast wörtlich mittheilen. „An das französische Volk Franzosen! Die Anarchie ist besiegt; Paris steht aufrecht und die Gerechtigkeit wird ihren Lauf haben Ehre der Bürgerwehr der Hauptstadt und Departements, Ehre der Armee, der Mobilgarde, den Schulen, der republikanischen Garde und allen Freiwilligen, die herbeieilten, um gegen die Barrikaden Ordnung und Freiheit zu vertheidigen. Alle haben beigetragen, mit Nichtachtung ihres Lebens und mit übermenschlichem Muthe die Unternehmung von Rasenden zu unterdrücken. Alle haben von Barrikade zu Barrikade und selbst bis in ihre letzten Schlupfwinkel jene Rasenden zurückgestoßen, die ohne Grundsätze, ohne Fahne, sich nur für Mord und Plünderung bewaffnet zu haben scheinen. (Ja, ja). Familie, gesellschaftliche Einrichtungen, Freiheit, Vaterland, Alles sollte von diesen neuen Barbaren zerstört werden. Die Civilisation des 19. Jahrhundert war mit Untergang bedroht. Doch nein; die Civilisation soll nicht untergehen! Die Republik, Werk Gottes, lebendiges Gesetz der Menschheit, wird nicht untergehen! Wir schwören es beim gesammten Frankreich, das mit Entsetzen jene wilden Lehren zurückstößt (Bravos), laut welchen die Familie nur ein leerer Name und das Eigenthum nur Diebstahl. (Bravo, bravo!). Wir schwören es beim Blute so vieler edler Opfer, die unter den brudermörderischen Kugeln fielen. Alle Feinde der Republik hatten sich gegen sie in gewaltsamer und verzweifelter Anstrengung vereint. Sie sind überwunden und Keiner von ihnen kann es wagen, uns zu neuen blutigen Kämpfen herauszufordern. Sagt uns der erhabene Aufschwung, der so viele Tausende bewaffneter Bürger in die Hauptstadt trieb, um für sie zu kämpfen, nicht klar genug, daß das größte aller Verbrechen darin besteht, sich gegen die aus dem allgemeinen und direkten Stimmrecht hervorgegangene Volkssouveränetät zu empören? (Ja, ja.) Und beweisen die Dekrete der Nationalversammlung nicht klar genug, daß es in unserer Republik keine Klassen, keine Privilegien mehr gibt, daß die Arbeiter unsere Brüder sind, daß ihr Interesse für uns das heiligste ist, und daß wir nach Herstellung der Ordnung und Erfüllung strenger Gerechtigkeit bereit sind, unsere Arme und Herzen allen Denen zu öffnen, die da unter uns leiden? Franzosen! Einigen wir uns in der heiligen Vaterlandsliebe, vertilgen wir die letzte Spur unseres inneren Zwiespalts und halten wir alle Eroberungen der Freiheit und Demokratie aufrecht. Möge uns nichts von den Grundsätzen der Revolution abführen! Aber vergessen wir nicht, daß die Gesellschafft geleitet sein will, daß die Gleichheit und Brüderschaft sich nur in der Eintracht und in Frieden entwickeln können, und daß die Freiheit der Ordnung bedarf um sich zu befestigen und sich gegen ihre eignen Uebergriffe zu schützen. Auf diese Weise wollen wir die Dauer unserer jungen Republik begründen und sie von Tag zu Tag größer und glücklicher einer Zukunft entgegenführen, für welche die eben bestandenen Prüfungen neue Bürgschaften sind.“

Diese Proklamation erntete stürmischen Beifall. Man wollte ihren Verfasser wissen, der Präsident aber verschwieg seinen Namen.

Cavaignac bestieg demnächst die Tribüne und legte sein hohes Amt nieder. Flocon folgte ihm, um im Namen seiner sämmtlichen Kollegen die Entlassung des Ministeriums zu überreichen. Der Präsident schlug vor, dem General den Dank des Vaterlandes zu votiren, das mit großem Enthusiasmus geschah. Die Versammlung schritt dann zur Wahl eines neuen Vollziehungsausschusses, der in einem Ministerrathe bestehe, als dessen Präsident Cavaignac vorgeschlagen wurde. Senard brachte den diesfälligen Gesetzentwurf zur Abstimmung. Dieselbe erfolgte par Division und bestätigte den gemachten Vorschlag vollständig. Cavaignac ist also provisorischer Präsident der Regierung bis zur Verfassungsannahme. Die Versammlung ist damit beschäftigt, die Minister zu wählen.

Kurz vor der Abstimmung erklärte Cavaignac, daß es nothwendig, den Belagerungszustand von Paris noch für einige Tage beizubehalten.

Man erfährt gleichzeitig, daß die große Begräbnißfeier der Gefallenen für Freitag, den 30. Juni, angeordnet ist.

So eben hören wir folgendes Resultat:

Cavaignac, Präsident; Senard, Inneres; Recurt, Staatsbauten; Lamoriciere, Krieg; Thouret (aus Allier), Handel (?); Bethmont, Justiz; Bastide, Auswärtiges; Changarnier, Obergeneral der Nationalgarde; Verninac, Marine.

Die Börse zwar offen, aber keine Geschäfte.

Schluß der Nationalversammlung vom 27. Juni. 1/4 vor 9 Uhr.

Der Präsident zeigt den Tod Charbonnels und des Erzbischofs von Paris an.

Bürger Sarrans hat das Wort. (Nein, nein!) Mehre Stimmen: Keine Diskussion. (Lärm.)

Sarrans: Ich habe die erste Huldigung dem Dienst der Nationalgarde dargebracht und ich habe von ihr die Ehre verlangt, in ihren Reihen zu marschiren. Ich erhebe mich nicht gegen das Prinzip des Dekrets, aber ich glaube, daß man sich hüten muß vor massenhaften Proscriptionen. auch am 13. Nivose hatte man massenhaft geschlagen und man hatte die Republikaner getroffen, während man die Royalisten verschont hatte. (Genügt. Zur Abstimmung!)

Sarrans: Die Versammlung will mich nicht hören, ich verzichte auf's Wort.

Ein Mitglied hatte das Wort verlangt, es sagt: Zeuge dessen, was so eben unserm Kollegen passirt, verzichte ich auf's Wort. (Bewegung.)

Der Präsident: Bürger Sarrans hat das Wort.

Sarrans: Ich verzichte darauf.

Pierre Leroux. (Zeichen der Spannung.) Seit drei Tagen leben wir in einer Sphäre von Agitationen. Kein Wort von Religion, nichts als Leidenschaften! Als ich mich um die Kandidatur bewarb, glaubte ich nicht, in eine Versammlung einzutreten, die so leidenschaftlich ist, sondern in ein Concil.

Eine Stimme: Sprecht nicht von Euch! Eine andere Stimme: Warum nicht? (Agitation.)

Pierre Leroux: Nicht so kann eine Versammlung berathschlagen. Die menschliche Seele erträgt solche Aufregungen nicht. Fragt die Aerzte, sie werden euch sagen, daß das unmöglich ist. Es sind hier Prediger des Evangeliums. Warum, sagen sie es nicht? Ist es möglich!

Coquerel: Ich verlange das Wort.

Pierre Leroux: Ihr wollt überstürzte Revolutionen machen. Ihr studirt die Fragen nicht. (Unterbrechung.) Erlaubt mir, es euch zu sagen, man kann hier nur schwatzen, nicht sprechen, in einer solchen Versammlung, die so wenig Ueberlegung in ihren Berathschlagungen zeigt. (Neuer Skandal.) Verschiedene Stimmen: Zur Ordnung!

Der Präsident: Ich kann nicht dulden, daß der Redner die der Versammlung geschuldete Achtung verletzt, ich rufe ihn zur Ordnung.

Pierre Leroux: Wenn Ihr dem menschlichen Gewissen nicht erlauben wollt, sich frei auf dieser Tribüne zu äußern, so werde ich gezwungen sein, meine Entlassung zu geben. (Ein Mitglied unterbricht dem Redner so skandalös, daß der Präsident es zur Ordnung ruft.) Kommen wir zur Frage! Es wäre logischer gewesen, daß die Untersuchungskommission vor der Präsentation des Dekrets ihren Bericht eingereicht. Man hat gesprochen von Bonapartisten, von Legitimisten, von vielen andern noch und wir sind verpflichtet zu entscheiden, ohne die Gründe dieser fürchterlichen Insurrektion zu kennen. Aber, sagt man, die Sache drängt. Es sei! Aber bitten wir Gott, in Ermangelung der Logik, uns zu leiten. Wir müssen berathschlagen, ohne die Gründe kennen. Bedenkt es, bedenkt es! Seht, wie verwickelt die Fragen sind. Es handelt sich davon, zu richten, ohne zu urtheilen, zu sprechen, ohne zu wissen; so urtheilen wir wenigstens so mild, so menschlich wie möglich. Ich habe in dem Konferenz-Saal schon Worte eines seinem Volke milden Königs gelesen: Das Evangelium lehrt mich die Milde. Man ruft die Nothwendigkeit an; es bedarf einer Maßregel, welche die Gesellschaft beschützt, aber sie sei ein Heilmittel, kein Gift. Wenn wir auf den Grund der Dinge gehen, können wir nicht läugnen, daß eine Art von Fatalität den menschlichen Geist trübt. Seht Europa. Diese Fatalität drückt auf alle Geister, auf alle Parteien. Die Lösung weiß man voraus, kein Denker, der sie nicht wüßte; seht den Zustand von Deutschland, von England, diese Fatalität existirt überall.

