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Reichspost. Nr. 308, Wien, 04.07.1914.

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Wien, Samstag Reichspost 4. Juli 1914

[Spaltenumbruch]
Ein Interview mit dem Wiener
apostolischen Nunzius.

Einer unserer Mitarbeiter hatte heute Gelegenheit,
mit dem apostolischen Nunzius am Wiener Hofe, Graf
Raffaele Scapinelli zu sprechen, der sofort auf das
Ereignis zu sprechen kam, das heute aller Herzen in
Oesterreich und zum großen Teile auch im Auslande be-
wegt. Der Nunzius stand ganz unter dem gewaltigen
Eindrucke, den Wien gestern seinem toten Thronfolger bei
der Rückkehr aus Sarajevo bereitete. Seine Exzellenz
war abends zur Abhaltung einer Segenandacht in Maria
am Gestade eingeladen, wo 3000 Männer vom Verein
der ewigen Anbetung nach einer rührenden und zu Her-
zen gehenden Predigtansprache Pater Abels für das
Seelenheil der Ermordeten beteten. Bei der Rückkehr
aus der Kirche waren dem hohen kirchlichen Würden-
träger von den spalierbildenden Menschenmenge Ova-
tionen dargebracht worden, die ihm für seine Teil-
nahme
an der so tiefen allgemeinen Volkstrauer dan-
ken sollten. "Was soll ich, jetzt, wo aller Herzen so voll
sind," meinte der Nunzius, "alles sagen, über den ver-
ewigten Erzherzog und seine Gemahlin? Er war, alles
in allem, ein Fürst von tiefstem Gottes-
glauben und ritterlichstem Charakter.

