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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 139. Köln, 10. November 1848.

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Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 139. Köln, Freitag den 10. November. 1848.
Uebersicht.

Deutschland. Berlin. (Provisorium. - Die "N. Preuß. Ztg." über Jacobi. - Freischaaren. - Kriminalistisches - National-Versammlung. - Interpellationen. - Anträge. - Das Ministerium Brandenburg soll gebildet sein. - Neuigkeiten. - Das "Ministerium der thierischen Soldateska." - Bürgerwehr-Kongreß). Wien. (Ein Beitrag zur Geschichte kaiserlicher Humanität. - Proklamationen. - Croatische Handhabung der Ruhe und Ordnung. - Stehlen und Plündern der Croaten. - Proscriptionen. - Blum verhaftet. - Marsch gegen Ungarn. - Die Ungarn sperren den Wienern die Lebensmittel ab. - Das Aussehen der Stadt. - Abmarsch des ersten Armeekorps nach Ungarn. - Die Arbeiter und das Eigenthum. - Heroismus der Reichsgewalt). Prag. Die Deputirten zurück. - Unruhen befürchtet). Aus Oesterreichisch-Schlesien. (Bauernaufstand). Frankfurt. (National-Versammlung) Schleswig. (Adresse auf Abberufung Stedtmanns. - Korrespondenz Stedtmanns und der gemeinsamen Regierung).

Polen. Krakau. (Ein Aufstand in Lemberg).

Donaufürstenthümer. Bukarest. (Sieg der "verfassungsmäßigen Freiheit und Ordnung").

Italien. (Der Aufstand in der Lombardei. - Der Herzog von Modena zurück. - Volksdemonstration zu Florenz).

Französische Republik. Paris. (Die Frankfurter Flüchtlinge. - Der Konflikt zwischen Linie und Mobilen. - National-Versammlung).

Deutschland.
20 . Berlin, 7. Nov.

Noch immer das Provisorium im Provisorium. Unsere Philister, die Ruhefanatiker, die Ritter von Gesetz und Ordnung sind untröstlich. Weder Bastard Dunois mit seinem Gelichter, noch Abbe Berg und sein Genosse Rodbertus, noch Freund Unruh und Grabow, noch endlich Waldeck haben die Zügel der Regierung ergriffen. Der Staatskarren steht, Niemand will ihn weiter schieben. Man fragt natürlich, was die Nationalversammelten in dieser Krisis thun. Nichts, Nichts und wiederum Nichts, ist die traurige Antwort. Versammlung auf eine Viertelstunde, Vertagung auf 6 Stunden und sofort, kurz freiwillige Vertagung mit einigen Unterbrechungen: das ist die große Thätigkeit der Vereinbarer. Ein seltsames Mißgeschick scheint über den konstituirenden Versammlungen dieses revolutionären Jahres zu wallten, daß keine den Weg zu gehen versteht, den das Volk ihr mit blutiger Spur vorgezeichnet hatte. Die Zeichen der Zeit gehen spurlos an ihren Augen und Ohren vorbei und kaum berührt die Athmosphäre des Volkes die Fußsohlen seiner in höheren Regionen schwebenden Auserwählten. Man tagt und tagt fort und fort, aber nie und nimmermehr will's Licht werden in den Köpfen der "Tagenden". So wird die preuß. Vereinbarer -Versammlung auch diesen Moment ungenützt vorübergehen lassen, ohne sich zu einer konstituirenden zu machen, und die 20fache Blamage wird um eine neue vermehrt. - Asservir la royaute, sans la detruire, dies wollen unsere Bourgeoisvertreter von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken, die höchstens 3 oder 4 Männer zählt, welche in einem Konvent nicht im Centrum sitzen würden.

Die Worte Jakobys an den König sind noch immer Gegenstand der öffentlichen Besprechung. Der Philister steht noch mit offenem Munde da und erholt sich mit Mühe von dem ersten Staunen über jene Wahrheit. Die Reaktionäre poltern sich heiser über die "Frechheit", "Unverschämtheit", "Verletzung des Hausrechts" und was sie Alles in jenen Worten finden. Dte Zeitung "mit Gott, für König und Vaterland", die seit einiger Zeit unaufhörlich von Blut trieft, weiß sich in ihrer Wuth gar nicht zu lassen und schämt sich natürlich nicht, Jakoby's Worte mit seiner Konsession in die engste Verbindung zu bringen. Die N. Pr. Ztg. ist überhaupt das Thermometer für die Pläne der Absolutisten. "Jetzt hilft nur Energie", sagt das saubere Blättlein, "und kostete es auch dem Könige seine Krone." "Berlin muß von Militär besetzt werden, ob mit, ob ohne Belagerungszustand, die Bürgerwehr muß entwaffnet werden " und dergleichen schöne Sachen mehr. - Heut ist denn auch wirklich das 24. Regiment, meist aus Berlinern bestehend, aus der Stadt gerückt, nachdem es gestern auf 6 Tage Proviant und scharfe Patronen erhalten hätte. Allgemein heißt es, daß statt ihrer Wrangel mit der Garde an die Stelle der 24er rücken werde. - Gut Glück! die Volksstimmung ist im Allgemeinen eine sehr gedrückte, ein Rückschlag gegen die ungeheure Erregung der letzten Tage. Das Volk trauert um das gefallene Wien.

Einem öffentlichen Aufrufe "an die Waffenfähigen Berlins" zufolge beabsichtigt der demokratische Landwehrverein in Verbindung mit dem demokratischen Bürgerwehrklub eine Freischaar zu bilden, die überall hin dirigirt werden soll, wo die Freiheit durch die bewaffnete Macht unterdrückt zu werden in Gefahr ist. - Auch die 4 fliegenden Korps haben sich jetzt zu einer "Wehrschaar" vereinigt; an ihrer Spitze steht der Rittmeister a. D. Vorpahl, ein bekannter Republikaner, wie die Voss. Ztg. sich ausdrückt.

Nachträglich berichte ich Ihnen noch die am Sonnabend den 4. erfolgte Freisprechung der 17, der Theilnahme am Zeughaussturme Angeklagten. - Der Staatsanwalt Blumberg beantragte 18monatliche, resp. einjährige und 2monatliche Strafarbeit; der Gerichtshof sprach die Angeklagten indeß wegen des gänzlich fehlenden objektiven Beweises von der Instanz frei. Vertheidiger waren Ref. Meyer und Fr. Stieber. Wie es heißt, hat der Staatsanwalt Appell eingelegt.

Den 10. Nov. kommt der bekannte Prozeß wegen der am 14. Juni ausgerissenen und fortgeschleppten Schloßgitter zur öffentl. Verhandlung. Der Hauptangeklagte, Ref. Rasch ist jedoch flüchtig. Den 11. Novbr. findet die öffent. Verhandlung gegen den Grafen Breßler, ein thätiges Mitglied des Preußenvereins, der am 25. Sept. zum Barrikadenbau aufforderte und Geld austheilte, Statt. Der Exgraf befindet sich seit Ende Sept. in Haft. Die in der Zeughausaffaire Angeklagten waren 20 Wochen im Kerker. Dafür waren diese auch nur arme Handwerker, "Gesindel", bei einem Grafen macht sich die Sache anders.

Nachschrift. So eben werden 18 Wagen voll Munition in die Stadt gebracht und theils in den Kasernen theils im Zeughause abgeladen.

103 Berlin, 7. Novbr.

National-Versammlung.

Gegen 10 Uhr Vormittags eröffnet der Präsident Unruh die Sitzung. Auf der Ministerbank befindet sich nur der Minister Kisker. Nach Verlesung des Protokolls erhält der Abgeordnete Auerswald II. das Wort zu einer persönlichen Bemerkung.

Auerswald II. Aus den stenographischen Berichten der 92. Sitzung ersehe ich, daß der Abg. Jacoby die traurige und bedrohliche Lage des Landes als ein Erbstück dreier Ministerien bezeichnet hat, "welche entweder nicht die Fähigkeit oder den Muth hatten, den Machinationen der Camarilla entgegen zu treten." Da ich an einem dieser Ministerien Theil genommen habe, so habe ich das Recht, diese Behauptung, die ohne die Spur eines Beweises auch gegen mich vorgebracht ist, zurückzuweisen. Wenn die vom Abg. Jacoby gebrauchte Phase einen Sinn haben soll, so ist damit gesagt, daß das Ministerium einen Einfluß geduldet hat, der sich nicht auf das Fundament eines konstitutionellen Regiments stützt. Ich weise eine solche Verdächtigung mit Verachtung zurück. (Unruhige Bewegung auf der linken Seite).

Präsident: Ich muß den Redner bitten, sich in den Grenzen der parlamentarischen Debatte zu halten.

Auerswald II.: Ich denke nicht, daß der Tag kommen wird, wo ich den Schmeicheleien und Drohungen einer Kamarilla, mag sie auf Parquetboden gehen, oder einer solchen, welche irgend welchen Klubs den Hof macht, meine Ueberzeugung opfern werde. Mit dem Abg. Jacoby bin ich darin einverstanden, daß die Lage des Landes ernst und bedrohlich ist. Aber der Abgeordnete wird nicht alle überreden, daß diese Gefahren allein von der Kamarilla kommen, daß in allen Ständen seine Ansicht vorherrischt. (Bravo rechts. Zischen links.

Jacoby: Ich werde mich nicht durch die Worte des abgetretenen Redners zu einer unparlamentarischen Erwiederung hinreißen lassen. Es ist jetzt die Zeit nicht, meine Behauptungen zu beweisen, aber ich werde das stets nach vorheriger Festsetzung thun.

Der Präsident erklärt die Sache hiermit für erledigt.

Man geht zum Bericht der Petitionskommission über. Die erste Nummer, welche eine Petition von D. A. Benda und Consorten behandelt, führt zu einem Antrage des

Abg.Behnsch: "Die Versammlung möge beschließen, daß die gesammten Urwähler des preußischen Staates zu befragen, ob sie das bisherige Verhalten der Centralgewalt mit der Einheit und Freiheit Deutschlands in Einklang erachten?"

Nach kurzer Debatte wird dieser Antrag verworfen und zur Tagesordnung übergegangen.

Die Prioritätskommission hat zwei dringenden Anträgen die Priorität zuerkannt, welche demnach sogleich zur Berathung kommen. Der erste von dem Abg. Kirchmann und Consorten:

"Die Versammlung wolle beschließen, daß in der morgenden Sitzung, auch wenn das neue Ministerium nicht erscheinen sollte, in der Berathung des Gesetzes wegen unentgeltlicher Aufhebung verschiedener Lasten und Abgaben, fortzufahren."

Nachdem die Antragsteller die Dringlichkeit und die Nothwendigkeit dieses Antrages begründet haben und der Abg. Arntz besonders aus der Geschichte der französischen Ministerkrisen seit 1830 bewies, daß in Frankreich die Deputirtenkammer stets bei den längeren wie kürzeren Ministerkrisen, ihre Berathungen ohne Unterbrechung fortsetzte, - wird dieser Antrag mit einem Zusatze, daß die ihrem Amte noch vorstehenden Minister zu der morgenden Sitzung eingeladen werden, mit großer Majorität angenommen. Die rechte Seite war gegen den Antrag.