Noch einmal, erhebt eure Seelen, Bürger, erheben wir sie dahin, wo auch wir fallen werden wie Sklaven unter dem Joch dieser Fatalität. Seit lange kenne ich die Situation des 24. Februar; man hat sich einer Regierungsform entledigt, die man Monarchie nannte. Ich erinnere nicht an die Korruption dieses Regimes: man fragt sich, wie man in einer solchen Infamie leben konnte. Diese politische Form ist verschwunden. Nun wohl! Sprechen wir offenherzig: die Republik, ist sie dauerhaft, wird sie dauern? Ja, sonst müßte man ins Chaos zurückkehren.

(Hier wird der Redner mit solcher Heftigkeit unterbrochen, daß es unmöglich ist, seine Stimme zu vernehmen durch das Messergeklapper auf den Pulten).

Präsident. Hört den Redner.

Pierre Leroux verläßt die Tribüne und kündet an, daß er Amendements stellen werde.

Labordie unterstützt den Dekretentwurf und verlangt den Schluß der allgemeinen Diskussion.

Der Schluß wird ausgesprochen. Man geht über zur Diskussion des Artikels 1: „Im Interesse der allgemeinen Sicherheit werden die jetzt verhafteten Individuen, die am Gefecht des 22. Juni und der folgenden Tage Theil genommen haben, in die überseeischen französischen Besitzungen mit Ausnahme deren des Mittelmeeres gesandt werden.“

Caussidière. Ich bin demokratischer und socialistischer Republikaner, unterbrecht mich nicht von vorn herein. Rothe Republik, weiße Republik, Bonapartism, Regentism, mit allem hat man sich beschäftigt, nur nicht mit dem öffentlichen Wohl. Es herrscht ein Schwindel; werden wir fortfahren, uns von ihm hinreißen zu lassen? Nein, Bürger, vergessen wir unsre traurigen Zwiste. Ich hatte einen Bruder zu Lyon, durchbohrt von 34 Bajonnettstichen; kürzlich ist auch mein Vater gestorben, von Verfolgungen und vom Schmerze erschöpft. Machen wir kein Gesetz der Strenge. Ich appelire an Paris, an alle Provinzen, respektiren wir die Gerechtigkeit. Jeder Mann vor diesem Tribunal gestehe, daß auch er Fehler begehen konnte.

Unter den Insurgenten gab es viele, die der Schwindel fortgerissen.

Eine Stimme. Und die vergifteten Kugeln? (Vereinendes Murren).

Caussidière. Man erinnere sich, daß vor vier Monaten das Volk allmächtig war, daß es viel Rache auszuüben hatte, daß es alles in den Sack der Vergessenheit gesteckt und seine grollenden Empfindungen in das Wasser des Styx geschleudert hat. Wandeln wir eben so in den gegenwärtigen Umständen… Heute ist der erste Tag, daß ich wieder aufathme… Eine ganz natürliche Betrachtung drängt sich auf nach einem Siege, der davongetragen in Folge eines Bürgerkrieges, der verursacht wurde durch Unglücksfälle, durch Mißverständnisse (Lärm). Durch Irrthümer. . . . Glaubt nicht, daß alle die, welche die Muskete abgefeuert, Verbrecher waren. Es fand hier Irrthum Statt.

Mehre Stimmen. Wie? Ihr nennt den Meuchelmord Irrthum?

Caussidière. Der Irrthum fand Statt beim Beginn. Den 25. Februar begründete man die Republik nicht sofort auf ihre wahre Grundlage. Konservirt einen Gefangnen, protegirt sie, wenn ihr die Septembriseurs fürchtet. (Zur Ordnung! Zur Ordnung!) Ihr unterbrecht mich nur mitten in der Phrase, ohne sie mich vollenden zu lassen. Nach der Hitze des Kampfes behauptet die Humanität wieder ihre Rechte. ‒ Ich verlange, daß man der Gerechtigkeit ihren gewöhnlichen Lauf läßt, daß man Kommissionen ernennt, die untersuchen, ob dies oder jenes Individuum hinreichende Ursache giebt, es zu deportiren. ‒ Caussidière wird mit Lärm, Ordnungsruf, Drohungen u. s. w. unterbrochen.

Um Mitternacht schließt die Versammlung ihre Sitzung, sie adoptirt fast einstimmig das Dekret der Deportation. Der Präsident findet die Sache so amüsant, daß er von einem Paket von Amendements spricht, die zur Abstimmung vorlägen. Nur zwei oder drei von diesen Amendements sind angenommen worden, eins, welches den Familien erlaubt, auf Regierungskosten ihren deportirten Verwandten zu folgen, ein andres, welches die Angeklagten selbst nach Aufhebung des Belagerungszustandes der Jurisdiktion der Kriegsgerichte anheimstellt.

Nachschrift. Um 4 Uhr Nachmittags wird die Sitzung der Nationalversammlung wieder eröffnet. Der Präsident berichtet, daß der Zustand ihres Kollegen Dornés sehr befriedigend ist und verliest hierauf das kurz zuvor beschlossene Dekret in Betreff des Erzbischofs von Paris. Es lautet:

„Die Nationalversammlung betrachtet es als ihre Pflicht, für den heilig-heroischen Tod des Erzbischofs von Paris ihre andächtige Erkenntlichkeit und tiefen Schmerz auszusprechen.“

Die Fassung des Dekrets wird einstimmig angenommen.

Remilly macht hierauf eine Reihe Vorschläge:

1. Erlassung eines Dekrets gegen geheime Gesellschaften; ein gleiches in Betreff der Klubs; wegen Bau's der Barrikaden; über Affichiren und Kolportiren; über die Polizei der Presse; über Auflösung der National-Werkstätten (eine Stimme: das ist vollbracht); die Nichtbewaffnung der Nationalgarden, welche ihren Dienst nicht verrichten; und endlich 8. wegen sofortiger Errichtung eines Lagers auf dem Marsfelde von Paris. Die Sitzung wird bis um 8 Uhr Abends vertagt.

Es heißt, daß Herr Dufaure Präsident der National-Versammlung werden wird.

Großbritannien.
* London, 27. Juni.

Nachdem „The London Telegraph“ in seiner heutigen Nr. Stellen aus der „Post“, dem „Chronicle“, den „Times“ in Betreff der Juni-Revolution zitirt hat: fährt er weiter fort: „Das Alles zeigt so klar, wie nur irgend möglich, daß die Revolution des 24. Februar die unausweichliche Folge von der unter der großen Masse herrschenden Noth und Armuth war; und dergleichen Uebel werden nicht durch Artillerie und Dragoner kurirt. Ja, grade unter einer solchen humanen Kanonen-und Säbel-Verwaltung gedeihen jene Uebel noch viel herrlicher.“ Was wird nun der aufgeklärte Theil des Publikums zur „Times“ sagen, die jene unausbleiblichen Folgen des allbeherrschenden unterdrückerischen Systems von Guizot und Louis Philippe als einen „frischen Beweis von der Natur der demokratischen Gewalt und den Gefahren sozialer Insubordination“ hinstellt! Den Schluß, den die Times ziehen, ist weder für unsere Regierung sehr schmeichelhaft, noch auch für die Freunde des Fortschritts sehr ermunternd. Der Schluß lautet: „Wie volksthümlich eine Regierungsform auch immer sein mag, die Aufrechterhaltung der Ordnung und der Gewalt des Gesetzes beruhen zuletzt doch nur auf einer festen und selbst rücksichtslosen Ausübung militärischer Gewalt.“ Ein hübsches Dilemma für die Sozietät. Die Times bezeichnet Revolution und Insurrektion als die unausbleiblichen Folgen des früheren Systems militärischer Herrschaft, und andererseits „selbst die rücksichtslose Ausübung der Militärgewalt“