Niemand konnte sich dem Eindrucke seiner männlichen
Energie und seines starken Herrenwillens entziehen.
Dazu glänzte er als Musterbeispiel christlicher Tugend
im privaten und öffentlichen Leben. Wie er lebte, treu
seiner Pflicht und stets seiner hohen Aufgaben einge-
denk ist er gestorben, durch und durch ein ganzer Mann
und Charakter. Viele, die in mancher Beziehung mit den
politischen Auffassungen des Toten nicht übereinstim-
men zu können glaubten, sehen jetzt erst so recht voll und
ganz den Wert und die Wucht seiner mächtigen Persön-
lichkeit und seines eisernen Chararters ein. In- und
Ausland erkennt im Tode des Thronfolgers einen für
die Monarchie unersetzlichen Verlust. Ich selbst hatte
öfters Gelegenheit, mit dem Verewigten zu sprechen,
und mehr als inmal verweilte ich im Gespräche mit ihm
über ein und auch zwei Stunden. Das Hervorragendste
an seinen Worten und Gesprächen war neben der großen
Menschenkenntnis und profunden Einsicht in alles, wor-
über er ein Urteil abgab, einegeradezuwunder-
bare Offenheit und Bestimmtheit,
die kei-
nen Zweifel über das ließ, was er dachte und sagen
wollte. Dieser männlichen Bestimmtheit konnten sich
wohl auch jene nicht entziehen, die mit der einen oder
andern Ansicht nicht einverstanden waren. Sein ganzes
Sinnen und Trachten und der energische Zug seines
weit über das Mittelmaß starken Wil-
lens
konzentrierte sich in dem unentwegten Fest-
halten an der alten Habsburgerreichs-
idee und erunentwegten Treue zum ange-
stammten väterlichen Glauben.
Die sonst
so starke Persönlichkeit mit wuchtigem Wollen in Zu-
und Abneigung war durchtränkt von einer geradezu
innigen Religiosität. Felsenfest stand sein katholische
Ueberzeugung. In der praktischen Betätigung derselben
wurde er von der Einsicht getragen, daß der katholische
Gedanke,, um seine geheimnisvolle Macht voll und ganz
auf die Herzen der einzelnen, besonders aber auch des
ganzen Volkes ausüben zu können, die notwendige Frei-
heit und Unterstützung von Seite des Staates brauche.
Reben seiner großen, fertigen und in sich abgeschlossenen
religiösen Gesamtauffassung war es rührend, wahrzu-
nehmen, wie seine religiösen Gefühle und die aus den-
selben wachsende Praxis auch ins Detail gingen. Der
Ausspruch über die Erhabenheit der päpstlichen Auf-
fassung von der öfteren Kinderkommunion aus Anlaß
des Wunsches der Prinzessin Sofie, bis zur Rückkehr der
Eltern täglich kommunizieren und zum Heilande beten
zu wollen, bietet dafür entsprechendes Beispiel. Solche
Feinheiten in der religiösen Lebensauffassung des
Thronfolgers könnte ich aus meinem Umgange mit ihm
noch mehrere anführen. Franz Ferdinand maß der ka-
tholischen Religion speziell für die Länder der Habs-
burgerkrone auch noch eine ganz besondere Bedeutung zu.
Er sah in ihr das einigende und vereinende Band der so
mannigfachen Nationalitäten mit ihren vielfach aus-
einanderstrebenden Zielen und Anschauungen. Im Vati-
kan, wo man die Verehrung des Thronfolgers zur Nach-
folgerschaft Petri im Zentrum und Hort der Kirche ge-
nau kannte, genoß Erzherzog Franz Ferdinand die
höchsten und innigsten Sympathien. Der Schmerz, der
den heiligen Vater bei der Schreckenskunde aus Sara-
jevo buchstäblich niederwarf und ihn nach längerer Be-
wußtlosigkeit wieder aufstehen ließ, um persönlich am
Grabe des Apostelfürsten für das Seelenheil der Ver-
storbenen zu beten, bieten dafür eine Illustration. Nun
ist," schloß Nunzius Graf Scapinelli, "der so hoch-
geachtete und geliebte Thronfolger nicht mehr, und kein
Schmerz und kein Leid und keine Trauer um ihn kann
ihn wiedererwecken. Wir müssen, so schmerzlich dies auch
klingen mag, ohne ihn weiterleben, und der Pflicht ewig
gleichgestellte Uhr muß uns im Geleise halten." Seine
Exzellenz konnte bei diesen Worten die ihn überkom-
[Spaltenumbruch] mende tiefe Rührung nicht mehr zurückhalten und ver-
abschiedete sich kurz und in offensichtlicher Bewegung.




Die Urheberschaft
der Verschwörung.

Von besonderer Seite erhält die "Reichspost"
folgende Zuschrift aus der Leman-Riviera:

