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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 129. Köln, 29. Oktober 1848. Zweite Ausgabe.

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Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 129. Köln, Sonntag den 29. Oktober. 1848. Zweite Ausgabe.
Deutschland.
102 Wien, 22. Okt.

Der Eindruck, den das Manifest aus Olmütz auf die Bevölkerung macht, ist nicht der Art, daß dadurch die Wunde geheilt würde, welche die Dynastie sich geschlagen. Die darin ausgesprochene Nothwendigkeit militärischer Maßregeln steht in direktem Gegensatze mit dem Willen der Bevölkerung und des Reichstages, und läßt, da Windischgrätz, Wiens erbittertster Feind, zum Ober-Kommandanten aller die Stadt cernirenden Truppen (etwa 43,000 Mann) ernannt ist, Statt Versöhnung zu bewirken, die Kluft nur größer werden. In dem übrigen Inhalte des Manifestes sieht man nur die gewöhnlichen Redensarten, womit der konstitutionnelle Absolutismus die Bourgeoisie und Dummheit ködert. Unter den "an den Gräueln des Aufstandes nicht betheiligten Staatsbürgern" sind, wie man sich sagt, nur die entflohenen Geldpilse, Aristokraten und Büreaukraten verstanden, eine Ueberzeugung, welche eine wahre Versöhnung nur unmöglicher macht. Dennoch ist dies Manifest nur ein Minimum, welches dem Einflusse Wessenberg's gelungen sein soll, nachdem die den Kaiser umgebenden Militärdespoten ihm unter dem 16. Okt. eins abgedrungen, worin sich die maßloseste Wuth der Camarilla ausspricht, und welches, wie ich höre, unter die Wien belagernden Banditenschaaren vertheilt worden ist. En attendant haben wir zur Züchtigung den vollständigsten Belagerungszustand, wie ihn kein Feind je ausgeübt hat. Mord, Plünderung, Zerstörung, Brand, Unterdrückung aller Posten und Behinderung jeder Zufuhr sind die Koerzitiv-Mittel der Rinaldino's, Diavolo's und Schinderhannese, die uns vor den Thoren blutdurstig umzingeln. Ich sage Ihnen, die Bestien der Wüste sind humane Engel im Vergleich zu diesen, alle Banditenkünste überbietenden k. k. Kriegshenkern. In Auersperg's Lager zu Ingersdorf soll übrigens die Unzufriedenheit der Truppen überhand nehmen, es kommen täglich Deserteure in die Stadt, welche dies berichten. Die deutschen Grenadiere sollen in Folge dessen entwaffnet worden sein, nachdem sie einen Kampf mit dem Regiment Rassau (Polen) bestanden hatten. Ich bin der vollständigsten Ueberzeugung, und diese theile ich nicht allein, daß im Falle eines ernstlichen Verhältnisses mit dem Volke von Wien, ein sehr bedeutender Theil des Militärs zu uns übertreten würde. Dieselbe Besorgniß herrscht auch in den verschiedenen Lagern. Hätten wir Kavallerie, so könnten darum erfolgreiche Ausfälle gemacht werden, von denen das sogen. Proletariat und die akademische Legion kaum länger mehr zurückzuhalten sind. Auch die Ungarn, über deren Ankunft man immer noch nichts Sicheres weiß, sollen Mangel leiden an der Kavallerie. Unterdessen fürchten die Generale nichts so sehr, als die Legion und das bewaffnete Proletariat. Sie scheinen zu ahnden, daß ihre wahre Vernichtung von dorther kommt, weil nur in den Schaaren der akademischen Legion und der Arbeiter eine Freiheit, eine Entschlossenheit, ein verwegener Muth leben, die Armeen besiegen. Darum ist auch ein eigentlicher Friedensschluß mit der Camarilla so lange unmöglich, als die Legion mit dem Proletariat unter den Waffen steht, und diese zu entwaffnen, dürfte selbst mit der List der Bourgeoisie noch schwieriger sein, als der Sieg über das Militär. Wir sind daher, wie Sie sehen, noch lange nicht am Ende des Kampfes. Schon jetzt verweigern die Arbeiter, wie ich Ihnen bereits geschrieben, den Schwur auf das Disziplinargesetz der mobilen Garde, weil darin von konstitutionnellem Thron gesprochen wird. Das Volk sieht immer mehr ein, daß der Reichstag von vornhinein die ganze Sache verpfuscht hat, weil er es am 7. nicht hat fortarbeiten lassen. Nur unsere Bourgeoisblätter sind zu feige und niederträchtig, dies erkennen zu wollen. Während der ersten 8 Tage der Gefahr brachten diese, anfangs fast ganz verschwundenen Blätter neue Aufsätze, die eben so gut in Rußland, China oder Hindostan hätten gedruckt werden können. Die berüchtigsten Redakteure entflohen mit dem Adel und der feigen Geldbourgeoisie von dannen, senden aber jetzt aus ihren sichern Asylen Betheuerungen in ihre Organe, daß sie sich nur aus patriotischen Gründen hinwegbegeben hätten. Eine solche Betheuerung enthält z. B. der gestrige "Freimüthige" über den nach Pesth entflohenen Präsidenten des demokratischen Vereins, und Hauptharangeurs in gefahrlosen Stunden - Taufenau.

Der Verkehr ist in der innern Stadt und auch in den Vorstädten, bis zu den Linien, wo alles kriegerisch dasteht, so ziemlich wieder hergestellt; die Thore sollen wieder geöffnet und die Barrikaden vom Oberkommando nur strategisch, nicht volkswillkürlich erbaut werden.

Wie verlautet, soll in Olmütz auf den Kaiser geschossen, aber nur der Kronprinz Franz Joseph getroffen worden sein. - Wie wenig der Kaiser die politischen Vorgänge in seinem Reiche kapirt, möge Ihnen ein on dit beweisen. Als ihm der Tod seines Freundes Lamberg gemeldet wurde, soll er gefragt haben, warum er denn in das unruhige Land gegangen sei. Er wußte also nicht, daß er ihn selber hingeschickt hatte, weiß vielleicht gar nicht, daß Ungarn ein Theil seines Reiches ist. - Die Fürsten Windischgrätz und Felix Schwarzenberg sind während der Nacht in Klosterneuburg angekommen. - Damit Sie sehen, wie wenig ich mich in meinem Urtheil über die demokratische Presse Wiens irre, sende ich Ihnen ein Pröbchen, welches uns heute der Redakteur des "Freimüthigen" liefert. Jellachich hat ihn erkauft. Tuvora befindet sich in Jellachich's Lager und wird ihm alle diejenigen Journalisten bezeichnen, welche gemordet werden müssen.

Erklärung von Josef Tuvora.

Die Ereignisse, welche in Wien stattfanden und deren Gipfelpunkt noch immer nicht erreicht zu sein scheint, veranlassen mich, feierlich Verwahrung gegen jede mir irgendwie zugemuthete Theilnahme an selben einzulegen. Wohl weiß ich, daß mein Name öfter in Verbindung mit der demokratischen Partei genannt wurde; allein der öffentlichen Meinung von Wien ist es auch bekannt, daß ich mich seit mehr als vier Monaten ziemlich auffallend, seit sechs Wochen aber ganz und gar von dem ins Bodenlose ausgearteten Treiben dieser Partei zurückgezogen habe, Am allerwenigsten konnte ich es daher über mich gewinnen, die ritterliche und glänzende Erscheinung des Banus Jellachich anzugreifen; mit Hochachtung und gerechtem Staunen folgte ich den Schritten dieses Mannes, der so plötzlich der Vertrauensmann von Millionen geworden war. Das plump ausgeheckte Märchen, er sei der Träger einer furchtbaren antikonstitutionellen Reaktion, konnte bei mir, der ich die Triebfeder des Wiener Radikalismus genau kannte, am wenigsten Glauben finden. Und so beschloß ich denn bei mir treu und fest, mich an die große, von ihm vertretene Partei anzuschließen und niemals und unter keiner Bedingung vor ihr zu lassen. Ich thue diesen Schritt nicht ohne große Opfer, nicht zurückschreckend vor dem Verluste einer angenehmen materiellen Existenz. Allein ich thue es um der guten und gerechten Sache, um der heiligen Interessen der Ordnung, der wahren Freiheit, des Menschenrechtes und der Menschenwürde willen, die an jenen Männern schändlich mit Füßen getreten wurde. Es sei mir nun noch verstattet, einige Betrachtungen über den jetzigen Stand der Dinge zu machen. Der Streich, welchen die radikale Partei führte, war ein Verzweifelungsstreich; sie wird ihn schwer und bitter büßen. Wollte sie das Feuer der einigen deutschen Republik in Wien entzünden, so dürfte sie sich arg verrechnet haben, weil die Völker Deutschlands besonnen sind, weil sie die ruhige und geregelte Entfaltung ihrer Zustände dem wirren, licht-und planlosen Treiben der Anarchie vorziehen. Der edle Deutsche kann keines Mannes, keiner Partei Freund sein, die frevelnd ihre Hände in Blut taucht und mit der gräßlichen Brandfackel des Bürgerkrieges ihre Tendenzen illustrirt. Andererseits ward durch die Schauderthaten des unvergeßlichen 6. October selbst den besonnenen Republikanern ein sehr schlechter Dienst erwiesen. Welche Macht immer in Deutschland gebiete, niemals und unter keiner Bedingung kann es ihr gleichgiltig sein, daß durch das Schwert der Gewalt-und Blutthat der Verbindung, wodurch die zahlreichen osteuropäischen Volksstämme mit den Interessen des westlichen Europas zusammenhängen, zerrissen werde - und das geschah, das thaten dieselben Männer, welche sich als Männer, welche sich als Vertreter des reinen Deutschlands gerirten! Glauben sie vielleicht, der Gesammtmonarchie durch ihr schnödes, die Freiheit der Regierung und des Reichstages untergrabendes Benehmen zu imponieren? Glaubten sie 38 Millionen Menschen durch ihr sie volo. sic jubeo zu bestimmen? Meint die Aula, die Diktatur an sich reißen zu können, und fürchtet sie nicht, erdrückt zu werden von dem gewaltigen Rückschläge, der naturnothwendig in den Provinzen erfolgen mußte? Ist es gedenkbar, daß Böhmen, Tirol, Steiermark, Illyrien, Mähren, Galizien, je von den Wiener Terroristen sich einschüchtern und knechten lassen werden? Nimmermehr!