<TEI>
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      <titlePage type="heading">
        <titlePart type="main">Beilage zu Nr. 31 der Neuen Rheinisch. Zeitung.</titlePart>
        <docImprint>
          <docDate>Samstag, 1. Juli. 1848.</docDate>
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      </titlePage>
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    <body>
      <div type="contents" n="1">
        <head>Uebersicht.</head>
        <p><hi rendition="#g">Deutschland.</hi> Köln (die <hi rendition="#g">&#x201E;Kölnische                         Zeitung&#x201C;</hi> über die Junirevolution.) Berlin. (Vereinbarungsdebatten. &#x2012;                     Betrachtung Rimplers. &#x2012; Minister Hansemann. &#x2012; Arbeiterparlament. &#x2012; Rückkehr des                     Tann'schen Freicorps. &#x2012; Berliner Scharfsinn. &#x2012; Vermischtes.) Breslau. (Milde &#x2012;                     Pinder.) Hannover. (Aufhebung der Adelsbank bei den Gerichten.) Dresden.                     (Polizeiwirthschaft.) München. (Fanatismus der Toleranz.) Wien. (Proklamation                     des Erzherzogs Johann.)</p>
        <p><hi rendition="#g">Französische Republik.</hi> Paris. (Die Junirevolution. &#x2012;                     Schluß der Sitzung der Nationalversammlung v. 27. Juni. &#x2012; Sitzung der                     Nationalversammlung v. 28. Juni. &#x2012; Brutalität der Bourgeoisie und ihrer                     Journale. &#x2012; Vermischtes. &#x2012; Erklärung des National über Italien. &#x2012; Cavaignac's                     Großmuth. &#x2012; Neue Beispiele der bürgerlichen Fraternität.)</p>
        <p><hi rendition="#g">Großbritannien.</hi> London. (Lord John Russel. &#x2012; Der                     &#x201E;Telegraph&#x201C; und die &#x201E;Times&#x201C; über die Pariser Junirevolution. &#x2012;                     Privatkorrespondenz der Times aus dem piomontesischen Hauptquartier.)                     Manchester. (Handelsaussichten.</p>
      </div>
      <div n="1">
        <head>[Neueste Nachrichten]</head>
        <div xml:id="ar031b_001" type="jArticle">
          <p>Die 5., 8. und 12. Legion der Nationalgarde sollen aufgelöst werden. In der                         12. Legion haben nur 50 Mann auf den Appell geantwortet.</p>
          <p>Zahlreiche Gefangene sind gestern Nacht wieder im Luxembourg und auf dem                         Champ de Mars todt geschossen worden.</p>
          <p>&#x201E;Ich war gestern,&#x201C; schreibt selbst der Korrespondent der &#x201E;Independance,&#x201C; &#x201E;in                         der Nationalversammlung gewesen. <hi rendition="#g">Ich sage es mit                             Bedauern, aber die Repräsentanten sind von der schweren Bedeutung der                             jetzigen Lage gar nicht durchdrungen. Sie meinen, es sei Alles aus, und                             es handle sich jetzt um weiter nichts mehr, als um                             Repressions-Maßregeln. Gott wolle, sie hätten Recht.</hi>&#x201C;</p>
          <p>Eine Kommission ist beauftragt worden, sich mit der exekutiven Gewalt über                         die Leichenceremonien und die Organisirung einer Revue der Nationalgarde und                         der Armee zu verständigen.</p>
          <p>Der Belagerungszustand soll noch 10 bis 15 Tage fortgesetzt werden.</p>
          <p>Die Untersuchungskommission ist sehr beschäftigt, viele Repräsentanten sollen                         kompromittirt sein.</p>
          <p>So viel kann ich Sie aus direkten, um nicht grade zu sagen aus persönlichen                         Renseignements versichern, daß drei Repräsentanten Samstag um Mittag an der                         Barriere Pigale von Nationalgardisten von Montmartre arretirt worden                         sind.</p>
          <p>Sie sind auf die Mairie des zweiten Arrondissements geführt worden; ich habe                         dieses von dem Offizier, der sie auf die Wache geführt, vernommen.</p>
          <p>Man spricht immer noch davon, Caussidiere, Louis Blanc und Lagrange zu                         verhaften.</p>
          <p>Zwei Korrespondenzen bestätigen, daß der Erzbischof, so wie der General                         Negrier durch die <hi rendition="#g">Kugeln der Mobilgarde getroffen</hi> niedergesunken sind, nicht durch die der Insurgenten.</p>
          <p>&#x2012; Die ganze Bevölkerung strömt seit gestern, wo wir wieder etwas freier                         athmen, nach den Schauplätzen der Revolution (City, Rue St. Jacques,                         Faubourg St. Antoine und dem Kanale). In der City und am Pantheon sind die                         Verwüstungen viel weniger sichtbar als im Faubourg St. Antoine, wo Held                         Lamoriciere vier Tage lang mit Feuer und Schwert wüthete.</p>
          <p>&#x2012; Die gefangenen Insurgenten sind sämmtlich in die Aussenwerke unserer                         Festungswälle gesperrt, wo sie ihrem Schicksale entgegensehen. Die Leiter                         des Aufstandes werden erschossen, die anderen in die aussereuropäischen                         Kolonien verbannt. Ganz wie nach dem Fruktidor, Nivose und der Rückkehr der                         Bourbonen.</p>
          <p>&#x2012; Heute früh fand eine Revue der aus den Departements herbeigeeilten                         Bürgerwehren an der Eintrachtsbrücke im Beisein der National-Versammlung                         statt.</p>
          <p>&#x2012; Cabet, das bekannte Haupt der ikarischen Kommunisten, protestirt in allen                         Blättern gegen die Behauptung mehrerer Bürgerwehren, die ihn mit eignen                         Augen an der Spitze des Aufstandes gesehen haben wollten.</p>
          <p>&#x2012; Der <hi rendition="#g">National</hi> enthält folgenden, für die                         italienischen Verhältnisse wichtigen Artikel: &#x201E;Im Auslande, namentlich in                         Italien und der Schweiz, verbreitet sich die Nachricht, daß sich die                         Regierung der französischen Republik zu einer Vermittelung im italienischen                         Kriege geneigt zeige, deren Grundlage die Abzweigung Venedigs wäre. Wir                         hoffen, daß so etwas noch nicht beschlossen worden und ein ähnlicher Fehler                         nicht begangen werden wird. Dies hieße, den Frieden von Campo Formio                         erneuern und in eine Theilung Italiens willigen. Dies wollen aber weder die                         Italiäner, noch kann es Frankreich wünschen. 1799 opferte der General                         Bonaparte Venedig auf, weil er nach blutigen Kämpfen den Frieden erstrebte.                         Der errungene Frieden war aber nur ein ephemerer, und Venedig wurde wieder                         von Oesterreich losgerissen und an Italien gefügt, zu dessen König sich                         Napoleon proklamirt hatte. Will man heute ernstlich etwas Dauerhaftes, so                         muß Oestreich definitiv Italien verlassen, und die italienische Nation darf                         Niemand als sich selbst angehören. Jede andere Kombination wäre ein                         unhaltbares Werk für die Völker, eine Schande für das insurgirte Italien und                         eine feige Desertion von der französischen Politik.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar031b_002" type="jArticle">
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Paris, 28. Juni.</head>
          <p>General Cavaignac und die Nationalversammlung ließen diesen Morgen über                         50,000 Nationalgarden des Seine-Departements Revue passiren. Aus Bordeaux                         und Tonlouse langten heute Morgen ebenfalls Bataillons an. Gestern wurden in                         den Faubourgs St. Jacques und St. Marceau 1,700 Gefallene beerdigt. Die Zahl                         der bis jetzt gefangen genommenen Insurgenten beträgt 5 &#x2012; 6000, die Zahl der                         in der Umgegend von Paris befindlichen Insurgenten schätzt man auf 20,000                         Mann.</p>
          <p>&#x2012; Nach dem 24. Februar allgemeiner Ruf: Es giebt keine Sieger, keine                         Besiegten, es giebt nur Franzosen! II n'ya pas des vaincqueurs, il n'ya pas                         des vaincus, il n'y a que des francais.</p>
          <p>Heute muß die &#x201E;Reforme&#x201C; selbst Cavaignae's <hi rendition="#g">Großmuth</hi> preisen, womit er an die National-Versammlung schreibt: Ich sehe zu Paris <hi rendition="#g">Sieger</hi> und <hi rendition="#g">Besiegte!</hi> mein Name bliebe mit Fluch bedeckt, wenn ich zugebe, daß man hier <hi rendition="#g">Schlachtopfer</hi> sieht! Und wie zweideutig ist noch die                         Großmuth!</p>