Les assassins de Geneve! -- Schon vor
Monatsfrist
ging in Genf und Lausanne in
serbischen Studentenkreisen, welche nach-
weislich mit den panslavistischen Zentralen in Belgrad,
Peterburg und Moskau intimste geheime Beziehungen
und von dort Geldbezüge unterhalten, das Ge-
rücht, von großserbischer Seite
stände gegen
die habsburgischen Hauptgegner "ein entscheidender
Schlag" bevor. Allerdings hatte man sich schon vor Jahr
und Tag dort und in Paris ähnliche Dinge zugeraunt,
und so erklärt sich wohl auch die Tatsache, daß die
politisch im Trüben fischende bekannte jüdische Haupt-
mahrsagerin in Paris, Madame de Thebes, diese mehr
als scheußliche Mordtat damals schon mehrfach "vor-
aussagen"
konnte! Diesmal aber trat das be-
treffende On dit viel schärfer und bestimmter hervor.
Da nun gerade diese westschweizerischen Serbenklubs
nachweislich mit dem berüchtigten Serbenprinzen
Georg ganz intime politische Beziehungen unterhal-
ten, und da dieser, wie englische Blätter unlängst
meldeten, während seiner letzten Englandfahrt unum-
wunden jedem, der es hören wollte, blut-
rünstige Vendetta-Absichten gegen den
österreichischen Thronfolger laut wer-
den ließ,
so konnten Eingeweihte die letzten Gerüchte
wohl ernst nehmen. In mehreren Genfer und Lausan-
ner Cafes sind, wie eine gründliche Enquete
leicht dartun würde, wiederholt darüber von serbischer
Seite Aeußerungen gefallen, welche über den Ursprung
des Attentates keinerlei Zweifel aufkommen lassen. Be-
kanntlich ist damals, als der unglückliche Serbenkönig
mit der Königin Draga auf eben so feige und tierisch-
hinterlistige Weise von serbischen Offizieren abgeschlach-
tet wurden, der ruchlose Mordplan ebenfalls zuerst in
Belgrad, Paris und Genf ausgeheckt worden und es ist
ein öffentliches Geheimnis, daß König Peter schon
wochenlang vorher Tag und Stunde der scheußlichen
Bluttat gewußt und gebilligt hat. Seither haben sich die
besonders in Genf nistenden großserbischen Komitees
von königlicher Seite stets und immer einer besonderen
Aufmunterung erfreut. Man deutet u. a. an, man habe
damit den Hauptträger der deutschen
Dreibundidee
beseitigen und Oesterreich in ein
neues Fahrwasser drängen wollen! Wer Kains
Zeichen erst einmal auf der Stirn trägt, muß auf dem
Wege des Verbrechens auch weiter mitmachen. So er-
klärt es sich, daß in Genfer politischen Sphären über die
Mitwissenschaft des Königs Peter auch nur eine
Stimme herrscht. Mordlust geht im Schwang. Was man
nicht durch feigen erkauften Landesverrat und ähn-
liche finstere Schändlichkeiten politisch erreichen kann,
das soll die Bombe mit der Browningpistole durch-
setzen. Caveant consules!




Der Umfang der Verschwörung von
Sarajevo.

(Drahtbericht der "Reichspost".)


Von einem hohen Funktionär erhalte ich
folgende Mitteilungen: Es ist noch nicht zulässig, die
Einzelheiten der bisherigen Erhebungen der Oeffentlich-
keit zu übergeben, weil dies die weiteren Nachforschungen
erschweren würde. Aber das kann heute
schon gesagt werden: Es handelte sich hier
um eines der scheußlichsten Komplotte, das
die neuere Geschichte kennt. So verschiedenartig die
ermittelten Spuren und sind so wenig bisher sicher festgestellt
ist, ob die einzelnen Beteiligten von einander gewußt
haben, so führen doch alle Fäden zurück nach Belgrad;
die Anschläge waren so zahlreich und dicht vorbereitet,
daß das Verbrecherwerk fast gelingen mußte. Die An-
lage des Attentates ist mit so umfangreichen Mitteln
und so zielbewußt gefördert werden, es ist so deutlich
kein Zufallsattentat gewesen, das der Verirrung eines
einzelnen isolierten Individuums entsprang, daß man
annehmen muß, daß die Urheber dieses
Attentat gegen den Thronfolger auch
anderwärts verübt hätten,
so wie ja
schon verschiedene Attentate auf militärische Objekte weit
im Inlande serbischen Ursprunges waren. Die
Bombenfunde sind zahlreicher,
als bis-
her die Oeffentlichkeit erfuhr.




"In zwei Jahren".
Popovich, der Neffe des Königsmörders und
Freund des serbischen Kronprinzen. -- Die An-
lündigung eines Eingeweihten.

geht uns von einem
Hochschullehrer
folgender Bericht zu, der die
größte Beachtung verdient:

"In der von mir bewohnten Pension wohnt seit
einigen Wochen ein Serbe namens Jowan Popo-
vich.
Er ist Reserveoffizier, sein Vater ist (orthodoxer)
Erzbischof in Serbien. Sein Oheim ist General
[Spaltenumbruch] und war seinerzeit Hauptbeteiligter bei der Ermordung
des Königs Alexander. Er ist bekannt mit dem
jetzigen Kronprinzen Alexander
und
erhält von diesem Geldsendungen. Er hat ge-
äußert, daß, falls der Kronprinz zur Beisetzung in
Wien erscheinen werde, er auch hinfahren wolle.

