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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 238. Köln, 6. März 1849.

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Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No. 238. Köln, Dienstag, den 6 März 1849.

Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. - Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau.

Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet.

Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis.

Nur frankirte Briefe werden angenommen.

Expedition Unter Hutmacher Nro. 17.

Uebersicht.

Deutschland. Köln. (Sieg der Magyaren. - Lassalle's Prozeß). Berlin. (Sitzung der zweiten Kammer. - Der Kalkulator Praetsch). Königsberg. (Der Leithammel der konstitutionell-demokratischen Partei). Posen. (Chrzanowski's Aufforderung an polnische Offiziere). Liegnitz. (Soldatenschlägereien) Wien. (Die Russen. - Welden und der Gemeinderath. - Standrechtliches. - Die ungarischen Banknoten. - Verschärfte Maßregeln). Kremsier. (Reichstag). Dresden. (Sitzung der zweiten Kammer). Hannover. (Ständebeschluß wegen der Grundrechte). Darmstadt. (Der März. - Die beiden Kammern). Frankfurt. (Sächsische Petition wegen Schutzzöllen). Freiburg. (Der Prozeß gegen Struve und Blind).

Polen. Krakau. (Furcht vor Unruhen).

Ungarn Agram. (Zustände im Banat).

Italien. (Der Turiner Senat. - Laugier). Rom. (Sitzung der Constituante. - Plan einer italienischen Bank) Ferrara. (Der Präfekt Mayer. - Die Oestreicher). Mailand. (Entfernung der Offiziersfrauen). Venedig. (Die "Assemblea permanente").

Schweiz. Bern. (Karl Albert. - Die Kapitulationen und Rekrutirungen. - Ochsenbein). Zürich. (Begraben bei lebendigem Leibe).

Französische Republik Paris. (Die Milliarde. - Der Corsaire und die Reforme. - Unteroffizierbankett. - Behandlung der Juniverurtheilten. - Schreiben Ledru-Rollins an den Moniteur. - Schreiben der Repräsentanten des Berges an die römische Constituante. - Die Rechtsgültigkeit der Republik. - Die verschiedenen Wahlcomite's. - Manifest der social-demokratischen Partei. - Vermischtes. - National-Versammlung). Straßburg. (Die Paris-Straßburger Eisenbahn).

Großbritannien. London. (Die Feier der französischen Revolution. - Entvölkerung und Auswanderung in Irland. - Eine Verurtheilung. Bericht des Handelsamtes).

Dänemrk. Kopenhagen. (Dänische Anleihe in London abgeschlossen).

Deutschland.
* Köln, 5. März.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
Die Langeweile, der Spleen und die Seekrankheit.

Zufällig war ich neulich in Babylon, d. h. in London. Die Themse rauschte an meinem Fenster vorüber. Bridgehouse Hotel liegt nemlich unmittelbar am Wasser und man sieht den Fluß hinauf und hinab und wenn die Dampfboote unter der Londoner Brücke herfahren, da neigen sie mit einem Male Schlot und Mast, wie zu einer zierlichen Verbeugung, die höflichen Dampfboote, und rasch fliegen sie an Dir vorüber.

Als ich aber sämmtlichen Dampfbooten, Kuttern, Fregatten, und ähnlichen untergeordneten Fahrzeugen während einer halben Stunde Gelegenheit gegeben hatte, sich ganz ergebenst vor mir zu verbeugen, und als nun der Abend heran kam und die letzten Strahlen der sinkenden Sonne mit dem immer finstrer hereinbrechenden Nebel jenen lustigen Wolkenkampf begannen, in dem sich alle Boxereien und Keilereien des lieben platten Landes wiederzuspiegeln scheinen, - als links die Thürme der Westminster Abtei in bläulicher Ferne schamröthlich abendlich emporglühten und rechts, der alte schreckliche Tower, wie ein versteinerter Seufzer zum letzten Male aus dem Schattenmantel der Nacht hervorschaute, ja, und als endlich gerade gegenüber in der Kuppel der St. Pauls Kirche, die großen Episcopalglocken ihr Abendlied begonnen: Da rührte ich immer langsamer mit meinem Theelöffel in dem großen Glase Grog, das vor mir auf dem Tische stand, und meine Augen sanken und mein Kopf fiel auf die Brust und ich schlief ein und träumte den folgenden, entsetzlichen Traum.