Der 6. October hat also nicht die friedliche Entwickelung irgend eines Problems angebahnt; sein blutiges Morgenroth wird nicht durch den Schimmer einer Idee verklärt; es ist ein reiches Machwerk, eine durch ungarisch-italienisches Geld angezettelte Intrigue, eine plumpe Falle, welche gewissenlose Verschwörer dem leichtsinnigen, leichtgläubigen Volke legten, um es gleichfalls zu Verbrechen zu bilden und den politischen Selbstmord der Stadt Wien zu bewirken. Ja, Wien hat dem magyarischen Gauner Kossuth zu Gefallen Hand an sich selbst, an seine Größr, an seine Würde und Bestimmungen gelegt. Wenn irgend ein Mensch irgend eine Partei, irgend eine Nation sich über die ungarische Politik des gefallenen Ministeriums zu beklagen hatte, so war sicherlich Wien nicht in diesem Falle. Damit das Magyarenthum seine bevorzugte Stellung im Osten ausschließend ausbeute, damit er den Verband mit der Gesammtmonarchie, folglich auch deren Kraft und Bestand beharrlich negiren, damit es nächstens durch Zollschranken sich absondern könne, um sich auf eigenem Boden eine selbstständige Industrie zu schaffen, damit es fortwährend seinen plumpen Tyrannenfuß auf den Nacken harmloser Nationen setzen könne: deshalb mußte Wien in eine Stätte blutigen Gräuels u. der Verwüstung verwandelt werden. Welche Verblendung, welche politische Unreife! Und eine Bevölkerung, die solchem Wahnsinne sich hingeben konnte, ward von ihren Schmeichlern für mündig, für politisch gereift und gebildet, zur Demokratie im vollsten Umfange des Wortes befähigt erklärt. Demokratie ist Selbstbeherrschung des Volkes. Selbstbeherrschung ist aber in allen Fällen eine schwierige Kunst und kann bloß in der Schule ernster Erfahrungen erlernt werden. Von dieser Erkenntniß geleitet, erklärte ich mich in dem letzten Artikel, welchen ich vor mehreren Wochen für ein Wiener Blatt geschrieben, nicht für sofortige unbedingte Demokratie, sondern für die demokratische Heranbildung der österreichischen Völker. Habe ich früher in Diesem oder Jenem geirrt, so freue ich mich jetzt des reinen Bewußtseins, zu den letzten furchtbaren Ereignissen nicht nur nichts beigetragen, sondern selbst abwehrend gewirkt zu haben, bis der Strom des Unheils die Ufer überstieg und die Worte des Dichters abermals zur Wahrheit machte:

"Das ist der Fluch der bösen That,

Daß sie fortzeugend Böses muß gebären!:"

B ... am 11. Oktober 1848.

J. Tuvora.

- Reichstagssitzung. Eröffnung 11 3/4 Uhr.

Präsident Smolka zeigt an, er habe eine Zuschrift von der Reichskommission erhalten, worin dieselbe mittheilt, daß sie auf dem Wege nach Wien bei Behörden und sonst über die Vorgänge vom 6. und 7. Okt. Erkundigungen eingezogen und sich in Folge dessen nach Ollmütz zum Hoflager begeben habe. (Allgemeines, entrüstetes Erstaunen.) Bis zu ihrer Rückkehr möge der Reichstag jedes Zusammentreffen mit der bewaffneten Macht zu vermeiden suchen. Kreins (also ganz nahe bei Wien), 21. Okt. 1848. Eine ähnliche Zuschrift sei dem Finanzminister zugekommen und dem Druck bereits übergeben worden.

Umlauft beantragt, das Präsidium möge an die Kommission ein Schreiben richten, worin gesagt werde, daß ihre bei Wiener Flüchtlingen eingezogenen Nachrichten über die Lage der Hauptstadt von dem Reichstage nicht als anthentisch betrachtet, von ihm daher auch nicht anerkannt werden könnten, so lange die Reichskommissarien sich nicht in der Hauptstadt selbst persönlich davon überzeugt hätten.

Präsident verliest eine Adresse der Bürger-Nationalgarden und Studenten von Grätz, worin dieselben verlangen, daß für die Deserteure aus Steiermark sofort eine Neuwahl ausgeschrieben werde.

Schriftführer Kavelkabo verliest die seit dem 6. Okt. eingelaufenen Eingaben.

Gscheize: Ich bin mit Umlaufts Antrag einverstanden, bin jedoch der Ansicht, daß man nur einen der Kommissäre hierher verlange und den andern in Ollmütz lasse. So wird sich die Sache rascher beenden lassen,

Schuselka: Ich gebe zu, daß Umlaufts Gründe stichhaltig sind, allein es ist der Würde des Reichstags nicht angemessen, eine warnende Stimme an diese Kommission ergehen zu lassen. Wir müssen es vielmehr diesen Kommissarien selbst überlassen, ob sie sich mit Nachrichten auf ihrer Mission begnügen wollen, die sie beim Pferdewechsel über uns eingesammelt haben. Ich bin Mitglied des Frankfurter Parlaments gewesen und weiß, wie es damit steht; ich muß das Benehmen seiner Abgesandten uns gegenüber unbegreiflich, würdelos nennen. (Allseitiges Bravo).

Einer: Zur Tagesordnung!

Präsident: Wird der Ruf zur Tagesordnung angenommen? (Alle Abgeordnete ohne Ausnahme erheben sich unter allgemeinem Beifallruf). Die Frankfurter Impertinenz wird Augen machen, daß man über sie zur Tagesordnung übergeht. Ich hätte vor Freude mich augenblicklich mit dem Reichstage aussöhnen mögen.

Schuselka als Berichterstatter des permanenten Ausschusses: Seit gestern ist im permanenten Ausschusse nur wenig vorgekommen. Die Ereignisse werden jetzt an andern Orten und von andern Männern geleitet. Aus Bielietz sind uns 200 Fl. zugekommen. Das Schicksal der Bilitzer (Schlesien) Garden wird in dem Folgenden dargestellt und verdient bekannt zu werden.

Von den Bielitzer Garden in Wien.

Die Militäroperationen gegen Wien haben die schon längst auf einen günstigen Moment wartenden, wahrhaft deutschgesinnten Bewohner der Provinz Schlesien aufgeboten, um die schroffe Wand zu vernichten, die das Militär, eingehend in die Idee einer rachgierigen alle Freiheit vernichtenden Partei - aufführen will.

Frei und unaufgefordert entschlossen sich demnach die biedern Nationalgarden von Bielitz, der äußersten Gränzstadt Deutschlands, tief durchdrungen von Freiheit und rein demokratischem Sinne, ihren eigenen Heerd zu verlassen, und zur Konstatirung der Errungenschaften von März und Mai ihr Blut und Leben hinzugeben. Schön und rühmlich war das Vorhaben, schmählich und entwürdigend das Resultat.

Angekommen im Bahnhofe zu Prerau zwang das Militär die blos mit Untergewehr versehenen Garden zum Aussteigen und Ablegen der obbenannten Waffen. Einsehend, daß Gewalt gegen Uebermacht und Rohheit nur die schlimmsten Folgen nach sich ziehen und doch nicht zum Zwecke führen würde, Überdies bauend auf den Rechtssinn der Offiziere vom Regiment Emil, unterzogen sich selbe dem Befehl und sahen voll Befremden in das wilde Treiben der kampfgierigen Massen.

Doch kaum hatten die Offiziere durch Abnahme der Waffen freien Spielraum, als der dort garnisonirende Major die gemeinsten Ausdrücke gebrauchte, die Garden hergelaufenes Gesindel schalt und seinen Gemeinheiten durch Feuern in die Garden Kraft verleihen wollte.

Ja noch mehr; selbst die persönliche Freiheit jedes Einzelnen der Garden war in Zweifel gesetzt, als Einer das Wort nahm und den Major ersuchte, unbewaffnete Alle fortziehen zu lassen. Der Major verweigerte es mit den Worten: "In einem so wichtigen Moment, wie der jetzige, muß er selbst die persönliche Freiheit Aller angreifen."

Obwohl zurückgehalten wagten es von 200 doch 15, worunter ein Garde aus Bialar, Namens Broudnoik und drei Akademiker verkleidet als Maschinenbauer, Kondukteure, Ofenheizer etc. die Reise zu unternehen, um wenigstens die Kunde treu und wahr den wackern Wienern zu überbringen, und ihre schwachen Kräfte eifrig dem Dienste für die Freiheit zu widmen.

Aus Linz sind 120 junge Männer angekommen. Sie fuhren mit dem Dampfboote, mußten dasselbe aber schon in Mölk verlassen, weil man ihnen gesteckt hatte, daß Befehl gegeben sei, das Boot bei seiner Vorbeifahrt an Krems in den Grund zu schießen. (Zischen). Die jungen bewaffneten Kämpfer haben sich darauf zu Fuß von Mölk bis Wien über Gebirge und unwegsames Land, nicht ohne Gefahr, von dem Militär betroffen zu werden, durchgearbeitet. (Bravo.) Es haben sich Gerüchte verbreitet, als sei Minister Hornbostel gefangen auf den Spielberg abgeführt worden; diese Gerüchte sind einem Briefe zufolge, den ich von Hornbostel selbst erhalten habe, unwahr. Er befindet sich zurückgezogen in Oberöstreich. - Das Comite zur Unterstützung armer Gewerbtreibender hat, wie es hieß, seine Thätigkeit nicht eingestellt, sondern ist jetzt thätiger als jemals.

Es werden eine große Menge anonymer Zuschriften an den Reichstag, an den Ausschuß und an einzelne Mitglieder eingeschickt, welche die entsetzlichsten Drohungen enthalten, die mit der Freiheit im grellsten Widerspruch stehen. Wir erklären offen, daß wir diese Zuschriften nicht berücksichtigen, dem Reichstage also auch nicht verlesen können. (halblautes, verzagtes Bravo). Der größere Theil dieser Drohbriefe beschäftigt sich mit der ungarischen Frage; man macht uns Vorwürfe, daß wir die Ungarn nicht zu Hülfe gerufen haben. - Wir mußten uns indessen auf dem gesetzlichen Boden halten und durften mit dem Kaiser keinen Krieg beginnen. Unsere That würde gewiß nicht zum Ruhm und Heile Wiens ausgefallen sein. Es ist zu bedauren, daß ein großer Theil (also doch!) der Bevölkerung nur den nächsten Augenblick im Auge hat. Durch ein plötzliches Luftmachen hätten wir wohl für Stunden und Tage die Wiederherstellung der gesetzlichen Freiheit errungen, aber nicht für Dauer. Das wichtigste Ereigniß der Nacht ist folgendes. Eine Deputation des Gemeinderaths ist im Ausschusse erschienen und erklärte, daß ihre an den Kaiser abgeschickte Deputation nicht vorgelassen, sondern an den Minister Wessenberg gewiesen worden sei. (Zischen.)

Mitbürger!

Die vom Gemeinderathe der Stadt Wien an Se. Majestät abgesandte Deputation ist gestern Abends um 8 Uhr ohne in einer Audienz empfangen worden zu sein, mit folgendem schriftlich mitgebrachten Bescheide zurückgekehrt:

Die Adresse des löblichen Gemeinderathes der Stadt Wien ist Ihrer Majestät vorgelegt worden, da sie aber Bitten enthält, in welche Allerhöchst Dieselben unter gegenwärtigen Umständen nicht eingehen kann, so habe ich

Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 129. Köln, Sonntag den 29. Oktober. 1848. Zweite Ausgabe.
Deutschland.
102 Wien, 22. Okt.