          <p>&#x2012; <hi rendition="#g">Kersausie</hi> und Napoleon Lebon sind gestern arretirt                         worden.</p>
          <p>&#x2012; <hi rendition="#g">Nationalversammlung.</hi> Sitzung vom 28. Juni. Senard                         eröffnet sie um 121/2 Uhr Mittags. General Changarnier, so eben aus Algier                         angekommen, ist anwesend. Es herrscht eine außerordentliche Spannung im                         Saale, Vorläuferin wichtiger parlamentarischer Ereignisse. Man weiß, daß                         Cavaignac und sämmtliche Minister ihr Amt niederlegen wollen. Unter                         lebhaften Gesprächen liest der Präsident einen Brief des Bischofs von                         Calzedonien (in partibus) vor, worin derselbe der Versammlung anzeigt, daß                         die religiöse Kongregation von Picpus (Frauenkloster bei Paris) die nach den                         Marquisen-Inseln zu transportirenden Insurgenten zu begleiten wünscht. Dann                         liest derselbe den Entwurf einer Proklamation vor, die wir ihrer                         prinzipiellen Merkwürdigkeit halber hier fast wörtlich mittheilen. &#x201E;An das                         französische Volk Franzosen! Die Anarchie ist besiegt; Paris steht aufrecht                         und die Gerechtigkeit wird ihren Lauf haben Ehre der Bürgerwehr der                         Hauptstadt und Departements, Ehre der Armee, der Mobilgarde, den Schulen,                         der republikanischen Garde und allen Freiwilligen, die herbeieilten, um                         gegen die Barrikaden Ordnung und Freiheit zu vertheidigen. Alle haben                         beigetragen, mit Nichtachtung ihres Lebens und mit übermenschlichem Muthe                         die Unternehmung von Rasenden zu unterdrücken. Alle haben von Barrikade zu                         Barrikade und selbst bis in ihre letzten Schlupfwinkel jene Rasenden                         zurückgestoßen, die ohne Grundsätze, ohne Fahne, sich nur für Mord und                         Plünderung bewaffnet zu haben scheinen. (Ja, ja). Familie, gesellschaftliche                         Einrichtungen, Freiheit, Vaterland, Alles sollte von diesen neuen Barbaren                         zerstört werden. Die Civilisation des 19. Jahrhundert war mit Untergang                         bedroht. Doch nein; die Civilisation soll nicht untergehen! Die Republik,                         Werk Gottes, lebendiges Gesetz der Menschheit, wird nicht untergehen! Wir                         schwören es beim gesammten Frankreich, das mit Entsetzen jene wilden Lehren                         zurückstößt (Bravos), laut welchen die Familie nur ein leerer Name und das                         Eigenthum nur Diebstahl. (Bravo, bravo!). Wir schwören es beim Blute so                         vieler edler Opfer, die unter den brudermörderischen Kugeln fielen. Alle                         Feinde der Republik hatten sich gegen sie in gewaltsamer und verzweifelter                         Anstrengung vereint. Sie sind überwunden und Keiner von ihnen kann es wagen,                         uns zu neuen blutigen Kämpfen herauszufordern. Sagt uns der erhabene                         Aufschwung, der so viele Tausende bewaffneter Bürger in die Hauptstadt                         trieb, um für sie zu kämpfen, nicht klar genug, daß das größte aller                         Verbrechen darin besteht, sich gegen die aus dem allgemeinen und direkten                         Stimmrecht hervorgegangene Volkssouveränetät zu empören? (Ja, ja.) Und                         beweisen die Dekrete der Nationalversammlung nicht klar genug, daß es in                         unserer Republik keine Klassen, keine Privilegien mehr gibt, daß die                         Arbeiter unsere Brüder sind, daß ihr Interesse für uns das heiligste ist,                         und daß wir nach Herstellung der Ordnung und Erfüllung strenger                         Gerechtigkeit bereit sind, unsere Arme und Herzen allen Denen zu öffnen, die                         da unter uns leiden? Franzosen! Einigen wir uns in der heiligen                         Vaterlandsliebe, vertilgen wir die letzte Spur unseres inneren Zwiespalts                         und halten wir alle Eroberungen der Freiheit und Demokratie aufrecht. Möge                         uns nichts von den Grundsätzen der Revolution abführen! Aber vergessen wir                         nicht, daß die Gesellschafft geleitet sein will, daß die Gleichheit und                         Brüderschaft sich nur in der Eintracht und in Frieden entwickeln können, und                         daß die Freiheit der Ordnung bedarf um sich zu befestigen und sich gegen                         ihre eignen Uebergriffe zu schützen. Auf diese Weise wollen wir die Dauer                         unserer jungen Republik begründen und sie von Tag zu Tag größer und                         glücklicher einer Zukunft entgegenführen, für welche die eben bestandenen                         Prüfungen neue Bürgschaften sind.&#x201C;</p>
          <p>Diese Proklamation erntete stürmischen Beifall. Man wollte ihren Verfasser                         wissen, der Präsident aber verschwieg seinen Namen.</p>
          <p>Cavaignac bestieg demnächst die Tribüne und legte sein hohes Amt nieder.                         Flocon folgte ihm, um im Namen seiner sämmtlichen Kollegen die Entlassung                         des Ministeriums zu überreichen. Der Präsident schlug vor, dem General den                         Dank des Vaterlandes zu votiren, das mit großem Enthusiasmus geschah. Die                         Versammlung schritt dann zur Wahl eines neuen Vollziehungsausschusses, der                         in einem Ministerrathe bestehe, als dessen Präsident Cavaignac vorgeschlagen                         wurde. Senard brachte den diesfälligen Gesetzentwurf zur Abstimmung.                         Dieselbe erfolgte par Division und bestätigte den gemachten Vorschlag                         vollständig. Cavaignac ist also provisorischer Präsident der Regierung bis                         zur Verfassungsannahme. Die Versammlung ist damit beschäftigt, die Minister                         zu wählen.</p>
          <p>Kurz vor der Abstimmung erklärte Cavaignac, daß es nothwendig, den                         Belagerungszustand von Paris noch für einige Tage beizubehalten.</p>
          <p>Man erfährt gleichzeitig, daß die große Begräbnißfeier der Gefallenen für                         Freitag, den 30. Juni, angeordnet ist.</p>
          <p>So eben hören wir folgendes Resultat:</p>
          <p>Cavaignac, Präsident; Senard, Inneres; Recurt, Staatsbauten; Lamoriciere,                         Krieg; Thouret (aus Allier), Handel (?); Bethmont, Justiz; Bastide,                         Auswärtiges; Changarnier, Obergeneral der Nationalgarde; Verninac,                         Marine.</p>
          <p>Die Börse zwar offen, aber keine Geschäfte.</p>
          <p>&#x2012; <hi rendition="#g">Schluß der Nationalversammlung</hi> vom 27. Juni. 1/4                         vor 9 Uhr.</p>
          <p>Der <hi rendition="#g">Präsident</hi> zeigt den Tod <hi rendition="#g">Charbonnels</hi> und des <hi rendition="#g">Erzbischofs</hi> von Paris                         an.</p>
          <p>Bürger <hi rendition="#g">Sarrans</hi> hat das Wort. (Nein, nein!) <hi rendition="#g">Mehre Stimmen:</hi> Keine Diskussion. (Lärm.)</p>
          <p><hi rendition="#g">Sarrans:</hi> Ich habe die erste Huldigung dem Dienst der                         Nationalgarde dargebracht und ich habe von ihr die Ehre verlangt, in ihren                         Reihen zu marschiren. Ich erhebe mich nicht gegen das Prinzip des Dekrets,                         aber ich glaube, daß man sich hüten muß vor massenhaften Proscriptionen.                         auch am 13. Nivose hatte man massenhaft geschlagen und man hatte die                         Republikaner getroffen, während man die Royalisten verschont hatte. (Genügt.                         Zur Abstimmung!)</p>
          <p><hi rendition="#g">Sarrans:</hi> Die Versammlung will mich nicht hören, ich                         verzichte auf's Wort.</p>
          <p><hi rendition="#g">Ein Mitglied</hi> hatte das Wort verlangt, es sagt: Zeuge                         dessen, was so eben unserm Kollegen passirt, verzichte ich auf's Wort.                         (Bewegung.)</p>
          <p>Der <hi rendition="#g">Präsident:</hi> Bürger Sarrans hat das Wort.</p>