Es träumte mir, ich hätte das beste Diner bestellt, das man für so und so viele Pfund Sterling in London haben kann. Nicht ohne Ursache, denn ich erwartete drei der liebenswürdigsten Gäste.

Dadurch, daß ich Menschen zum Mittagessen einlud, unterschied ich mich vortheilhaft von vielen meiner Landsleute, die sich gewöhnlich in London einladen lassen. Von allen meinen Empfehlungsbriefen: "gut für ein Diner", hatte ich in der That nicht den geringsten Gebrauch gemacht und wenn ich Herrn von Raumer bei seiner nächsten wissenschaftlichen Reise nach Alt-England damit gefällig sein kann, so werde ich mir diesen Dienst zu besonderm Vergnügen gereichen lassen.

Ein Kellner, wie man ihn nur in England findet, ein spindeldürrer, blasser Seeräuber, in großen Schuhen mit silberner Schnalle, in seidenen Strümpfen, die bis an's Knie reichten, in schwarzer Hose und in schwarzem alterthümlichem Frack, mit dolchspitzen Zipfeln, kurz, ein höflicher, zerknirschter Mensch, der wie der leibhaftige Katzenjammer aussah, riskirte eine höchst graziöse Verbeugung - graziöser hatten sich nicht die schwarzen Schornsteine der Dämpfer verneigt - und kündigte mir mit lispelnder Stimme an, daß so eben der erste meiner Gäste arrivirt sei.

Man kann sich meine Freude denken, denn ich war sehr hungrig; hungrig wie ein Wolf, wie ein Vlamländer und mit der Begeisterung des Hungers rannte ich an die Thür und an den Wagenschlag.

Eine hohe, verschleierte Dame, ein wahrer Kirchthum in schneeweißem Atlas, setzte eben mit großbritannischer Würde den langen Fuß auf die Schwelle des Hotels. Ich küßte der Schönen die unbewegliche Hand und erkundigte mich nach dero Wohlbefinden. Die Bevölkerung des Hotels leuchtete mit Wachskerzen und feierlich wallten wir in unser teppichweiches Gemach, das eigenthümlich nach Kohlen und nach Seekrebsen duftete.

Die Flammen des Kamins schlugen lustiger empor und mischten ihre Streiflichter mit dem Glanze des Gases, das wie flüssiger Mondschein durch die mattgeschliffenen Krystallschalen der Candelaber wogte. Des Daseins süßer Comfort lachte uns entgegen und das Wohlleben streckte seine weichen Arme aus, um uns herabzuziehen auf die schwellenden Polster des Vergnügens.

Als aber der Schleier meiner Dame niederrollte, da stand vor mir: eine jener hohen, kalten, schlankgewachsenen Engländerinnen, von denen man nicht weiß, ob sie eben erst aus Marmor geworden, oder ob sie gleich zu Marmor werden sollen. Schneeweißer Teint, himmelblaue Augen, blondes Haar, rothe Lippen und vortreffliche Zähne. Das schönste Modell von einem weiblichen Wesen, das ich je gesehen habe.

Im Frühling schuf Gott die Französinnen, im brennenden Sommer schuf er die Weiber von Rom und Madrid. Im humoristischen Herbst erfand er die deutschen Mädchen, doch die Engländerinnen machte Gott im Winter.

So eine kühle Tochter Britanniens ist wie ein schöner, festgefrorner Wintermorgen und wenn ihre Wangen in der Lust des Küssens erröthen, da meint man die Morgensonne zittre Rosen streuend über ein Schneefeld.