Der zweite dringende Antrag ist von den Abgeordneten D'Ester und Temme:

"Die hohe Versammlung möge beschließen, den Minister des Innern aufzufordern, die von dem Minister Eichmann erlassene Bekanntmachung vom 1. d. wegen der Requirirung des Militärs zurückzunehmen."

Die Dringlichkeit dieses Antrages wird von der rechten Seite bestritten und daher eine Debatte über die Dringlichkeit eröffnet.

Temme beweist durch Aktenstücke vom Monate März, welche er vorliest, daß weder dem Minister Eichmann noch dem Magistrat oder dem städtischen Sicherheitsausschuß, welcher gar keine gesetzliche Behörde sei, das Recht zustehe, das Militär zu requiriren. Dies bleibt allein der Bürgerwehr überlassen.

Von der Rechten wird dies in Zweifel gezogen und besonders darauf viel Werth gelegt, daß der Minister Eichmann nicht gegenwärtig sei, um seine Bekanntmachung zu vertheidigen. Man müsse doch jedem das Recht der Vertheidigung zugestehen.

Als D'Ester im Namen der Antragsteller auf den Willen der Rechten einging, und die Verhandlung über diesen Antrag bis morgen aussetzen will, widerspricht man dem von der Rechten. Da stürmt D'Ester auf die Tribüne und sagt höhnisch und verächtlich auf die Rechte blickend: Wie macht man es Ihnen denn eigentlich recht, meine Herren? Sie bestreiten die Dringlichkeit des Antrages und behaupten, er könne heute nicht berathen werden, weil der Minister Eichmann, der Angeklagte, nicht zugegen sei. Wir gehen auf Ihren Willen ein. Da verlangen Sie wieder, man solle sogleich über die Dringlichkeit abstimmen. Ein solches Verfahren verdient, daß man es näher beleuchtet.

Die Rechte zieht ihren Antrag auf sofortige Abstimmung zurück und die Sache wird morgen weiter verhandelt werden.

Nachdem noch ein guter Theil des Petitionsberichts beseitigt ist, wird die Sitzung um 2 Uhr geschlossen.

Nächste Sitzung morgen 9 Uhr Vormittags.

103 Berlin, 7. Nov.

Der Abgeordnete Behnsch hat folgende schleunige Interpellation an das Staatsministerium eingereicht:

1) Ob es Kenntniß von dem Uebertritt ungarischer Krieger auf unser Gebiet habe.

2) Was es für diese Krieger, welche in den Reihen der Feinde des deutschen Volkes gegen die errungene Freiheit desselben und den erklärten Willen seiner gesetzlichen Vertreter nicht kämpfen wollten, zu thun gedenkt.

3) Ob es diesen Kriegern gestatten wolle, auf preußischem Gebiete in ihr Vaterland Ungarn zurückzukehren.

Zur Begründung meiner Interpellation erlaube ich mir von drei, im Wesentlichen übereinstimmenden, Adressen aus den Städten Waldenburg und Friedland, so wie aus dem Waldenburger Kreise, die letztere der hohen Nationalversammlung vorzulegen. Sie lautet:

"Am 30. October hat sich eine Schaar bewaffneter ungarischer Kavallerie auf preußischem Boden und in unserem Gränzbezirke eingefunden, nachdem sie bei Liebau die Gränze überschritten.

Blödsinn deutscher Zeitungen.

Die Reform. Organ der demokratischen Partei in Berlin. (A. Ruge, Redakteur.)

Seit gestern Abend studiere ich an einem Artikel der Reform, des Organs der demokratischen Partei in Berlin. Dieser Artikel ist überschrieben: "Die Königliche Botschaft und ihre Folgen."

Hätte ich seit gestern Steine geklopft, hätte ich den Dreschflegel geführt, hätte ich mich mit einem englischen Porter-Brauer geboxt, ich glaube, ich wäre nicht so todtmüde, als nach dem Studium dieses Artikels.

Wer mag ihn geschrieben haben? Ein Türke? nein, er hätte es nicht gewagt, er hätte hundert Stockprügel bekommen. Ein Chinese? nein, man hätte ihn an den nächsten Porzellanthurm gehängt. Ein Russe? nein, man hätte ihn nach Sibirien geschickt. Ein deutscher Gelehrter? Das wäre möglich!

Ein deutscher Gelehrter wagt Alles. Er fürchtet weder den Stock, noch den Strick, noch eine Reise nach Sibirien. Er scheut nicht einmal die Blamage vor seiner eigenen Partei. Bei einem deutschen Gelehrten ist alles möglich. Sei mir willkommen, o deutscher Gelehrter!

"Es ist von Interesse, die Ereignisse darauf anzusehn, welche Folgen sie in sich tragen." Mit dieser aus Holz geschnitzten Phrase beginnt der Artikel der Reform. Gewöhnliche Menschen würden sagen: Es ist von Interesse, den Geisterseher zu spielen, den Wahrsager oder den Kartenschläger. "Es gehört dazu nichts weiter, als daß man die Ereignisse selbst durchschaut." Allerdings! Leider sind die Ereignisse aber nicht so leicht zu durchschauen, als die deutschen Gelehrten. Die Reform gibt dies auch zu, indem sie fortfährt: "In unserm Falle freilich ist dies nicht leicht, wenigstens heute noch nicht." Giebt es etwas Naiveres als dies:"heute noch nicht?" Die Reform stellt sich hierdurch auf den Standpunkt einer Hebamme, die das Ereigniß der Schwangerschaft zwar in gewisser Weise durchschaut, die aber heute noch nicht sagen kann, ob morgen ein Knabe oder ein Mädchen zum Vorschein kommen wird. Der Kartenschläger ist eine Hebamme geworden. "Heute noch nicht!" sagt die Reform, denn: "es ist zweifelhaft, ob Brandenburgs Ernennung provisorisch oder definitiv, Ernst oder Scherz ist." Da haben wir's. Das Durchschauen des Ereignisses Brandenburg verursacht unserer Freundin so ungemeines Kopfzerbrechen. Aber nur weiter, Theuerste! Es wird schon gelingen. "Wollen wir also mit völliger Sicherheit das Verhängniß wissen, welches in der Königlichen Botschaft liegt, so müssen wir dieses Entweder-Oder sich erst entscheiden lassen." Hier macht die Reform eine Pause.

Nach allen Fratzen und Schnörkeln ist unsere Freundin, die Hebamme, mit dem überraschenden Resultate niedergekommen, daß man erst den Spaß oder den Ernst der Schwangerschaft abwarten muß, ehe man darüber urtheilen kann, ob das Ereigniß wirklich mit einem Kinde, oder nur mit einer Windblase zu Stuhle kommen wird. Trefflicher Kartenschläger! Weise Hebamme! Erst sieht die Reform das Ereigniß an, um uns weiß zu machen, daß sie es durchschauen würde. Dann bemerkt sie aber plötzlich, daß dies doch nicht so leicht ist und schließlich verzichtet sie ganz darauf und zieht es vor, hübsch abzuwarten. Ich weiß etwas, sagt Peter Simpel. Ich weiß beinah etwas, nein, ich weiß doch nichts.

Der mehr oder minder gelehrte Peter Simpel der Reform geht jetzt näher auf den Ernst und den Scherz des Ereignisses ein. Wir müssen gestehen, daß der Scherz uns dabei ausgeht; wir werden sehr ernst. Simpel's Stylübungen wirken auf uns wie ein Topf Fliederthee. Wir trocknen den Schweiß von der Stirn. Im Schweiße unseres Angesichts studiren wir Simpel's Folgerungen und Schlüsse. Es ist uns, als ob wir in finsterer Nacht durch ein frisch geackertes Feld stolperten; jeden Augenblick meinen wir zu fallen und den Hals zu brechen. Der Artikel der Reform ist ein wahrer Dornenpfad für jeden tugendhaften Leser.

"Ist die Ernennung eines parlamentarisch völlig unbekannten Soldaten definitiv und wirklicher Ernst, nun so ist die Nationalversammlung auf die vollkommenste Machtlosigkeit zurückgeführt."

Kann sich ein Tertianer besser ausdrücken? "Definitiv und wirklicher Ernst", "nun so ist","vollkommenste Machtlosigkeit". Simpel hat drei Redeperlen gefischt, die ihres Gleichen suchen.

Wir geben uns Mühe, den hohen Sinn der hohen Worte zu verstehen. Der "kühne Griff" des Königs ist die Ohnmacht der Nationalversammlung, scheint die Reform zu sagen; wir bekommen Muth weiter zu lesen: "Ihre, nämlich die einstimmige Verwahrung der Nationalversammlung gegen ein ernstlich gemeintes Ministerium Brandenburg hätte dieses nicht verhindert, zu regieren, und der Absolutismus wäre am 3. November 1848 auf die friedlichste Weise von der Welt wieder zurückgekehrt." Kaum dem ersten Dilemma entronnen, gerathen wir in neue Verlegenheit. Meint die Reform, daß die Nationalversammlung nur dann etwas vermöchte, wenn ihr der König scherzend gegenüber träte? Die Nationalversammlung mag sich bei Herrn Simpel für diese Artigkeit bedanken.

Aber die Reform sieht bereits ein, daß sie einen Bock geschossen hat. Der Grobheit folgt die Entschuldigung auf dem Fuße nach.

"Es wird wohl Niemand so blind sein" - ruft sie mit Pathos aus - "um diese Idylle der Knechtschaft, dieses Verzichten des Volkes auf sein ganzes Recht ohne Gewalt für möglich zu halten."

Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 139. Köln, Freitag den 10. November. 1848.
Uebersicht.

Deutschland. Berlin. (Provisorium. ‒ Die „N. Preuß. Ztg.“ über Jacobi. ‒ Freischaaren. ‒ Kriminalistisches ‒ National-Versammlung. ‒ Interpellationen. ‒ Anträge. ‒ Das Ministerium Brandenburg soll gebildet sein. ‒ Neuigkeiten. ‒ Das „Ministerium der thierischen Soldateska.“ ‒ Bürgerwehr-Kongreß). Wien. (Ein Beitrag zur Geschichte kaiserlicher Humanität. ‒ Proklamationen. ‒ Croatische Handhabung der Ruhe und Ordnung. ‒ Stehlen und Plündern der Croaten. ‒ Proscriptionen. ‒ Blum verhaftet. ‒ Marsch gegen Ungarn. ‒ Die Ungarn sperren den Wienern die Lebensmittel ab. ‒ Das Aussehen der Stadt. ‒ Abmarsch des ersten Armeekorps nach Ungarn. ‒ Die Arbeiter und das Eigenthum. ‒ Heroismus der Reichsgewalt). Prag. Die Deputirten zurück. ‒ Unruhen befürchtet). Aus Oesterreichisch-Schlesien. (Bauernaufstand). Frankfurt. (National-Versammlung) Schleswig. (Adresse auf Abberufung Stedtmanns. ‒ Korrespondenz Stedtmanns und der gemeinsamen Regierung).