Der Eindruck, den das Manifest aus Olmütz auf die Bevölkerung macht, ist nicht der Art, daß dadurch die Wunde geheilt würde, welche die Dynastie sich geschlagen. Die darin ausgesprochene Nothwendigkeit militärischer Maßregeln steht in direktem Gegensatze mit dem Willen der Bevölkerung und des Reichstages, und läßt, da Windischgrätz, Wiens erbittertster Feind, zum Ober-Kommandanten aller die Stadt cernirenden Truppen (etwa 43,000 Mann) ernannt ist, Statt Versöhnung zu bewirken, die Kluft nur größer werden. In dem übrigen Inhalte des Manifestes sieht man nur die gewöhnlichen Redensarten, womit der konstitutionnelle Absolutismus die Bourgeoisie und Dummheit ködert. Unter den „an den Gräueln des Aufstandes nicht betheiligten Staatsbürgern“ sind, wie man sich sagt, nur die entflohenen Geldpilse, Aristokraten und Büreaukraten verstanden, eine Ueberzeugung, welche eine wahre Versöhnung nur unmöglicher macht. Dennoch ist dies Manifest nur ein Minimum, welches dem Einflusse Wessenberg's gelungen sein soll, nachdem die den Kaiser umgebenden Militärdespoten ihm unter dem 16. Okt. eins abgedrungen, worin sich die maßloseste Wuth der Camarilla ausspricht, und welches, wie ich höre, unter die Wien belagernden Banditenschaaren vertheilt worden ist. En attendant haben wir zur Züchtigung den vollständigsten Belagerungszustand, wie ihn kein Feind je ausgeübt hat. Mord, Plünderung, Zerstörung, Brand, Unterdrückung aller Posten und Behinderung jeder Zufuhr sind die Koerzitiv-Mittel der Rinaldino's, Diavolo's und Schinderhannese, die uns vor den Thoren blutdurstig umzingeln. Ich sage Ihnen, die Bestien der Wüste sind humane Engel im Vergleich zu diesen, alle Banditenkünste überbietenden k. k. Kriegshenkern. In Auersperg's Lager zu Ingersdorf soll übrigens die Unzufriedenheit der Truppen überhand nehmen, es kommen täglich Deserteure in die Stadt, welche dies berichten. Die deutschen Grenadiere sollen in Folge dessen entwaffnet worden sein, nachdem sie einen Kampf mit dem Regiment Rassau (Polen) bestanden hatten. Ich bin der vollständigsten Ueberzeugung, und diese theile ich nicht allein, daß im Falle eines ernstlichen Verhältnisses mit dem Volke von Wien, ein sehr bedeutender Theil des Militärs zu uns übertreten würde. Dieselbe Besorgniß herrscht auch in den verschiedenen Lagern. Hätten wir Kavallerie, so könnten darum erfolgreiche Ausfälle gemacht werden, von denen das sogen. Proletariat und die akademische Legion kaum länger mehr zurückzuhalten sind. Auch die Ungarn, über deren Ankunft man immer noch nichts Sicheres weiß, sollen Mangel leiden an der Kavallerie. Unterdessen fürchten die Generale nichts so sehr, als die Legion und das bewaffnete Proletariat. Sie scheinen zu ahnden, daß ihre wahre Vernichtung von dorther kommt, weil nur in den Schaaren der akademischen Legion und der Arbeiter eine Freiheit, eine Entschlossenheit, ein verwegener Muth leben, die Armeen besiegen. Darum ist auch ein eigentlicher Friedensschluß mit der Camarilla so lange unmöglich, als die Legion mit dem Proletariat unter den Waffen steht, und diese zu entwaffnen, dürfte selbst mit der List der Bourgeoisie noch schwieriger sein, als der Sieg über das Militär. Wir sind daher, wie Sie sehen, noch lange nicht am Ende des Kampfes. Schon jetzt verweigern die Arbeiter, wie ich Ihnen bereits geschrieben, den Schwur auf das Disziplinargesetz der mobilen Garde, weil darin von konstitutionnellem Thron gesprochen wird. Das Volk sieht immer mehr ein, daß der Reichstag von vornhinein die ganze Sache verpfuscht hat, weil er es am 7. nicht hat fortarbeiten lassen. Nur unsere Bourgeoisblätter sind zu feige und niederträchtig, dies erkennen zu wollen. Während der ersten 8 Tage der Gefahr brachten diese, anfangs fast ganz verschwundenen Blätter neue Aufsätze, die eben so gut in Rußland, China oder Hindostan hätten gedruckt werden können. Die berüchtigsten Redakteure entflohen mit dem Adel und der feigen Geldbourgeoisie von dannen, senden aber jetzt aus ihren sichern Asylen Betheuerungen in ihre Organe, daß sie sich nur aus patriotischen Gründen hinwegbegeben hätten. Eine solche Betheuerung enthält z. B. der gestrige „Freimüthige“ über den nach Pesth entflohenen Präsidenten des demokratischen Vereins, und Hauptharangeurs in gefahrlosen Stunden ‒ Taufenau.

Der Verkehr ist in der innern Stadt und auch in den Vorstädten, bis zu den Linien, wo alles kriegerisch dasteht, so ziemlich wieder hergestellt; die Thore sollen wieder geöffnet und die Barrikaden vom Oberkommando nur strategisch, nicht volkswillkürlich erbaut werden.

Wie verlautet, soll in Olmütz auf den Kaiser geschossen, aber nur der Kronprinz Franz Joseph getroffen worden sein. ‒ Wie wenig der Kaiser die politischen Vorgänge in seinem Reiche kapirt, möge Ihnen ein on dit beweisen. Als ihm der Tod seines Freundes Lamberg gemeldet wurde, soll er gefragt haben, warum er denn in das unruhige Land gegangen sei. Er wußte also nicht, daß er ihn selber hingeschickt hatte, weiß vielleicht gar nicht, daß Ungarn ein Theil seines Reiches ist. ‒ Die Fürsten Windischgrätz und Felix Schwarzenberg sind während der Nacht in Klosterneuburg angekommen. ‒ Damit Sie sehen, wie wenig ich mich in meinem Urtheil über die demokratische Presse Wiens irre, sende ich Ihnen ein Pröbchen, welches uns heute der Redakteur des „Freimüthigen“ liefert. Jellachich hat ihn erkauft. Tuvora befindet sich in Jellachich's Lager und wird ihm alle diejenigen Journalisten bezeichnen, welche gemordet werden müssen.

Erklärung von Josef Tuvora.

Die Ereignisse, welche in Wien stattfanden und deren Gipfelpunkt noch immer nicht erreicht zu sein scheint, veranlassen mich, feierlich Verwahrung gegen jede mir irgendwie zugemuthete Theilnahme an selben einzulegen. Wohl weiß ich, daß mein Name öfter in Verbindung mit der demokratischen Partei genannt wurde; allein der öffentlichen Meinung von Wien ist es auch bekannt, daß ich mich seit mehr als vier Monaten ziemlich auffallend, seit sechs Wochen aber ganz und gar von dem ins Bodenlose ausgearteten Treiben dieser Partei zurückgezogen habe, Am allerwenigsten konnte ich es daher über mich gewinnen, die ritterliche und glänzende Erscheinung des Banus Jellachich anzugreifen; mit Hochachtung und gerechtem Staunen folgte ich den Schritten dieses Mannes, der so plötzlich der Vertrauensmann von Millionen geworden war. Das plump ausgeheckte Märchen, er sei der Träger einer furchtbaren antikonstitutionellen Reaktion, konnte bei mir, der ich die Triebfeder des Wiener Radikalismus genau kannte, am wenigsten Glauben finden. Und so beschloß ich denn bei mir treu und fest, mich an die große, von ihm vertretene Partei anzuschließen und niemals und unter keiner Bedingung vor ihr zu lassen. Ich thue diesen Schritt nicht ohne große Opfer, nicht zurückschreckend vor dem Verluste einer angenehmen materiellen Existenz. Allein ich thue es um der guten und gerechten Sache, um der heiligen Interessen der Ordnung, der wahren Freiheit, des Menschenrechtes und der Menschenwürde willen, die an jenen Männern schändlich mit Füßen getreten wurde. Es sei mir nun noch verstattet, einige Betrachtungen über den jetzigen Stand der Dinge zu machen. Der Streich, welchen die radikale Partei führte, war ein Verzweifelungsstreich; sie wird ihn schwer und bitter büßen. Wollte sie das Feuer der einigen deutschen Republik in Wien entzünden, so dürfte sie sich arg verrechnet haben, weil die Völker Deutschlands besonnen sind, weil sie die ruhige und geregelte Entfaltung ihrer Zustände dem wirren, licht-und planlosen Treiben der Anarchie vorziehen. Der edle Deutsche kann keines Mannes, keiner Partei Freund sein, die frevelnd ihre Hände in Blut taucht und mit der gräßlichen Brandfackel des Bürgerkrieges ihre Tendenzen illustrirt. Andererseits ward durch die Schauderthaten des unvergeßlichen 6. October selbst den besonnenen Republikanern ein sehr schlechter Dienst erwiesen. Welche Macht immer in Deutschland gebiete, niemals und unter keiner Bedingung kann es ihr gleichgiltig sein, daß durch das Schwert der Gewalt-und Blutthat der Verbindung, wodurch die zahlreichen osteuropäischen Volksstämme mit den Interessen des westlichen Europas zusammenhängen, zerrissen werde ‒ und das geschah, das thaten dieselben Männer, welche sich als Männer, welche sich als Vertreter des reinen Deutschlands gerirten! Glauben sie vielleicht, der Gesammtmonarchie durch ihr schnödes, die Freiheit der Regierung und des Reichstages untergrabendes Benehmen zu imponieren? Glaubten sie 38 Millionen Menschen durch ihr sie volo. sic jubeo zu bestimmen? Meint die Aula, die Diktatur an sich reißen zu können, und fürchtet sie nicht, erdrückt zu werden von dem gewaltigen Rückschläge, der naturnothwendig in den Provinzen erfolgen mußte? Ist es gedenkbar, daß Böhmen, Tirol, Steiermark, Illyrien, Mähren, Galizien, je von den Wiener Terroristen sich einschüchtern und knechten lassen werden? Nimmermehr!