Still, kalt und schneeweiß stand meine Freundin vor mir. Einem aufmerksamen Beobachter würde es nicht entgangen sein, daß Alles an der bemerkenswerthen Dame mehr lang als kurz oder rund war. Lang war ihr Fuß, lang ihre Hände, lang ihre Nase, länglich ihr Gesicht und lang ihre ganze Figur. "Seit langer Zeit haben wir uns nicht gesehen," begann ich die Konversation. - ""Sehr lange nicht,"" erwiederte die Holde. - "Ich habe mich lange nach Ihnen gesehnt." - ""Lange war es auch mein Wunsch, Ihnen wieder zu begegnen - "" unser ganzes Gespräch drehte sich um die Länge und die Zeit wäre mir gewiß lang geworden, wenn nicht mein längst erwarteter zweiter Gast endlich in höchsteigener Person hereingetreten wäre.

Es war dies einer jener würdigen Gesellen, die wir Jahr aus, Jahr ein zwischen Ostende und Basel hin und her theekesseln sehen. Er trug eine graukarirte Hose, eine graukarirte Weste und einen graukarirten Frack. Grau waren Haare und Augen. Grau der Bart. Der ganze Kerl sah aus wie die Dämmerung. Die Umrisse seines Körpers verschwammen fast mit der Atmosphäre und [Fortsetzung]

[Deutschland]
Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No. 238. Köln, Dienstag, den 6 März 1849.

Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. ‒ Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau.

Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet.

Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis.

Nur frankirte Briefe werden angenommen.

Expedition Unter Hutmacher Nro. 17.

Uebersicht.

Deutschland. Köln. (Sieg der Magyaren. ‒ Lassalle's Prozeß). Berlin. (Sitzung der zweiten Kammer. ‒ Der Kalkulator Praetsch). Königsberg. (Der Leithammel der konstitutionell-demokratischen Partei). Posen. (Chrzanowski's Aufforderung an polnische Offiziere). Liegnitz. (Soldatenschlägereien) Wien. (Die Russen. ‒ Welden und der Gemeinderath. ‒ Standrechtliches. ‒ Die ungarischen Banknoten. ‒ Verschärfte Maßregeln). Kremsier. (Reichstag). Dresden. (Sitzung der zweiten Kammer). Hannover. (Ständebeschluß wegen der Grundrechte). Darmstadt. (Der März. ‒ Die beiden Kammern). Frankfurt. (Sächsische Petition wegen Schutzzöllen). Freiburg. (Der Prozeß gegen Struve und Blind).

Polen. Krakau. (Furcht vor Unruhen).

Ungarn Agram. (Zustände im Banat).

Italien. (Der Turiner Senat. ‒ Laugier). Rom. (Sitzung der Constituante. ‒ Plan einer italienischen Bank) Ferrara. (Der Präfekt Mayer. ‒ Die Oestreicher). Mailand. (Entfernung der Offiziersfrauen). Venedig. (Die „Assemblea permanente“).

Schweiz. Bern. (Karl Albert. ‒ Die Kapitulationen und Rekrutirungen. ‒ Ochsenbein). Zürich. (Begraben bei lebendigem Leibe).

Französische Republik Paris. (Die Milliarde. ‒ Der Corsaire und die Reforme. ‒ Unteroffizierbankett. ‒ Behandlung der Juniverurtheilten. ‒ Schreiben Ledru-Rollins an den Moniteur. ‒ Schreiben der Repräsentanten des Berges an die römische Constituante. ‒ Die Rechtsgültigkeit der Republik. ‒ Die verschiedenen Wahlcomite's. ‒ Manifest der social-demokratischen Partei. ‒ Vermischtes. ‒ National-Versammlung). Straßburg. (Die Paris-Straßburger Eisenbahn).

Großbritannien. London. (Die Feier der französischen Revolution. ‒ Entvölkerung und Auswanderung in Irland. ‒ Eine Verurtheilung. Bericht des Handelsamtes).

Dänemrk. Kopenhagen. (Dänische Anleihe in London abgeschlossen).

Deutschland.
* Köln, 5. März.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
Die Langeweile, der Spleen und die Seekrankheit.

Zufällig war ich neulich in Babylon, d. h. in London. Die Themse rauschte an meinem Fenster vorüber. Bridgehouse Hotel liegt nemlich unmittelbar am Wasser und man sieht den Fluß hinauf und hinab und wenn die Dampfboote unter der Londoner Brücke herfahren, da neigen sie mit einem Male Schlot und Mast, wie zu einer zierlichen Verbeugung, die höflichen Dampfboote, und rasch fliegen sie an Dir vorüber.