Polen. Krakau. (Ein Aufstand in Lemberg).

Donaufürstenthümer. Bukarest. (Sieg der „verfassungsmäßigen Freiheit und Ordnung“).

Italien. (Der Aufstand in der Lombardei. ‒ Der Herzog von Modena zurück. ‒ Volksdemonstration zu Florenz).

Französische Republik. Paris. (Die Frankfurter Flüchtlinge. ‒ Der Konflikt zwischen Linie und Mobilen. ‒ National-Versammlung).

Deutschland.
20 . Berlin, 7. Nov.

Noch immer das Provisorium im Provisorium. Unsere Philister, die Ruhefanatiker, die Ritter von Gesetz und Ordnung sind untröstlich. Weder Bastard Dunois mit seinem Gelichter, noch Abbé Berg und sein Genosse Rodbertus, noch Freund Unruh und Grabow, noch endlich Waldeck haben die Zügel der Regierung ergriffen. Der Staatskarren steht, Niemand will ihn weiter schieben. Man fragt natürlich, was die Nationalversammelten in dieser Krisis thun. Nichts, Nichts und wiederum Nichts, ist die traurige Antwort. Versammlung auf eine Viertelstunde, Vertagung auf 6 Stunden und sofort, kurz freiwillige Vertagung mit einigen Unterbrechungen: das ist die große Thätigkeit der Vereinbarer. Ein seltsames Mißgeschick scheint über den konstituirenden Versammlungen dieses revolutionären Jahres zu wallten, daß keine den Weg zu gehen versteht, den das Volk ihr mit blutiger Spur vorgezeichnet hatte. Die Zeichen der Zeit gehen spurlos an ihren Augen und Ohren vorbei und kaum berührt die Athmosphäre des Volkes die Fußsohlen seiner in höheren Regionen schwebenden Auserwählten. Man tagt und tagt fort und fort, aber nie und nimmermehr will's Licht werden in den Köpfen der „Tagenden“. So wird die preuß. Vereinbarer -Versammlung auch diesen Moment ungenützt vorübergehen lassen, ohne sich zu einer konstituirenden zu machen, und die 20fache Blamage wird um eine neue vermehrt. ‒ Asservir la royauté, sans la détruire, dies wollen unsere Bourgeoisvertreter von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken, die höchstens 3 oder 4 Männer zählt, welche in einem Konvent nicht im Centrum sitzen würden.

Die Worte Jakobys an den König sind noch immer Gegenstand der öffentlichen Besprechung. Der Philister steht noch mit offenem Munde da und erholt sich mit Mühe von dem ersten Staunen über jene Wahrheit. Die Reaktionäre poltern sich heiser über die „Frechheit“, „Unverschämtheit“, „Verletzung des Hausrechts“ und was sie Alles in jenen Worten finden. Dte Zeitung „mit Gott, für König und Vaterland“, die seit einiger Zeit unaufhörlich von Blut trieft, weiß sich in ihrer Wuth gar nicht zu lassen und schämt sich natürlich nicht, Jakoby's Worte mit seiner Konsession in die engste Verbindung zu bringen. Die N. Pr. Ztg. ist überhaupt das Thermometer für die Pläne der Absolutisten. „Jetzt hilft nur Energie“, sagt das saubere Blättlein, „und kostete es auch dem Könige seine Krone.“ „Berlin muß von Militär besetzt werden, ob mit, ob ohne Belagerungszustand, die Bürgerwehr muß entwaffnet werden “ und dergleichen schöne Sachen mehr. ‒ Heut ist denn auch wirklich das 24. Regiment, meist aus Berlinern bestehend, aus der Stadt gerückt, nachdem es gestern auf 6 Tage Proviant und scharfe Patronen erhalten hätte. Allgemein heißt es, daß statt ihrer Wrangel mit der Garde an die Stelle der 24er rücken werde. ‒ Gut Glück! die Volksstimmung ist im Allgemeinen eine sehr gedrückte, ein Rückschlag gegen die ungeheure Erregung der letzten Tage. Das Volk trauert um das gefallene Wien.

Einem öffentlichen Aufrufe „an die Waffenfähigen Berlins“ zufolge beabsichtigt der demokratische Landwehrverein in Verbindung mit dem demokratischen Bürgerwehrklub eine Freischaar zu bilden, die überall hin dirigirt werden soll, wo die Freiheit durch die bewaffnete Macht unterdrückt zu werden in Gefahr ist. ‒ Auch die 4 fliegenden Korps haben sich jetzt zu einer „Wehrschaar“ vereinigt; an ihrer Spitze steht der Rittmeister a. D. Vorpahl, ein bekannter Republikaner, wie die Voss. Ztg. sich ausdrückt.

Nachträglich berichte ich Ihnen noch die am Sonnabend den 4. erfolgte Freisprechung der 17, der Theilnahme am Zeughaussturme Angeklagten. ‒ Der Staatsanwalt Blumberg beantragte 18monatliche, resp. einjährige und 2monatliche Strafarbeit; der Gerichtshof sprach die Angeklagten indeß wegen des gänzlich fehlenden objektiven Beweises von der Instanz frei. Vertheidiger waren Ref. Meyer und Fr. Stieber. Wie es heißt, hat der Staatsanwalt Appell eingelegt.

Den 10. Nov. kommt der bekannte Prozeß wegen der am 14. Juni ausgerissenen und fortgeschleppten Schloßgitter zur öffentl. Verhandlung. Der Hauptangeklagte, Ref. Rasch ist jedoch flüchtig. Den 11. Novbr. findet die öffent. Verhandlung gegen den Grafen Breßler, ein thätiges Mitglied des Preußenvereins, der am 25. Sept. zum Barrikadenbau aufforderte und Geld austheilte, Statt. Der Exgraf befindet sich seit Ende Sept. in Haft. Die in der Zeughausaffaire Angeklagten waren 20 Wochen im Kerker. Dafür waren diese auch nur arme Handwerker, „Gesindel“, bei einem Grafen macht sich die Sache anders.

Nachschrift. So eben werden 18 Wagen voll Munition in die Stadt gebracht und theils in den Kasernen theils im Zeughause abgeladen.

103 Berlin, 7. Novbr.

National-Versammlung.

Gegen 10 Uhr Vormittags eröffnet der Präsident Unruh die Sitzung. Auf der Ministerbank befindet sich nur der Minister Kisker. Nach Verlesung des Protokolls erhält der Abgeordnete Auerswald II. das Wort zu einer persönlichen Bemerkung.

Auerswald II. Aus den stenographischen Berichten der 92. Sitzung ersehe ich, daß der Abg. Jacoby die traurige und bedrohliche Lage des Landes als ein Erbstück dreier Ministerien bezeichnet hat, „welche entweder nicht die Fähigkeit oder den Muth hatten, den Machinationen der Camarilla entgegen zu treten.“ Da ich an einem dieser Ministerien Theil genommen habe, so habe ich das Recht, diese Behauptung, die ohne die Spur eines Beweises auch gegen mich vorgebracht ist, zurückzuweisen. Wenn die vom Abg. Jacoby gebrauchte Phase einen Sinn haben soll, so ist damit gesagt, daß das Ministerium einen Einfluß geduldet hat, der sich nicht auf das Fundament eines konstitutionellen Regiments stützt. Ich weise eine solche Verdächtigung mit Verachtung zurück. (Unruhige Bewegung auf der linken Seite).

Präsident: Ich muß den Redner bitten, sich in den Grenzen der parlamentarischen Debatte zu halten.

Auerswald II.: Ich denke nicht, daß der Tag kommen wird, wo ich den Schmeicheleien und Drohungen einer Kamarilla, mag sie auf Parquetboden gehen, oder einer solchen, welche irgend welchen Klubs den Hof macht, meine Ueberzeugung opfern werde. Mit dem Abg. Jacoby bin ich darin einverstanden, daß die Lage des Landes ernst und bedrohlich ist. Aber der Abgeordnete wird nicht alle überreden, daß diese Gefahren allein von der Kamarilla kommen, daß in allen Ständen seine Ansicht vorherrischt. (Bravo rechts. Zischen links.

Jacoby: Ich werde mich nicht durch die Worte des abgetretenen Redners zu einer unparlamentarischen Erwiederung hinreißen lassen. Es ist jetzt die Zeit nicht, meine Behauptungen zu beweisen, aber ich werde das stets nach vorheriger Festsetzung thun.

Der Präsident erklärt die Sache hiermit für erledigt.

Man geht zum Bericht der Petitionskommission über. Die erste Nummer, welche eine Petition von D. A. Benda und Consorten behandelt, führt zu einem Antrage des

Abg.Behnsch: „Die Versammlung möge beschließen, daß die gesammten Urwähler des preußischen Staates zu befragen, ob sie das bisherige Verhalten der Centralgewalt mit der Einheit und Freiheit Deutschlands in Einklang erachten?“

Nach kurzer Debatte wird dieser Antrag verworfen und zur Tagesordnung übergegangen.

Die Prioritätskommission hat zwei dringenden Anträgen die Priorität zuerkannt, welche demnach sogleich zur Berathung kommen. Der erste von dem Abg. Kirchmann und Consorten:

„Die Versammlung wolle beschließen, daß in der morgenden Sitzung, auch wenn das neue Ministerium nicht erscheinen sollte, in der Berathung des Gesetzes wegen unentgeltlicher Aufhebung verschiedener Lasten und Abgaben, fortzufahren.“

Nachdem die Antragsteller die Dringlichkeit und die Nothwendigkeit dieses Antrages begründet haben und der Abg. Arntz besonders aus der Geschichte der französischen Ministerkrisen seit 1830 bewies, daß in Frankreich die Deputirtenkammer stets bei den längeren wie kürzeren Ministerkrisen, ihre Berathungen ohne Unterbrechung fortsetzte, ‒ wird dieser Antrag mit einem Zusatze, daß die ihrem Amte noch vorstehenden Minister zu der morgenden Sitzung eingeladen werden, mit großer Majorität angenommen. Die rechte Seite war gegen den Antrag.

Der zweite dringende Antrag ist von den Abgeordneten D'Ester und Temme:

„Die hohe Versammlung möge beschließen, den Minister des Innern aufzufordern, die von dem Minister Eichmann erlassene Bekanntmachung vom 1. d. wegen der Requirirung des Militärs zurückzunehmen.“

Die Dringlichkeit dieses Antrages wird von der rechten Seite bestritten und daher eine Debatte über die Dringlichkeit eröffnet.

