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Reichspost. Nr. 273, Wien, 11.11.1907.

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273 Wien, Montag Reichspost. 11. November 1907

[Spaltenumbruch] verdankt, hat uns den Weg in die Provinzen geebnet. Wir
sind jetzt die stärkste Partei im Reichsrate,
dem einer der unserigen präsidiert. (Stürmischer Beifall.)
Allerdings, sagte Prinz Liechtenstein weiter, jeder Kampf
fordert Opfer auch vom Sieger. Was Dr. Lueger in diesen
langen Jahren seiner aufreibenden Tätigkeit zugesetzt hat,
ist seine Gesundheit, sie ist erschüttert,
aber Gott sei dank nicht verloren, die Fügung des
Himmels erhält sie uns. Richelieu, der große
Staatsmann,
der sein Vaterland aus
den Wirren und der Ohnmacht der Bürger
kriege gerettet hat, ist frühzeitig körperlich gealtert. Als er
einst den Degen, den er als Jüngling geschwungen hatte,
zu heben versuchte, versagte ihm der Arm und er brach in
Tränen aus über die Entkräftung der Muskeln. Ein
Freund, der ihm zugesehen hatte, rief ihm zu: Tröste Dich,
andere mögen das Schwert führen, Du führst Frankreich
und Du führst es gut! So rufen auch wir, die Partei der
geeinigten Christlichsozialen, sechsundneunzig Volksvertreter
des österreichischen Parlamentes, Dr. Lueger zu: Mag
auch die Körperkraft der Jugend nachlassen, Dein Geist,
Deine Erfahrung, Dein ungebrochener Mut, der stolze
Wille, das bedrohte Vaterland zu retten, sind Dir geblieben,
führe uns, dann sind wir des Sieges gewiß." Lang-
auhaltender stürmischer Beifall folgte diesen Worten.

Die Vorgeschichte der Metzelei von
Cernova.

Unser oberungarischer Kor-
respondent
berichtet: Der vom Bischof Parvy
abgesetzte Rosenberger Pfarrer Hlinka sendet von
Brünn an eine slovakische Zeitung ein Schreiben, in
welchem er die Vorgeschichte des Massen-
mordes
erörtert. Aus diesem entnehmen wir
einiges, was auch weitere Kreise interessieren dürfte:

"Die Gemeinde Cernova erbaute die Kirche mit meiner
Hilfe. Das Volk opferte viel und ich gab und bettelte,
wie ich konnte. Die Kirche bauten unsere slovakischen
Architekten Harminc und Jantschek. Schon dieser Umstand
brachte das Bausyndikat von Rosenberg
in Aufruhr.
Sie verdächtigten mich in ihren
Blättern, daß ich das Volk um 7000 Kronen verkürzt habe,
obwohl sie wußten, daß ich die Bänke bestellt und auf die
Schuld 6000 Kronen daraufgezahlt habe.
Ich erwiderte darauf nicht, sondern arbeitete unermüdet
an der Vollendung des Werkes. Das Volk sah dies und
deswegen war es durch die häßlichen Ausbrüche des Hasses
meiner Feinde bis aufs tiefste beleidigt. Das waren
größtenteils Priester von Rosenberg und Umgebung, an der
Spitze Janovcik und Fischer. Ich freute mich über das
vollendete Werk und das Volk frohlockte in der Hoffnung,
daß die Einweihung den Bischof Parvy erweichen würde.
Als kein Geld da war, nahm mein Bruder eine Wechsel-
schuld von 30.000 Kronen auf sich. Auf Wunsch
der Cernovaer schrieb ich an den Bischof
eine ehrfurchtsvolle Bittschrift um Vornahme der
Einweihung. -- Auf einmal verbreitete sich das Gerücht,
daß der Bischof die Kirche weihen werde. Freude ergriff das
Volk und es verlangte meine Rehabilitierung, eventuell die
Verhandlung meines kanonischen Prozesses.

In Rom sagte man mir seinerzeit, daß meine Anwesen-
heit das Volk aufreizt und verlangte, daß ich für einige
Zeit die Diözese verlasse. Es verging ein halbes Jahr und
mein Prozeßstockte, offenbarinfolge des
Eingreifens des Bischofs und der Regie-
rung.
Der Bischof hätte über mich zu Gericht sitzen und
irgend ein Urteil fällen sollen; und ich hätte es er-
tragen. Dieses Vorgehen empörte das feine Gefühl
des Volkes, welches sah, daß ich für sein Wohl und
seine Rechte vor keinem Opfer zurückschrecke, keine Arbeit
scheue. Dieses Volk sah, daß ich als Priester, Mensch und
Politiker tadellos arbeite und daß der Bischof mein Gegner
war. Dadurch wurde es unwillig und läßt sich durch
niemanden, auch nicht durch Gewehre
und
Vajonetteüberreden, daß ich ein Sünder
oder Aufwiegler sei.

Am 16. Oktober ging ich nach Mähren, um am 17. in
Ungarisch-Hradisch einen Vortrag zu halten." Pfarrer
Hlinka erfuhr erst in Olmütz, daß die Einweihung der
Kirche für den 27. Oktober bestimmt ist. Der Dechant lud
ihn zu dem Feste ein, aber Hlinka lehnte ab. Der Haupt-
grund seines Fernbleibens war, daß der Bischof seine An-
wesenheit nicht wünschte. Dann setzt er also fort: "Wie ich
aus glaubwürdiger Quelle erfahren habe, war es sein be-
stimmter Wunsch, daß die Kirche dann
geweiht werde, wenn ich im Kerker sein
werde,
also ohne mich."

Das ist der erste Grund des Massenmordes; der zweite
ist die Rücksichtslosigkeit Fischers, der sah, daß ihn das Volk
nicht wünsche; dennoch wollte er von Bajonetten begleitet
die Kirche weihen. Die Kirche hat er nicht geweiht, aber
Menschenblut floß in Strömen. Er mag dafür Rechen-
schaft ablegen vor Gott und den Menschen." Spektator.

Die tschechische Sprache beim Egerer
Gerichte.

Eine bedenkliche Entscheidung, die in die
kaum einigermaßen beruhigte Situation neue Er-
regungen hineinzutragen droht, gelangte, wie uns aus
Eger telegraphiert wird, gestern, Sonntag, an das
Egerer Kreisgericht seitens des Prager Oberlandes-
gerichtes herab, durch welche der jahrelange Kampf um
die Anerkennung der tschechischen Sprache in Eger als
Gerichtssprache zugunsten der Tschechen
entschieden wurde. Der Prager Advokat Dr. Lohota
hatte bereits vor einigen Monaten bei dem hiesigen
Bezirksgerichte eine tschechische Klage eingereicht, die
jedoch zurückgewiesen wurde. Der dagegen beim Oher-
landesgerichte in Prag eingebrachte Rekurs wurde an das
Egerer Kreisgericht zurückgeleitet. Dieses wies die Beschwerde
zurück, da im Sinne der Bestimmungen der Gerichts-
ordnung in Eger nur die deutsche Sprache als gerichts-
üblich anzusehen sei. Damit mußte sich Dr. Lohoda
zufriedengeben und die betreffende Klage in deutscher
Sprache einbringen.