Als ich aber sämmtlichen Dampfbooten, Kuttern, Fregatten, und ähnlichen untergeordneten Fahrzeugen während einer halben Stunde Gelegenheit gegeben hatte, sich ganz ergebenst vor mir zu verbeugen, und als nun der Abend heran kam und die letzten Strahlen der sinkenden Sonne mit dem immer finstrer hereinbrechenden Nebel jenen lustigen Wolkenkampf begannen, in dem sich alle Boxereien und Keilereien des lieben platten Landes wiederzuspiegeln scheinen, ‒ als links die Thürme der Westminster Abtei in bläulicher Ferne schamröthlich abendlich emporglühten und rechts, der alte schreckliche Tower, wie ein versteinerter Seufzer zum letzten Male aus dem Schattenmantel der Nacht hervorschaute, ja, und als endlich gerade gegenüber in der Kuppel der St. Pauls Kirche, die großen Episcopalglocken ihr Abendlied begonnen: Da rührte ich immer langsamer mit meinem Theelöffel in dem großen Glase Grog, das vor mir auf dem Tische stand, und meine Augen sanken und mein Kopf fiel auf die Brust und ich schlief ein und träumte den folgenden, entsetzlichen Traum.

Es träumte mir, ich hätte das beste Diner bestellt, das man für so und so viele Pfund Sterling in London haben kann. Nicht ohne Ursache, denn ich erwartete drei der liebenswürdigsten Gäste.

Dadurch, daß ich Menschen zum Mittagessen einlud, unterschied ich mich vortheilhaft von vielen meiner Landsleute, die sich gewöhnlich in London einladen lassen. Von allen meinen Empfehlungsbriefen: „gut für ein Diner“, hatte ich in der That nicht den geringsten Gebrauch gemacht und wenn ich Herrn von Raumer bei seiner nächsten wissenschaftlichen Reise nach Alt-England damit gefällig sein kann, so werde ich mir diesen Dienst zu besonderm Vergnügen gereichen lassen.

Ein Kellner, wie man ihn nur in England findet, ein spindeldürrer, blasser Seeräuber, in großen Schuhen mit silberner Schnalle, in seidenen Strümpfen, die bis an's Knie reichten, in schwarzer Hose und in schwarzem alterthümlichem Frack, mit dolchspitzen Zipfeln, kurz, ein höflicher, zerknirschter Mensch, der wie der leibhaftige Katzenjammer aussah, riskirte eine höchst graziöse Verbeugung ‒ graziöser hatten sich nicht die schwarzen Schornsteine der Dämpfer verneigt ‒ und kündigte mir mit lispelnder Stimme an, daß so eben der erste meiner Gäste arrivirt sei.

Man kann sich meine Freude denken, denn ich war sehr hungrig; hungrig wie ein Wolf, wie ein Vlamländer und mit der Begeisterung des Hungers rannte ich an die Thür und an den Wagenschlag.

Eine hohe, verschleierte Dame, ein wahrer Kirchthum in schneeweißem Atlas, setzte eben mit großbritannischer Würde den langen Fuß auf die Schwelle des Hotels. Ich küßte der Schönen die unbewegliche Hand und erkundigte mich nach dero Wohlbefinden. Die Bevölkerung des Hotels leuchtete mit Wachskerzen und feierlich wallten wir in unser teppichweiches Gemach, das eigenthümlich nach Kohlen und nach Seekrebsen duftete.

Die Flammen des Kamins schlugen lustiger empor und mischten ihre Streiflichter mit dem Glanze des Gases, das wie flüssiger Mondschein durch die mattgeschliffenen Krystallschalen der Candelaber wogte. Des Daseins süßer Comfort lachte uns entgegen und das Wohlleben streckte seine weichen Arme aus, um uns herabzuziehen auf die schwellenden Polster des Vergnügens.

Als aber der Schleier meiner Dame niederrollte, da stand vor mir: eine jener hohen, kalten, schlankgewachsenen Engländerinnen, von denen man nicht weiß, ob sie eben erst aus Marmor geworden, oder ob sie gleich zu Marmor werden sollen. Schneeweißer Teint, himmelblaue Augen, blondes Haar, rothe Lippen und vortreffliche Zähne. Das schönste Modell von einem weiblichen Wesen, das ich je gesehen habe.