Temme beweist durch Aktenstücke vom Monate März, welche er vorliest, daß weder dem Minister Eichmann noch dem Magistrat oder dem städtischen Sicherheitsausschuß, welcher gar keine gesetzliche Behörde sei, das Recht zustehe, das Militär zu requiriren. Dies bleibt allein der Bürgerwehr überlassen.

Von der Rechten wird dies in Zweifel gezogen und besonders darauf viel Werth gelegt, daß der Minister Eichmann nicht gegenwärtig sei, um seine Bekanntmachung zu vertheidigen. Man müsse doch jedem das Recht der Vertheidigung zugestehen.

Als D'Ester im Namen der Antragsteller auf den Willen der Rechten einging, und die Verhandlung über diesen Antrag bis morgen aussetzen will, widerspricht man dem von der Rechten. Da stürmt D'Ester auf die Tribüne und sagt höhnisch und verächtlich auf die Rechte blickend: Wie macht man es Ihnen denn eigentlich recht, meine Herren? Sie bestreiten die Dringlichkeit des Antrages und behaupten, er könne heute nicht berathen werden, weil der Minister Eichmann, der Angeklagte, nicht zugegen sei. Wir gehen auf Ihren Willen ein. Da verlangen Sie wieder, man solle sogleich über die Dringlichkeit abstimmen. Ein solches Verfahren verdient, daß man es näher beleuchtet.

Die Rechte zieht ihren Antrag auf sofortige Abstimmung zurück und die Sache wird morgen weiter verhandelt werden.

Nachdem noch ein guter Theil des Petitionsberichts beseitigt ist, wird die Sitzung um 2 Uhr geschlossen.

Nächste Sitzung morgen 9 Uhr Vormittags.

103 Berlin, 7. Nov.

Der Abgeordnete Behnsch hat folgende schleunige Interpellation an das Staatsministerium eingereicht:

1) Ob es Kenntniß von dem Uebertritt ungarischer Krieger auf unser Gebiet habe.

2) Was es für diese Krieger, welche in den Reihen der Feinde des deutschen Volkes gegen die errungene Freiheit desselben und den erklärten Willen seiner gesetzlichen Vertreter nicht kämpfen wollten, zu thun gedenkt.

3) Ob es diesen Kriegern gestatten wolle, auf preußischem Gebiete in ihr Vaterland Ungarn zurückzukehren.

Zur Begründung meiner Interpellation erlaube ich mir von drei, im Wesentlichen übereinstimmenden, Adressen aus den Städten Waldenburg und Friedland, so wie aus dem Waldenburger Kreise, die letztere der hohen Nationalversammlung vorzulegen. Sie lautet:

„Am 30. October hat sich eine Schaar bewaffneter ungarischer Kavallerie auf preußischem Boden und in unserem Gränzbezirke eingefunden, nachdem sie bei Liebau die Gränze überschritten.

Blödsinn deutscher Zeitungen.

Die Reform. Organ der demokratischen Partei in Berlin. (A. Ruge, Redakteur.)

Seit gestern Abend studiere ich an einem Artikel der Reform, des Organs der demokratischen Partei in Berlin. Dieser Artikel ist überschrieben: „Die Königliche Botschaft und ihre Folgen.“

Hätte ich seit gestern Steine geklopft, hätte ich den Dreschflegel geführt, hätte ich mich mit einem englischen Porter-Brauer geboxt, ich glaube, ich wäre nicht so todtmüde, als nach dem Studium dieses Artikels.

Wer mag ihn geschrieben haben? Ein Türke? nein, er hätte es nicht gewagt, er hätte hundert Stockprügel bekommen. Ein Chinese? nein, man hätte ihn an den nächsten Porzellanthurm gehängt. Ein Russe? nein, man hätte ihn nach Sibirien geschickt. Ein deutscher Gelehrter? Das wäre möglich!

Ein deutscher Gelehrter wagt Alles. Er fürchtet weder den Stock, noch den Strick, noch eine Reise nach Sibirien. Er scheut nicht einmal die Blamage vor seiner eigenen Partei. Bei einem deutschen Gelehrten ist alles möglich. Sei mir willkommen, o deutscher Gelehrter!

„Es ist von Interesse, die Ereignisse darauf anzusehn, welche Folgen sie in sich tragen.“ Mit dieser aus Holz geschnitzten Phrase beginnt der Artikel der Reform. Gewöhnliche Menschen würden sagen: Es ist von Interesse, den Geisterseher zu spielen, den Wahrsager oder den Kartenschläger. „Es gehört dazu nichts weiter, als daß man die Ereignisse selbst durchschaut.“ Allerdings! Leider sind die Ereignisse aber nicht so leicht zu durchschauen, als die deutschen Gelehrten. Die Reform gibt dies auch zu, indem sie fortfährt: „In unserm Falle freilich ist dies nicht leicht, wenigstens heute noch nicht.“ Giebt es etwas Naiveres als dies:„heute noch nicht?“ Die Reform stellt sich hierdurch auf den Standpunkt einer Hebamme, die das Ereigniß der Schwangerschaft zwar in gewisser Weise durchschaut, die aber heute noch nicht sagen kann, ob morgen ein Knabe oder ein Mädchen zum Vorschein kommen wird. Der Kartenschläger ist eine Hebamme geworden. „Heute noch nicht!“ sagt die Reform, denn: „es ist zweifelhaft, ob Brandenburgs Ernennung provisorisch oder definitiv, Ernst oder Scherz ist.“ Da haben wir's. Das Durchschauen des Ereignisses Brandenburg verursacht unserer Freundin so ungemeines Kopfzerbrechen. Aber nur weiter, Theuerste! Es wird schon gelingen. „Wollen wir also mit völliger Sicherheit das Verhängniß wissen, welches in der Königlichen Botschaft liegt, so müssen wir dieses Entweder-Oder sich erst entscheiden lassen.“ Hier macht die Reform eine Pause.

Nach allen Fratzen und Schnörkeln ist unsere Freundin, die Hebamme, mit dem überraschenden Resultate niedergekommen, daß man erst den Spaß oder den Ernst der Schwangerschaft abwarten muß, ehe man darüber urtheilen kann, ob das Ereigniß wirklich mit einem Kinde, oder nur mit einer Windblase zu Stuhle kommen wird. Trefflicher Kartenschläger! Weise Hebamme! Erst sieht die Reform das Ereigniß an, um uns weiß zu machen, daß sie es durchschauen würde. Dann bemerkt sie aber plötzlich, daß dies doch nicht so leicht ist und schließlich verzichtet sie ganz darauf und zieht es vor, hübsch abzuwarten. Ich weiß etwas, sagt Peter Simpel. Ich weiß beinah etwas, nein, ich weiß doch nichts.

Der mehr oder minder gelehrte Peter Simpel der Reform geht jetzt näher auf den Ernst und den Scherz des Ereignisses ein. Wir müssen gestehen, daß der Scherz uns dabei ausgeht; wir werden sehr ernst. Simpel's Stylübungen wirken auf uns wie ein Topf Fliederthee. Wir trocknen den Schweiß von der Stirn. Im Schweiße unseres Angesichts studiren wir Simpel's Folgerungen und Schlüsse. Es ist uns, als ob wir in finsterer Nacht durch ein frisch geackertes Feld stolperten; jeden Augenblick meinen wir zu fallen und den Hals zu brechen. Der Artikel der Reform ist ein wahrer Dornenpfad für jeden tugendhaften Leser.

„Ist die Ernennung eines parlamentarisch völlig unbekannten Soldaten definitiv und wirklicher Ernst, nun so ist die Nationalversammlung auf die vollkommenste Machtlosigkeit zurückgeführt.“

Kann sich ein Tertianer besser ausdrücken? „Definitiv und wirklicher Ernst“, „nun so ist“,„vollkommenste Machtlosigkeit“. Simpel hat drei Redeperlen gefischt, die ihres Gleichen suchen.

Wir geben uns Mühe, den hohen Sinn der hohen Worte zu verstehen. Der „kühne Griff“ des Königs ist die Ohnmacht der Nationalversammlung, scheint die Reform zu sagen; wir bekommen Muth weiter zu lesen: „Ihre, nämlich die einstimmige Verwahrung der Nationalversammlung gegen ein ernstlich gemeintes Ministerium Brandenburg hätte dieses nicht verhindert, zu regieren, und der Absolutismus wäre am 3. November 1848 auf die friedlichste Weise von der Welt wieder zurückgekehrt.“ Kaum dem ersten Dilemma entronnen, gerathen wir in neue Verlegenheit. Meint die Reform, daß die Nationalversammlung nur dann etwas vermöchte, wenn ihr der König scherzend gegenüber träte? Die Nationalversammlung mag sich bei Herrn Simpel für diese Artigkeit bedanken.

Aber die Reform sieht bereits ein, daß sie einen Bock geschossen hat. Der Grobheit folgt die Entschuldigung auf dem Fuße nach.

„Es wird wohl Niemand so blind sein“ ‒ ruft sie mit Pathos aus ‒ „um diese Idylle der Knechtschaft, dieses Verzichten des Volkes auf sein ganzes Recht ohne Gewalt für möglich zu halten.“