Der 6. October hat also nicht die friedliche Entwickelung irgend eines Problems angebahnt; sein blutiges Morgenroth wird nicht durch den Schimmer einer Idee verklärt; es ist ein reiches Machwerk, eine durch ungarisch-italienisches Geld angezettelte Intrigue, eine plumpe Falle, welche gewissenlose Verschwörer dem leichtsinnigen, leichtgläubigen Volke legten, um es gleichfalls zu Verbrechen zu bilden und den politischen Selbstmord der Stadt Wien zu bewirken. Ja, Wien hat dem magyarischen Gauner Kossuth zu Gefallen Hand an sich selbst, an seine Größr, an seine Würde und Bestimmungen gelegt. Wenn irgend ein Mensch irgend eine Partei, irgend eine Nation sich über die ungarische Politik des gefallenen Ministeriums zu beklagen hatte, so war sicherlich Wien nicht in diesem Falle. Damit das Magyarenthum seine bevorzugte Stellung im Osten ausschließend ausbeute, damit er den Verband mit der Gesammtmonarchie, folglich auch deren Kraft und Bestand beharrlich negiren, damit es nächstens durch Zollschranken sich absondern könne, um sich auf eigenem Boden eine selbstständige Industrie zu schaffen, damit es fortwährend seinen plumpen Tyrannenfuß auf den Nacken harmloser Nationen setzen könne: deshalb mußte Wien in eine Stätte blutigen Gräuels u. der Verwüstung verwandelt werden. Welche Verblendung, welche politische Unreife! Und eine Bevölkerung, die solchem Wahnsinne sich hingeben konnte, ward von ihren Schmeichlern für mündig, für politisch gereift und gebildet, zur Demokratie im vollsten Umfange des Wortes befähigt erklärt. Demokratie ist Selbstbeherrschung des Volkes. Selbstbeherrschung ist aber in allen Fällen eine schwierige Kunst und kann bloß in der Schule ernster Erfahrungen erlernt werden. Von dieser Erkenntniß geleitet, erklärte ich mich in dem letzten Artikel, welchen ich vor mehreren Wochen für ein Wiener Blatt geschrieben, nicht für sofortige unbedingte Demokratie, sondern für die demokratische Heranbildung der österreichischen Völker. Habe ich früher in Diesem oder Jenem geirrt, so freue ich mich jetzt des reinen Bewußtseins, zu den letzten furchtbaren Ereignissen nicht nur nichts beigetragen, sondern selbst abwehrend gewirkt zu haben, bis der Strom des Unheils die Ufer überstieg und die Worte des Dichters abermals zur Wahrheit machte:

„Das ist der Fluch der bösen That,

Daß sie fortzeugend Böses muß gebären!:“

B … am 11. Oktober 1848.

J. Tuvora.

Reichstagssitzung. Eröffnung 11 3/4 Uhr.

Präsident Smolka zeigt an, er habe eine Zuschrift von der Reichskommission erhalten, worin dieselbe mittheilt, daß sie auf dem Wege nach Wien bei Behörden und sonst über die Vorgänge vom 6. und 7. Okt. Erkundigungen eingezogen und sich in Folge dessen nach Ollmütz zum Hoflager begeben habe. (Allgemeines, entrüstetes Erstaunen.) Bis zu ihrer Rückkehr möge der Reichstag jedes Zusammentreffen mit der bewaffneten Macht zu vermeiden suchen. Kreins (also ganz nahe bei Wien), 21. Okt. 1848. Eine ähnliche Zuschrift sei dem Finanzminister zugekommen und dem Druck bereits übergeben worden.

Umlauft beantragt, das Präsidium möge an die Kommission ein Schreiben richten, worin gesagt werde, daß ihre bei Wiener Flüchtlingen eingezogenen Nachrichten über die Lage der Hauptstadt von dem Reichstage nicht als anthentisch betrachtet, von ihm daher auch nicht anerkannt werden könnten, so lange die Reichskommissarien sich nicht in der Hauptstadt selbst persönlich davon überzeugt hätten.

Präsident verliest eine Adresse der Bürger-Nationalgarden und Studenten von Grätz, worin dieselben verlangen, daß für die Deserteure aus Steiermark sofort eine Neuwahl ausgeschrieben werde.

Schriftführer Kavelkabo verliest die seit dem 6. Okt. eingelaufenen Eingaben.

Gscheize: Ich bin mit Umlaufts Antrag einverstanden, bin jedoch der Ansicht, daß man nur einen der Kommissäre hierher verlange und den andern in Ollmütz lasse. So wird sich die Sache rascher beenden lassen,

Schuselka: Ich gebe zu, daß Umlaufts Gründe stichhaltig sind, allein es ist der Würde des Reichstags nicht angemessen, eine warnende Stimme an diese Kommission ergehen zu lassen. Wir müssen es vielmehr diesen Kommissarien selbst überlassen, ob sie sich mit Nachrichten auf ihrer Mission begnügen wollen, die sie beim Pferdewechsel über uns eingesammelt haben. Ich bin Mitglied des Frankfurter Parlaments gewesen und weiß, wie es damit steht; ich muß das Benehmen seiner Abgesandten uns gegenüber unbegreiflich, würdelos nennen. (Allseitiges Bravo).

Einer: Zur Tagesordnung!

Präsident: Wird der Ruf zur Tagesordnung angenommen? (Alle Abgeordnete ohne Ausnahme erheben sich unter allgemeinem Beifallruf). Die Frankfurter Impertinenz wird Augen machen, daß man über sie zur Tagesordnung übergeht. Ich hätte vor Freude mich augenblicklich mit dem Reichstage aussöhnen mögen.

Schuselka als Berichterstatter des permanenten Ausschusses: Seit gestern ist im permanenten Ausschusse nur wenig vorgekommen. Die Ereignisse werden jetzt an andern Orten und von andern Männern geleitet. Aus Bielietz sind uns 200 Fl. zugekommen. Das Schicksal der Bilitzer (Schlesien) Garden wird in dem Folgenden dargestellt und verdient bekannt zu werden.

Von den Bielitzer Garden in Wien.

Die Militäroperationen gegen Wien haben die schon längst auf einen günstigen Moment wartenden, wahrhaft deutschgesinnten Bewohner der Provinz Schlesien aufgeboten, um die schroffe Wand zu vernichten, die das Militär, eingehend in die Idee einer rachgierigen alle Freiheit vernichtenden Partei ‒ aufführen will.

Frei und unaufgefordert entschlossen sich demnach die biedern Nationalgarden von Bielitz, der äußersten Gränzstadt Deutschlands, tief durchdrungen von Freiheit und rein demokratischem Sinne, ihren eigenen Heerd zu verlassen, und zur Konstatirung der Errungenschaften von März und Mai ihr Blut und Leben hinzugeben. Schön und rühmlich war das Vorhaben, schmählich und entwürdigend das Resultat.

Angekommen im Bahnhofe zu Prerau zwang das Militär die blos mit Untergewehr versehenen Garden zum Aussteigen und Ablegen der obbenannten Waffen. Einsehend, daß Gewalt gegen Uebermacht und Rohheit nur die schlimmsten Folgen nach sich ziehen und doch nicht zum Zwecke führen würde, Überdies bauend auf den Rechtssinn der Offiziere vom Regiment Emil, unterzogen sich selbe dem Befehl und sahen voll Befremden in das wilde Treiben der kampfgierigen Massen.

Doch kaum hatten die Offiziere durch Abnahme der Waffen freien Spielraum, als der dort garnisonirende Major die gemeinsten Ausdrücke gebrauchte, die Garden hergelaufenes Gesindel schalt und seinen Gemeinheiten durch Feuern in die Garden Kraft verleihen wollte.

Ja noch mehr; selbst die persönliche Freiheit jedes Einzelnen der Garden war in Zweifel gesetzt, als Einer das Wort nahm und den Major ersuchte, unbewaffnete Alle fortziehen zu lassen. Der Major verweigerte es mit den Worten: „In einem so wichtigen Moment, wie der jetzige, muß er selbst die persönliche Freiheit Aller angreifen.“

Obwohl zurückgehalten wagten es von 200 doch 15, worunter ein Garde aus Bialar, Namens Broudnoik und drei Akademiker verkleidet als Maschinenbauer, Kondukteure, Ofenheizer etc. die Reise zu unternehen, um wenigstens die Kunde treu und wahr den wackern Wienern zu überbringen, und ihre schwachen Kräfte eifrig dem Dienste für die Freiheit zu widmen.

Aus Linz sind 120 junge Männer angekommen. Sie fuhren mit dem Dampfboote, mußten dasselbe aber schon in Mölk verlassen, weil man ihnen gesteckt hatte, daß Befehl gegeben sei, das Boot bei seiner Vorbeifahrt an Krems in den Grund zu schießen. (Zischen). Die jungen bewaffneten Kämpfer haben sich darauf zu Fuß von Mölk bis Wien über Gebirge und unwegsames Land, nicht ohne Gefahr, von dem Militär betroffen zu werden, durchgearbeitet. (Bravo.) Es haben sich Gerüchte verbreitet, als sei Minister Hornbostel gefangen auf den Spielberg abgeführt worden; diese Gerüchte sind einem Briefe zufolge, den ich von Hornbostel selbst erhalten habe, unwahr. Er befindet sich zurückgezogen in Oberöstreich. ‒ Das Comite zur Unterstützung armer Gewerbtreibender hat, wie es hieß, seine Thätigkeit nicht eingestellt, sondern ist jetzt thätiger als jemals.

Es werden eine große Menge anonymer Zuschriften an den Reichstag, an den Ausschuß und an einzelne Mitglieder eingeschickt, welche die entsetzlichsten Drohungen enthalten, die mit der Freiheit im grellsten Widerspruch stehen. Wir erklären offen, daß wir diese Zuschriften nicht berücksichtigen, dem Reichstage also auch nicht verlesen können. (halblautes, verzagtes Bravo). Der größere Theil dieser Drohbriefe beschäftigt sich mit der ungarischen Frage; man macht uns Vorwürfe, daß wir die Ungarn nicht zu Hülfe gerufen haben. ‒ Wir mußten uns indessen auf dem gesetzlichen Boden halten und durften mit dem Kaiser keinen Krieg beginnen. Unsere That würde gewiß nicht zum Ruhm und Heile Wiens ausgefallen sein. Es ist zu bedauren, daß ein großer Theil (also doch!) der Bevölkerung nur den nächsten Augenblick im Auge hat. Durch ein plötzliches Luftmachen hätten wir wohl für Stunden und Tage die Wiederherstellung der gesetzlichen Freiheit errungen, aber nicht für Dauer. Das wichtigste Ereigniß der Nacht ist folgendes. Eine Deputation des Gemeinderaths ist im Ausschusse erschienen und erklärte, daß ihre an den Kaiser abgeschickte Deputation nicht vorgelassen, sondern an den Minister Wessenberg gewiesen worden sei. (Zischen.)

Mitbürger!