          <p><hi rendition="#g">Sarrans:</hi> Ich verzichte darauf.</p>
          <p><hi rendition="#g">Pierre Leroux.</hi> (Zeichen der Spannung.) Seit drei                         Tagen leben wir in einer Sphäre von Agitationen. Kein Wort von Religion,                         nichts als Leidenschaften! Als ich mich um die Kandidatur bewarb, glaubte                         ich nicht, in eine Versammlung einzutreten, die so leidenschaftlich ist,                         sondern in ein Concil.</p>
          <p><hi rendition="#g">Eine Stimme:</hi> Sprecht nicht von Euch! <hi rendition="#g">Eine andere Stimme:</hi> Warum nicht? (Agitation.)</p>
          <p><hi rendition="#g">Pierre Leroux:</hi> Nicht so kann eine Versammlung                         berathschlagen. Die menschliche Seele erträgt solche Aufregungen nicht.                         Fragt die Aerzte, sie werden euch sagen, daß das unmöglich ist. Es sind hier                         Prediger des Evangeliums. Warum, sagen sie es nicht? Ist es möglich!</p>
          <p><hi rendition="#g">Coquerel:</hi> Ich verlange das Wort.</p>
          <p><hi rendition="#g">Pierre Leroux:</hi> Ihr wollt überstürzte Revolutionen                         machen. Ihr studirt die Fragen nicht. (Unterbrechung.) Erlaubt mir, es euch                         zu sagen, man kann hier nur schwatzen, nicht sprechen, in einer solchen                         Versammlung, die so wenig Ueberlegung in ihren Berathschlagungen zeigt.                         (Neuer Skandal.) <hi rendition="#g">Verschiedene Stimmen:</hi> Zur                         Ordnung!</p>
          <p>Der <hi rendition="#g">Präsident:</hi> Ich kann nicht dulden, daß der Redner                         die der Versammlung geschuldete Achtung verletzt, ich rufe ihn zur                         Ordnung.</p>
          <p><hi rendition="#g">Pierre Leroux:</hi> Wenn Ihr dem menschlichen Gewissen                         nicht erlauben wollt, sich frei auf dieser Tribüne zu äußern, so werde ich                         gezwungen sein, meine Entlassung zu geben. (Ein Mitglied unterbricht dem                         Redner so skandalös, daß der Präsident es zur Ordnung ruft.) Kommen wir zur                         Frage! Es wäre logischer gewesen, daß die Untersuchungskommission vor der                         Präsentation des Dekrets ihren Bericht eingereicht. Man hat gesprochen von                         Bonapartisten, von Legitimisten, von vielen andern noch und wir sind                         verpflichtet zu entscheiden, ohne die Gründe dieser fürchterlichen                         Insurrektion zu kennen. Aber, sagt man, die Sache drängt. Es sei! Aber                         bitten wir Gott, in Ermangelung der Logik, uns zu leiten. Wir müssen                         berathschlagen, ohne die Gründe kennen. Bedenkt es, bedenkt es! Seht, wie                         verwickelt die Fragen sind. Es handelt sich davon, zu richten, ohne zu                         urtheilen, zu sprechen, ohne zu wissen; so urtheilen wir wenigstens so mild,                         so menschlich wie möglich. Ich habe in dem Konferenz-Saal schon Worte eines                         seinem Volke milden Königs gelesen: Das Evangelium lehrt mich die Milde. Man                         ruft die Nothwendigkeit an; es bedarf einer Maßregel, welche die                         Gesellschaft beschützt, aber sie sei ein Heilmittel, kein Gift. Wenn wir auf                         den Grund der Dinge gehen, können wir nicht läugnen, daß eine Art von                         Fatalität den menschlichen Geist trübt. Seht Europa. Diese Fatalität drückt                         auf alle Geister, auf alle Parteien. Die Lösung weiß man voraus, kein                         Denker, der sie nicht wüßte; seht den Zustand von Deutschland, von England,                         diese Fatalität existirt überall.</p>
          <p>Noch einmal, erhebt eure Seelen, Bürger, erheben wir sie dahin, wo auch wir                         fallen werden wie Sklaven unter dem Joch dieser Fatalität. Seit lange kenne                         ich die Situation des 24. Februar; man hat sich einer Regierungsform                         entledigt, die man Monarchie nannte. Ich erinnere nicht an die Korruption                         dieses Regimes: man fragt sich, wie man in einer solchen Infamie leben                         konnte. Diese politische Form ist verschwunden. Nun wohl! Sprechen wir                         offenherzig: die Republik, ist sie dauerhaft, wird sie dauern? Ja, sonst                         müßte man ins Chaos zurückkehren.</p>
          <p>(Hier wird der Redner mit solcher Heftigkeit unterbrochen, daß es unmöglich                         ist, seine Stimme zu vernehmen durch das Messergeklapper auf den                         Pulten).</p>
          <p><hi rendition="#g">Präsident.</hi> Hört den Redner.</p>
          <p><hi rendition="#g">Pierre Leroux</hi> verläßt die Tribüne und kündet an, daß                         er Amendements stellen werde.</p>
          <p><hi rendition="#g">Labordie</hi> unterstützt den Dekretentwurf und verlangt                         den Schluß der allgemeinen Diskussion.</p>
          <p>Der Schluß wird ausgesprochen. Man geht über zur Diskussion des Artikels 1:                         &#x201E;Im Interesse der allgemeinen Sicherheit werden die jetzt verhafteten                         Individuen, die am Gefecht des 22. Juni und der folgenden Tage Theil                         genommen haben, in die überseeischen französischen Besitzungen mit Ausnahme                         deren des Mittelmeeres gesandt werden.&#x201C;</p>
          <p><hi rendition="#g">Caussidière.</hi> Ich bin demokratischer und                         socialistischer Republikaner, unterbrecht mich nicht von vorn herein. Rothe                         Republik, weiße Republik, Bonapartism, Regentism, mit allem hat man sich                         beschäftigt, nur nicht mit dem öffentlichen Wohl. Es herrscht ein Schwindel;                         werden wir fortfahren, uns von ihm hinreißen zu lassen? Nein, Bürger,                         vergessen wir unsre traurigen Zwiste. Ich hatte einen Bruder zu Lyon,                         durchbohrt von 34 Bajonnettstichen; kürzlich ist auch mein Vater gestorben,                         von Verfolgungen und vom Schmerze erschöpft. Machen wir kein Gesetz der                         Strenge. Ich appelire an Paris, an alle Provinzen, respektiren wir die                         Gerechtigkeit. Jeder Mann vor diesem Tribunal gestehe, daß auch er Fehler                         begehen konnte.</p>
          <p>Unter den Insurgenten gab es viele, die der Schwindel fortgerissen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Eine Stimme.</hi> Und die vergifteten Kugeln? (Vereinendes                         Murren).</p>
          <p><hi rendition="#g">Caussidière.</hi> Man erinnere sich, daß vor vier Monaten                         das Volk allmächtig war, daß es viel Rache auszuüben hatte, daß es alles in                         den Sack der Vergessenheit gesteckt und seine grollenden Empfindungen in das                         Wasser des Styx geschleudert hat. Wandeln wir eben so in den gegenwärtigen                         Umständen&#x2026; Heute ist der erste Tag, daß ich wieder aufathme&#x2026; Eine ganz                         natürliche Betrachtung drängt sich auf nach einem Siege, der davongetragen                         in Folge eines Bürgerkrieges, der verursacht wurde durch Unglücksfälle,                         durch Mißverständnisse (Lärm). Durch Irrthümer. . . . Glaubt nicht, daß alle                         die, welche die Muskete abgefeuert, Verbrecher waren. Es fand hier Irrthum                         Statt.</p>
          <p><hi rendition="#g">Mehre Stimmen.</hi> Wie? Ihr nennt den Meuchelmord                         Irrthum?</p>
          <p><hi rendition="#g">Caussidière.</hi> Der Irrthum fand Statt beim Beginn. Den                         25. Februar begründete man die Republik nicht sofort auf ihre wahre                         Grundlage. Konservirt einen Gefangnen, protegirt sie, wenn ihr die                         Septembriseurs fürchtet. (Zur Ordnung! Zur Ordnung!) Ihr unterbrecht mich                         nur mitten in der Phrase, ohne sie mich vollenden zu lassen. Nach der Hitze                         des Kampfes behauptet die Humanität wieder ihre Rechte. &#x2012; Ich verlange, daß                         man der Gerechtigkeit ihren gewöhnlichen Lauf läßt, daß man Kommissionen                         ernennt, die untersuchen, ob dies oder jenes Individuum hinreichende Ursache                         giebt, es zu deportiren. &#x2012; Caussidière wird mit Lärm, Ordnungsruf, Drohungen                         u. s. w. unterbrochen.</p>