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      <titlePage type="heading">
        <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart>
        <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart>
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          <docDate>No 139. Köln, Freitag den 10. November. 1848.</docDate>
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        <head>Uebersicht.</head>
        <p><hi rendition="#g">Deutschland.</hi> Berlin. (Provisorium. &#x2012; Die &#x201E;N. Preuß. Ztg.&#x201C; über Jacobi. &#x2012; Freischaaren. &#x2012; Kriminalistisches &#x2012; National-Versammlung. &#x2012; Interpellationen. &#x2012; Anträge. &#x2012; Das <hi rendition="#g">Ministerium Brandenburg soll gebildet sein.</hi> &#x2012; Neuigkeiten. &#x2012; Das &#x201E;Ministerium der thierischen Soldateska.&#x201C; &#x2012; Bürgerwehr-Kongreß). Wien. (Ein Beitrag zur Geschichte kaiserlicher Humanität. &#x2012; Proklamationen. &#x2012; Croatische Handhabung der Ruhe und Ordnung. &#x2012; Stehlen und Plündern der Croaten. &#x2012; Proscriptionen. &#x2012; Blum verhaftet. &#x2012; Marsch gegen Ungarn. &#x2012; Die Ungarn sperren den Wienern die Lebensmittel ab. &#x2012; Das Aussehen der Stadt. &#x2012; Abmarsch des ersten Armeekorps nach Ungarn. &#x2012; Die Arbeiter und das Eigenthum. &#x2012; <hi rendition="#g">Heroismus der Reichsgewalt).</hi> Prag. Die Deputirten zurück. &#x2012; Unruhen befürchtet). Aus Oesterreichisch-Schlesien. (Bauernaufstand). Frankfurt. (National-Versammlung) Schleswig. (Adresse auf Abberufung Stedtmanns. &#x2012; Korrespondenz Stedtmanns und der gemeinsamen Regierung).</p>
        <p><hi rendition="#g">Polen.</hi> Krakau. (Ein Aufstand in Lemberg).</p>
        <p><hi rendition="#g">Donaufürstenthümer.</hi> Bukarest. (Sieg der &#x201E;verfassungsmäßigen Freiheit und Ordnung&#x201C;).</p>
        <p><hi rendition="#g">Italien.</hi> (Der Aufstand in der Lombardei. &#x2012; Der Herzog von Modena zurück. &#x2012; Volksdemonstration zu Florenz).</p>
        <p><hi rendition="#g">Französische Republik.</hi> Paris. (Die Frankfurter Flüchtlinge. &#x2012; Der Konflikt zwischen Linie und Mobilen. &#x2012; National-Versammlung).</p>
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        <head>Deutschland.</head>
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          <head><bibl><author>20</author></bibl>. Berlin, 7. Nov.</head>
          <p>Noch immer das Provisorium im Provisorium. Unsere Philister, die Ruhefanatiker, die Ritter von Gesetz und Ordnung sind untröstlich. Weder Bastard Dunois mit seinem Gelichter, noch Abbé Berg und sein Genosse Rodbertus, noch Freund Unruh und Grabow, noch endlich Waldeck haben die Zügel der Regierung ergriffen. Der Staatskarren steht, Niemand will ihn weiter schieben. Man fragt natürlich, was die Nationalversammelten in dieser Krisis thun. Nichts, Nichts und wiederum Nichts, ist die traurige Antwort. Versammlung auf eine Viertelstunde, Vertagung auf 6 Stunden und sofort, kurz freiwillige Vertagung mit einigen Unterbrechungen: das ist die große Thätigkeit der Vereinbarer. Ein seltsames Mißgeschick scheint über den konstituirenden Versammlungen dieses revolutionären Jahres zu wallten, daß keine den Weg zu gehen versteht, den das Volk ihr mit blutiger Spur vorgezeichnet hatte. Die Zeichen der Zeit gehen spurlos an ihren Augen und Ohren vorbei und kaum berührt die Athmosphäre des Volkes die Fußsohlen seiner in höheren Regionen schwebenden Auserwählten. Man tagt und tagt fort und fort, aber nie und nimmermehr will's Licht werden in den Köpfen der &#x201E;Tagenden&#x201C;. So wird die preuß. <hi rendition="#g">Vereinbarer</hi> -Versammlung auch diesen Moment ungenützt vorübergehen lassen, ohne sich zu einer <hi rendition="#g">konstituirenden</hi> zu machen, und die 20fache Blamage wird um eine neue vermehrt. &#x2012; Asservir la royauté, sans la détruire, dies wollen unsere Bourgeoisvertreter von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken, die höchstens 3 oder 4 Männer zählt, welche in einem Konvent nicht im Centrum sitzen würden.</p>
          <p>Die Worte Jakobys an den König sind noch immer Gegenstand der öffentlichen Besprechung. Der Philister steht noch mit offenem Munde da und erholt sich mit Mühe von dem ersten Staunen über jene Wahrheit. Die Reaktionäre poltern sich heiser über die &#x201E;Frechheit&#x201C;, &#x201E;Unverschämtheit&#x201C;, &#x201E;Verletzung des Hausrechts&#x201C; und was sie Alles in jenen Worten finden. Dte Zeitung &#x201E;mit Gott, für König und Vaterland&#x201C;, die seit einiger Zeit unaufhörlich von Blut trieft, weiß sich in ihrer Wuth gar nicht zu lassen und schämt sich natürlich nicht, Jakoby's Worte mit seiner Konsession in die engste Verbindung zu bringen. Die N. Pr. Ztg. ist überhaupt das Thermometer für die Pläne der Absolutisten. &#x201E;Jetzt hilft nur Energie&#x201C;, sagt das saubere Blättlein, &#x201E;und kostete es auch dem Könige seine Krone.&#x201C; &#x201E;Berlin muß von Militär besetzt werden, ob mit, ob ohne Belagerungszustand, die Bürgerwehr muß entwaffnet werden &#x201C; und dergleichen schöne Sachen mehr. &#x2012; Heut ist denn auch wirklich das 24. Regiment, meist aus Berlinern bestehend, aus der Stadt gerückt, nachdem es gestern auf 6 Tage Proviant und scharfe Patronen erhalten hätte. Allgemein heißt es, daß statt ihrer Wrangel mit der Garde an die Stelle der 24er rücken werde. &#x2012; Gut Glück! die Volksstimmung ist im Allgemeinen eine sehr gedrückte, ein Rückschlag gegen die ungeheure Erregung der letzten Tage. Das Volk trauert um das gefallene Wien.</p>
          <p>Einem öffentlichen Aufrufe &#x201E;an die Waffenfähigen Berlins&#x201C; zufolge beabsichtigt der demokratische Landwehrverein in Verbindung mit dem demokratischen Bürgerwehrklub eine Freischaar zu bilden, die überall hin dirigirt werden soll, wo die Freiheit durch die bewaffnete Macht unterdrückt zu werden in Gefahr ist. &#x2012; Auch die 4 fliegenden Korps haben sich jetzt zu <hi rendition="#g">einer</hi> &#x201E;Wehrschaar&#x201C; vereinigt; an ihrer Spitze steht der Rittmeister a. D. Vorpahl, ein bekannter Republikaner, wie die Voss. Ztg. sich ausdrückt.</p>
          <p>Nachträglich berichte ich Ihnen noch die am Sonnabend den 4. erfolgte Freisprechung der 17, der Theilnahme am Zeughaussturme Angeklagten. &#x2012; Der Staatsanwalt Blumberg beantragte 18monatliche, resp. einjährige und 2monatliche Strafarbeit; der Gerichtshof sprach die Angeklagten indeß wegen des gänzlich fehlenden objektiven Beweises von der Instanz frei. Vertheidiger waren <hi rendition="#g">Ref. Meyer</hi> und <hi rendition="#g">Fr. Stieber.</hi> Wie es heißt, hat der Staatsanwalt Appell eingelegt.</p>
          <p>Den 10. Nov. kommt der bekannte Prozeß wegen der am 14. Juni ausgerissenen und fortgeschleppten Schloßgitter zur öffentl. Verhandlung. Der Hauptangeklagte, <hi rendition="#g">Ref. Rasch</hi> ist jedoch flüchtig. Den 11. Novbr. findet die öffent. Verhandlung gegen den Grafen Breßler, ein thätiges Mitglied des Preußenvereins, der am 25. Sept. zum Barrikadenbau aufforderte und Geld austheilte, Statt. Der Exgraf befindet sich seit Ende Sept. in Haft. Die in der Zeughausaffaire Angeklagten waren 20 Wochen im Kerker. Dafür waren diese auch nur arme Handwerker, &#x201E;Gesindel&#x201C;, bei einem Grafen macht sich die Sache anders.</p>
          <p><hi rendition="#g">Nachschrift.</hi> So eben werden 18 Wagen voll Munition in die Stadt gebracht und theils in den Kasernen theils im Zeughause abgeladen.</p>
        </div>
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          <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 7. Novbr.</head>
          <p>National-Versammlung.</p>
          <p>Gegen 10 Uhr Vormittags eröffnet der Präsident <hi rendition="#g">Unruh</hi> die Sitzung. Auf der Ministerbank befindet sich nur der Minister <hi rendition="#g">Kisker.</hi> Nach Verlesung des Protokolls erhält der Abgeordnete <hi rendition="#g">Auerswald II.</hi> das Wort zu einer persönlichen Bemerkung.</p>
          <p><hi rendition="#g">Auerswald II.</hi> Aus den stenographischen Berichten der 92. Sitzung ersehe ich, daß der Abg. <hi rendition="#g">Jacoby</hi> die traurige und bedrohliche Lage des Landes als ein Erbstück dreier Ministerien bezeichnet hat, &#x201E;welche entweder nicht die Fähigkeit oder den Muth hatten, den Machinationen der Camarilla entgegen zu treten.&#x201C; Da ich an einem dieser Ministerien Theil genommen habe, so habe ich das Recht, diese Behauptung, die ohne die Spur eines Beweises auch gegen mich vorgebracht ist, zurückzuweisen. Wenn die vom Abg. Jacoby gebrauchte Phase einen Sinn haben soll, so ist damit gesagt, daß das Ministerium einen Einfluß geduldet hat, der sich nicht auf das Fundament eines konstitutionellen Regiments stützt. Ich weise eine solche Verdächtigung mit Verachtung zurück. (Unruhige Bewegung auf der linken Seite).</p>
          <p><hi rendition="#g">Präsident:</hi> Ich muß den Redner bitten, sich in den Grenzen der parlamentarischen Debatte zu halten.</p>
          <p><hi rendition="#g">Auerswald II.:</hi> Ich denke nicht, daß der Tag kommen wird, wo ich den Schmeicheleien und Drohungen einer Kamarilla, mag sie auf Parquetboden gehen, oder einer solchen, welche irgend welchen Klubs den Hof macht, meine Ueberzeugung opfern werde. Mit dem Abg. Jacoby bin ich darin einverstanden, daß die Lage des Landes ernst und bedrohlich ist. Aber der Abgeordnete wird nicht alle überreden, daß diese Gefahren allein von der Kamarilla kommen, daß in allen Ständen seine Ansicht vorherrischt. (Bravo rechts. Zischen links.</p>