[Spaltenumbruch]

Um eine Entscheidung des Prager Oberlandes-
gerichtes zu provozieren, schlug nun Dr. Lohoda einen
anderen Weg ein; er überreichte beim Egerer Kreis-
gerichte eine (fingierte) Wechselklage in tschechischer
Sprache, bei der es sich um einen Sichtwechsel, der
nur 4 Tage Laufzeit hatte, handelte. Da das Kreis-
gericht diese tschechische Klage zurückwies, erhob Doktor
Lohoda den Rekurs an das Prager Oberlandesgericht.
In der heute herabgelangten Entscheidung wird nun
das Egerer Kreisgericht angewiesen, die in tschechischer
Sprache überreichte Wechselklage nicht nur
anzunehmen, sondern auch in tschechischer Sprache zu
erledigen. Alle auf diese Klage Bezug habenden Aus-
fertigungen und Protokollierungen sind in tschechischer
Sprache vorzunehmen, ja sogar im Einlaufsprotokoll
die Klage in tschechischer Sprache zu verzeichnen, da
"die tschechische Sprache in Eger als gerichtsüblich an-
zusehen sei". In einer Sitzung der deutschen Ver-
trauensmänner wurde beschlossen, sofort eine um-
fassende Protestaktion gegen diese Entscheidung ein-
zuleiten und von derselben alle deutschböhmischen
Abgeordneten und den deutschen Volksrat für Böhmen
zu verständigen. Auch die Stadtvertretung wird sich
mit der Angelegenheit beschäftigen und hiebei auch an
alle anderen deutschböhmischen Städte appellieren.

Die Junge Herren-Politik.

Wie uns aus
Lemberg gemeldet wird, fand dort Samstag
abends in einem Hörsaale der Universität eine von
allpolnischen Studenten einberufene Protestversammlung
gegen die den Ruthenen in Wien von der Regierung
gewährten Zugeständnisse statt. Zu der Versammlung
hatten sich zirka 200 allpolnische Studenten, sowie eine
große Anzahl von Sozialdemokraten (!)
eingefunden. Der Referent der Versammlung, Student
Meybaum -- ganz gewiß ein Allpole! -- wandte
sich in hitzigen Worten gegen den Versuch, "die Uni-
versitätsfrage zum Gegenstand von politischen
Verhandlungen zwischen den einzelnen parla-
mentarischen Parteien in Wien zu machen
und erklärte, daß die polnischen Studenten es nie
und nimmer zulassen werden,
daß die
Autonomie der Universität und deren ausschließlich
polnischer Charakter angetastet werde. Trotzdem der
in der Versammlung anwesende Professor Dembinski
auf Grund authentischer Informationen die Versamm-
lung zu beschwichtigen suchte, wurde eine aufgeregte
Protestresolution gegen die Verhandlungen der Re-
gierung mit den Ruthenen mit großer Mehr-
heit
angenommen. Man darf wohl erwarten, daß
die Regierung weiß, was sie mit solchen Kundgebungen
zu tun hat. Die Politik der Minderjährigen hat schon
einen allzu breiten Raum eingenommen.




Ausland.

Die Agrargesetzgebung in Rumänien,
die durch die letzten Bauernunruhen beschleunigt
wurde, naht sich ihrer Vollendung. Die parlamentarische
Kommission beendigte die Beratung über den Gesetz-
entwurf betreffend die landwirtschaftlichen Pacht-
verträge und begann gestern mit der Verhandlung des
Gesetzentwurfes betreffend die Monopolisierung der
geistigen Getränke in den Landgemeinden.

Der Krieg gegen die christlichen
Schulen in Frankreich
dauert ungeschwächt
fort. Wer sich dagegen muckst, wird durch Strafen
eingeschüchtert. Soeben verurteilte das Zuchtpolizei-
gericht in Choley den Notar Bretaut und
den Gutsbesitzer George de Tou, die bei
der Schließung der von Geistlichen geleiteten
Mittelschule in Beaupre gegen das Eindringen der
Polizeimacht Stellung genommen hatten, zu je zehn
Tagen Gefängnis.

Die Gärung in Persien ist noch nicht
beruhigt. Samstag verhandelte das persische Parla-
ment lange über verschiedene auf rühr erische Ar-
tikel
der Teheraner Presse, in denen von der Mög-
lichkeit der Einmischung fremder Mächte in Persien
gesprochen und das englisch-russische Abkommen als ein
Eingriff in die Unabhängigkeit Persiens bezeichnet wird.
Man einigte sich dahin, daß Maßregeln gegen die Presse
ergriffen werden müßten.




Campbell-Bannerman über britische
Politik.

In einer Samstag auf dem Guidehall-Baukett
gehaltenen Rede gedachte Premierminister Bannerman
des Besuches des deutschen Kaiserpaares und sagte:
Die fremden Besuche werden immer häufiger und sie
können nur Gutes leisten, wenn nur begriffen wird,
daß sie keine politischen Pläne decken.
Wir werden den deutschen Kaiser und die Kaiserin
herzlichst willkommen heißen, besonders zu einer Zeit,
wo der Kaiser der Ruhe bedarf. Der
Ministerpräsident beschäftigte sich auch mit der
[Spaltenumbruch] Haager Konferenz und sagte: Wir sind von
ihren Ergebnissen, was die Einschränkung der Rüstungen
betrifft, zwar enttäuscht, doch hat sie einige Ergebnisse
gezeitigt, die nicht unbedeutend sind. Der Premier-
minister ging sodann zur Besprechung des eng-
lisch-russischen Vertrages
über, den er
als eine bedeutende, weitere Sicherheit für den Welt-
frieden betrachtet und erinnerte hierauf an die in-
dischen Unruhen,
die sicherlich die Aufmerksam-
keit forderten. Die Unordnung sei mit fester Hand zu
unterdrücken und dabei gleichzeitig die freie Meinungs-
äußerung zuzulassen, soweit sie nicht den Umsturz bezweckt,
das entspreche den Wünschen der Bewohner Indiens
Ueber den Kongostaat müsse Redner mit großer
Reserve sprechen, weil das belgische Parlament kürzlich
gefragt wurde, unter welchen Bedingungen es den
Kongostaat übernehmen wolle. Die britische Regierung
habe nicht die Absicht, sich einzumischen,
sei aber tief von dem Gefühl der Verantwort-
lichkeit
durchdrungen, welche sie mit anderen dafür
übernommen hat, daß der Kongo wie die Kolonien anderer
Nationen regiert werde. Admiral Fischer pries die
Tüchtigkeit der englischen Flotte und fuhr so-
dann fort, von einer deutschen Invasion zu
sprechen, wäre Unsinn. Er gedachte in sympathischen
Ausdrücken des Besuches Kaiser Wilhelms, den die
englische Marine mit Stolz zu ihren Admirälen zähle.




