Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177.

Bild:
<< vorherige Seite

selbst sich nicht widersprechen, (Wahrscheinlichkeit der Verknüpfung). Von allen diesen Arten findet man häufige Beyspiele beym Pindar, Horaz, Hagedorn, Uz, Ramler. Die Wahrscheinlichkeit der Empfindung oder des Affekts ist die mögliche Verbindung derselben. Diese kann so beschaffen seyn, daß man keinen Grund angeben kann, das Gegentheil anzunehmen, oder daß man selbst Gründe von dieser Möglichkeit zu zeigen im Stande ist; wenn diese Gründe zahlreich und lebhaft sind, so entsteht daraus ein Schein der Nothwendigkeit, welches eine vorzügliche Schönheit, besonders der Ode, ist. Die erste Art der Wahrscheinlichkeit findet sich zu Anfang einer Ode, und die andere muß in der Folge bis zu Ende angetroffen werden. Es kann etwas wahrscheinlich seyn, als eine Empfindung betrachtet, welches unwahrscheinlich seyn würde, wenn es eine bloße Vorstellung wäre, und umgekehrt. Man muß also die Wahrscheinlichkeit in der Ode nach den Gesetzen der untern Begehrungsvermögen der Seele beurtheilen. In einer jeden Ode muß so viel Wahrscheinlichkeit seyn, als der Affekt erfordert; weil eine jede die schöne Unordnung haben muß. Je größer und vorzüglicher der Gegenstand ist, je lebhafter er gezeichnet worden, und je genauer die Verbindung der Bilder ist; je größer ist die Wahrscheinlichkeit.

Die Einheit.

So wie in einer Epopee, in einer Tragödie nur Eine Handlung seyn kann; so kann auch nur Ein Hauptaffekt in einer Ode seyn. Diese Eigenschaft folgt aus dem Begriffe des Enthusiasmus und der Wahrscheinlichkeit, wenn sie mit einander verglichen werden. Diese Einheit erfordert, daß alle einzle Gemählde in dem Hauptaffekt, als in ihrem Mittelpunkt, zusammenfließen. Wenn ein Nebenumstand zu stark gezeichnet ist; wenn die Ausschweifungen zu weitläuftig sind, so ist es ein Fehler, wodurch die Einheit leidet. Und sie wird völlig aufgehoben, wenn zween Affekten so stark gemahlet werden, daß beyde ein Ganzes für sich ausmachen.

selbst sich nicht widersprechen, (Wahrscheinlichkeit der Verknüpfung). Von allen diesen Arten findet man häufige Beyspiele beym Pindar, Horaz, Hagedorn, Uz, Ramler. Die Wahrscheinlichkeit der Empfindung oder des Affekts ist die mögliche Verbindung derselben. Diese kann so beschaffen seyn, daß man keinen Grund angeben kann, das Gegentheil anzunehmen, oder daß man selbst Gründe von dieser Möglichkeit zu zeigen im Stande ist; wenn diese Gründe zahlreich und lebhaft sind, so entsteht daraus ein Schein der Nothwendigkeit, welches eine vorzügliche Schönheit, besonders der Ode, ist. Die erste Art der Wahrscheinlichkeit findet sich zu Anfang einer Ode, und die andere muß in der Folge bis zu Ende angetroffen werden. Es kann etwas wahrscheinlich seyn, als eine Empfindung betrachtet, welches unwahrscheinlich seyn würde, wenn es eine bloße Vorstellung wäre, und umgekehrt. Man muß also die Wahrscheinlichkeit in der Ode nach den Gesetzen der untern Begehrungsvermögen der Seele beurtheilen. In einer jeden Ode muß so viel Wahrscheinlichkeit seyn, als der Affekt erfordert; weil eine jede die schöne Unordnung haben muß. Je größer und vorzüglicher der Gegenstand ist, je lebhafter er gezeichnet worden, und je genauer die Verbindung der Bilder ist; je größer ist die Wahrscheinlichkeit.

Die Einheit.