          <p><hi rendition="#g">Jacoby:</hi> Ich werde mich nicht durch die Worte des abgetretenen Redners zu einer unparlamentarischen Erwiederung hinreißen lassen. Es ist jetzt die Zeit nicht, meine Behauptungen zu beweisen, aber ich werde das stets nach vorheriger Festsetzung thun.</p>
          <p>Der <hi rendition="#g">Präsident</hi> erklärt die Sache hiermit für erledigt.</p>
          <p>Man geht zum Bericht der Petitionskommission über. Die erste Nummer, welche eine Petition von <hi rendition="#g">D. A. Benda</hi> und Consorten behandelt, führt zu einem Antrage des</p>
          <p>Abg.<hi rendition="#g">Behnsch:</hi> &#x201E;Die Versammlung möge beschließen, daß die gesammten Urwähler des preußischen Staates zu befragen, ob sie das bisherige Verhalten der Centralgewalt mit der Einheit und Freiheit Deutschlands in Einklang erachten?&#x201C;</p>
          <p>Nach kurzer Debatte wird dieser Antrag verworfen und zur Tagesordnung übergegangen.</p>
          <p>Die Prioritätskommission hat zwei dringenden Anträgen die Priorität zuerkannt, welche demnach sogleich zur Berathung kommen. Der erste von dem Abg. <hi rendition="#g">Kirchmann</hi> und Consorten:</p>
          <p>&#x201E;Die Versammlung wolle beschließen, daß in der morgenden Sitzung, auch wenn das neue Ministerium nicht erscheinen sollte, in der Berathung des Gesetzes wegen unentgeltlicher Aufhebung verschiedener Lasten und Abgaben, fortzufahren.&#x201C;</p>
          <p>Nachdem die Antragsteller die Dringlichkeit und die Nothwendigkeit dieses Antrages begründet haben und der Abg. <hi rendition="#g">Arntz</hi> besonders aus der Geschichte der französischen Ministerkrisen seit 1830 bewies, daß in Frankreich die Deputirtenkammer stets bei den längeren wie kürzeren Ministerkrisen, ihre Berathungen ohne Unterbrechung fortsetzte, &#x2012; wird dieser Antrag mit einem Zusatze, daß die ihrem Amte noch vorstehenden Minister zu der morgenden Sitzung eingeladen werden, mit großer Majorität angenommen. Die rechte Seite war gegen den Antrag.</p>
          <p>Der zweite dringende Antrag ist von den Abgeordneten <hi rendition="#g">D'Ester</hi> und <hi rendition="#g">Temme:</hi> </p>
          <p>&#x201E;Die hohe Versammlung möge beschließen, den Minister des Innern aufzufordern, die von dem Minister Eichmann erlassene Bekanntmachung vom 1. d. wegen der Requirirung des Militärs zurückzunehmen.&#x201C;</p>
          <p>Die Dringlichkeit dieses Antrages wird von der rechten Seite bestritten und daher eine Debatte über die Dringlichkeit eröffnet.</p>
          <p><hi rendition="#g">Temme</hi> beweist durch Aktenstücke vom Monate März, welche er vorliest, daß weder dem Minister Eichmann noch dem Magistrat oder dem städtischen Sicherheitsausschuß, welcher gar keine gesetzliche Behörde sei, das Recht zustehe, das Militär zu requiriren. Dies bleibt allein der Bürgerwehr überlassen.</p>
          <p>Von der Rechten wird dies in Zweifel gezogen und besonders darauf viel Werth gelegt, daß der Minister Eichmann nicht gegenwärtig sei, um seine Bekanntmachung zu vertheidigen. Man müsse doch jedem das Recht der Vertheidigung zugestehen.</p>
          <p>Als <hi rendition="#g">D'Ester</hi> im Namen der Antragsteller auf den Willen der Rechten einging, und die Verhandlung über diesen Antrag bis morgen aussetzen will, widerspricht man dem von der Rechten. Da stürmt D'Ester auf die Tribüne und sagt höhnisch und verächtlich auf die Rechte blickend: Wie macht man es Ihnen denn eigentlich recht, meine Herren? Sie bestreiten die Dringlichkeit des Antrages und behaupten, er könne heute nicht berathen werden, weil der Minister Eichmann, der Angeklagte, nicht zugegen sei. Wir gehen auf Ihren Willen ein. Da verlangen Sie wieder, man solle sogleich über die Dringlichkeit abstimmen. Ein solches Verfahren verdient, daß man es näher beleuchtet.</p>
          <p>Die Rechte zieht ihren Antrag auf sofortige Abstimmung zurück und die Sache wird morgen weiter verhandelt werden.</p>
          <p>Nachdem noch ein guter Theil des Petitionsberichts beseitigt ist, wird die Sitzung um 2 Uhr geschlossen.</p>
          <p>Nächste Sitzung morgen 9 Uhr Vormittags.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar139_003" type="jArticle">
          <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 7. Nov.</head>
          <p>Der Abgeordnete <hi rendition="#g">Behnsch</hi> hat folgende schleunige Interpellation an das Staatsministerium eingereicht:</p>
          <p>1) Ob es Kenntniß von dem Uebertritt ungarischer Krieger auf unser Gebiet habe.</p>
          <p>2) Was es für diese Krieger, welche in den Reihen der Feinde des deutschen Volkes gegen die errungene Freiheit desselben und den erklärten Willen seiner gesetzlichen Vertreter nicht kämpfen wollten, zu thun gedenkt.</p>
          <p>3) Ob es diesen Kriegern gestatten wolle, auf preußischem Gebiete in ihr Vaterland Ungarn zurückzukehren.</p>
          <p>Zur Begründung meiner Interpellation erlaube ich mir von drei, im Wesentlichen übereinstimmenden, Adressen aus den Städten Waldenburg und Friedland, so wie aus dem Waldenburger Kreise, die letztere der hohen Nationalversammlung vorzulegen. Sie lautet:</p>
          <p>&#x201E;Am 30. October hat sich eine Schaar bewaffneter ungarischer Kavallerie auf preußischem Boden und in unserem Gränzbezirke eingefunden, nachdem sie bei Liebau die Gränze überschritten.</p>
        </div>
      </div>
      <div type="jFeuilleton" n="1">
        <div xml:id="ar139_004" type="jArticle">
          <head>Blödsinn deutscher Zeitungen.</head>
          <p><hi rendition="#g">Die Reform.</hi> Organ der demokratischen Partei in Berlin. (A. Ruge, Redakteur.)</p>
          <p>Seit gestern Abend studiere ich an einem Artikel der Reform, des Organs der demokratischen Partei in Berlin. Dieser Artikel ist überschrieben: <hi rendition="#g">&#x201E;Die Königliche Botschaft und ihre Folgen.&#x201C;</hi> </p>
          <p>Hätte ich seit gestern Steine geklopft, hätte ich den Dreschflegel geführt, hätte ich mich mit einem englischen Porter-Brauer geboxt, ich glaube, ich wäre nicht so todtmüde, als nach dem Studium dieses Artikels.</p>
          <p>Wer mag ihn geschrieben haben? Ein Türke? nein, er hätte es nicht gewagt, er hätte hundert Stockprügel bekommen. Ein Chinese? nein, man hätte ihn an den nächsten Porzellanthurm gehängt. Ein Russe? nein, man hätte ihn nach Sibirien geschickt. Ein deutscher Gelehrter? Das wäre möglich!</p>
          <p>Ein deutscher Gelehrter wagt Alles. Er fürchtet weder den Stock, noch den Strick, noch eine Reise nach Sibirien. Er scheut nicht einmal die Blamage vor seiner eigenen Partei. Bei einem deutschen Gelehrten ist alles möglich. Sei mir willkommen, o deutscher Gelehrter!</p>
          <p>&#x201E;Es ist von Interesse, die Ereignisse darauf anzusehn, welche Folgen sie in sich tragen.&#x201C; Mit dieser aus Holz geschnitzten Phrase beginnt der Artikel der Reform. Gewöhnliche Menschen würden sagen: Es ist von Interesse, den Geisterseher zu spielen, den Wahrsager oder den Kartenschläger. &#x201E;Es gehört dazu nichts weiter, als daß man die Ereignisse selbst durchschaut.&#x201C; Allerdings! Leider sind die Ereignisse aber nicht so leicht zu durchschauen, als die deutschen Gelehrten. Die Reform gibt dies auch zu, indem sie fortfährt: &#x201E;In unserm Falle freilich ist dies nicht leicht, <hi rendition="#g">wenigstens heute noch nicht.&#x201C;</hi> Giebt es etwas Naiveres als dies:<hi rendition="#g">&#x201E;heute noch nicht?&#x201C; </hi>Die Reform stellt sich hierdurch auf den Standpunkt einer Hebamme, die das Ereigniß der Schwangerschaft zwar in gewisser Weise durchschaut, die aber heute noch nicht sagen kann, ob morgen ein Knabe oder ein Mädchen zum Vorschein kommen wird. Der Kartenschläger ist eine Hebamme geworden. &#x201E;Heute noch nicht!&#x201C; sagt die Reform, denn: &#x201E;es ist zweifelhaft, ob Brandenburgs Ernennung provisorisch oder definitiv, Ernst oder Scherz ist.&#x201C; Da haben wir's. Das Durchschauen des Ereignisses Brandenburg verursacht unserer Freundin so ungemeines Kopfzerbrechen. Aber nur weiter, Theuerste! Es wird schon gelingen. &#x201E;Wollen wir also mit völliger Sicherheit das Verhängniß wissen, welches in der Königlichen Botschaft liegt, so müssen wir dieses <hi rendition="#g">Entweder-Oder</hi> sich erst entscheiden lassen.&#x201C; Hier macht die Reform eine Pause.</p>
          <p>Nach allen Fratzen und Schnörkeln ist unsere Freundin, die Hebamme, mit dem überraschenden Resultate niedergekommen, daß man erst den Spaß oder den Ernst der Schwangerschaft <hi rendition="#g">abwarten</hi> muß, ehe man darüber urtheilen kann, ob das Ereigniß wirklich mit einem Kinde, oder nur mit einer Windblase zu Stuhle kommen wird. Trefflicher Kartenschläger! Weise Hebamme! Erst sieht die Reform das Ereigniß an, um uns weiß zu machen, daß sie es durchschauen würde. Dann bemerkt sie aber plötzlich, daß dies doch nicht so leicht ist und schließlich verzichtet sie ganz darauf und zieht es vor, hübsch abzuwarten. Ich weiß etwas, sagt Peter Simpel. Ich weiß beinah etwas, nein, ich weiß doch nichts.</p>
          <p>Der mehr oder minder gelehrte Peter Simpel der Reform geht jetzt näher auf den Ernst und den Scherz des Ereignisses ein. Wir müssen gestehen, daß der Scherz uns dabei ausgeht; wir werden sehr ernst. Simpel's Stylübungen wirken auf uns wie ein Topf Fliederthee. Wir trocknen den Schweiß von der Stirn. Im Schweiße unseres Angesichts studiren wir Simpel's Folgerungen und Schlüsse. Es ist uns, als ob wir in finsterer Nacht durch ein frisch geackertes Feld stolperten; jeden Augenblick meinen wir zu fallen und den Hals zu brechen. Der Artikel der Reform ist ein wahrer Dornenpfad für jeden tugendhaften Leser.</p>
          <p>&#x201E;Ist die Ernennung eines parlamentarisch völlig unbekannten Soldaten definitiv und wirklicher Ernst, nun so ist die Nationalversammlung auf die vollkommenste Machtlosigkeit zurückgeführt.&#x201C;</p>