Das russische Fragezeichen. Eine Unter-
redung mit Herrn Milukow.

(Regierung und Duma. -- Taktik der Oktobristen. -- Die
Kadetten und die Polen.)

Aus Petersburg wird der "Reichspost" ge-
schrieben:

Ihr Korrespondent fühlt sich Herrn Milukow
gegenüber zu ganz besonderem Dank verpflichtet. Der
Kadettenführer empfing Ihren Mitarbeiter und gab
ihm mit der größten Freundlichkeit die gewünschten
Auskünfte.

"Zur Zeit -- äußert Herr Milukow -- sind von
den Kadetten und den ihnen befreundeten Fortschrittlern
ungefähr siebzig gewählt worden. Das ist verhältnis-
mäßig eine ganz stattliche Zahl. Zählt man die zur
extremen Linken gehörenden 14 Abgeordneten dazu,
dann betragen die Kräfte der Opposition 80 bis 84
Abgeordnete. Bei der konservativen Mehrheit wird der
Schwerpunkt naturgemäß bei den Oktobristen liegen.
Die letzteren werden mit ihren 70 Abgeordneten eine
entscheidende Rolle spielen, da es von ihnen abhängen
wird, der Opposition oder der Reaktion zum Siege zu
verhelfen."

"Meiner Ansicht nach können wir in zwei Fragen
ganz bestimmt auf ein Zusammengehen der Oktobristen
mit der Opposition rechnen: die erste betrifft die
Rückkehr zur alten Staatsform vor
dem 30. Oktober; die zweite die Frage der
lokalen Autonomie. Ich bin fest überzeugt,
daß die Oktobristen nicht mit Hand anlegen werden
zur gänzlichen Vernichtung der noch bestehenden Selb-
ständigkeit der einzelnen Länder. Sollten meine Hoff-
nungen sich nicht bewähren und die Oktobristen sich mit
der Regierungspartei vereinigen, dann wird die Lage
eine sehr traurige werden. Die Rückkehr zu den alten
Dingen wäre nur noch eine Frage der Zeit. Uebrigens
haben sich meine Voraussetzungen betreffs der Wahl-
ergebnisse erfüllt. Sowohl die Wähler der Linken
als der Rechten haben sich uns bedeutend genähert.
Die Wahlergebnisse sind der beste Beweis dafür, daß
die linken Parteien immer mehr
unter den breiten Massen an Kredit
verlieren.
Das Land hat genug von
all diesen Unruhen
und besonders von der
Revolution mit ihrem Geschrei, ihren Missetaten,
Bomben, Utopien und unsäglichem Chaos.

Nach der Auflösung der zweiten Duma sah die
Mehrheit der Bevölkerung ein, daß die Taktik der
linken Parteien keine Kritik aushalte, daß ihre Ver-
sprechen zwar anziehend, aber unausführbar sind" ...

"Gestatten Sie die Bemerkung, daß auch die Kadetten
einiges versprochen haben, das sich später als unaus-
führbar erwies?" --

"Vor der zweiten Duma haben wir, abgesehen von
der parlamentarischen Formulierung unserer Tätigkeit,
keine Versprechen gemacht." --

"Und vor der ersten Duma?"

,Sie werden verstehen, daß uns damals die Linke
unbekannt sein konnte. Haben wir doch erst in der
ersten Duma die Bekanntschaft der Trudowiks machen
können."

"Sie halten also die Niederlage der Linken
keineswegs als eine Folge der neuen Wahlgesetz-
ordung?
"

"Nein, nein! Die Klassenwahlen in Peters-
burg unterscheiden sich nur wenig von der früheren
und lassen sich nur durch die politische Reife der
Petersburger erklären, die uns den Sieg zuführten."


273 Wien, Montag Reichspoſt. 11. November 1907

[Spaltenumbruch] verdankt, hat uns den Weg in die Provinzen geebnet. Wir
ſind jetzt die ſtärkſte Partei im Reichsrate,
dem einer der unſerigen präſidiert. (Stürmiſcher Beifall.)
Allerdings, ſagte Prinz Liechtenſtein weiter, jeder Kampf
fordert Opfer auch vom Sieger. Was Dr. Lueger in dieſen
langen Jahren ſeiner aufreibenden Tätigkeit zugeſetzt hat,
iſt ſeine Geſundheit, ſie iſt erſchüttert,
aber Gott ſei dank nicht verloren, die Fügung des
Himmels erhält ſie uns. Richelieu, der große
Staatsmann,
der ſein Vaterland aus
den Wirren und der Ohnmacht der Bürger
kriege gerettet hat, iſt frühzeitig körperlich gealtert. Als er
einſt den Degen, den er als Jüngling geſchwungen hatte,
zu heben verſuchte, verſagte ihm der Arm und er brach in
Tränen aus über die Entkräftung der Muskeln. Ein
Freund, der ihm zugeſehen hatte, rief ihm zu: Tröſte Dich,
andere mögen das Schwert führen, Du führſt Frankreich
und Du führſt es gut! So rufen auch wir, die Partei der
geeinigten Chriſtlichſozialen, ſechsundneunzig Volksvertreter
des öſterreichiſchen Parlamentes, Dr. Lueger zu: Mag
auch die Körperkraft der Jugend nachlaſſen, Dein Geiſt,
Deine Erfahrung, Dein ungebrochener Mut, der ſtolze
Wille, das bedrohte Vaterland zu retten, ſind Dir geblieben,
führe uns, dann ſind wir des Sieges gewiß.“ Lang-
auhaltender ſtürmiſcher Beifall folgte dieſen Worten.

Die Vorgeſchichte der Metzelei von
Cernova.

Unſer oberungariſcher Kor-
reſpondent
berichtet: Der vom Biſchof Parvy
abgeſetzte Roſenberger Pfarrer Hlinka ſendet von
Brünn an eine ſlovakiſche Zeitung ein Schreiben, in
welchem er die Vorgeſchichte des Maſſen-
mordes
erörtert. Aus dieſem entnehmen wir
einiges, was auch weitere Kreiſe intereſſieren dürfte:

„Die Gemeinde Cernova erbaute die Kirche mit meiner
Hilfe. Das Volk opferte viel und ich gab und bettelte,
wie ich konnte. Die Kirche bauten unſere ſlovakiſchen
Architekten Harminc und Jantſchek. Schon dieſer Umſtand
brachte das Bauſyndikat von Roſenberg
in Aufruhr.
Sie verdächtigten mich in ihren
Blättern, daß ich das Volk um 7000 Kronen verkürzt habe,
obwohl ſie wußten, daß ich die Bänke beſtellt und auf die
Schuld 6000 Kronen daraufgezahlt habe.
Ich erwiderte darauf nicht, ſondern arbeitete unermüdet
an der Vollendung des Werkes. Das Volk ſah dies und
deswegen war es durch die häßlichen Ausbrüche des Haſſes
meiner Feinde bis aufs tiefſte beleidigt. Das waren
größtenteils Prieſter von Roſenberg und Umgebung, an der
Spitze Janovcik und Fiſcher. Ich freute mich über das
vollendete Werk und das Volk frohlockte in der Hoffnung,
daß die Einweihung den Biſchof Parvy erweichen würde.
Als kein Geld da war, nahm mein Bruder eine Wechſel-
ſchuld von 30.000 Kronen auf ſich. Auf Wunſch
der Cernovaer ſchrieb ich an den Biſchof
eine ehrfurchtsvolle Bittſchrift um Vornahme der
Einweihung. — Auf einmal verbreitete ſich das Gerücht,
daß der Biſchof die Kirche weihen werde. Freude ergriff das
Volk und es verlangte meine Rehabilitierung, eventuell die
Verhandlung meines kanoniſchen Prozeſſes.