Popovich führte bereits seit Wochen
zynische Reden: In zwei Jahren werde man die
Bandengreuel nach Oesterreich
ver-
pflanzen; der Thronfolger werde keine zwei
Jahre
nach dem jetzigen Kaiser am Leben bleiben.
Auch äußerte er (Popovich), im September
werden die Serben in Albanien einrücken.
In der Hauptsache sprach er aber davon, daß man in
zwei Jahren
sehen werde, was geschehe.

Von der Verübung des Attentats hatte er (Popovich)
bereits um fünf Uhr nach mittags am
Sonntag über Paris
Nachricht, so daß wir
beim Abendessen über die Möglichkeit eines solchen
sprachen, ohne näheres zu wissen. Dabei suchte er das
Attentat zu verteidigen.
Als die Nachricht
über den Erfolg eingetroffen war, fuhr er mit
triumphierendem Lächeln
durch die Stadt
und feierte den Abend über in einem serbischen Kreise.

Er (Popovich) wird zurzeit polizeilich beobachtet.
Auch ist ihm seitens der Pensionsinhaberin gekündigt
worden. Dabei äußerte er, er habe auch schon
die Absicht gehabt zu kündigen, denn die Pensions-
inhaberin habe ihm gegenüber das Attentat für
bestialisch erklärt; und wenn die Tat bestialisch sei,
dann sei auch er bestialisch."




Schmähorgien der serbischen
Presse.
Forderungen und Drohungen.

Die Presse Serbiens und ihre Hintermänner sind
durch die entsetzlichen Früchte ihrer Hetzereien nicht nur
nicht, wie man meinen möchte, zur Besinnung ge-
kommen, sondern sie scheinen durch das furchtbare
Gelingen des Sarajevoer Attentats in einen
wahren Taumel, in einen förmlichen Blut-
rausch geraten zu sein. Die Belgrader Blätter
einschließlich der offiziösen führen eine Sprache gegen
Oesterreich, die täglich roher, wilder, verwegener und
unerträglicher wird. Es ist, als wollte man dem Sara-
jevoer Attentat serbischer Fanatiker zahllose geschriebene
Attentate gegen Oesterreich-Ungarn folgen lassen. Während
die Belgrader offiziöse Presse ihre gegen unsere Mon-
archie gerichteten Sottisen noch mit einigen Redens-
arten heuchlerischen Bedauerns über das "Unglück"
garniert, hält die Mehrzahl der übrigen Blätter nicht
einmal diese Rücksicht für notwendig, sondern schimpft
und droht bar jeder Hemmung darauf los. Oesterreich
wird als "unheilbar kranke Monarchie" bezeichnet,
als "anarchistischer Staat", der "plünderndes
Gesindel" und seine "zahlreichen Hungerleider" auf die
unschuldigen Serben hetze und diese ausrotten wolle. Es
genügt, solche Exzesse serbischer Unkultur zu verzeichnen.
Wenn aber die serbische Regierungspresse sich jetzt nach
dem leider nur zu gut gelungenen Attentat in der
Hauptstadt Bosniens in merkwürdig anmutender Sieger-
pose gefällt und Oesterreich-Ungarn von hoher Tribüne
herab Ermahnungen gibt, wie unsere Diplomaten und
Behörden sich zu verhalten haben und wie die Serben
in der Monarchie zu behandeln seien, damit
wir uns der ferneren Gewogenheit Serbiens
zu erfreuen hätten, so ist das in einem
Momente, da die Regierungskreise Serbiens allen Grund
hätten sich eines geziemenderen und bescheideneren Ton-
falles zu befleißen, eine Sprache, deren Verwegenheit
nicht geignet ist, die Erbitterung in der Monarchie über
den Nachbar im Südosten zu mildern. Was soll man
aber dazu sagen, wenn der gewesene serbische Minister
Stojanovic in einem Pariser Blatte mit
weiteren Attentaten in Bosnien
droht
und wenn die Belgrader Kreise die Vermessen-
heit so weit treiben, die österreichischen Zivil- und
Militärbehörden in allen Tonarten als die Anstifter der
autiserbischen Demonstrationen zu verleumden? Glaubt
man denn in Serbien mit solchen Maßlosigkeiten wirk-
lich den Serben Oesterreich-Ungarns einen Gefallen zu
erweisen?