          <p>Kann sich ein Tertianer besser ausdrücken? &#x201E;Definitiv und wirklicher Ernst&#x201C;, &#x201E;nun so ist&#x201C;,&#x201E;vollkommenste Machtlosigkeit&#x201C;. Simpel hat drei Redeperlen gefischt, die ihres Gleichen suchen.</p>
          <p>Wir geben uns Mühe, den hohen Sinn der hohen Worte zu verstehen. Der &#x201E;kühne Griff&#x201C; des Königs ist die Ohnmacht der Nationalversammlung, scheint die Reform zu sagen; wir bekommen Muth weiter zu lesen: &#x201E;Ihre, nämlich die einstimmige Verwahrung der Nationalversammlung gegen ein ernstlich gemeintes Ministerium Brandenburg hätte dieses nicht verhindert, zu regieren, und der Absolutismus wäre am 3. November 1848 auf die friedlichste Weise von der Welt wieder zurückgekehrt.&#x201C; Kaum dem ersten Dilemma entronnen, gerathen wir in neue Verlegenheit. Meint die Reform, daß die Nationalversammlung nur dann etwas vermöchte, wenn ihr der König scherzend gegenüber träte? Die Nationalversammlung mag sich bei Herrn Simpel für diese Artigkeit bedanken.</p>
          <p>Aber die Reform sieht bereits ein, daß sie einen Bock geschossen hat. Der Grobheit folgt die Entschuldigung auf dem Fuße nach.</p>
          <p>&#x201E;Es wird wohl Niemand so blind sein&#x201C; &#x2012; ruft sie mit Pathos aus &#x2012; &#x201E;um diese Idylle der Knechtschaft, dieses Verzichten des Volkes auf sein ganzes Recht ohne Gewalt für möglich zu halten.&#x201C;</p>
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[0707/0001] Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 139. Köln, Freitag den 10. November. 1848. Uebersicht. Deutschland. Berlin. (Provisorium. ‒ Die „N. Preuß. Ztg.“ über Jacobi. ‒ Freischaaren. ‒ Kriminalistisches ‒ National-Versammlung. ‒ Interpellationen. ‒ Anträge. ‒ Das Ministerium Brandenburg soll gebildet sein. ‒ Neuigkeiten. ‒ Das „Ministerium der thierischen Soldateska.“ ‒ Bürgerwehr-Kongreß). Wien. (Ein Beitrag zur Geschichte kaiserlicher Humanität. ‒ Proklamationen. ‒ Croatische Handhabung der Ruhe und Ordnung. ‒ Stehlen und Plündern der Croaten. ‒ Proscriptionen. ‒ Blum verhaftet. ‒ Marsch gegen Ungarn. ‒ Die Ungarn sperren den Wienern die Lebensmittel ab. ‒ Das Aussehen der Stadt. ‒ Abmarsch des ersten Armeekorps nach Ungarn. ‒ Die Arbeiter und das Eigenthum. ‒ Heroismus der Reichsgewalt). Prag. Die Deputirten zurück. ‒ Unruhen befürchtet). Aus Oesterreichisch-Schlesien. (Bauernaufstand). Frankfurt. (National-Versammlung) Schleswig. (Adresse auf Abberufung Stedtmanns. ‒ Korrespondenz Stedtmanns und der gemeinsamen Regierung). Polen. Krakau. (Ein Aufstand in Lemberg). Donaufürstenthümer. Bukarest. (Sieg der „verfassungsmäßigen Freiheit und Ordnung“). Italien. (Der Aufstand in der Lombardei. ‒ Der Herzog von Modena zurück. ‒ Volksdemonstration zu Florenz). Französische Republik. Paris. (Die Frankfurter Flüchtlinge. ‒ Der Konflikt zwischen Linie und Mobilen. ‒ National-Versammlung). Deutschland. 20 . Berlin, 7. Nov. Noch immer das Provisorium im Provisorium. Unsere Philister, die Ruhefanatiker, die Ritter von Gesetz und Ordnung sind untröstlich. Weder Bastard Dunois mit seinem Gelichter, noch Abbé Berg und sein Genosse Rodbertus, noch Freund Unruh und Grabow, noch endlich Waldeck haben die Zügel der Regierung ergriffen. Der Staatskarren steht, Niemand will ihn weiter schieben. Man fragt natürlich, was die Nationalversammelten in dieser Krisis thun. Nichts, Nichts und wiederum Nichts, ist die traurige Antwort. Versammlung auf eine Viertelstunde, Vertagung auf 6 Stunden und sofort, kurz freiwillige Vertagung mit einigen Unterbrechungen: das ist die große Thätigkeit der Vereinbarer. Ein seltsames Mißgeschick scheint über den konstituirenden Versammlungen dieses revolutionären Jahres zu wallten, daß keine den Weg zu gehen versteht, den das Volk ihr mit blutiger Spur vorgezeichnet hatte. Die Zeichen der Zeit gehen spurlos an ihren Augen und Ohren vorbei und kaum berührt die Athmosphäre des Volkes die Fußsohlen seiner in höheren Regionen schwebenden Auserwählten. Man tagt und tagt fort und fort, aber nie und nimmermehr will's Licht werden in den Köpfen der „Tagenden“. So wird die preuß. Vereinbarer -Versammlung auch diesen Moment ungenützt vorübergehen lassen, ohne sich zu einer konstituirenden zu machen, und die 20fache Blamage wird um eine neue vermehrt. ‒ Asservir la royauté, sans la détruire, dies wollen unsere Bourgeoisvertreter von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken, die höchstens 3 oder 4 Männer zählt, welche in einem Konvent nicht im Centrum sitzen würden. Die Worte Jakobys an den König sind noch immer Gegenstand der öffentlichen Besprechung. Der Philister steht noch mit offenem Munde da und erholt sich mit Mühe von dem ersten Staunen über jene Wahrheit. Die Reaktionäre poltern sich heiser über die „Frechheit“, „Unverschämtheit“, „Verletzung des Hausrechts“ und was sie Alles in jenen Worten finden. Dte Zeitung „mit Gott, für König und Vaterland“, die seit einiger Zeit unaufhörlich von Blut trieft, weiß sich in ihrer Wuth gar nicht zu lassen und schämt sich natürlich nicht, Jakoby's Worte mit seiner Konsession in die engste Verbindung zu bringen. Die N. Pr. Ztg. ist überhaupt das Thermometer für die Pläne der Absolutisten. „Jetzt hilft nur Energie“, sagt das saubere Blättlein, „und kostete es auch dem Könige seine Krone.“ „Berlin muß von Militär besetzt werden, ob mit, ob ohne Belagerungszustand, die Bürgerwehr muß entwaffnet werden “ und dergleichen schöne Sachen mehr. ‒ Heut ist denn auch wirklich das 24. Regiment, meist aus Berlinern bestehend, aus der Stadt gerückt, nachdem es gestern auf 6 Tage Proviant und scharfe Patronen erhalten hätte. Allgemein heißt es, daß statt ihrer Wrangel mit der Garde an die Stelle der 24er rücken werde. ‒ Gut Glück! die Volksstimmung ist im Allgemeinen eine sehr gedrückte, ein Rückschlag gegen die ungeheure Erregung der letzten Tage. Das Volk trauert um das gefallene Wien. Einem öffentlichen Aufrufe „an die Waffenfähigen Berlins“ zufolge beabsichtigt der demokratische Landwehrverein in Verbindung mit dem demokratischen Bürgerwehrklub eine Freischaar zu bilden, die überall hin dirigirt werden soll, wo die Freiheit durch die bewaffnete Macht unterdrückt zu werden in Gefahr ist. ‒ Auch die 4 fliegenden Korps haben sich jetzt zu einer „Wehrschaar“ vereinigt; an ihrer Spitze steht der Rittmeister a. D. Vorpahl, ein bekannter Republikaner, wie die Voss. Ztg. sich ausdrückt. Nachträglich berichte ich Ihnen noch die am Sonnabend den 4. erfolgte Freisprechung der 17, der Theilnahme am Zeughaussturme Angeklagten. ‒ Der Staatsanwalt Blumberg beantragte 18monatliche, resp. einjährige und 2monatliche Strafarbeit; der Gerichtshof sprach die Angeklagten indeß wegen des gänzlich fehlenden objektiven Beweises von der Instanz frei. Vertheidiger waren Ref. Meyer und Fr. Stieber. Wie es heißt, hat der Staatsanwalt Appell eingelegt. Den 10. Nov. kommt der bekannte Prozeß wegen der am 14. Juni ausgerissenen und fortgeschleppten Schloßgitter zur öffentl. Verhandlung. Der Hauptangeklagte, Ref. Rasch ist jedoch flüchtig. Den 11. Novbr. findet die öffent. Verhandlung gegen den Grafen Breßler, ein thätiges Mitglied des Preußenvereins, der am 25. Sept. zum Barrikadenbau aufforderte und Geld austheilte, Statt. Der Exgraf befindet sich seit Ende Sept. in Haft. Die in der Zeughausaffaire Angeklagten waren 20 Wochen im Kerker. Dafür waren diese auch nur arme Handwerker, „Gesindel“, bei einem Grafen macht sich die Sache anders. Nachschrift. So eben werden 18 Wagen voll Munition in die Stadt gebracht und theils in den Kasernen theils im Zeughause abgeladen. 103 Berlin, 7. Novbr. National-Versammlung. Gegen 10 Uhr Vormittags eröffnet der Präsident Unruh die Sitzung. Auf der Ministerbank befindet sich nur der Minister Kisker. Nach Verlesung des Protokolls erhält der Abgeordnete Auerswald II. das Wort zu einer persönlichen Bemerkung. Auerswald II. Aus den stenographischen Berichten der 92. Sitzung ersehe ich, daß der Abg. Jacoby die traurige und bedrohliche Lage des Landes als ein Erbstück dreier Ministerien bezeichnet hat, „welche entweder nicht die Fähigkeit oder den Muth hatten, den Machinationen der Camarilla entgegen zu treten.“ Da ich an einem dieser Ministerien Theil genommen habe, so habe ich das Recht, diese Behauptung, die ohne die Spur eines Beweises auch gegen mich vorgebracht ist, zurückzuweisen. Wenn die vom Abg. Jacoby gebrauchte Phase einen Sinn haben soll, so ist damit gesagt, daß das Ministerium einen Einfluß geduldet hat, der sich nicht auf das Fundament eines konstitutionellen Regiments stützt. Ich weise eine solche Verdächtigung mit Verachtung zurück. (Unruhige Bewegung auf der linken Seite). Präsident: Ich muß den Redner bitten, sich in den Grenzen der parlamentarischen Debatte zu halten. Auerswald II.: Ich denke nicht, daß der Tag kommen wird, wo ich den Schmeicheleien und Drohungen einer Kamarilla, mag sie auf Parquetboden gehen, oder einer solchen, welche irgend welchen Klubs den Hof macht, meine Ueberzeugung opfern werde. Mit dem Abg. Jacoby bin ich darin einverstanden, daß die Lage des Landes ernst und bedrohlich ist. Aber der Abgeordnete wird nicht alle überreden, daß diese Gefahren allein von der Kamarilla kommen, daß in allen Ständen seine Ansicht vorherrischt. (Bravo rechts. Zischen links. Jacoby: Ich werde mich nicht durch die Worte des abgetretenen Redners zu einer unparlamentarischen Erwiederung hinreißen lassen. Es ist jetzt die Zeit nicht, meine Behauptungen zu beweisen, aber ich werde das stets nach vorheriger Festsetzung thun. Der Präsident erklärt die Sache hiermit für erledigt. Man geht zum Bericht der Petitionskommission über. Die erste Nummer, welche eine Petition von D. A. Benda und Consorten behandelt, führt zu einem Antrage des Abg.Behnsch: „Die Versammlung möge beschließen, daß die gesammten Urwähler des preußischen Staates zu befragen, ob sie das bisherige Verhalten der Centralgewalt mit der Einheit und Freiheit Deutschlands in Einklang erachten?