Die vom Gemeinderathe der Stadt Wien an Se. Majestät abgesandte Deputation ist gestern Abends um 8 Uhr ohne in einer Audienz empfangen worden zu sein, mit folgendem schriftlich mitgebrachten Bescheide zurückgekehrt:

Die Adresse des löblichen Gemeinderathes der Stadt Wien ist Ihrer Majestät vorgelegt worden, da sie aber Bitten enthält, in welche Allerhöchst Dieselben unter gegenwärtigen Umständen nicht eingehen kann, so habe ich

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        <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart>
        <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart>
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          <docDate>No 129. Köln, Sonntag den 29. Oktober. 1848. Zweite Ausgabe.</docDate>
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          <head><bibl><author>102</author></bibl> Wien, 22. Okt.</head>
          <p>Der Eindruck, den das Manifest aus Olmütz auf die Bevölkerung macht, ist nicht der Art, daß dadurch die Wunde geheilt würde, welche die Dynastie sich geschlagen. Die darin ausgesprochene Nothwendigkeit militärischer Maßregeln steht in direktem Gegensatze mit dem Willen der Bevölkerung und des Reichstages, und läßt, da Windischgrätz, Wiens erbittertster Feind, zum Ober-Kommandanten aller die Stadt cernirenden Truppen (etwa 43,000 Mann) ernannt ist, Statt Versöhnung zu bewirken, die Kluft nur größer werden. In dem übrigen Inhalte des Manifestes sieht man nur die gewöhnlichen Redensarten, womit der konstitutionnelle Absolutismus die Bourgeoisie und Dummheit ködert. Unter den &#x201E;an den Gräueln des Aufstandes nicht betheiligten Staatsbürgern&#x201C; sind, wie man sich sagt, nur die entflohenen Geldpilse, Aristokraten und Büreaukraten verstanden, eine Ueberzeugung, welche eine wahre Versöhnung nur unmöglicher macht. Dennoch ist dies Manifest nur ein Minimum, welches dem Einflusse <hi rendition="#g">Wessenberg's</hi> gelungen sein soll, nachdem die den Kaiser umgebenden Militärdespoten ihm unter dem 16. Okt. eins abgedrungen, worin sich die maßloseste Wuth der Camarilla ausspricht, und welches, wie ich höre, unter die Wien belagernden Banditenschaaren vertheilt worden ist. En attendant haben wir zur Züchtigung den vollständigsten Belagerungszustand, wie ihn kein Feind je ausgeübt hat. Mord, Plünderung, Zerstörung, Brand, Unterdrückung aller Posten und Behinderung jeder Zufuhr sind die Koerzitiv-Mittel der Rinaldino's, Diavolo's und Schinderhannese, die uns vor den Thoren blutdurstig umzingeln. Ich sage Ihnen, die Bestien der Wüste sind humane Engel im Vergleich zu diesen, alle Banditenkünste überbietenden k. k. Kriegshenkern. In Auersperg's Lager zu Ingersdorf soll übrigens die Unzufriedenheit der Truppen überhand nehmen, es kommen täglich Deserteure in die Stadt, welche dies berichten. Die deutschen Grenadiere sollen in Folge dessen entwaffnet worden sein, nachdem sie einen Kampf mit dem Regiment Rassau (Polen) bestanden hatten. Ich bin der vollständigsten Ueberzeugung, und diese theile ich nicht allein, daß im Falle eines ernstlichen Verhältnisses mit dem Volke von Wien, ein sehr bedeutender Theil des Militärs zu uns übertreten würde. Dieselbe Besorgniß herrscht auch in den verschiedenen Lagern. Hätten wir Kavallerie, so könnten darum erfolgreiche Ausfälle gemacht werden, von denen das sogen. Proletariat und die akademische Legion kaum länger mehr zurückzuhalten sind. Auch die Ungarn, über deren Ankunft man immer noch nichts Sicheres weiß, sollen Mangel leiden an der Kavallerie. Unterdessen fürchten die Generale nichts so sehr, als die Legion und das bewaffnete Proletariat. Sie scheinen zu ahnden, daß ihre wahre Vernichtung von dorther kommt, weil nur in den Schaaren der akademischen Legion und der Arbeiter eine Freiheit, eine Entschlossenheit, ein verwegener Muth leben, die Armeen besiegen. Darum ist auch ein eigentlicher Friedensschluß mit der Camarilla so lange unmöglich, als die Legion mit dem Proletariat unter den Waffen steht, und diese zu entwaffnen, dürfte selbst mit der List der Bourgeoisie noch schwieriger sein, als der Sieg über das Militär. Wir sind daher, wie Sie sehen, noch lange nicht am Ende des Kampfes. Schon jetzt verweigern die Arbeiter, wie ich Ihnen bereits geschrieben, den Schwur auf das Disziplinargesetz der mobilen Garde, weil darin von konstitutionnellem Thron gesprochen wird. Das Volk sieht immer mehr ein, daß der Reichstag von vornhinein die ganze Sache verpfuscht hat, weil er es am 7. nicht hat fortarbeiten lassen. Nur unsere Bourgeoisblätter sind zu feige und niederträchtig, dies erkennen zu wollen. Während der ersten 8 Tage der Gefahr brachten diese, anfangs fast ganz verschwundenen Blätter neue Aufsätze, die eben so gut in Rußland, China oder Hindostan hätten gedruckt werden können. Die berüchtigsten Redakteure entflohen mit dem Adel und der feigen Geldbourgeoisie von dannen, senden aber jetzt aus ihren sichern Asylen Betheuerungen in ihre Organe, daß sie sich nur aus patriotischen Gründen hinwegbegeben hätten. Eine solche Betheuerung enthält z. B. der gestrige &#x201E;Freimüthige&#x201C; über den nach Pesth entflohenen Präsidenten des demokratischen Vereins, und Hauptharangeurs in gefahrlosen Stunden &#x2012; <hi rendition="#g">Taufenau.</hi> </p>
          <p>Der Verkehr ist in der innern Stadt und auch in den Vorstädten, bis zu den Linien, wo alles kriegerisch dasteht, so ziemlich wieder hergestellt; die Thore sollen wieder geöffnet und die Barrikaden vom Oberkommando nur strategisch, nicht volkswillkürlich erbaut werden.</p>
          <p>Wie verlautet, soll in Olmütz auf den Kaiser geschossen, aber nur der Kronprinz Franz Joseph getroffen worden sein. &#x2012; Wie wenig der Kaiser die politischen Vorgänge in seinem Reiche kapirt, möge Ihnen ein on dit beweisen. Als ihm der Tod seines Freundes Lamberg gemeldet wurde, soll er gefragt haben, warum er denn in das unruhige Land gegangen sei. Er wußte also nicht, daß er ihn selber hingeschickt hatte, weiß vielleicht gar nicht, daß Ungarn ein Theil seines Reiches ist. &#x2012; Die Fürsten Windischgrätz und Felix Schwarzenberg sind während der Nacht in Klosterneuburg angekommen. &#x2012; Damit Sie sehen, wie wenig ich mich in meinem Urtheil über die demokratische Presse Wiens irre, sende ich Ihnen ein Pröbchen, welches uns heute der Redakteur des &#x201E;Freimüthigen&#x201C; liefert. Jellachich hat ihn erkauft. Tuvora befindet sich in Jellachich's Lager und wird ihm alle diejenigen Journalisten bezeichnen, welche gemordet werden müssen.</p>
          <p> <hi rendition="#g">Erklärung von Josef Tuvora.</hi> </p>
          <p>Die Ereignisse, welche in Wien stattfanden und deren Gipfelpunkt noch immer nicht erreicht zu sein scheint, veranlassen mich, feierlich Verwahrung gegen jede mir irgendwie zugemuthete Theilnahme an selben einzulegen. Wohl weiß ich, daß mein Name öfter in Verbindung mit der demokratischen Partei genannt wurde; allein der öffentlichen Meinung von Wien ist es auch bekannt, daß ich mich seit mehr als vier Monaten ziemlich auffallend, seit sechs Wochen aber ganz und gar von dem ins Bodenlose ausgearteten Treiben dieser Partei zurückgezogen habe, Am allerwenigsten konnte ich es daher über mich gewinnen, die ritterliche und glänzende Erscheinung des Banus Jellachich anzugreifen; mit Hochachtung und gerechtem Staunen folgte ich den Schritten dieses Mannes, der so plötzlich der Vertrauensmann von Millionen geworden war. Das plump ausgeheckte Märchen, er sei der Träger einer furchtbaren antikonstitutionellen Reaktion, konnte bei mir, der ich die Triebfeder des Wiener Radikalismus genau kannte, am wenigsten Glauben finden. Und so beschloß ich denn bei mir treu und fest, mich an die große, von ihm vertretene Partei anzuschließen und niemals und unter keiner Bedingung vor ihr zu lassen. Ich thue diesen Schritt nicht ohne große Opfer, nicht zurückschreckend vor dem Verluste einer angenehmen materiellen Existenz. Allein ich thue es um der guten und gerechten Sache, um der heiligen Interessen der Ordnung, der wahren Freiheit, des Menschenrechtes und der Menschenwürde willen, die an jenen Männern schändlich mit Füßen getreten wurde. Es sei mir nun noch verstattet, einige Betrachtungen über den jetzigen Stand der Dinge zu machen. Der Streich, welchen die radikale Partei führte, war ein Verzweifelungsstreich; sie wird ihn schwer und bitter büßen. Wollte sie das Feuer der einigen deutschen Republik in Wien entzünden, so dürfte sie sich arg verrechnet haben, weil die Völker Deutschlands besonnen sind, weil sie die ruhige und geregelte Entfaltung ihrer Zustände dem wirren, licht-und planlosen Treiben der Anarchie vorziehen. Der edle Deutsche kann keines Mannes, keiner Partei Freund sein, die frevelnd ihre Hände in Blut taucht und mit der gräßlichen Brandfackel des Bürgerkrieges ihre Tendenzen illustrirt. Andererseits ward durch die Schauderthaten des unvergeßlichen 6. October selbst den besonnenen Republikanern ein sehr schlechter Dienst erwiesen. Welche Macht immer in Deutschland gebiete, niemals und unter keiner Bedingung kann es ihr gleichgiltig sein, daß durch das Schwert der Gewalt-und Blutthat der Verbindung, wodurch die zahlreichen osteuropäischen Volksstämme mit den Interessen des westlichen Europas zusammenhängen, zerrissen werde &#x2012; und das geschah, das thaten dieselben Männer, welche sich als Männer, welche sich als Vertreter des reinen Deutschlands gerirten! Glauben sie vielleicht, der Gesammtmonarchie durch ihr schnödes, die Freiheit der Regierung und des Reichstages untergrabendes Benehmen zu imponieren? Glaubten sie 38 Millionen Menschen durch ihr sie volo. sic jubeo zu bestimmen? Meint die Aula, die Diktatur an sich reißen zu können, und fürchtet sie nicht, erdrückt zu werden von dem gewaltigen Rückschläge, der naturnothwendig in den Provinzen erfolgen mußte? Ist es gedenkbar, daß Böhmen, Tirol, Steiermark, Illyrien, Mähren, Galizien, je von den Wiener Terroristen sich einschüchtern und knechten lassen werden? Nimmermehr!</p>