In Rom ſagte man mir ſeinerzeit, daß meine Anweſen-
heit das Volk aufreizt und verlangte, daß ich für einige
Zeit die Diözeſe verlaſſe. Es verging ein halbes Jahr und
mein Prozeßſtockte, offenbarinfolge des
Eingreifens des Biſchofs und der Regie-
rung.
Der Biſchof hätte über mich zu Gericht ſitzen und
irgend ein Urteil fällen ſollen; und ich hätte es er-
tragen. Dieſes Vorgehen empörte das feine Gefühl
des Volkes, welches ſah, daß ich für ſein Wohl und
ſeine Rechte vor keinem Opfer zurückſchrecke, keine Arbeit
ſcheue. Dieſes Volk ſah, daß ich als Prieſter, Menſch und
Politiker tadellos arbeite und daß der Biſchof mein Gegner
war. Dadurch wurde es unwillig und läßt ſich durch
niemanden, auch nicht durch Gewehre
und
Vajonetteüberreden, daß ich ein Sünder
oder Aufwiegler ſei.

Am 16. Oktober ging ich nach Mähren, um am 17. in
Ungariſch-Hradiſch einen Vortrag zu halten.“ Pfarrer
Hlinka erfuhr erſt in Olmütz, daß die Einweihung der
Kirche für den 27. Oktober beſtimmt iſt. Der Dechant lud
ihn zu dem Feſte ein, aber Hlinka lehnte ab. Der Haupt-
grund ſeines Fernbleibens war, daß der Biſchof ſeine An-
weſenheit nicht wünſchte. Dann ſetzt er alſo fort: „Wie ich
aus glaubwürdiger Quelle erfahren habe, war es ſein be-
ſtimmter Wunſch, daß die Kirche dann
geweiht werde, wenn ich im Kerker ſein
werde,
alſo ohne mich.“

Das iſt der erſte Grund des Maſſenmordes; der zweite
iſt die Rückſichtsloſigkeit Fiſchers, der ſah, daß ihn das Volk
nicht wünſche; dennoch wollte er von Bajonetten begleitet
die Kirche weihen. Die Kirche hat er nicht geweiht, aber
Menſchenblut floß in Strömen. Er mag dafür Rechen-
ſchaft ablegen vor Gott und den Menſchen.“ Spektator.

Die tſchechiſche Sprache beim Egerer
Gerichte.

Eine bedenkliche Entſcheidung, die in die
kaum einigermaßen beruhigte Situation neue Er-
regungen hineinzutragen droht, gelangte, wie uns aus
Eger telegraphiert wird, geſtern, Sonntag, an das
Egerer Kreisgericht ſeitens des Prager Oberlandes-
gerichtes herab, durch welche der jahrelange Kampf um
die Anerkennung der tſchechiſchen Sprache in Eger als
Gerichtsſprache zugunſten der Tſchechen
entſchieden wurde. Der Prager Advokat Dr. Lohota
hatte bereits vor einigen Monaten bei dem hieſigen
Bezirksgerichte eine tſchechiſche Klage eingereicht, die
jedoch zurückgewieſen wurde. Der dagegen beim Oher-
landesgerichte in Prag eingebrachte Rekurs wurde an das
Egerer Kreisgericht zurückgeleitet. Dieſes wies die Beſchwerde
zurück, da im Sinne der Beſtimmungen der Gerichts-
ordnung in Eger nur die deutſche Sprache als gerichts-
üblich anzuſehen ſei. Damit mußte ſich Dr. Lohoda
zufriedengeben und die betreffende Klage in deutſcher
Sprache einbringen.


[Spaltenumbruch]

Um eine Entſcheidung des Prager Oberlandes-
gerichtes zu provozieren, ſchlug nun Dr. Lohoda einen
anderen Weg ein; er überreichte beim Egerer Kreis-
gerichte eine (fingierte) Wechſelklage in tſchechiſcher
Sprache, bei der es ſich um einen Sichtwechſel, der
nur 4 Tage Laufzeit hatte, handelte. Da das Kreis-
gericht dieſe tſchechiſche Klage zurückwies, erhob Doktor
Lohoda den Rekurs an das Prager Oberlandesgericht.
In der heute herabgelangten Entſcheidung wird nun
das Egerer Kreisgericht angewieſen, die in tſchechiſcher
Sprache überreichte Wechſelklage nicht nur
anzunehmen, ſondern auch in tſchechiſcher Sprache zu
erledigen. Alle auf dieſe Klage Bezug habenden Aus-
fertigungen und Protokollierungen ſind in tſchechiſcher
Sprache vorzunehmen, ja ſogar im Einlaufsprotokoll
die Klage in tſchechiſcher Sprache zu verzeichnen, da
„die tſchechiſche Sprache in Eger als gerichtsüblich an-
zuſehen ſei“. In einer Sitzung der deutſchen Ver-
trauensmänner wurde beſchloſſen, ſofort eine um-
faſſende Proteſtaktion gegen dieſe Entſcheidung ein-
zuleiten und von derſelben alle deutſchböhmiſchen
Abgeordneten und den deutſchen Volksrat für Böhmen
zu verſtändigen. Auch die Stadtvertretung wird ſich
mit der Angelegenheit beſchäftigen und hiebei auch an
alle anderen deutſchböhmiſchen Städte appellieren.

Die Junge Herren-Politik.

Wie uns aus
Lemberg gemeldet wird, fand dort Samstag
abends in einem Hörſaale der Univerſität eine von
allpolniſchen Studenten einberufene Proteſtverſammlung
gegen die den Ruthenen in Wien von der Regierung
gewährten Zugeſtändniſſe ſtatt. Zu der Verſammlung
hatten ſich zirka 200 allpolniſche Studenten, ſowie eine
große Anzahl von Sozialdemokraten (!)
eingefunden. Der Referent der Verſammlung, Student
Meybaum — ganz gewiß ein Allpole! — wandte
ſich in hitzigen Worten gegen den Verſuch, „die Uni-
verſitätsfrage zum Gegenſtand von politiſchen
Verhandlungen zwiſchen den einzelnen parla-
mentariſchen Parteien in Wien zu machen
und erklärte, daß die polniſchen Studenten es nie
und nimmer zulaſſen werden,
daß die
Autonomie der Univerſität und deren ausſchließlich
polniſcher Charakter angetaſtet werde. Trotzdem der
in der Verſammlung anweſende Profeſſor Dembinski
auf Grund authentiſcher Informationen die Verſamm-
lung zu beſchwichtigen ſuchte, wurde eine aufgeregte
Proteſtreſolution gegen die Verhandlungen der Re-
gierung mit den Ruthenen mit großer Mehr-
heit
angenommen. Man darf wohl erwarten, daß
die Regierung weiß, was ſie mit ſolchen Kundgebungen
zu tun hat. Die Politik der Minderjährigen hat ſchon
einen allzu breiten Raum eingenommen.