Im Frühling schuf Gott die Französinnen, im brennenden Sommer schuf er die Weiber von Rom und Madrid. Im humoristischen Herbst erfand er die deutschen Mädchen, doch die Engländerinnen machte Gott im Winter.

So eine kühle Tochter Britanniens ist wie ein schöner, festgefrorner Wintermorgen und wenn ihre Wangen in der Lust des Küssens erröthen, da meint man die Morgensonne zittre Rosen streuend über ein Schneefeld.

Still, kalt und schneeweiß stand meine Freundin vor mir. Einem aufmerksamen Beobachter würde es nicht entgangen sein, daß Alles an der bemerkenswerthen Dame mehr lang als kurz oder rund war. Lang war ihr Fuß, lang ihre Hände, lang ihre Nase, länglich ihr Gesicht und lang ihre ganze Figur. „Seit langer Zeit haben wir uns nicht gesehen,“ begann ich die Konversation. ‒ „„Sehr lange nicht,““ erwiederte die Holde. ‒ „Ich habe mich lange nach Ihnen gesehnt.“ ‒ „„Lange war es auch mein Wunsch, Ihnen wieder zu begegnen ‒ ““ unser ganzes Gespräch drehte sich um die Länge und die Zeit wäre mir gewiß lang geworden, wenn nicht mein längst erwarteter zweiter Gast endlich in höchsteigener Person hereingetreten wäre.

Es war dies einer jener würdigen Gesellen, die wir Jahr aus, Jahr ein zwischen Ostende und Basel hin und her theekesseln sehen. Er trug eine graukarirte Hose, eine graukarirte Weste und einen graukarirten Frack. Grau waren Haare und Augen. Grau der Bart. Der ganze Kerl sah aus wie die Dämmerung. Die Umrisse seines Körpers verschwammen fast mit der Atmosphäre und [Fortsetzung]