          <p>Um Mitternacht schließt die Versammlung ihre Sitzung, sie adoptirt fast                         einstimmig das Dekret der Deportation. Der Präsident findet die Sache so                         amüsant, daß er von einem <hi rendition="#g">Paket</hi> von Amendements                         spricht, die zur Abstimmung vorlägen. Nur zwei oder drei von diesen                         Amendements sind angenommen worden, eins, welches den Familien erlaubt, auf                         Regierungskosten ihren deportirten Verwandten zu folgen, ein andres, welches                         die Angeklagten selbst nach Aufhebung des Belagerungszustandes der                         Jurisdiktion der Kriegsgerichte anheimstellt.</p>
          <p><hi rendition="#g">Nachschrift.</hi> Um 4 Uhr Nachmittags wird die Sitzung                         der Nationalversammlung wieder eröffnet. Der Präsident berichtet, daß der                         Zustand ihres Kollegen Dornés sehr befriedigend ist und verliest hierauf das                         kurz zuvor beschlossene Dekret in Betreff des Erzbischofs von Paris. Es                         lautet:</p>
          <p>&#x201E;Die Nationalversammlung betrachtet es als ihre Pflicht, für den                         heilig-heroischen Tod des Erzbischofs von Paris ihre andächtige                         Erkenntlichkeit und tiefen Schmerz auszusprechen.&#x201C;</p>
          <p>Die Fassung des Dekrets wird einstimmig angenommen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Remilly</hi> macht hierauf eine Reihe Vorschläge:</p>
          <p>1. Erlassung eines Dekrets gegen geheime Gesellschaften; ein gleiches in                         Betreff der Klubs; wegen Bau's der Barrikaden; über Affichiren und                         Kolportiren; über die Polizei der Presse; über Auflösung der                         National-Werkstätten (eine Stimme: das ist vollbracht); die Nichtbewaffnung                         der Nationalgarden, welche ihren Dienst nicht verrichten; und endlich 8.                         wegen sofortiger Errichtung eines Lagers auf dem Marsfelde von Paris. Die                         Sitzung wird bis um 8 Uhr Abends vertagt.</p>
          <p>Es heißt, daß Herr Dufaure Präsident der National-Versammlung werden                         wird.</p>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head>Großbritannien.</head>
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          <head><bibl><author>*</author></bibl> London, 27. Juni.</head>
          <p>Nachdem &#x201E;The London Telegraph&#x201C; in seiner heutigen Nr. Stellen aus der &#x201E;Post&#x201C;,                         dem &#x201E;Chronicle&#x201C;, den &#x201E;Times&#x201C; in Betreff der Juni-Revolution zitirt hat:                         fährt er weiter fort: &#x201E;Das Alles zeigt so klar, wie nur irgend möglich, daß                         die Revolution des 24. Februar die unausweichliche Folge von der unter der                         großen Masse herrschenden Noth und Armuth war; und dergleichen Uebel werden                         nicht durch Artillerie und Dragoner kurirt. Ja, grade unter einer solchen                         humanen Kanonen-und Säbel-Verwaltung gedeihen jene Uebel noch viel                         herrlicher.&#x201C; Was wird nun der aufgeklärte Theil des Publikums zur &#x201E;Times&#x201C;                         sagen, die jene unausbleiblichen Folgen des allbeherrschenden                         unterdrückerischen Systems von Guizot und Louis Philippe als einen &#x201E;frischen                         Beweis von der Natur der demokratischen Gewalt und den Gefahren sozialer                         Insubordination&#x201C; hinstellt! Den Schluß, den die Times ziehen, ist weder für                         unsere Regierung sehr schmeichelhaft, noch auch für die Freunde des                         Fortschritts sehr ermunternd. Der Schluß lautet: &#x201E;Wie volksthümlich eine                         Regierungsform auch immer sein mag, die Aufrechterhaltung der Ordnung und                         der Gewalt des Gesetzes beruhen zuletzt doch nur auf einer festen und selbst <hi rendition="#g">rücksichtslosen Ausübung militärischer</hi> Gewalt.&#x201C;                         Ein hübsches Dilemma für die Sozietät. Die Times bezeichnet Revolution und                         Insurrektion als die unausbleiblichen Folgen des früheren Systems                         militärischer Herrschaft, und andererseits &#x201E;selbst die rücksichtslose                         Ausübung der Militärgewalt&#x201C;
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[0153/0001] Beilage zu Nr. 31 der Neuen Rheinisch. Zeitung. Samstag, 1. Juli. 1848. Uebersicht. Deutschland. Köln (die „Kölnische Zeitung“ über die Junirevolution.) Berlin. (Vereinbarungsdebatten. ‒ Betrachtung Rimplers. ‒ Minister Hansemann. ‒ Arbeiterparlament. ‒ Rückkehr des Tann'schen Freicorps. ‒ Berliner Scharfsinn. ‒ Vermischtes.) Breslau. (Milde ‒ Pinder.) Hannover. (Aufhebung der Adelsbank bei den Gerichten.) Dresden. (Polizeiwirthschaft.) München. (Fanatismus der Toleranz.) Wien. (Proklamation des Erzherzogs Johann.) Französische Republik. Paris. (Die Junirevolution. ‒ Schluß der Sitzung der Nationalversammlung v. 27. Juni. ‒ Sitzung der Nationalversammlung v. 28. Juni. ‒ Brutalität der Bourgeoisie und ihrer Journale. ‒ Vermischtes. ‒ Erklärung des National über Italien. ‒ Cavaignac's Großmuth. ‒ Neue Beispiele der bürgerlichen Fraternität.) Großbritannien. London. (Lord John Russel. ‒ Der „Telegraph“ und die „Times“ über die Pariser Junirevolution. ‒ Privatkorrespondenz der Times aus dem piomontesischen Hauptquartier.) Manchester. (Handelsaussichten. [Neueste Nachrichten] Die 5., 8. und 12. Legion der Nationalgarde sollen aufgelöst werden. In der 12. Legion haben nur 50 Mann auf den Appell geantwortet. Zahlreiche Gefangene sind gestern Nacht wieder im Luxembourg und auf dem Champ de Mars todt geschossen worden. „Ich war gestern,“ schreibt selbst der Korrespondent der „Independance,“ „in der Nationalversammlung gewesen. Ich sage es mit Bedauern, aber die Repräsentanten sind von der schweren Bedeutung der jetzigen Lage gar nicht durchdrungen. Sie meinen, es sei Alles aus, und es handle sich jetzt um weiter nichts mehr, als um Repressions-Maßregeln. Gott wolle, sie hätten Recht.“ Eine Kommission ist beauftragt worden, sich mit der exekutiven Gewalt über die Leichenceremonien und die Organisirung einer Revue der Nationalgarde und der Armee zu verständigen. Der Belagerungszustand soll noch 10 bis 15 Tage fortgesetzt werden. Die Untersuchungskommission ist sehr beschäftigt, viele Repräsentanten sollen kompromittirt sein. So viel kann ich Sie aus direkten, um nicht grade zu sagen aus persönlichen Renseignements versichern, daß drei Repräsentanten Samstag um Mittag an der Barriere Pigale von Nationalgardisten von Montmartre arretirt worden sind. Sie sind auf die Mairie des zweiten Arrondissements geführt worden; ich habe dieses von dem Offizier, der sie auf die Wache geführt, vernommen. Man spricht immer noch davon, Caussidiere, Louis Blanc und Lagrange zu verhaften. Zwei Korrespondenzen bestätigen, daß der Erzbischof, so wie der General Negrier durch die Kugeln der Mobilgarde getroffen niedergesunken sind, nicht durch die der Insurgenten. ‒ Die ganze Bevölkerung strömt seit gestern, wo wir wieder etwas freier athmen, nach den Schauplätzen der Revolution (City, Rue St. Jacques, Faubourg St. Antoine und dem Kanale). In der City und am Pantheon sind die Verwüstungen viel weniger sichtbar als im Faubourg St. Antoine, wo Held Lamoriciere vier Tage lang mit Feuer und Schwert wüthete. ‒ Die gefangenen Insurgenten sind sämmtlich in die Aussenwerke unserer Festungswälle gesperrt, wo sie ihrem Schicksale entgegensehen. Die Leiter des Aufstandes werden erschossen, die anderen in die aussereuropäischen Kolonien verbannt. Ganz wie nach dem Fruktidor, Nivose und der Rückkehr der Bourbonen. ‒ Heute früh fand eine Revue der aus den Departements herbeigeeilten Bürgerwehren an der Eintrachtsbrücke im Beisein der National-Versammlung statt. ‒ Cabet, das bekannte Haupt der ikarischen Kommunisten, protestirt in allen Blättern gegen die Behauptung mehrerer Bürgerwehren, die ihn mit eignen Augen an der Spitze des Aufstandes gesehen haben wollten. ‒ Der National enthält folgenden, für die italienischen Verhältnisse wichtigen Artikel: „Im Auslande, namentlich in Italien und der Schweiz, verbreitet sich die Nachricht, daß sich die Regierung der französischen Republik zu einer Vermittelung im italienischen Kriege geneigt zeige, deren Grundlage die Abzweigung Venedigs wäre. Wir hoffen, daß so etwas noch nicht beschlossen worden und ein ähnlicher Fehler nicht begangen werden wird. Dies hieße, den Frieden von Campo Formio erneuern und in eine Theilung Italiens willigen. Dies wollen aber weder die Italiäner, noch kann es Frankreich wünschen. 