Unter dem Titel "Aufrichtig und offen" schreibt das
Regierungsorgan "Samouprava": Die furcht-
bare an dem österreichisch-ungarische Thronfolger und
dessen Gemahlin in Sarajevo verübte Tat und die
gräßlichen Folgen, welche in schrecklicher Weise das un-
schuldige serbische Volk in Bosnien und der Herze-
gevina treffen, machen es uns unabweislich zur Pflicht,
offen und wirklich die Wahrheit über das große verab-
schauungswürdige Verbrechen, dessen Opfer Erzherzog
Franz Ferdinand und dessen Gemahlin geworden sind,
zu sagen und zu erklären, daß wir es aufrichtig verur-
teilen, daß wir aber ebenso den Vandalismus ver-
urteilen, dessen Opfer das serbische Volk in Bosnien
und der Herzegovina ist. Vor allem betonen wir, daß
wir ganz gut verstehen, daß es für die unmittelbar und

Wien, Samstag Reichspoſt 4. Juli 1914

[Spaltenumbruch]
Ein Interview mit dem Wiener
apoſtoliſchen Nunzius.

Einer unſerer Mitarbeiter hatte heute Gelegenheit,
mit dem apoſtoliſchen Nunzius am Wiener Hofe, Graf
Raffaele Scapinelli zu ſprechen, der ſofort auf das
Ereignis zu ſprechen kam, das heute aller Herzen in
Oeſterreich und zum großen Teile auch im Auslande be-
wegt. Der Nunzius ſtand ganz unter dem gewaltigen
Eindrucke, den Wien geſtern ſeinem toten Thronfolger bei
der Rückkehr aus Sarajevo bereitete. Seine Exzellenz
war abends zur Abhaltung einer Segenandacht in Maria
am Geſtade eingeladen, wo 3000 Männer vom Verein
der ewigen Anbetung nach einer rührenden und zu Her-
zen gehenden Predigtanſprache Pater Abels für das
Seelenheil der Ermordeten beteten. Bei der Rückkehr
aus der Kirche waren dem hohen kirchlichen Würden-
träger von den ſpalierbildenden Menſchenmenge Ova-
tionen dargebracht worden, die ihm für ſeine Teil-
nahme
an der ſo tiefen allgemeinen Volkstrauer dan-
ken ſollten. „Was ſoll ich, jetzt, wo aller Herzen ſo voll
ſind,“ meinte der Nunzius, „alles ſagen, über den ver-
ewigten Erzherzog und ſeine Gemahlin? Er war, alles
in allem, ein Fürſt von tiefſtem Gottes-
glauben und ritterlichſtem Charakter.