          <p>Der 6. October hat also nicht die friedliche Entwickelung irgend eines Problems angebahnt; sein blutiges Morgenroth wird nicht durch den Schimmer einer Idee verklärt; es ist ein reiches Machwerk, eine durch ungarisch-italienisches Geld angezettelte Intrigue, eine plumpe Falle, welche gewissenlose Verschwörer dem leichtsinnigen, leichtgläubigen Volke legten, um es gleichfalls zu Verbrechen zu bilden und den politischen Selbstmord der Stadt Wien zu bewirken. Ja, Wien hat dem magyarischen Gauner Kossuth zu Gefallen Hand an sich selbst, an seine Größr, an seine Würde und Bestimmungen gelegt. Wenn irgend ein Mensch irgend eine Partei, irgend eine Nation sich über die ungarische Politik des gefallenen Ministeriums zu beklagen hatte, so war sicherlich Wien nicht in diesem Falle. Damit das Magyarenthum seine bevorzugte Stellung im Osten ausschließend ausbeute, damit er den Verband mit der Gesammtmonarchie, folglich auch deren Kraft und Bestand beharrlich negiren, damit es nächstens durch Zollschranken sich absondern könne, um sich auf eigenem Boden eine selbstständige Industrie zu schaffen, damit es fortwährend seinen plumpen Tyrannenfuß auf den Nacken harmloser Nationen setzen könne: deshalb mußte Wien in eine Stätte blutigen Gräuels u. der Verwüstung verwandelt werden. Welche Verblendung, welche politische Unreife! Und eine Bevölkerung, die solchem Wahnsinne sich hingeben konnte, ward von ihren Schmeichlern für mündig, für politisch gereift und gebildet, zur Demokratie im vollsten Umfange des Wortes befähigt erklärt. Demokratie ist Selbstbeherrschung des Volkes. Selbstbeherrschung ist aber in allen Fällen eine schwierige Kunst und kann bloß in der Schule ernster Erfahrungen erlernt werden. Von dieser Erkenntniß geleitet, erklärte ich mich in dem letzten Artikel, welchen ich vor mehreren Wochen für ein Wiener Blatt geschrieben, nicht für sofortige unbedingte Demokratie, sondern für die demokratische Heranbildung der österreichischen Völker. Habe ich früher in Diesem oder Jenem geirrt, so freue ich mich jetzt des reinen Bewußtseins, zu den letzten furchtbaren Ereignissen nicht nur nichts beigetragen, sondern selbst abwehrend gewirkt zu haben, bis der Strom des Unheils die Ufer überstieg und die Worte des Dichters abermals zur Wahrheit machte:</p>
          <p>&#x201E;Das ist der Fluch der bösen That,</p>
          <p>Daß sie fortzeugend Böses muß gebären!:&#x201C;</p>
          <p>B &#x2026; am 11. Oktober 1848.</p>
          <p> <hi rendition="#g">J. Tuvora.</hi> </p>
          <p>&#x2012; <hi rendition="#g">Reichstagssitzung.</hi> Eröffnung 11 3/4 Uhr.</p>
          <p>Präsident <hi rendition="#g">Smolka</hi> zeigt an, er habe eine Zuschrift von der Reichskommission erhalten, worin dieselbe mittheilt, daß sie auf dem Wege nach Wien bei Behörden und sonst über die Vorgänge vom 6. und 7. Okt. Erkundigungen eingezogen und sich in Folge dessen nach Ollmütz zum Hoflager begeben habe. (Allgemeines, entrüstetes Erstaunen.) Bis zu ihrer Rückkehr möge der Reichstag jedes Zusammentreffen mit der bewaffneten Macht zu vermeiden suchen. Kreins (also ganz nahe bei Wien), 21. Okt. 1848. Eine ähnliche Zuschrift sei dem Finanzminister zugekommen und dem Druck bereits übergeben worden.</p>
          <p><hi rendition="#g">Umlauft</hi> beantragt, das Präsidium möge an die Kommission ein Schreiben richten, worin gesagt werde, daß ihre bei Wiener Flüchtlingen eingezogenen Nachrichten über die Lage der Hauptstadt von dem Reichstage nicht als anthentisch betrachtet, von ihm daher auch nicht anerkannt werden könnten, so lange die Reichskommissarien sich nicht in der Hauptstadt selbst persönlich davon überzeugt hätten.</p>
          <p><hi rendition="#g">Präsident</hi> verliest eine Adresse der Bürger-Nationalgarden und Studenten von Grätz, worin dieselben verlangen, daß für die Deserteure aus Steiermark sofort eine Neuwahl ausgeschrieben werde.</p>
          <p>Schriftführer <hi rendition="#g">Kavelkabo</hi> verliest die seit dem 6. Okt. eingelaufenen Eingaben.</p>
          <p><hi rendition="#g">Gscheize:</hi> Ich bin mit Umlaufts Antrag einverstanden, bin jedoch der Ansicht, daß man nur einen der Kommissäre hierher verlange und den andern in Ollmütz lasse. So wird sich die Sache rascher beenden lassen,</p>
          <p><hi rendition="#g">Schuselka:</hi> Ich gebe zu, daß Umlaufts Gründe stichhaltig sind, allein es ist der Würde des Reichstags nicht angemessen, eine warnende Stimme an diese Kommission ergehen zu lassen. Wir müssen es vielmehr diesen Kommissarien selbst überlassen, ob sie sich mit Nachrichten auf ihrer Mission begnügen wollen, die sie beim Pferdewechsel über uns eingesammelt haben. Ich bin Mitglied des Frankfurter Parlaments gewesen und weiß, wie es damit steht; ich muß das Benehmen seiner Abgesandten uns gegenüber unbegreiflich, würdelos nennen. (Allseitiges Bravo).</p>
          <p><hi rendition="#g">Einer:</hi> Zur Tagesordnung!</p>
          <p><hi rendition="#g">Präsident:</hi> Wird der Ruf zur Tagesordnung angenommen? (Alle Abgeordnete ohne Ausnahme erheben sich unter allgemeinem Beifallruf). Die Frankfurter Impertinenz wird Augen machen, daß man über sie zur Tagesordnung übergeht. Ich hätte vor Freude mich augenblicklich mit dem Reichstage aussöhnen mögen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Schuselka</hi> als Berichterstatter des permanenten Ausschusses: Seit gestern ist im permanenten Ausschusse nur wenig vorgekommen. Die Ereignisse werden jetzt an andern Orten und von andern Männern geleitet. Aus Bielietz sind uns 200 Fl. zugekommen. Das Schicksal der Bilitzer (Schlesien) Garden wird in dem Folgenden dargestellt und verdient bekannt zu werden.</p>
          <p>Von den Bielitzer Garden in Wien.</p>
          <p>Die Militäroperationen gegen Wien haben die schon längst auf einen günstigen Moment wartenden, wahrhaft deutschgesinnten Bewohner der Provinz Schlesien aufgeboten, um die schroffe Wand zu vernichten, die das Militär, eingehend in die Idee einer rachgierigen alle Freiheit vernichtenden Partei &#x2012; aufführen will.</p>
          <p>Frei und unaufgefordert entschlossen sich demnach die biedern Nationalgarden von Bielitz, der äußersten Gränzstadt Deutschlands, tief durchdrungen von Freiheit und rein demokratischem Sinne, ihren eigenen Heerd zu verlassen, und zur Konstatirung der Errungenschaften von März und Mai ihr Blut und Leben hinzugeben. Schön und rühmlich war das Vorhaben, schmählich und entwürdigend das Resultat.</p>
          <p>Angekommen im Bahnhofe zu Prerau zwang das Militär die blos mit Untergewehr versehenen Garden zum Aussteigen und Ablegen der obbenannten Waffen. Einsehend, daß Gewalt gegen Uebermacht und Rohheit nur die schlimmsten Folgen nach sich ziehen und doch nicht zum Zwecke führen würde, Überdies bauend auf den Rechtssinn der Offiziere vom Regiment Emil, unterzogen sich selbe dem Befehl und sahen voll Befremden in das wilde Treiben der kampfgierigen Massen.</p>
          <p>Doch kaum hatten die Offiziere durch Abnahme der Waffen freien Spielraum, als der dort garnisonirende Major die gemeinsten Ausdrücke gebrauchte, die Garden hergelaufenes Gesindel schalt und seinen Gemeinheiten durch Feuern in die Garden Kraft verleihen wollte.</p>
          <p>Ja noch mehr; selbst die persönliche Freiheit jedes Einzelnen der Garden war in Zweifel gesetzt, als Einer das Wort nahm und den Major ersuchte, unbewaffnete Alle fortziehen zu lassen. Der Major verweigerte es mit den Worten: &#x201E;In einem so wichtigen Moment, wie der jetzige, muß er selbst die persönliche Freiheit Aller angreifen.&#x201C;</p>
          <p>Obwohl zurückgehalten wagten es von 200 doch 15, worunter ein Garde aus Bialar, Namens Broudnoik und drei Akademiker verkleidet als Maschinenbauer, Kondukteure, Ofenheizer etc. die Reise zu unternehen, um wenigstens die Kunde treu und wahr den wackern Wienern zu überbringen, und ihre schwachen Kräfte eifrig dem Dienste für die Freiheit zu widmen.</p>
          <p>Aus Linz sind 120 junge Männer angekommen. Sie fuhren mit dem Dampfboote, mußten dasselbe aber schon in Mölk verlassen, weil man ihnen gesteckt hatte, daß Befehl gegeben sei, das Boot bei seiner Vorbeifahrt an Krems in den Grund zu schießen. (Zischen). Die jungen bewaffneten Kämpfer haben sich darauf zu Fuß von Mölk bis Wien über Gebirge und unwegsames Land, nicht ohne Gefahr, von dem Militär betroffen zu werden, durchgearbeitet. (Bravo.) Es haben sich Gerüchte verbreitet, als sei Minister Hornbostel gefangen auf den Spielberg abgeführt worden; diese Gerüchte sind einem Briefe zufolge, den ich von Hornbostel selbst erhalten habe, unwahr. Er befindet sich zurückgezogen in Oberöstreich. &#x2012; Das Comite zur Unterstützung armer Gewerbtreibender hat, wie es hieß, seine Thätigkeit nicht eingestellt, sondern ist jetzt thätiger als jemals.</p>
          <p>Es werden eine große Menge anonymer Zuschriften an den Reichstag, an den Ausschuß und an einzelne Mitglieder eingeschickt, welche die entsetzlichsten Drohungen enthalten, die mit der Freiheit im grellsten Widerspruch stehen. Wir erklären offen, daß wir diese Zuschriften nicht berücksichtigen, dem Reichstage also auch nicht verlesen können. (halblautes, verzagtes Bravo). Der größere Theil dieser Drohbriefe beschäftigt sich mit der ungarischen Frage; man macht uns Vorwürfe, daß wir die Ungarn nicht zu Hülfe gerufen haben. &#x2012; Wir mußten uns indessen auf dem gesetzlichen Boden halten und durften mit dem Kaiser keinen Krieg beginnen. Unsere That würde gewiß nicht zum Ruhm und Heile Wiens ausgefallen sein. Es ist zu bedauren, daß ein großer Theil (also doch!) der Bevölkerung nur den nächsten Augenblick im Auge hat. Durch ein plötzliches Luftmachen hätten wir wohl für Stunden und Tage die Wiederherstellung der gesetzlichen Freiheit errungen, aber nicht für Dauer. Das wichtigste Ereigniß der Nacht ist folgendes. Eine Deputation des Gemeinderaths ist im Ausschusse erschienen und erklärte, daß ihre an den Kaiser abgeschickte Deputation nicht vorgelassen, sondern an den Minister Wessenberg gewiesen worden sei. (Zischen.)</p>