Ausland.

Die Agrargeſetzgebung in Rumänien,
die durch die letzten Bauernunruhen beſchleunigt
wurde, naht ſich ihrer Vollendung. Die parlamentariſche
Kommiſſion beendigte die Beratung über den Geſetz-
entwurf betreffend die landwirtſchaftlichen Pacht-
verträge und begann geſtern mit der Verhandlung des
Geſetzentwurfes betreffend die Monopoliſierung der
geiſtigen Getränke in den Landgemeinden.

Der Krieg gegen die chriſtlichen
Schulen in Frankreich
dauert ungeſchwächt
fort. Wer ſich dagegen muckſt, wird durch Strafen
eingeſchüchtert. Soeben verurteilte das Zuchtpolizei-
gericht in Choley den Notar Bretaut und
den Gutsbeſitzer George de Tou, die bei
der Schließung der von Geiſtlichen geleiteten
Mittelſchule in Beaupré gegen das Eindringen der
Polizeimacht Stellung genommen hatten, zu je zehn
Tagen Gefängnis.

Die Gärung in Perſien iſt noch nicht
beruhigt. Samstag verhandelte das perſiſche Parla-
ment lange über verſchiedene auf rühr eriſche Ar-
tikel
der Teheraner Preſſe, in denen von der Mög-
lichkeit der Einmiſchung fremder Mächte in Perſien
geſprochen und das engliſch-ruſſiſche Abkommen als ein
Eingriff in die Unabhängigkeit Perſiens bezeichnet wird.
Man einigte ſich dahin, daß Maßregeln gegen die Preſſe
ergriffen werden müßten.




Campbell-Bannerman über britiſche
Politik.

In einer Samstag auf dem Guidehall-Baukett
gehaltenen Rede gedachte Premierminiſter Bannerman
des Beſuches des deutſchen Kaiſerpaares und ſagte:
Die fremden Beſuche werden immer häufiger und ſie
können nur Gutes leiſten, wenn nur begriffen wird,
daß ſie keine politiſchen Pläne decken.
Wir werden den deutſchen Kaiſer und die Kaiſerin
herzlichſt willkommen heißen, beſonders zu einer Zeit,
wo der Kaiſer der Ruhe bedarf. Der
Miniſterpräſident beſchäftigte ſich auch mit der
[Spaltenumbruch] Haager Konferenz und ſagte: Wir ſind von
ihren Ergebniſſen, was die Einſchränkung der Rüſtungen
betrifft, zwar enttäuſcht, doch hat ſie einige Ergebniſſe
gezeitigt, die nicht unbedeutend ſind. Der Premier-
miniſter ging ſodann zur Beſprechung des eng-
liſch-ruſſiſchen Vertrages
über, den er
als eine bedeutende, weitere Sicherheit für den Welt-
frieden betrachtet und erinnerte hierauf an die in-
diſchen Unruhen,
die ſicherlich die Aufmerkſam-
keit forderten. Die Unordnung ſei mit feſter Hand zu
unterdrücken und dabei gleichzeitig die freie Meinungs-
äußerung zuzulaſſen, ſoweit ſie nicht den Umſturz bezweckt,
das entſpreche den Wünſchen der Bewohner Indiens
Ueber den Kongoſtaat müſſe Redner mit großer
Reſerve ſprechen, weil das belgiſche Parlament kürzlich
gefragt wurde, unter welchen Bedingungen es den
Kongoſtaat übernehmen wolle. Die britiſche Regierung
habe nicht die Abſicht, ſich einzumiſchen,
ſei aber tief von dem Gefühl der Verantwort-
lichkeit
durchdrungen, welche ſie mit anderen dafür
übernommen hat, daß der Kongo wie die Kolonien anderer
Nationen regiert werde. Admiral Fiſcher pries die
Tüchtigkeit der engliſchen Flotte und fuhr ſo-
dann fort, von einer deutſchen Invaſion zu
ſprechen, wäre Unſinn. Er gedachte in ſympathiſchen
Ausdrücken des Beſuches Kaiſer Wilhelms, den die
engliſche Marine mit Stolz zu ihren Admirälen zähle.




Das ruſſiſche Fragezeichen. Eine Unter-
redung mit Herrn Milukow.

(Regierung und Duma. — Taktik der Oktobriſten. — Die
Kadetten und die Polen.)

Aus Petersburg wird der „Reichspoſt“ ge-
ſchrieben:

Ihr Korreſpondent fühlt ſich Herrn Milukow
gegenüber zu ganz beſonderem Dank verpflichtet. Der
Kadettenführer empfing Ihren Mitarbeiter und gab
ihm mit der größten Freundlichkeit die gewünſchten
Auskünfte.

„Zur Zeit — äußert Herr Milukow — ſind von
den Kadetten und den ihnen befreundeten Fortſchrittlern
ungefähr ſiebzig gewählt worden. Das iſt verhältnis-
mäßig eine ganz ſtattliche Zahl. Zählt man die zur
extremen Linken gehörenden 14 Abgeordneten dazu,
dann betragen die Kräfte der Oppoſition 80 bis 84
Abgeordnete. Bei der konſervativen Mehrheit wird der
Schwerpunkt naturgemäß bei den Oktobriſten liegen.
Die letzteren werden mit ihren 70 Abgeordneten eine
entſcheidende Rolle ſpielen, da es von ihnen abhängen
wird, der Oppoſition oder der Reaktion zum Siege zu
verhelfen.“

„Meiner Anſicht nach können wir in zwei Fragen
ganz beſtimmt auf ein Zuſammengehen der Oktobriſten
mit der Oppoſition rechnen: die erſte betrifft die
Rückkehr zur alten Staatsform vor
dem 30. Oktober; die zweite die Frage der
lokalen Autonomie. Ich bin feſt überzeugt,
daß die Oktobriſten nicht mit Hand anlegen werden
zur gänzlichen Vernichtung der noch beſtehenden Selb-
ſtändigkeit der einzelnen Länder. Sollten meine Hoff-
nungen ſich nicht bewähren und die Oktobriſten ſich mit
der Regierungspartei vereinigen, dann wird die Lage
eine ſehr traurige werden. Die Rückkehr zu den alten
Dingen wäre nur noch eine Frage der Zeit. Uebrigens
haben ſich meine Vorausſetzungen betreffs der Wahl-
ergebniſſe erfüllt. Sowohl die Wähler der Linken
als der Rechten haben ſich uns bedeutend genähert.
Die Wahlergebniſſe ſind der beſte Beweis dafür, daß
die linken Parteien immer mehr
unter den breiten Maſſen an Kredit
verlieren.
Das Land hat genug von
all dieſen Unruhen
und beſonders von der
Revolution mit ihrem Geſchrei, ihren Miſſetaten,
Bomben, Utopien und unſäglichem Chaos.