So wie in einer Epopee, in einer Tragödie nur Eine Handlung seyn kann; so kann auch nur Ein Hauptaffekt in einer Ode seyn. Diese Eigenschaft folgt aus dem Begriffe des Enthusiasmus und der Wahrscheinlichkeit, wenn sie mit einander verglichen werden. Diese Einheit erfordert, daß alle einzle Gemählde in dem Hauptaffekt, als in ihrem Mittelpunkt, zusammenfließen. Wenn ein Nebenumstand zu stark gezeichnet ist; wenn die Ausschweifungen zu weitläuftig sind, so ist es ein Fehler, wodurch die Einheit leidet. Und sie wird völlig aufgehoben, wenn zween Affekten so stark gemahlet werden, daß beyde ein Ganzes für sich ausmachen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0014" n="164"/>
selbst sich nicht widersprechen, (Wahrscheinlichkeit der Verknüpfung).   Von allen diesen Arten findet man häufige Beyspiele beym Pindar, Horaz,   Hagedorn, Uz, Ramler. Die Wahrscheinlichkeit der Empfindung oder des Affekts   ist die mögliche Verbindung derselben. Diese kann so beschaffen seyn,   daß man keinen Grund angeben kann, das Gegentheil anzunehmen, oder   daß man selbst Gründe von dieser Möglichkeit zu zeigen im   Stande ist; wenn diese Gründe zahlreich und lebhaft sind, so entsteht   daraus ein Schein der Nothwendigkeit, welches eine vorzügliche Schönheit,   besonders der Ode, ist. Die erste Art der Wahrscheinlichkeit findet sich zu Anfang   einer Ode, und die andere muß in der Folge bis zu Ende angetroffen werden.   Es kann etwas wahrscheinlich seyn, als eine Empfindung betrachtet, welches   unwahrscheinlich seyn würde, wenn es eine bloße Vorstellung   wäre, und umgekehrt. Man muß also die Wahrscheinlichkeit in der   Ode nach den Gesetzen der untern Begehrungsvermögen der Seele beurtheilen.   In einer jeden Ode muß so viel Wahrscheinlichkeit seyn, als der Affekt   erfordert; weil eine jede die schöne Unordnung haben muß. Je   größer und vorzüglicher der Gegenstand ist, je lebhafter   er gezeichnet worden, und je genauer die Verbindung der Bilder ist; je   größer ist die Wahrscheinlichkeit.  </p>
        </div>
        <div n="3">
          <head> <hi rendition="#c">Die Einheit.</hi> </head>
          <p>  So wie in einer Epopee, in einer Tragödie nur Eine Handlung seyn kann;   so kann auch nur Ein Hauptaffekt in einer Ode seyn. Diese Eigenschaft folgt   aus dem Begriffe des Enthusiasmus und der Wahrscheinlichkeit, wenn sie mit   einander verglichen werden. Diese Einheit erfordert, daß alle einzle   Gemählde in dem Hauptaffekt, als in ihrem Mittelpunkt,   zusammenfließen. Wenn ein Nebenumstand  zu stark gezeichnet ist;   wenn die Ausschweifungen zu weitläuftig sind, so ist es ein Fehler,   wodurch die Einheit leidet. Und sie wird völlig aufgehoben, wenn   zween Affekten so stark gemahlet werden, daß beyde ein Ganzes   für sich ausmachen.  </p>
          <p>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0014] selbst sich nicht widersprechen, (Wahrscheinlichkeit der Verknüpfung). Von allen diesen Arten findet man häufige Beyspiele beym Pindar, Horaz, Hagedorn, Uz, Ramler. Die Wahrscheinlichkeit der Empfindung oder des Affekts ist die mögliche Verbindung derselben. Diese kann so beschaffen seyn, daß man keinen Grund angeben kann, das Gegentheil anzunehmen, oder daß man selbst Gründe von dieser Möglichkeit zu zeigen im Stande ist; wenn diese Gründe zahlreich und lebhaft sind, so entsteht daraus ein Schein der Nothwendigkeit, welches eine vorzügliche Schönheit, besonders der Ode, ist. Die erste Art der Wahrscheinlichkeit findet sich zu Anfang einer Ode, und die andere muß in der Folge bis zu Ende angetroffen werden. Es kann etwas wahrscheinlich seyn, als eine Empfindung betrachtet, welches unwahrscheinlich seyn würde, wenn es eine bloße Vorstellung wäre, und umgekehrt. Man muß also die Wahrscheinlichkeit in der Ode nach den Gesetzen der untern Begehrungsvermögen der Seele beurtheilen. In einer jeden Ode muß so viel Wahrscheinlichkeit seyn, als der Affekt erfordert; weil eine jede die schöne Unordnung haben muß. Je größer und vorzüglicher der Gegenstand ist, je lebhafter er gezeichnet worden, und je genauer die Verbindung der Bilder ist; je größer ist die Wahrscheinlichkeit. Die Einheit. So wie in einer Epopee, in einer Tragödie nur Eine Handlung seyn kann; so kann auch nur Ein Hauptaffekt in einer Ode seyn. Diese Eigenschaft folgt aus dem Begriffe des Enthusiasmus und der Wahrscheinlichkeit, wenn sie mit einander verglichen werden. Diese Einheit erfordert, daß alle einzle Gemählde in dem Hauptaffekt, als in ihrem Mittelpunkt, zusammenfließen. Wenn ein Nebenumstand zu stark gezeichnet ist; wenn die Ausschweifungen zu weitläuftig sind, so ist es ein Fehler, wodurch die Einheit leidet. Und sie wird völlig aufgehoben, wenn zween Affekten so stark gemahlet werden, daß beyde ein Ganzes für sich ausmachen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2018-07-16T15:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-16T15:00:00Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.uni-due.de/lyriktheorie/beiwerk/projekt.html#edition formulierten Richtlinien.

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763/14
Zitationshilfe: [N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177, hier S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763/14>, abgerufen am 23.04.2024.