          <p> <hi rendition="#g">Mitbürger!</hi> </p>
          <p>Die vom Gemeinderathe der Stadt Wien an Se. Majestät abgesandte Deputation ist gestern Abends um 8 Uhr ohne in einer Audienz empfangen worden zu sein, mit folgendem schriftlich mitgebrachten Bescheide zurückgekehrt:</p>
          <p>Die Adresse des löblichen Gemeinderathes der Stadt Wien ist Ihrer Majestät vorgelegt worden, da sie aber Bitten enthält, in welche Allerhöchst Dieselben unter gegenwärtigen Umständen nicht eingehen kann, so habe ich
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[0653/0001] Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 129. Köln, Sonntag den 29. Oktober. 1848. Zweite Ausgabe. Deutschland. 102 Wien, 22. Okt. Der Eindruck, den das Manifest aus Olmütz auf die Bevölkerung macht, ist nicht der Art, daß dadurch die Wunde geheilt würde, welche die Dynastie sich geschlagen. Die darin ausgesprochene Nothwendigkeit militärischer Maßregeln steht in direktem Gegensatze mit dem Willen der Bevölkerung und des Reichstages, und läßt, da Windischgrätz, Wiens erbittertster Feind, zum Ober-Kommandanten aller die Stadt cernirenden Truppen (etwa 43,000 Mann) ernannt ist, Statt Versöhnung zu bewirken, die Kluft nur größer werden. In dem übrigen Inhalte des Manifestes sieht man nur die gewöhnlichen Redensarten, womit der konstitutionnelle Absolutismus die Bourgeoisie und Dummheit ködert. Unter den „an den Gräueln des Aufstandes nicht betheiligten Staatsbürgern“ sind, wie man sich sagt, nur die entflohenen Geldpilse, Aristokraten und Büreaukraten verstanden, eine Ueberzeugung, welche eine wahre Versöhnung nur unmöglicher macht. Dennoch ist dies Manifest nur ein Minimum, welches dem Einflusse Wessenberg's gelungen sein soll, nachdem die den Kaiser umgebenden Militärdespoten ihm unter dem 16. Okt. eins abgedrungen, worin sich die maßloseste Wuth der Camarilla ausspricht, und welches, wie ich höre, unter die Wien belagernden Banditenschaaren vertheilt worden ist. En attendant haben wir zur Züchtigung den vollständigsten Belagerungszustand, wie ihn kein Feind je ausgeübt hat. Mord, Plünderung, Zerstörung, Brand, Unterdrückung aller Posten und Behinderung jeder Zufuhr sind die Koerzitiv-Mittel der Rinaldino's, Diavolo's und Schinderhannese, die uns vor den Thoren blutdurstig umzingeln. Ich sage Ihnen, die Bestien der Wüste sind humane Engel im Vergleich zu diesen, alle Banditenkünste überbietenden k. k. Kriegshenkern. In Auersperg's Lager zu Ingersdorf soll übrigens die Unzufriedenheit der Truppen überhand nehmen, es kommen täglich Deserteure in die Stadt, welche dies berichten. Die deutschen Grenadiere sollen in Folge dessen entwaffnet worden sein, nachdem sie einen Kampf mit dem Regiment Rassau (Polen) bestanden hatten. Ich bin der vollständigsten Ueberzeugung, und diese theile ich nicht allein, daß im Falle eines ernstlichen Verhältnisses mit dem Volke von Wien, ein sehr bedeutender Theil des Militärs zu uns übertreten würde. Dieselbe Besorgniß herrscht auch in den verschiedenen Lagern. Hätten wir Kavallerie, so könnten darum erfolgreiche Ausfälle gemacht werden, von denen das sogen. Proletariat und die akademische Legion kaum länger mehr zurückzuhalten sind. Auch die Ungarn, über deren Ankunft man immer noch nichts Sicheres weiß, sollen Mangel leiden an der Kavallerie. Unterdessen fürchten die Generale nichts so sehr, als die Legion und das bewaffnete Proletariat. Sie scheinen zu ahnden, daß ihre wahre Vernichtung von dorther kommt, weil nur in den Schaaren der akademischen Legion und der Arbeiter eine Freiheit, eine Entschlossenheit, ein verwegener Muth leben, die Armeen besiegen. Darum ist auch ein eigentlicher Friedensschluß mit der Camarilla so lange unmöglich, als die Legion mit dem Proletariat unter den Waffen steht, und diese zu entwaffnen, dürfte selbst mit der List der Bourgeoisie noch schwieriger sein, als der Sieg über das Militär. Wir sind daher, wie Sie sehen, noch lange nicht am Ende des Kampfes. Schon jetzt verweigern die Arbeiter, wie ich Ihnen bereits geschrieben, den Schwur auf das Disziplinargesetz der mobilen Garde, weil darin von konstitutionnellem Thron gesprochen wird. Das Volk sieht immer mehr ein, daß der Reichstag von vornhinein die ganze Sache verpfuscht hat, weil er es am 7. nicht hat fortarbeiten lassen. Nur unsere Bourgeoisblätter sind zu feige und niederträchtig, dies erkennen zu wollen. Während der ersten 8 Tage der Gefahr brachten diese, anfangs fast ganz verschwundenen Blätter neue Aufsätze, die eben so gut in Rußland, China oder Hindostan hätten gedruckt werden können. Die berüchtigsten Redakteure entflohen mit dem Adel und der feigen Geldbourgeoisie von dannen, senden aber jetzt aus ihren sichern Asylen Betheuerungen in ihre Organe, daß sie sich nur aus patriotischen Gründen hinwegbegeben hätten. Eine solche Betheuerung enthält z. B. der gestrige „Freimüthige“ über den nach Pesth entflohenen Präsidenten des demokratischen Vereins, und Hauptharangeurs in gefahrlosen Stunden ‒ Taufenau. Der Verkehr ist in der innern Stadt und auch in den Vorstädten, bis zu den Linien, wo alles kriegerisch dasteht, so ziemlich wieder hergestellt; die Thore sollen wieder geöffnet und die Barrikaden vom Oberkommando nur strategisch, nicht volkswillkürlich erbaut werden. Wie verlautet, soll in Olmütz auf den Kaiser geschossen, aber nur der Kronprinz Franz Joseph getroffen worden sein. ‒ Wie wenig der Kaiser die politischen Vorgänge in seinem Reiche kapirt, möge Ihnen ein on dit beweisen. Als ihm der Tod seines Freundes Lamberg gemeldet wurde, soll er gefragt haben, warum er denn in das unruhige Land gegangen sei. Er wußte also nicht, daß er ihn selber hingeschickt hatte, weiß vielleicht gar nicht, daß Ungarn ein Theil seines Reiches ist. ‒ Die Fürsten Windischgrätz und Felix Schwarzenberg sind während der Nacht in Klosterneuburg angekommen. ‒ Damit Sie sehen, wie wenig ich mich in meinem Urtheil über die demokratische Presse Wiens irre, sende ich Ihnen ein Pröbchen, welches uns heute der Redakteur des „Freimüthigen“ liefert. Jellachich hat ihn erkauft. Tuvora befindet sich in Jellachich's Lager und wird ihm alle diejenigen Journalisten bezeichnen, welche gemordet werden müssen. Erklärung von Josef Tuvora. Die Ereignisse, welche in Wien stattfanden und deren Gipfelpunkt noch immer nicht erreicht zu sein scheint, veranlassen mich, feierlich Verwahrung gegen jede mir irgendwie zugemuthete Theilnahme an selben einzulegen. Wohl weiß ich, daß mein Name öfter in Verbindung mit der demokratischen Partei genannt wurde; allein der öffentlichen Meinung von Wien ist es auch bekannt, daß ich mich seit mehr als vier Monaten ziemlich auffallend, seit sechs Wochen aber ganz und gar von dem ins Bodenlose ausgearteten Treiben dieser Partei zurückgezogen habe, Am allerwenigsten konnte ich es daher über mich gewinnen, die ritterliche und glänzende Erscheinung des Banus Jellachich anzugreifen; mit Hochachtung und gerechtem Staunen folgte ich den Schritten dieses Mannes, der so plötzlich der Vertrauensmann von Millionen geworden war. Das plump ausgeheckte Märchen, er sei der Träger einer furchtbaren antikonstitutionellen Reaktion, konnte bei mir, der ich die Triebfeder des Wiener Radikalismus genau kannte, am wenigsten Glauben finden. Und so beschloß ich denn bei mir treu und fest, mich an die große, von ihm vertretene Partei anzuschließen und niemals und unter keiner Bedingung vor ihr zu lassen. Ich thue diesen Schritt nicht ohne große Opfer, nicht zurückschreckend vor dem Verluste einer angenehmen materiellen Existenz. Allein ich thue es um der guten und gerechten Sache, um der heiligen Interessen der Ordnung, der wahren Freiheit, des Menschenrechtes und der Menschenwürde willen, die an jenen Männern schändlich mit Füßen getreten wurde. Es sei mir nun noch verstattet, einige Betrachtungen über den jetzigen Stand der Dinge zu machen. Der Streich, welchen die radikale Partei führte, war ein Verzweifelungsstreich; sie wird ihn schwer und bitter büßen. Wollte sie das Feuer der einigen deutschen Republik in Wien entzünden, so dürfte sie sich arg verrechnet haben, weil die Völker Deutschlands besonnen sind, weil sie die ruhige und geregelte Entfaltung ihrer Zustände dem wirren, licht-und planlosen Treiben der Anarchie vorziehen. Der edle Deutsche kann keines Mannes, keiner Partei Freund sein, die frevelnd ihre Hände in Blut taucht und mit der gräßlichen Brandfackel des Bürgerkrieges ihre Tendenzen illustrirt. Andererseits ward durch die Schauderthaten des unvergeßlichen 6. October selbst den besonnenen Republikanern ein sehr schlechter Dienst erwiesen. Welche Macht immer in Deutschland gebiete, niemals und unter keiner Bedingung kann es ihr gleichgiltig sein, daß durch das Schwert der Gewalt-und Blutthat der Verbindung, wodurch die zahlreichen osteuropäischen Volksstämme mit den Interessen des westlichen Europas zusammenhängen, zerrissen werde ‒ und das geschah, das thaten dieselben Männer, welche sich als Männer, welche sich als Vertreter des reinen Deutschlands gerirten! Glauben sie vielleicht, der Gesammtmonarchie durch ihr schnödes, die Freiheit der Regierung und des Reichstages untergrabendes Benehmen zu imponieren? Glaubten sie 38 Millionen Menschen durch ihr sie volo. sic jubeo zu bestimmen? Meint die Aula, die Diktatur an sich reißen zu können, und fürchtet sie nicht, erdrückt zu werden von dem gewaltigen Rückschläge, der naturnothwendig in den Provinzen erfolgen mußte? Ist es gedenkbar, daß Böhmen, Tirol, Steiermark, Illyrien, Mähren, Galizien, je von den Wiener Terroristen sich einschüchtern und knechten lassen werden? Nimmermehr! Der 6. October hat also nicht die friedliche Entwickelung