Nach der Auflöſung der zweiten Duma ſah die
Mehrheit der Bevölkerung ein, daß die Taktik der
linken Parteien keine Kritik aushalte, daß ihre Ver-
ſprechen zwar anziehend, aber unausführbar ſind“ ...

„Geſtatten Sie die Bemerkung, daß auch die Kadetten
einiges verſprochen haben, das ſich ſpäter als unaus-
führbar erwies?“ —

„Vor der zweiten Duma haben wir, abgeſehen von
der parlamentariſchen Formulierung unſerer Tätigkeit,
keine Verſprechen gemacht.“ —

„Und vor der erſten Duma?“

‚Sie werden verſtehen, daß uns damals die Linke
unbekannt ſein konnte. Haben wir doch erſt in der
erſten Duma die Bekanntſchaft der Trudowiks machen
können.“

„Sie halten alſo die Niederlage der Linken
keineswegs als eine Folge der neuen Wahlgeſetz-
ordung?

Nein, nein! Die Klaſſenwahlen in Peters-
burg unterſcheiden ſich nur wenig von der früheren
und laſſen ſich nur durch die politiſche Reife der
Petersburger erklären, die uns den Sieg zuführten.“


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Himmels erhält &#x017F;ie uns. <hi rendition="#g">Richelieu, der große<lb/>
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Tränen aus über die Entkräftung der Muskeln. Ein<lb/>
Freund, der ihm zuge&#x017F;ehen hatte, rief ihm zu: Trö&#x017F;te Dich,<lb/>
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Brünn an eine &#x017F;lovaki&#x017F;che Zeitung ein Schreiben, in<lb/>
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Architekten Harminc und Jant&#x017F;chek. Schon die&#x017F;er Um&#x017F;tand<lb/>
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Als kein Geld da war, nahm mein Bruder eine Wech&#x017F;el-<lb/>
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&#x017F;eine Rechte vor keinem Opfer zurück&#x017F;chrecke, keine Arbeit<lb/>
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die Kirche weihen. Die Kirche hat er nicht geweiht, aber<lb/>
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Egerer Kreisgericht &#x017F;eitens des Prager Oberlandes-<lb/>
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Bezirksgerichte eine t&#x017F;chechi&#x017F;che Klage eingereicht, die<lb/>
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[3/0003] 273 Wien, Montag Reichspoſt. 11. November 1907 verdankt, hat uns den Weg in die Provinzen geebnet. Wir ſind jetzt die ſtärkſte Partei im Reichsrate, dem einer der unſerigen präſidiert. (Stürmiſcher Beifall.) Allerdings, ſagte Prinz Liechtenſtein weiter, jeder Kampf fordert Opfer auch vom Sieger. Was Dr. Lueger in dieſen langen Jahren ſeiner aufreibenden Tätigkeit zugeſetzt hat, iſt ſeine Geſundheit, ſie iſt erſchüttert, aber Gott ſei dank nicht verloren, die Fügung des Himmels erhält ſie uns. Richelieu, der große Staatsmann, der ſein Vaterland aus den Wirren und der Ohnmacht der Bürger kriege gerettet hat, iſt frühzeitig körperlich gealtert. Als er einſt den Degen, den er als Jüngling geſchwungen hatte, zu heben verſuchte, verſagte ihm der Arm und er brach in Tränen aus über die Entkräftung der Muskeln. Ein Freund, der ihm zugeſehen hatte, rief ihm zu: Tröſte Dich, andere mögen das Schwert führen, Du führſt Frankreich und Du führſt es gut! So rufen auch wir, die Partei der geeinigten Chriſtlichſozialen, ſechsundneunzig Volksvertreter des öſterreichiſchen Parlamentes, Dr. Lueger zu: Mag auch die Körperkraft der Jugend nachlaſſen, Dein Geiſt, Deine Erfahrung, Dein ungebrochener Mut, der ſtolze Wille, das bedrohte Vaterland zu retten, ſind Dir geblieben, führe uns, dann ſind wir des Sieges gewiß.“ Lang- auhaltender ſtürmiſcher Beifall folgte dieſen Worten. Die Vorgeſchichte der Metzelei von Cernova. Unſer oberungariſcher Kor- reſpondent berichtet: Der vom Biſchof Parvy abgeſetzte Roſenberger Pfarrer Hlinka ſendet von Brünn an eine ſlovakiſche Zeitung ein Schreiben, in welchem er die Vorgeſchichte des Maſſen- mordes erörtert. Aus dieſem entnehmen wir einiges, was auch weitere Kreiſe intereſſieren dürfte: „Die Gemeinde Cernova erbaute die Kirche mit meiner Hilfe. Das Volk opferte viel und ich gab und bettelte, wie ich konnte. Die Kirche bauten unſere ſlovakiſchen Architekten Harminc und Jantſchek. Schon dieſer Umſtand brachte das Bauſyndikat von Roſenberg in Aufruhr. Sie verdächtigten mich in ihren Blättern, daß ich das Volk um 7000 Kronen verkürzt habe, obwohl ſie wußten, daß ich die Bänke beſtellt und auf die Schuld 6000 Kronen daraufgezahlt habe. Ich erwiderte darauf nicht, ſondern arbeitete unermüdet an der Vollendung des Werkes. Das Volk ſah dies und deswegen war es durch die häßlichen Ausbrüche des Haſſes meiner Feinde bis aufs tiefſte beleidigt. Das waren größtenteils Prieſter von Roſenberg und Umgebung, an der Spitze Janovcik und Fiſcher. Ich freute mich über das vollendete Werk und das Volk frohlockte in der Hoffnung, daß die Einweihung den Biſchof Parvy erweichen würde. Als kein Geld da war, nahm mein Bruder eine Wechſel- ſchuld von 30.000 Kronen auf ſich. Auf Wunſch der Cernovaer ſchrieb ich an den Biſchof eine ehrfurchtsvolle Bittſchrift um Vornahme der Einweihung. — Auf einmal verbreitete ſich das Gerücht, daß der Biſchof die Kirche weihen werde. Freude ergriff das Volk und es verlangte meine Rehabilitierung, eventuell die Verhandlung meines kanoniſchen Prozeſſes. In Rom ſagte man mir ſeinerzeit, daß meine Anweſen- heit das Volk aufreizt und verlangte, daß ich für einige Zeit die Diözeſe verlaſſe. Es verging ein halbes Jahr und mein Prozeßſtockte, offenbarinfolge des Eingreifens des Biſchofs und der Regie- rung. Der Biſchof hätte über mich zu Gericht ſitzen und irgend ein Urteil fällen ſollen; und ich hätte es er- tragen. Dieſes Vorgehen empörte das feine Gefühl des Volkes, welches ſah, daß ich für ſein Wohl und ſeine Rechte vor keinem Opfer zurückſchrecke, keine Arbeit ſcheue. Dieſes Volk ſah, daß ich als Prieſter, Menſch und Politiker tadellos arbeite und daß der Biſchof mein Gegner war. Dadurch wurde es unwillig und läßt ſich durch niemanden, auch nicht durch Gewehre und Vajonetteüberreden, daß ich ein Sünder oder Aufwiegler ſei. Am 16. Oktober ging ich nach Mähren, um am 17. in Ungariſch-Hradiſch einen Vortrag zu halten.