[Deutschland]
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        <p>Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis.</p>
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          <p>Eine hohe, verschleierte Dame, ein wahrer Kirchthum in schneeweißem Atlas, setzte eben mit großbritannischer Würde den langen Fuß auf die Schwelle des Hotels. Ich küßte der Schönen die unbewegliche Hand und erkundigte mich nach dero Wohlbefinden. Die Bevölkerung des Hotels leuchtete mit Wachskerzen und feierlich wallten wir in unser teppichweiches Gemach, das eigenthümlich nach Kohlen und nach Seekrebsen duftete.</p>
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          <p>So eine kühle Tochter Britanniens ist wie ein schöner, festgefrorner Wintermorgen und wenn ihre Wangen in der Lust des Küssens erröthen, da meint man die Morgensonne zittre Rosen streuend über ein Schneefeld.</p>
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[1315/0001] Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No. 238. Köln, Dienstag, den 6 März 1849. Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. ‒ Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau. Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet. Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis. Nur frankirte Briefe werden angenommen. Expedition Unter Hutmacher Nro. 17. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Sieg der Magyaren. ‒ Lassalle's Prozeß). Berlin. (Sitzung der zweiten Kammer. ‒ Der Kalkulator Praetsch). Königsberg. (Der Leithammel der konstitutionell-demokratischen Partei). Posen. (Chrzanowski's Aufforderung an polnische Offiziere). Liegnitz. (Soldatenschlägereien) Wien. (Die Russen. ‒ Welden und der Gemeinderath. ‒ Standrechtliches. ‒ Die ungarischen Banknoten. ‒ Verschärfte Maßregeln). Kremsier. (Reichstag). Dresden. (Sitzung der zweiten Kammer). Hannover. (Ständebeschluß wegen der Grundrechte). Darmstadt. (Der März. ‒ Die beiden Kammern). Frankfurt. (Sächsische Petition wegen Schutzzöllen). Freiburg. (Der Prozeß gegen Struve und Blind). Polen. Krakau. (Furcht vor Unruhen). Ungarn Agram. (Zustände im Banat). Italien. (Der Turiner Senat. ‒ Laugier). Rom. (Sitzung der Constituante. ‒ Plan einer italienischen Bank) Ferrara. (Der Präfekt Mayer. ‒ Die Oestreicher). Mailand. (Entfernung der Offiziersfrauen). Venedig. (Die „Assemblea permanente“). Schweiz. Bern. (Karl Albert. ‒ Die Kapitulationen und Rekrutirungen. ‒ Ochsenbein). Zürich. (Begraben bei lebendigem Leibe). Französische Republik Paris. (Die Milliarde. ‒ Der Corsaire und die Reforme. ‒ Unteroffizierbankett. ‒ Behandlung der Juniverurtheilten. ‒ Schreiben Ledru-Rollins an den Moniteur. ‒ Schreiben der Repräsentanten des Berges an die römische Constituante. ‒ Die Rechtsgültigkeit der Republik. ‒ Die verschiedenen Wahlcomite's. ‒ Manifest der social-demokratischen Partei. ‒ Vermischtes. ‒ National-Versammlung). Straßburg. (Die Paris-Straßburger Eisenbahn). Großbritannien. London. (Die Feier der französischen Revolution. ‒ Entvölkerung und Auswanderung in Irland. ‒ Eine Verurtheilung. Bericht des Handelsamtes). Dänemrk. Kopenhagen. (Dänische Anleihe in London abgeschlossen). Deutschland. * Köln, 5. März. _ Die Langeweile, der Spleen und die Seekrankheit. Zufällig war ich neulich in Babylon, d. h. in London. Die Themse rauschte an meinem Fenster vorüber. Bridgehouse Hotel liegt nemlich unmittelbar am Wasser und man sieht den Fluß hinauf und hinab und wenn die Dampfboote unter der Londoner Brücke herfahren, da neigen sie mit einem Male Schlot und Mast, wie zu einer zierlichen Verbeugung, die höflichen Dampfboote, und rasch fliegen sie an Dir vorüber. Als ich aber sämmtlichen Dampfbooten, Kuttern, Fregatten, und ähnlichen untergeordneten Fahrzeugen während einer halben Stunde Gelegenheit gegeben hatte, sich ganz ergebenst vor mir zu verbeugen, und als nun der Abend heran kam und die letzten Strahlen der sinkenden Sonne mit dem immer finstrer hereinbrechenden Nebel jenen lustigen Wolkenkampf begannen, in dem sich alle Boxereien und Keilereien des lieben platten Landes wiederzuspiegeln scheinen, ‒ als links die Thürme der Westminster Abtei in bläulicher Ferne schamröthlich abendlich emporglühten und rechts, der alte schreckliche Tower, wie ein versteinerter Seufzer zum letzten Male aus dem Schattenmantel der Nacht hervorschaute, ja, und als endlich gerade gegenüber in der Kuppel der St. Pauls Kirche, die großen Episcopalglocken ihr Abendlied begonnen: Da rührte ich immer langsamer mit meinem Theelöffel in dem großen Glase Grog, das vor