irgend eines Problems angebahnt; sein blutiges Morgenroth wird nicht durch den Schimmer einer Idee verklärt; es ist ein reiches Machwerk, eine durch ungarisch-italienisches Geld angezettelte Intrigue, eine plumpe Falle, welche gewissenlose Verschwörer dem leichtsinnigen, leichtgläubigen Volke legten, um es gleichfalls zu Verbrechen zu bilden und den politischen Selbstmord der Stadt Wien zu bewirken. Ja, Wien hat dem magyarischen Gauner Kossuth zu Gefallen Hand an sich selbst, an seine Größr, an seine Würde und Bestimmungen gelegt. Wenn irgend ein Mensch irgend eine Partei, irgend eine Nation sich über die ungarische Politik des gefallenen Ministeriums zu beklagen hatte, so war sicherlich Wien nicht in diesem Falle. Damit das Magyarenthum seine bevorzugte Stellung im Osten ausschließend ausbeute, damit er den Verband mit der Gesammtmonarchie, folglich auch deren Kraft und Bestand beharrlich negiren, damit es nächstens durch Zollschranken sich absondern könne, um sich auf eigenem Boden eine selbstständige Industrie zu schaffen, damit es fortwährend seinen plumpen Tyrannenfuß auf den Nacken harmloser Nationen setzen könne: deshalb mußte Wien in eine Stätte blutigen Gräuels u. der Verwüstung verwandelt werden. Welche Verblendung, welche politische Unreife! Und eine Bevölkerung, die solchem Wahnsinne sich hingeben konnte, ward von ihren Schmeichlern für mündig, für politisch gereift und gebildet, zur Demokratie im vollsten Umfange des Wortes befähigt erklärt. Demokratie ist Selbstbeherrschung des Volkes. Selbstbeherrschung ist aber in allen Fällen eine schwierige Kunst und kann bloß in der Schule ernster Erfahrungen erlernt werden. Von dieser Erkenntniß geleitet, erklärte ich mich in dem letzten Artikel, welchen ich vor mehreren Wochen für ein Wiener Blatt geschrieben, nicht für sofortige unbedingte Demokratie, sondern für die demokratische Heranbildung der österreichischen Völker. Habe ich früher in Diesem oder Jenem geirrt, so freue ich mich jetzt des reinen Bewußtseins, zu den letzten furchtbaren Ereignissen nicht nur nichts beigetragen, sondern selbst abwehrend gewirkt zu haben, bis der Strom des Unheils die Ufer überstieg und die Worte des Dichters abermals zur Wahrheit machte: „Das ist der Fluch der bösen That, Daß sie fortzeugend Böses muß gebären!:“ B … am 11. Oktober 1848. J. Tuvora. ‒ Reichstagssitzung. Eröffnung 11 3/4 Uhr. Präsident Smolka zeigt an, er habe eine Zuschrift von der Reichskommission erhalten, worin dieselbe mittheilt, daß sie auf dem Wege nach Wien bei Behörden und sonst über die Vorgänge vom 6. und 7. Okt. Erkundigungen eingezogen und sich in Folge dessen nach Ollmütz zum Hoflager begeben habe. (Allgemeines, entrüstetes Erstaunen.) Bis zu ihrer Rückkehr möge der Reichstag jedes Zusammentreffen mit der bewaffneten Macht zu vermeiden suchen. Kreins (also ganz nahe bei Wien), 21. Okt. 1848. Eine ähnliche Zuschrift sei dem Finanzminister zugekommen und dem Druck bereits übergeben worden. Umlauft beantragt, das Präsidium möge an die Kommission ein Schreiben richten, worin gesagt werde, daß ihre bei Wiener Flüchtlingen eingezogenen Nachrichten über die Lage der Hauptstadt von dem Reichstage nicht als anthentisch betrachtet, von ihm daher auch nicht anerkannt werden könnten, so lange die Reichskommissarien sich nicht in der Hauptstadt selbst persönlich davon überzeugt hätten. Präsident verliest eine Adresse der Bürger-Nationalgarden und Studenten von Grätz, worin dieselben verlangen, daß für die Deserteure aus Steiermark sofort eine Neuwahl ausgeschrieben werde. Schriftführer Kavelkabo verliest die seit dem 6. Okt. eingelaufenen Eingaben. Gscheize: Ich bin mit Umlaufts Antrag einverstanden, bin jedoch der Ansicht, daß man nur einen der Kommissäre hierher verlange und den andern in Ollmütz lasse. So wird sich die Sache rascher beenden lassen, Schuselka: Ich gebe zu, daß Umlaufts Gründe stichhaltig sind, allein es ist der Würde des Reichstags nicht angemessen, eine warnende Stimme an diese Kommission ergehen zu lassen. Wir müssen es vielmehr diesen Kommissarien selbst überlassen, ob sie sich mit Nachrichten auf ihrer Mission begnügen wollen, die sie beim Pferdewechsel über uns eingesammelt haben. Ich bin Mitglied des Frankfurter Parlaments gewesen und weiß, wie es damit steht; ich muß das Benehmen seiner Abgesandten uns gegenüber unbegreiflich, würdelos nennen. (Allseitiges Bravo). Einer: Zur Tagesordnung! Präsident: Wird der Ruf zur Tagesordnung angenommen? (Alle Abgeordnete ohne Ausnahme erheben sich unter allgemeinem Beifallruf). Die Frankfurter Impertinenz wird Augen machen, daß man über sie zur Tagesordnung übergeht. Ich hätte vor Freude mich augenblicklich mit dem Reichstage aussöhnen mögen. Schuselka als Berichterstatter des permanenten Ausschusses: Seit gestern ist im permanenten Ausschusse nur wenig vorgekommen. Die Ereignisse werden jetzt an andern Orten und von andern Männern geleitet. Aus Bielietz sind uns 200 Fl. zugekommen. Das Schicksal der Bilitzer (Schlesien) Garden wird in dem Folgenden dargestellt und verdient bekannt zu werden. Von den Bielitzer Garden in Wien. Die Militäroperationen gegen Wien haben die schon längst auf einen günstigen Moment wartenden, wahrhaft deutschgesinnten Bewohner der Provinz Schlesien aufgeboten, um die schroffe Wand zu vernichten, die das Militär, eingehend in die Idee einer rachgierigen alle Freiheit vernichtenden Partei ‒ aufführen will. Frei und unaufgefordert entschlossen sich demnach die biedern Nationalgarden von Bielitz, der äußersten Gränzstadt Deutschlands, tief durchdrungen von Freiheit und rein demokratischem Sinne, ihren eigenen Heerd zu verlassen, und zur Konstatirung der Errungenschaften von März und Mai ihr Blut und Leben hinzugeben. Schön und rühmlich war das Vorhaben, schmählich und entwürdigend das Resultat. Angekommen im Bahnhofe zu Prerau zwang das Militär die blos mit Untergewehr versehenen Garden zum Aussteigen und Ablegen der obbenannten Waffen. Einsehend, daß Gewalt gegen Uebermacht und Rohheit nur die schlimmsten Folgen nach sich ziehen und doch nicht zum Zwecke führen würde, Überdies bauend auf den Rechtssinn der Offiziere vom Regiment Emil, unterzogen sich selbe dem Befehl und sahen voll Befremden in das wilde Treiben der kampfgierigen Massen. Doch kaum hatten die Offiziere durch Abnahme der Waffen freien Spielraum, als der dort garnisonirende Major die gemeinsten Ausdrücke gebrauchte, die Garden hergelaufenes Gesindel schalt und seinen Gemeinheiten durch Feuern in die Garden Kraft verleihen wollte. Ja noch mehr; selbst die persönliche Freiheit jedes Einzelnen der Garden war in Zweifel gesetzt, als Einer das Wort nahm und den Major ersuchte, unbewaffnete Alle fortziehen zu lassen. Der Major verweigerte es mit den Worten: „In einem so wichtigen Moment, wie der jetzige, muß er selbst die persönliche Freiheit Aller angreifen.“ Obwohl zurückgehalten wagten es von 200 doch 15, worunter ein Garde aus Bialar, Namens Broudnoik und drei Akademiker verkleidet als Maschinenbauer, Kondukteure, Ofenheizer etc. die Reise zu unternehen, um wenigstens die Kunde treu und wahr den wackern Wienern zu überbringen, und ihre schwachen Kräfte eifrig dem Dienste für die Freiheit zu widmen. Aus Linz sind 120 junge Männer angekommen. Sie fuhren mit dem Dampfboote, mußten dasselbe aber schon in Mölk verlassen, weil man ihnen gesteckt hatte, daß Befehl gegeben sei, das Boot bei seiner Vorbeifahrt an Krems in den Grund zu schießen. (Zischen). Die jungen bewaffneten Kämpfer haben sich darauf zu Fuß von Mölk bis Wien über Gebirge und unwegsames Land, nicht ohne Gefahr, von dem Militär betroffen zu werden, durchgearbeitet. (Bravo.) Es haben sich Gerüchte verbreitet, als sei Minister Hornbostel gefangen auf den Spielberg abgeführt worden; diese Gerüchte sind einem Briefe zufolge, den ich von Hornbostel selbst erhalten habe, unwahr. Er befindet sich zurückgezogen in Oberöstreich. ‒ Das Comite zur Unterstützung armer Gewerbtreibender hat, wie es hieß, seine Thätigkeit nicht eingestellt, sondern ist jetzt thätiger als jemals. Es werden eine große Menge anonymer Zuschriften an den Reichstag, an den Ausschuß und an einzelne Mitglieder eingeschickt, welche die entsetzlichsten Drohungen enthalten, die mit der Freiheit im grellsten Widerspruch stehen. Wir erklären offen, daß wir diese Zuschriften nicht berücksichtigen, dem Reichstage also auch nicht verlesen können. (halblautes, verzagtes Bravo). Der größere Theil dieser Drohbriefe beschäftigt sich mit der ungarischen Frage; man macht uns Vorwürfe, daß wir die Ungarn nicht zu Hülfe gerufen haben. ‒ Wir mußten uns indessen auf dem gesetzlichen Boden halten und durften mit dem Kaiser keinen Krieg beginnen. Unsere That würde gewiß nicht zum Ruhm und Heile Wiens ausgefallen sein. Es ist zu bedauren, daß ein großer Theil (also doch!) der Bevölkerung nur den nächsten Augenblick im Auge hat. Durch ein plötzliches Luftmachen hätten wir wohl für Stunden und Tage die Wiederherstellung der gesetzlichen Freiheit errungen, aber nicht für Dauer. Das wichtigste Ereigniß der Nacht ist folgendes. Eine Deputation des Gemeinderaths ist im Ausschusse erschienen und erklärte, daß ihre an den Kaiser abgeschickte Deputation nicht vorgelassen, sondern an den Minister Wessenberg gewiesen worden sei. (Zischen.) Mitbürger! Die vom Gemeinderathe der Stadt Wien an Se. Majestät abgesandte Deputation ist gestern Abends um 8 Uhr ohne in einer Audienz empfangen worden zu sein, mit folgendem schriftlich mitgebrachten Bescheide zurückgekehrt: Die Adresse des löblichen Gemeinderathes der Stadt Wien ist Ihrer Majestät vorgelegt worden, da sie aber Bitten enthält, in welche Allerhöchst Dieselben unter gegenwärtigen Umständen nicht eingehen kann, so habe ich

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 129. Köln, 29. Oktober 1848. Zweite Ausgabe, S. 0653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz129ii_1848/1>, abgerufen am 28.03.2024.