“ Nach kurzer Debatte wird dieser Antrag verworfen und zur Tagesordnung übergegangen. Die Prioritätskommission hat zwei dringenden Anträgen die Priorität zuerkannt, welche demnach sogleich zur Berathung kommen. Der erste von dem Abg. Kirchmann und Consorten: „Die Versammlung wolle beschließen, daß in der morgenden Sitzung, auch wenn das neue Ministerium nicht erscheinen sollte, in der Berathung des Gesetzes wegen unentgeltlicher Aufhebung verschiedener Lasten und Abgaben, fortzufahren.“ Nachdem die Antragsteller die Dringlichkeit und die Nothwendigkeit dieses Antrages begründet haben und der Abg. Arntz besonders aus der Geschichte der französischen Ministerkrisen seit 1830 bewies, daß in Frankreich die Deputirtenkammer stets bei den längeren wie kürzeren Ministerkrisen, ihre Berathungen ohne Unterbrechung fortsetzte, ‒ wird dieser Antrag mit einem Zusatze, daß die ihrem Amte noch vorstehenden Minister zu der morgenden Sitzung eingeladen werden, mit großer Majorität angenommen. Die rechte Seite war gegen den Antrag. Der zweite dringende Antrag ist von den Abgeordneten D'Ester und Temme: „Die hohe Versammlung möge beschließen, den Minister des Innern aufzufordern, die von dem Minister Eichmann erlassene Bekanntmachung vom 1. d. wegen der Requirirung des Militärs zurückzunehmen.“ Die Dringlichkeit dieses Antrages wird von der rechten Seite bestritten und daher eine Debatte über die Dringlichkeit eröffnet. Temme beweist durch Aktenstücke vom Monate März, welche er vorliest, daß weder dem Minister Eichmann noch dem Magistrat oder dem städtischen Sicherheitsausschuß, welcher gar keine gesetzliche Behörde sei, das Recht zustehe, das Militär zu requiriren. Dies bleibt allein der Bürgerwehr überlassen. Von der Rechten wird dies in Zweifel gezogen und besonders darauf viel Werth gelegt, daß der Minister Eichmann nicht gegenwärtig sei, um seine Bekanntmachung zu vertheidigen. Man müsse doch jedem das Recht der Vertheidigung zugestehen. Als D'Ester im Namen der Antragsteller auf den Willen der Rechten einging, und die Verhandlung über diesen Antrag bis morgen aussetzen will, widerspricht man dem von der Rechten. Da stürmt D'Ester auf die Tribüne und sagt höhnisch und verächtlich auf die Rechte blickend: Wie macht man es Ihnen denn eigentlich recht, meine Herren? Sie bestreiten die Dringlichkeit des Antrages und behaupten, er könne heute nicht berathen werden, weil der Minister Eichmann, der Angeklagte, nicht zugegen sei. Wir gehen auf Ihren Willen ein. Da verlangen Sie wieder, man solle sogleich über die Dringlichkeit abstimmen. Ein solches Verfahren verdient, daß man es näher beleuchtet. Die Rechte zieht ihren Antrag auf sofortige Abstimmung zurück und die Sache wird morgen weiter verhandelt werden. Nachdem noch ein guter Theil des Petitionsberichts beseitigt ist, wird die Sitzung um 2 Uhr geschlossen. Nächste Sitzung morgen 9 Uhr Vormittags. 103 Berlin, 7. Nov. Der Abgeordnete Behnsch hat folgende schleunige Interpellation an das Staatsministerium eingereicht: 1) Ob es Kenntniß von dem Uebertritt ungarischer Krieger auf unser Gebiet habe. 2) Was es für diese Krieger, welche in den Reihen der Feinde des deutschen Volkes gegen die errungene Freiheit desselben und den erklärten Willen seiner gesetzlichen Vertreter nicht kämpfen wollten, zu thun gedenkt. 3) Ob es diesen Kriegern gestatten wolle, auf preußischem Gebiete in ihr Vaterland Ungarn zurückzukehren. Zur Begründung meiner Interpellation erlaube ich mir von drei, im Wesentlichen übereinstimmenden, Adressen aus den Städten Waldenburg und Friedland, so wie aus dem Waldenburger Kreise, die letztere der hohen Nationalversammlung vorzulegen. Sie lautet: „Am 30. October hat sich eine Schaar bewaffneter ungarischer Kavallerie auf preußischem Boden und in unserem Gränzbezirke eingefunden, nachdem sie bei Liebau die Gränze überschritten. Blödsinn deutscher Zeitungen. Die Reform. Organ der demokratischen Partei in Berlin. (A. Ruge, Redakteur.) Seit gestern Abend studiere ich an einem Artikel der Reform, des Organs der demokratischen Partei in Berlin. Dieser Artikel ist überschrieben: „Die Königliche Botschaft und ihre Folgen.“ Hätte ich seit gestern Steine geklopft, hätte ich den Dreschflegel geführt, hätte ich mich mit einem englischen Porter-Brauer geboxt, ich glaube, ich wäre nicht so todtmüde, als nach dem Studium dieses Artikels. Wer mag ihn geschrieben haben? Ein Türke? nein, er hätte es nicht gewagt, er hätte hundert Stockprügel bekommen. Ein Chinese? nein, man hätte ihn an den nächsten Porzellanthurm gehängt. Ein Russe? nein, man hätte ihn nach Sibirien geschickt. Ein deutscher Gelehrter? Das wäre möglich! Ein deutscher Gelehrter wagt Alles. Er fürchtet weder den Stock, noch den Strick, noch eine Reise nach Sibirien. Er scheut nicht einmal die Blamage vor seiner eigenen Partei. Bei einem deutschen Gelehrten ist alles möglich. Sei mir willkommen, o deutscher Gelehrter! „Es ist von Interesse, die Ereignisse darauf anzusehn, welche Folgen sie in sich tragen.“ Mit dieser aus Holz geschnitzten Phrase beginnt der Artikel der Reform. Gewöhnliche Menschen würden sagen: Es ist von Interesse, den Geisterseher zu spielen, den Wahrsager oder den Kartenschläger. „Es gehört dazu nichts weiter, als daß man die Ereignisse selbst durchschaut.“ Allerdings! Leider sind die Ereignisse aber nicht so leicht zu durchschauen, als die deutschen Gelehrten. Die Reform gibt dies auch zu, indem sie fortfährt: „In unserm Falle freilich ist dies nicht leicht, wenigstens heute noch nicht.“ Giebt es etwas Naiveres als dies:„heute noch nicht?“ Die Reform stellt sich hierdurch auf den Standpunkt einer Hebamme, die das Ereigniß der Schwangerschaft zwar in gewisser Weise durchschaut, die aber heute noch nicht sagen kann, ob morgen ein Knabe oder ein Mädchen zum Vorschein kommen wird. Der Kartenschläger ist eine Hebamme geworden. „Heute noch nicht!“ sagt die Reform, denn: „es ist zweifelhaft, ob Brandenburgs Ernennung provisorisch oder definitiv, Ernst oder Scherz ist.“ Da haben wir's. Das Durchschauen des Ereignisses Brandenburg verursacht unserer Freundin so ungemeines Kopfzerbrechen. Aber nur weiter, Theuerste! Es wird schon gelingen. „Wollen wir also mit völliger Sicherheit das Verhängniß wissen, welches in der Königlichen Botschaft liegt, so müssen wir dieses Entweder-Oder sich erst entscheiden lassen.“ Hier macht die Reform eine Pause. Nach allen Fratzen und Schnörkeln ist unsere Freundin, die Hebamme, mit dem überraschenden Resultate niedergekommen, daß man erst den Spaß oder den Ernst der Schwangerschaft abwarten muß, ehe man darüber urtheilen kann, ob das Ereigniß wirklich mit einem Kinde, oder nur mit einer Windblase zu Stuhle kommen wird. Trefflicher Kartenschläger! Weise Hebamme! Erst sieht die Reform das Ereigniß an, um uns weiß zu machen, daß sie es durchschauen würde. Dann bemerkt sie aber plötzlich, daß dies doch nicht so leicht ist und schließlich verzichtet sie ganz darauf und zieht es vor, hübsch abzuwarten. Ich weiß etwas, sagt Peter Simpel. Ich weiß beinah etwas, nein, ich weiß doch nichts. Der mehr oder minder gelehrte Peter Simpel der Reform geht jetzt näher auf den Ernst und den Scherz des Ereignisses ein. Wir müssen gestehen, daß der Scherz uns dabei ausgeht; wir werden sehr ernst. Simpel's Stylübungen wirken auf uns wie ein Topf Fliederthee. Wir trocknen den Schweiß von der Stirn. Im Schweiße unseres Angesichts studiren wir Simpel's Folgerungen und Schlüsse. Es ist uns, als ob wir in finsterer Nacht durch ein frisch geackertes Feld stolperten; jeden Augenblick meinen wir zu fallen und den Hals zu brechen. Der Artikel der Reform ist ein wahrer Dornenpfad für jeden tugendhaften Leser. „Ist die Ernennung eines parlamentarisch völlig unbekannten Soldaten definitiv und wirklicher Ernst, nun so ist die Nationalversammlung auf die vollkommenste Machtlosigkeit zurückgeführt.“ Kann sich ein Tertianer besser ausdrücken? „Definitiv und wirklicher Ernst“, „nun so ist“,„vollkommenste Machtlosigkeit“. Simpel hat drei Redeperlen gefischt, die ihres Gleichen suchen. Wir geben uns Mühe, den hohen Sinn der hohen Worte zu verstehen. Der „kühne Griff“ des Königs ist die Ohnmacht der Nationalversammlung, scheint die Reform zu sagen; wir bekommen Muth weiter zu lesen: „Ihre, nämlich die einstimmige Verwahrung der Nationalversammlung gegen ein ernstlich gemeintes Ministerium Brandenburg hätte dieses nicht verhindert, zu regieren, und der Absolutismus wäre am 3. November 1848 auf die friedlichste Weise von der Welt wieder zurückgekehrt.“ Kaum dem ersten Dilemma entronnen, gerathen wir in neue Verlegenheit. Meint die Reform, daß die Nationalversammlung nur dann etwas vermöchte, wenn ihr der König scherzend gegenüber träte? Die Nationalversammlung mag sich bei Herrn Simpel für diese Artigkeit bedanken. Aber die Reform sieht bereits ein, daß sie einen Bock geschossen hat. Der Grobheit folgt die Entschuldigung auf dem Fuße nach. „Es wird wohl Niemand so blind sein“ ‒ ruft sie mit Pathos aus ‒ „um diese Idylle der Knechtschaft, dieses Verzichten des Volkes auf sein ganzes Recht ohne Gewalt für möglich zu halten.“

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Marx-Engels-Gesamtausgabe: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-20T13:08:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 139. Köln, 10. November 1848, S. 0707. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz139_1848/1>, abgerufen am 18.04.2024.