mir auf dem Tische stand, und meine Augen sanken und mein Kopf fiel auf die Brust und ich schlief ein und träumte den folgenden, entsetzlichen Traum. Es träumte mir, ich hätte das beste Diner bestellt, das man für so und so viele Pfund Sterling in London haben kann. Nicht ohne Ursache, denn ich erwartete drei der liebenswürdigsten Gäste. Dadurch, daß ich Menschen zum Mittagessen einlud, unterschied ich mich vortheilhaft von vielen meiner Landsleute, die sich gewöhnlich in London einladen lassen. Von allen meinen Empfehlungsbriefen: „gut für ein Diner“, hatte ich in der That nicht den geringsten Gebrauch gemacht und wenn ich Herrn von Raumer bei seiner nächsten wissenschaftlichen Reise nach Alt-England damit gefällig sein kann, so werde ich mir diesen Dienst zu besonderm Vergnügen gereichen lassen. Ein Kellner, wie man ihn nur in England findet, ein spindeldürrer, blasser Seeräuber, in großen Schuhen mit silberner Schnalle, in seidenen Strümpfen, die bis an's Knie reichten, in schwarzer Hose und in schwarzem alterthümlichem Frack, mit dolchspitzen Zipfeln, kurz, ein höflicher, zerknirschter Mensch, der wie der leibhaftige Katzenjammer aussah, riskirte eine höchst graziöse Verbeugung ‒ graziöser hatten sich nicht die schwarzen Schornsteine der Dämpfer verneigt ‒ und kündigte mir mit lispelnder Stimme an, daß so eben der erste meiner Gäste arrivirt sei. Man kann sich meine Freude denken, denn ich war sehr hungrig; hungrig wie ein Wolf, wie ein Vlamländer und mit der Begeisterung des Hungers rannte ich an die Thür und an den Wagenschlag. Eine hohe, verschleierte Dame, ein wahrer Kirchthum in schneeweißem Atlas, setzte eben mit großbritannischer Würde den langen Fuß auf die Schwelle des Hotels. Ich küßte der Schönen die unbewegliche Hand und erkundigte mich nach dero Wohlbefinden. Die Bevölkerung des Hotels leuchtete mit Wachskerzen und feierlich wallten wir in unser teppichweiches Gemach, das eigenthümlich nach Kohlen und nach Seekrebsen duftete. Die Flammen des Kamins schlugen lustiger empor und mischten ihre Streiflichter mit dem Glanze des Gases, das wie flüssiger Mondschein durch die mattgeschliffenen Krystallschalen der Candelaber wogte. Des Daseins süßer Comfort lachte uns entgegen und das Wohlleben streckte seine weichen Arme aus, um uns herabzuziehen auf die schwellenden Polster des Vergnügens. Als aber der Schleier meiner Dame niederrollte, da stand vor mir: eine jener hohen, kalten, schlankgewachsenen Engländerinnen, von denen man nicht weiß, ob sie eben erst aus Marmor geworden, oder ob sie gleich zu Marmor werden sollen. Schneeweißer Teint, himmelblaue Augen, blondes Haar, rothe Lippen und vortreffliche Zähne. Das schönste Modell von einem weiblichen Wesen, das ich je gesehen habe. Im Frühling schuf Gott die Französinnen, im brennenden Sommer schuf er die Weiber von Rom und Madrid. Im humoristischen Herbst erfand er die deutschen Mädchen, doch die Engländerinnen machte Gott im Winter. So eine kühle Tochter Britanniens ist wie ein schöner, festgefrorner Wintermorgen und wenn ihre Wangen in der Lust des Küssens erröthen, da meint man die Morgensonne zittre Rosen streuend über ein Schneefeld. Still, kalt und schneeweiß stand meine Freundin vor mir. Einem aufmerksamen Beobachter würde es nicht entgangen sein, daß Alles an der bemerkenswerthen Dame mehr lang als kurz oder rund war. Lang war ihr Fuß, lang ihre Hände, lang ihre Nase, länglich ihr Gesicht und lang ihre ganze Figur. „Seit langer Zeit haben wir uns nicht gesehen,“ begann ich die Konversation. ‒ „„Sehr lange nicht,““ erwiederte die Holde. ‒ „Ich habe mich lange nach Ihnen gesehnt.“ ‒ „„Lange war es auch mein Wunsch, Ihnen wieder zu begegnen ‒ ““ unser ganzes Gespräch drehte sich um die Länge und die Zeit wäre mir gewiß lang geworden, wenn nicht mein längst erwarteter zweiter Gast endlich in höchsteigener Person hereingetreten wäre. Es war dies einer jener würdigen Gesellen, die wir Jahr aus, Jahr ein zwischen Ostende und Basel hin und her theekesseln sehen. Er trug eine graukarirte Hose, eine graukarirte Weste und einen graukarirten Frack. Grau waren Haare und Augen. Grau der Bart. Der ganze Kerl sah aus wie die Dämmerung. Die Umrisse seines Körpers verschwammen fast mit der Atmosphäre und [Fortsetzung] [Deutschland]

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 2 (Nummer 184 bis Nummer 301) Köln, 1. Januar 1849 bis 19. Mai 1849. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 238. Köln, 6. März 1849, S. 1315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz238_1849/1>, abgerufen am 28.03.2024.