“ Pfarrer Hlinka erfuhr erſt in Olmütz, daß die Einweihung der Kirche für den 27. Oktober beſtimmt iſt. Der Dechant lud ihn zu dem Feſte ein, aber Hlinka lehnte ab. Der Haupt- grund ſeines Fernbleibens war, daß der Biſchof ſeine An- weſenheit nicht wünſchte. Dann ſetzt er alſo fort: „Wie ich aus glaubwürdiger Quelle erfahren habe, war es ſein be- ſtimmter Wunſch, daß die Kirche dann geweiht werde, wenn ich im Kerker ſein werde, alſo ohne mich.“ Das iſt der erſte Grund des Maſſenmordes; der zweite iſt die Rückſichtsloſigkeit Fiſchers, der ſah, daß ihn das Volk nicht wünſche; dennoch wollte er von Bajonetten begleitet die Kirche weihen. Die Kirche hat er nicht geweiht, aber Menſchenblut floß in Strömen. Er mag dafür Rechen- ſchaft ablegen vor Gott und den Menſchen.“ Spektator. Die tſchechiſche Sprache beim Egerer Gerichte. Eine bedenkliche Entſcheidung, die in die kaum einigermaßen beruhigte Situation neue Er- regungen hineinzutragen droht, gelangte, wie uns aus Eger telegraphiert wird, geſtern, Sonntag, an das Egerer Kreisgericht ſeitens des Prager Oberlandes- gerichtes herab, durch welche der jahrelange Kampf um die Anerkennung der tſchechiſchen Sprache in Eger als Gerichtsſprache zugunſten der Tſchechen entſchieden wurde. Der Prager Advokat Dr. Lohota hatte bereits vor einigen Monaten bei dem hieſigen Bezirksgerichte eine tſchechiſche Klage eingereicht, die jedoch zurückgewieſen wurde. Der dagegen beim Oher- landesgerichte in Prag eingebrachte Rekurs wurde an das Egerer Kreisgericht zurückgeleitet. Dieſes wies die Beſchwerde zurück, da im Sinne der Beſtimmungen der Gerichts- ordnung in Eger nur die deutſche Sprache als gerichts- üblich anzuſehen ſei. Damit mußte ſich Dr. Lohoda zufriedengeben und die betreffende Klage in deutſcher Sprache einbringen. Um eine Entſcheidung des Prager Oberlandes- gerichtes zu provozieren, ſchlug nun Dr. Lohoda einen anderen Weg ein; er überreichte beim Egerer Kreis- gerichte eine (fingierte) Wechſelklage in tſchechiſcher Sprache, bei der es ſich um einen Sichtwechſel, der nur 4 Tage Laufzeit hatte, handelte. Da das Kreis- gericht dieſe tſchechiſche Klage zurückwies, erhob Doktor Lohoda den Rekurs an das Prager Oberlandesgericht. In der heute herabgelangten Entſcheidung wird nun das Egerer Kreisgericht angewieſen, die in tſchechiſcher Sprache überreichte Wechſelklage nicht nur anzunehmen, ſondern auch in tſchechiſcher Sprache zu erledigen. Alle auf dieſe Klage Bezug habenden Aus- fertigungen und Protokollierungen ſind in tſchechiſcher Sprache vorzunehmen, ja ſogar im Einlaufsprotokoll die Klage in tſchechiſcher Sprache zu verzeichnen, da „die tſchechiſche Sprache in Eger als gerichtsüblich an- zuſehen ſei“. In einer Sitzung der deutſchen Ver- trauensmänner wurde beſchloſſen, ſofort eine um- faſſende Proteſtaktion gegen dieſe Entſcheidung ein- zuleiten und von derſelben alle deutſchböhmiſchen Abgeordneten und den deutſchen Volksrat für Böhmen zu verſtändigen. Auch die Stadtvertretung wird ſich mit der Angelegenheit beſchäftigen und hiebei auch an alle anderen deutſchböhmiſchen Städte appellieren. Die Junge Herren-Politik. Wie uns aus Lemberg gemeldet wird, fand dort Samstag abends in einem Hörſaale der Univerſität eine von allpolniſchen Studenten einberufene Proteſtverſammlung gegen die den Ruthenen in Wien von der Regierung gewährten Zugeſtändniſſe ſtatt. Zu der Verſammlung hatten ſich zirka 200 allpolniſche Studenten, ſowie eine große Anzahl von Sozialdemokraten (!) eingefunden. Der Referent der Verſammlung, Student Meybaum — ganz gewiß ein Allpole! — wandte ſich in hitzigen Worten gegen den Verſuch, „die Uni- verſitätsfrage zum Gegenſtand von politiſchen Verhandlungen zwiſchen den einzelnen parla- mentariſchen Parteien in Wien zu machen und erklärte, daß die polniſchen Studenten es nie und nimmer zulaſſen werden, daß die Autonomie der Univerſität und deren ausſchließlich polniſcher Charakter angetaſtet werde. Trotzdem der in der Verſammlung anweſende Profeſſor Dembinski auf Grund authentiſcher Informationen die Verſamm- lung zu beſchwichtigen ſuchte, wurde eine aufgeregte Proteſtreſolution gegen die Verhandlungen der Re- gierung mit den Ruthenen mit großer Mehr- heit angenommen. Man darf wohl erwarten, daß die Regierung weiß, was ſie mit ſolchen Kundgebungen zu tun hat. Die Politik der Minderjährigen hat ſchon einen allzu breiten Raum eingenommen. Ausland. Die Agrargeſetzgebung in Rumänien, die durch die letzten Bauernunruhen beſchleunigt wurde, naht ſich ihrer Vollendung. Die parlamentariſche Kommiſſion beendigte die Beratung über den Geſetz- entwurf betreffend die landwirtſchaftlichen Pacht- verträge und begann geſtern mit der Verhandlung des Geſetzentwurfes betreffend die Monopoliſierung der geiſtigen Getränke in den Landgemeinden. Der Krieg gegen die chriſtlichen Schulen in Frankreich dauert ungeſchwächt fort. Wer ſich dagegen muckſt, wird durch Strafen eingeſchüchtert. Soeben verurteilte das Zuchtpolizei- gericht in Choley den Notar Bretaut und den Gutsbeſitzer George de Tou, die bei der Schließung der von Geiſtlichen geleiteten