1799 opferte der General Bonaparte Venedig auf, weil er nach blutigen Kämpfen den Frieden erstrebte. Der errungene Frieden war aber nur ein ephemerer, und Venedig wurde wieder von Oesterreich losgerissen und an Italien gefügt, zu dessen König sich Napoleon proklamirt hatte. Will man heute ernstlich etwas Dauerhaftes, so muß Oestreich definitiv Italien verlassen, und die italienische Nation darf Niemand als sich selbst angehören. Jede andere Kombination wäre ein unhaltbares Werk für die Völker, eine Schande für das insurgirte Italien und eine feige Desertion von der französischen Politik. * Paris, 28. Juni. General Cavaignac und die Nationalversammlung ließen diesen Morgen über 50,000 Nationalgarden des Seine-Departements Revue passiren. Aus Bordeaux und Tonlouse langten heute Morgen ebenfalls Bataillons an. Gestern wurden in den Faubourgs St. Jacques und St. Marceau 1,700 Gefallene beerdigt. Die Zahl der bis jetzt gefangen genommenen Insurgenten beträgt 5 ‒ 6000, die Zahl der in der Umgegend von Paris befindlichen Insurgenten schätzt man auf 20,000 Mann. ‒ Nach dem 24. Februar allgemeiner Ruf: Es giebt keine Sieger, keine Besiegten, es giebt nur Franzosen! II n'ya pas des vaincqueurs, il n'ya pas des vaincus, il n'y a que des francais. Heute muß die „Reforme“ selbst Cavaignae's Großmuth preisen, womit er an die National-Versammlung schreibt: Ich sehe zu Paris Sieger und Besiegte! mein Name bliebe mit Fluch bedeckt, wenn ich zugebe, daß man hier Schlachtopfer sieht! Und wie zweideutig ist noch die Großmuth! ‒ Kersausie und Napoleon Lebon sind gestern arretirt worden. ‒ Nationalversammlung. Sitzung vom 28. Juni. Senard eröffnet sie um 121/2 Uhr Mittags. General Changarnier, so eben aus Algier angekommen, ist anwesend. Es herrscht eine außerordentliche Spannung im Saale, Vorläuferin wichtiger parlamentarischer Ereignisse. Man weiß, daß Cavaignac und sämmtliche Minister ihr Amt niederlegen wollen. Unter lebhaften Gesprächen liest der Präsident einen Brief des Bischofs von Calzedonien (in partibus) vor, worin derselbe der Versammlung anzeigt, daß die religiöse Kongregation von Picpus (Frauenkloster bei Paris) die nach den Marquisen-Inseln zu transportirenden Insurgenten zu begleiten wünscht. Dann liest derselbe den Entwurf einer Proklamation vor, die wir ihrer prinzipiellen Merkwürdigkeit halber hier fast wörtlich mittheilen. „An das französische Volk Franzosen! Die Anarchie ist besiegt; Paris steht aufrecht und die Gerechtigkeit wird ihren Lauf haben Ehre der Bürgerwehr der Hauptstadt und Departements, Ehre der Armee, der Mobilgarde, den Schulen, der republikanischen Garde und allen Freiwilligen, die herbeieilten, um gegen die Barrikaden Ordnung und Freiheit zu vertheidigen. Alle haben beigetragen, mit Nichtachtung ihres Lebens und mit übermenschlichem Muthe die Unternehmung von Rasenden zu unterdrücken. Alle haben von Barrikade zu Barrikade und selbst bis in ihre letzten Schlupfwinkel jene Rasenden zurückgestoßen, die ohne Grundsätze, ohne Fahne, sich nur für Mord und Plünderung bewaffnet zu haben scheinen. (Ja, ja). Familie, gesellschaftliche Einrichtungen, Freiheit, Vaterland, Alles sollte von diesen neuen Barbaren zerstört werden. Die Civilisation des 19. Jahrhundert war mit Untergang bedroht. Doch nein; die Civilisation soll nicht untergehen! Die Republik, Werk Gottes, lebendiges Gesetz der Menschheit, wird nicht untergehen! Wir schwören es beim gesammten Frankreich, das mit Entsetzen jene wilden Lehren zurückstößt (Bravos), laut welchen die Familie nur ein leerer Name und das Eigenthum nur Diebstahl. (Bravo, bravo!). Wir schwören es beim Blute so vieler edler Opfer, die unter den brudermörderischen Kugeln fielen. Alle Feinde der Republik hatten sich gegen sie in gewaltsamer und verzweifelter Anstrengung vereint. Sie sind überwunden und Keiner von ihnen kann es wagen, uns zu neuen blutigen Kämpfen herauszufordern. Sagt uns der erhabene Aufschwung, der so viele Tausende bewaffneter Bürger in die Hauptstadt trieb, um für sie zu kämpfen, nicht klar genug, daß das größte aller Verbrechen darin besteht, sich gegen die aus dem allgemeinen und direkten Stimmrecht hervorgegangene Volkssouveränetät zu empören? (Ja, ja.) Und beweisen die Dekrete der Nationalversammlung nicht klar genug, daß es in unserer Republik keine Klassen, keine Privilegien mehr gibt, daß die Arbeiter unsere Brüder sind, daß ihr Interesse für uns das heiligste ist, und daß wir nach Herstellung der Ordnung und Erfüllung strenger Gerechtigkeit bereit sind, unsere Arme und Herzen allen Denen zu öffnen, die da unter uns leiden? Franzosen! Einigen wir uns in der heiligen Vaterlandsliebe, vertilgen wir die letzte Spur unseres inneren Zwiespalts und halten wir alle Eroberungen der Freiheit und Demokratie aufrecht. Möge uns nichts von den Grundsätzen der Revolution abführen! Aber vergessen wir nicht, daß die Gesellschafft geleitet sein will, daß die Gleichheit und Brüderschaft sich nur in der Eintracht und in Frieden entwickeln können, und daß die Freiheit der Ordnung bedarf um sich zu befestigen und sich gegen ihre eignen Uebergriffe zu schützen. Auf diese Weise wollen wir die Dauer unserer jungen Republik begründen und sie von Tag zu Tag größer und glücklicher einer Zukunft entgegenführen, für welche die eben bestandenen Prüfungen neue Bürgschaften sind.“ Diese Proklamation erntete stürmischen Beifall. Man wollte ihren Verfasser wissen, der Präsident aber verschwieg seinen Namen. Cavaignac bestieg demnächst die Tribüne und legte sein hohes Amt nieder. Flocon folgte ihm, um im Namen seiner sämmtlichen Kollegen die Entlassung des Ministeriums zu überreichen. Der Präsident schlug vor, dem General den Dank des Vaterlandes zu votiren, das mit großem Enthusiasmus geschah. Die Versammlung schritt dann zur Wahl eines neuen Vollziehungsausschusses, der in einem Ministerrathe bestehe, als dessen Präsident Cavaignac vorgeschlagen wurde. Senard brachte den diesfälligen Gesetzentwurf zur Abstimmung. Dieselbe erfolgte par Division und bestätigte den gemachten Vorschlag vollständig. Cavaignac ist also provisorischer Präsident der Regierung bis zur Verfassungsannahme. Die Versammlung ist damit beschäftigt, die Minister zu wählen. Kurz vor der Abstimmung erklärte Cavaignac, daß es nothwendig, den Belagerungszustand von Paris noch für einige Tage beizubehalten. Man erfährt gleichzeitig, daß die große Begräbnißfeier der Gefallenen für Freitag, den 30. Juni, angeordnet ist. So eben hören wir folgendes Resultat: Cavaignac, Präsident; Senard, Inneres; Recurt, Staatsbauten; Lamoriciere, Krieg; Thouret (aus Allier), Handel (?); Bethmont, Justiz; Bastide, Auswärtiges; Changarnier, Obergeneral der Nationalgarde; Verninac, Marine. Die Börse zwar offen, aber keine Geschäfte. ‒ Schluß der Nationalversammlung vom 27. Juni. 1/4 vor 9 Uhr. Der Präsident zeigt den Tod Charbonnels und des Erzbischofs von Paris an. Bürger Sarrans hat das Wort. (Nein, nein!) Mehre Stimmen: Keine Diskussion. (Lärm.) Sarrans: Ich habe die erste Huldigung dem Dienst der Nationalgarde dargebracht und ich habe von ihr die Ehre verlangt, in ihren Reihen zu marschiren. Ich erhebe mich nicht gegen das Prinzip des Dekrets, aber ich glaube, daß man sich hüten muß vor massenhaften Proscriptionen. auch am 13. Nivose hatte man massenhaft geschlagen und man hatte die Republikaner getroffen, während man die Royalisten verschont hatte. (Genügt. Zur Abstimmung!) Sarrans: Die Versammlung will mich nicht hören, ich verzichte auf's Wort. Ein Mitglied hatte das Wort verlangt, es sagt: Zeuge dessen, was so eben unserm Kollegen passirt, verzichte ich auf's Wort. (Bewegung.) Der Präsident: Bürger Sarrans hat das Wort. Sarrans: Ich verzichte darauf. Pierre Leroux. (Zeichen der Spannung.) Seit drei Tagen leben wir in einer Sphäre von Agitationen. Kein Wort von Religion, nichts als Leidenschaften! Als ich mich um die Kandidatur bewarb, glaubte ich nicht, in eine Versammlung einzutreten, die so leidenschaftlich ist, sondern in ein Concil. Eine Stimme: Sprecht nicht von Euch! Eine andere Stimme: Warum nicht? (Agitation.) Pierre Leroux: Nicht so kann eine Versammlung berathschlagen. Die menschliche Seele erträgt solche Aufregungen nicht. Fragt die Aerzte, sie werden euch sagen, daß das unmöglich ist. Es sind hier Prediger des Evangeliums. Warum, sagen sie es nicht? Ist es möglich! Coquerel: Ich verlange das Wort. Pierre Leroux: Ihr wollt überstürzte Revolutionen machen. Ihr studirt die Fragen nicht. (Unterbrechung.) Erlaubt mir, es euch zu sagen, man kann hier nur schwatzen, nicht sprechen, in einer solchen Versammlung, die so wenig Ueberlegung in ihren Berathschlagungen zeigt. (Neuer Skandal.) Verschiedene Stimmen: Zur Ordnung! Der Präsident: Ich kann nicht dulden, daß der Redner die der Versammlung geschuldete Achtung verletzt, ich rufe ihn zur Ordnung. Pierre Leroux: Wenn Ihr dem menschlichen Gewissen nicht erlauben wollt, sich frei auf dieser Tribüne zu äußern, so werde ich gezwungen sein, meine Entlassung zu geben. (Ein Mitglied unterbricht dem Redner so skandalös, daß der Präsident es zur Ordnung ruft.) Kommen wir zur Frage! Es wäre logischer gewesen, daß die Untersuchungskommission vor der Präsentation des Dekrets ihren Bericht eingereicht. Man hat gesprochen von Bonapartisten, von Legitimisten, von vielen andern noch und wir sind verpflichtet zu entscheiden, ohne die Gründe dieser fürchterlichen Insurrektion zu kennen. Aber, sagt man, die Sache drängt. Es sei! Aber bitten wir Gott, in Ermangelung der Logik, uns zu leiten. Wir müssen berathschlagen, ohne die Gründe kennen. Bedenkt es, bedenkt es! Seht, wie verwickelt die Fragen sind. Es handelt sich davon, zu richten, ohne zu urtheilen, zu sprechen, ohne zu wissen; so urtheilen wir wenigstens so mild, so menschlich wie möglich. Ich habe in dem Konferenz-Saal schon Worte eines seinem Volke milden Königs gelesen: Das Evangelium lehrt mich die Milde. Man ruft die Nothwendigkeit an; es bedarf einer Maßregel, welche die Gesellschaft beschützt, aber sie sei ein Heilmittel, kein Gift. Wenn wir auf den Grund der Dinge gehen, können wir nicht läugnen, daß eine Art von Fatalität den menschlichen Geist trübt. Seht Europa. Diese Fatalität drückt auf alle Geister, auf alle Parteien. Die Lösung weiß man voraus, kein Denker, der sie nicht wüßte; seht den Zustand von Deutschland, von England, diese Fatalität existirt überall. Noch einmal, erhebt eure Seelen, Bürger, erheben wir sie dahin, wo auch wir fallen werden wie Sklaven unter dem Joch dieser Fatalität. Seit lange kenne ich die Situation des 24. Februar; man hat sich einer Regierungsform entledigt, die man Monarchie nannte. Ich erinnere nicht an die Korruption dieses Regimes: man fragt sich, wie man in einer solchen Infamie leben konnte. Diese politische Form ist verschwunden. Nun wohl! Sprechen wir offenherzig: die Republik, ist sie dauerhaft, wird sie dauern? Ja, sonst müßte man ins Chaos zurückkehren. (Hier wird der Redner mit solcher Heftigkeit unterbrochen, daß es unmöglich ist, seine Stimme zu vernehmen durch das Messergeklapper auf den Pulten). Präsident. Hört den Redner. Pierre Leroux verläßt die Tribüne und kündet an, daß er Amendements stellen werde. Labordie unterstützt den Dekretentwurf und verlangt den Schluß der allgemeinen Diskussion. Der Schluß wird ausgesprochen. Man geht über zur Diskussion des Artikels 1: „Im Interesse der allgemeinen Sicherheit werden die jetzt verhafteten Individuen, die am Gefecht des 22. Juni und der folgenden Tage Theil genommen haben, in die überseeischen französischen Besitzungen mit Ausnahme deren des Mittelmeeres gesandt werden.“ Caussidière. Ich bin demokratischer und socialistischer Republikaner, unterbrecht mich nicht von vorn herein. Rothe Republik, weiße Republik, Bonapartism, Regentism, mit allem hat man sich beschäftigt, nur nicht mit dem öffentlichen Wohl. Es herrscht ein Schwindel; werden wir fortfahren, uns von ihm hinreißen zu lassen? Nein, Bürger, vergessen wir unsre traurigen Zwiste. Ich hatte einen Bruder zu Lyon, durchbohrt von 34 Bajonnettstichen; kürzlich ist auch mein Vater gestorben, von Verfolgungen und vom Schmerze erschöpft. Machen wir kein Gesetz der Strenge. Ich appelire an Paris, an alle Provinzen, respektiren wir die Gerechtigkeit. Jeder Mann vor diesem Tribunal gestehe, daß auch er Fehler begehen konnte. Unter den Insurgenten gab es viele, die der Schwindel fortgerissen. Eine Stimme. Und die vergifteten Kugeln? (Vereinendes Murren). Caussidière. Man erinnere sich, daß vor vier Monaten das Volk allmächtig war, daß es viel Rache auszuüben hatte, daß es alles in den Sack der Vergessenheit gesteckt und seine grollenden Empfindungen in das Wasser des Styx geschleudert hat. Wandeln wir eben so in den gegenwärtigen Umständen… Heute ist der erste Tag, daß ich wieder aufathme… Eine ganz natürliche Betrachtung drängt sich auf nach einem Siege, der davongetragen in Folge eines Bürgerkrieges, der verursacht wurde durch Unglücksfälle, durch Mißverständnisse (Lärm). Durch Irrthümer. . . . Glaubt nicht, daß alle die, welche die Muskete abgefeuert, Verbrecher waren. Es fand hier Irrthum Statt. Mehre Stimmen. Wie? Ihr nennt den Meuchelmord Irrthum? Caussidière. Der Irrthum fand Statt beim Beginn. Den 25. Februar begründete man die Republik nicht sofort auf ihre wahre Grundlage. Konservirt einen Gefangnen, protegirt sie, wenn ihr die Septembriseurs fürchtet. (Zur Ordnung! Zur Ordnung!) Ihr unterbrecht mich nur mitten in der Phrase, ohne sie mich vollenden zu lassen. Nach der Hitze des Kampfes behauptet die Humanität wieder ihre Rechte. ‒ Ich verlange, daß man der Gerechtigkeit ihren gewöhnlichen Lauf läßt, daß man Kommissionen ernennt, die untersuchen, ob dies oder jenes Individuum hinreichende Ursache giebt, es zu deportiren. ‒ Caussidière wird mit Lärm, Ordnungsruf, Drohungen u. s. w. unterbrochen. Um Mitternacht schließt die Versammlung ihre Sitzung, sie adoptirt fast einstimmig das Dekret der Deportation. Der Präsident findet die Sache so amüsant, daß er von einem Paket von Amendements spricht, die zur Abstimmung vorlägen. Nur zwei oder drei von diesen Amendements sind angenommen worden, eins, welches den Familien erlaubt, auf Regierungskosten ihren deportirten Verwandten zu folgen, ein andres, welches die Angeklagten selbst nach Aufhebung des Belagerungszustandes der Jurisdiktion der Kriegsgerichte anheimstellt. Nachschrift. Um 4 Uhr Nachmittags wird die Sitzung der Nationalversammlung wieder eröffnet. Der Präsident berichtet, daß der Zustand ihres Kollegen Dornés sehr befriedigend ist und verliest hierauf das kurz zuvor beschlossene Dekret in Betreff des Erzbischofs von Paris. Es lautet: „Die Nationalversammlung betrachtet es als ihre Pflicht, für den heilig-heroischen Tod des Erzbischofs von Paris ihre andächtige Erkenntlichkeit und tiefen Schmerz auszusprechen.“ Die Fassung des Dekrets wird einstimmig angenommen. Remilly macht hierauf eine Reihe Vorschläge: 1. Erlassung eines Dekrets gegen geheime Gesellschaften; ein gleiches in Betreff der Klubs; wegen Bau's der Barrikaden; über Affichiren und Kolportiren; über die Polizei der Presse; über Auflösung der National-Werkstätten (eine Stimme: das ist vollbracht); die Nichtbewaffnung der Nationalgarden, welche ihren Dienst nicht verrichten; und endlich 8. wegen sofortiger Errichtung eines Lagers auf dem Marsfelde von Paris. Die Sitzung wird bis um 8 Uhr Abends vertagt. Es heißt, daß Herr Dufaure Präsident der National-Versammlung werden wird. Großbritannien. * London, 27. Juni. Nachdem „The London Telegraph“ in seiner heutigen Nr. Stellen aus der „Post“, dem „Chronicle“, den „Times“ in Betreff der Juni-Revolution zitirt hat: fährt er weiter fort: „Das Alles zeigt so klar, wie nur irgend möglich, daß die Revolution des 24. Februar die unausweichliche Folge von der unter der großen Masse herrschenden Noth und Armuth war; und dergleichen Uebel werden nicht durch Artillerie und Dragoner kurirt. Ja, grade unter einer solchen humanen Kanonen-und Säbel-Verwaltung gedeihen jene Uebel noch viel herrlicher.“ Was wird nun der aufgeklärte Theil des Publikums zur „Times“ sagen, die jene unausbleiblichen Folgen des allbeherrschenden unterdrückerischen Systems von Guizot und Louis Philippe als einen „frischen Beweis von der Natur der demokratischen Gewalt und den Gefahren sozialer Insubordination“ hinstellt! Den Schluß, den die Times ziehen, ist weder für unsere Regierung sehr schmeichelhaft, noch auch für die Freunde des Fortschritts sehr ermunternd. Der Schluß lautet: „Wie volksthümlich eine Regierungsform auch immer sein mag, die Aufrechterhaltung der Ordnung und der Gewalt des Gesetzes beruhen zuletzt doch nur auf einer festen und selbst rücksichtslosen Ausübung militärischer Gewalt.“ Ein hübsches Dilemma für die Sozietät. Die Times bezeichnet Revolution und Insurrektion als die unausbleiblichen Folgen des früheren Systems militärischer Herrschaft, und andererseits „selbst die rücksichtslose Ausübung der Militärgewalt“

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 31. Köln, 1. Juli 1848. Beilage, S. 0153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz031b_1848/1>, abgerufen am 28.03.2024.