Mittelſchule in Beaupré gegen das Eindringen der Polizeimacht Stellung genommen hatten, zu je zehn Tagen Gefängnis. Die Gärung in Perſien iſt noch nicht beruhigt. Samstag verhandelte das perſiſche Parla- ment lange über verſchiedene auf rühr eriſche Ar- tikel der Teheraner Preſſe, in denen von der Mög- lichkeit der Einmiſchung fremder Mächte in Perſien geſprochen und das engliſch-ruſſiſche Abkommen als ein Eingriff in die Unabhängigkeit Perſiens bezeichnet wird. Man einigte ſich dahin, daß Maßregeln gegen die Preſſe ergriffen werden müßten. Campbell-Bannerman über britiſche Politik. In einer Samstag auf dem Guidehall-Baukett gehaltenen Rede gedachte Premierminiſter Bannerman des Beſuches des deutſchen Kaiſerpaares und ſagte: Die fremden Beſuche werden immer häufiger und ſie können nur Gutes leiſten, wenn nur begriffen wird, daß ſie keine politiſchen Pläne decken. Wir werden den deutſchen Kaiſer und die Kaiſerin herzlichſt willkommen heißen, beſonders zu einer Zeit, wo der Kaiſer der Ruhe bedarf. Der Miniſterpräſident beſchäftigte ſich auch mit der Haager Konferenz und ſagte: Wir ſind von ihren Ergebniſſen, was die Einſchränkung der Rüſtungen betrifft, zwar enttäuſcht, doch hat ſie einige Ergebniſſe gezeitigt, die nicht unbedeutend ſind. Der Premier- miniſter ging ſodann zur Beſprechung des eng- liſch-ruſſiſchen Vertrages über, den er als eine bedeutende, weitere Sicherheit für den Welt- frieden betrachtet und erinnerte hierauf an die in- diſchen Unruhen, die ſicherlich die Aufmerkſam- keit forderten. Die Unordnung ſei mit feſter Hand zu unterdrücken und dabei gleichzeitig die freie Meinungs- äußerung zuzulaſſen, ſoweit ſie nicht den Umſturz bezweckt, das entſpreche den Wünſchen der Bewohner Indiens Ueber den Kongoſtaat müſſe Redner mit großer Reſerve ſprechen, weil das belgiſche Parlament kürzlich gefragt wurde, unter welchen Bedingungen es den Kongoſtaat übernehmen wolle. Die britiſche Regierung habe nicht die Abſicht, ſich einzumiſchen, ſei aber tief von dem Gefühl der Verantwort- lichkeit durchdrungen, welche ſie mit anderen dafür übernommen hat, daß der Kongo wie die Kolonien anderer Nationen regiert werde. Admiral Fiſcher pries die Tüchtigkeit der engliſchen Flotte und fuhr ſo- dann fort, von einer deutſchen Invaſion zu ſprechen, wäre Unſinn. Er gedachte in ſympathiſchen Ausdrücken des Beſuches Kaiſer Wilhelms, den die engliſche Marine mit Stolz zu ihren Admirälen zähle. Das ruſſiſche Fragezeichen. Eine Unter- redung mit Herrn Milukow. (Regierung und Duma. — Taktik der Oktobriſten. — Die Kadetten und die Polen.) Aus Petersburg wird der „Reichspoſt“ ge- ſchrieben: Ihr Korreſpondent fühlt ſich Herrn Milukow gegenüber zu ganz beſonderem Dank verpflichtet. Der Kadettenführer empfing Ihren Mitarbeiter und gab ihm mit der größten Freundlichkeit die gewünſchten Auskünfte. „Zur Zeit — äußert Herr Milukow — ſind von den Kadetten und den ihnen befreundeten Fortſchrittlern ungefähr ſiebzig gewählt worden. Das iſt verhältnis- mäßig eine ganz ſtattliche Zahl. Zählt man die zur extremen Linken gehörenden 14 Abgeordneten dazu, dann betragen die Kräfte der Oppoſition 80 bis 84 Abgeordnete. Bei der konſervativen Mehrheit wird der Schwerpunkt naturgemäß bei den Oktobriſten liegen. Die letzteren werden mit ihren 70 Abgeordneten eine entſcheidende Rolle ſpielen, da es von ihnen abhängen wird, der Oppoſition oder der Reaktion zum Siege zu verhelfen.“ „Meiner Anſicht nach können wir in zwei Fragen ganz beſtimmt auf ein Zuſammengehen der Oktobriſten mit der Oppoſition rechnen: die erſte betrifft die Rückkehr zur alten Staatsform vor dem 30. Oktober; die zweite die Frage der lokalen Autonomie. Ich bin feſt überzeugt, daß die Oktobriſten nicht mit Hand anlegen werden zur gänzlichen Vernichtung der noch beſtehenden Selb- ſtändigkeit der einzelnen Länder. Sollten meine Hoff- nungen ſich nicht bewähren und die Oktobriſten ſich mit der Regierungspartei vereinigen, dann wird die Lage eine ſehr traurige werden. Die Rückkehr zu den alten Dingen wäre nur noch eine Frage der Zeit. Uebrigens haben ſich meine Vorausſetzungen betreffs der Wahl- ergebniſſe erfüllt. Sowohl die Wähler der Linken als der Rechten haben ſich uns bedeutend genähert. Die Wahlergebniſſe ſind der beſte Beweis dafür, daß die linken Parteien immer mehr unter den breiten Maſſen an Kredit verlieren. Das Land hat genug von all dieſen Unruhen und beſonders von der Revolution mit ihrem Geſchrei, ihren Miſſetaten, Bomben, Utopien und unſäglichem Chaos. Nach der Auflöſung der zweiten Duma ſah die Mehrheit der Bevölkerung ein, daß die Taktik der linken Parteien keine Kritik aushalte, daß ihre Ver- ſprechen zwar anziehend, aber unausführbar ſind“ ... „Geſtatten Sie die Bemerkung, daß auch die Kadetten einiges verſprochen haben, das ſich ſpäter als unaus- führbar erwies?“ — „Vor der zweiten Duma haben wir, abgeſehen von der parlamentariſchen Formulierung unſerer Tätigkeit, keine Verſprechen gemacht.“ — „Und vor der erſten Duma?“ ‚Sie werden verſtehen, daß uns damals die Linke unbekannt ſein konnte. Haben wir doch erſt in der erſten Duma die Bekanntſchaft der Trudowiks machen können.“ „Sie halten alſo die Niederlage der Linken keineswegs als eine Folge der neuen Wahlgeſetz- ordung?“ „Nein, nein! Die Klaſſenwahlen in Peters- burg unterſcheiden ſich nur wenig von der früheren und laſſen ſich nur durch die politiſche Reife der Petersburger erklären, die uns den Sieg zuführten.“

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 273, Wien, 11.11.1907, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost273_1907/3>, abgerufen am 19.04.2024.