Niemand konnte ſich dem Eindrucke ſeiner männlichen
Energie und ſeines ſtarken Herrenwillens entziehen.
Dazu glänzte er als Muſterbeiſpiel chriſtlicher Tugend
im privaten und öffentlichen Leben. Wie er lebte, treu
ſeiner Pflicht und ſtets ſeiner hohen Aufgaben einge-
denk iſt er geſtorben, durch und durch ein ganzer Mann
und Charakter. Viele, die in mancher Beziehung mit den
politiſchen Auffaſſungen des Toten nicht übereinſtim-
men zu können glaubten, ſehen jetzt erſt ſo recht voll und
ganz den Wert und die Wucht ſeiner mächtigen Perſön-
lichkeit und ſeines eiſernen Charařters ein. In- und
Ausland erkennt im Tode des Thronfolgers einen für
die Monarchie unerſetzlichen Verluſt. Ich ſelbſt hatte
öfters Gelegenheit, mit dem Verewigten zu ſprechen,
und mehr als inmal verweilte ich im Geſpräche mit ihm
über ein und auch zwei Stunden. Das Hervorragendſte
an ſeinen Worten und Geſprächen war neben der großen
Menſchenkenntnis und profunden Einſicht in alles, wor-
über er ein Urteil abgab, einegeradezuwunder-
bare Offenheit und Beſtimmtheit,
die kei-
nen Zweifel über das ließ, was er dachte und ſagen
wollte. Dieſer männlichen Beſtimmtheit konnten ſich
wohl auch jene nicht entziehen, die mit der einen oder
andern Anſicht nicht einverſtanden waren. Sein ganzes
Sinnen und Trachten und der energiſche Zug ſeines
weit über das Mittelmaß ſtarken Wil-
lens
konzentrierte ſich in dem unentwegten Feſt-
halten an der alten Habsburgerreichs-
idee und erunentwegten Treue zum ange-
ſtammten väterlichen Glauben.
Die ſonſt
ſo ſtarke Perſönlichkeit mit wuchtigem Wollen in Zu-
und Abneigung war durchtränkt von einer geradezu
innigen Religioſität. Felſenfeſt ſtand ſein katholiſche
Ueberzeugung. In der praktiſchen Betätigung derſelben
wurde er von der Einſicht getragen, daß der katholiſche
Gedanke,, um ſeine geheimnisvolle Macht voll und ganz
auf die Herzen der einzelnen, beſonders aber auch des
ganzen Volkes ausüben zu können, die notwendige Frei-
heit und Unterſtützung von Seite des Staates brauche.
Reben ſeiner großen, fertigen und in ſich abgeſchloſſenen
religiöſen Geſamtauffaſſung war es rührend, wahrzu-
nehmen, wie ſeine religiöſen Gefühle und die aus den-
ſelben wachſende Praxis auch ins Detail gingen. Der
Ausſpruch über die Erhabenheit der päpſtlichen Auf-
faſſung von der öfteren Kinderkommunion aus Anlaß
des Wunſches der Prinzeſſin Sofie, bis zur Rückkehr der
Eltern täglich kommunizieren und zum Heilande beten
zu wollen, bietet dafür entſprechendes Beiſpiel. Solche
Feinheiten in der religiöſen Lebensauffaſſung des
Thronfolgers könnte ich aus meinem Umgange mit ihm
noch mehrere anführen. Franz Ferdinand maß der ka-
tholiſchen Religion ſpeziell für die Länder der Habs-
burgerkrone auch noch eine ganz beſondere Bedeutung zu.
Er ſah in ihr das einigende und vereinende Band der ſo
mannigfachen Nationalitäten mit ihren vielfach aus-
einanderſtrebenden Zielen und Anſchauungen. Im Vati-
kan, wo man die Verehrung des Thronfolgers zur Nach-
folgerſchaft Petri im Zentrum und Hort der Kirche ge-
nau kannte, genoß Erzherzog Franz Ferdinand die
höchſten und innigſten Sympathien. Der Schmerz, der
den heiligen Vater bei der Schreckenskunde aus Sara-
jevo buchſtäblich niederwarf und ihn nach längerer Be-
wußtloſigkeit wieder aufſtehen ließ, um perſönlich am
Grabe des Apoſtelfürſten für das Seelenheil der Ver-
ſtorbenen zu beten, bieten dafür eine Illuſtration. Nun
iſt,“ ſchloß Nunzius Graf Scapinelli, „der ſo hoch-
geachtete und geliebte Thronfolger nicht mehr, und kein
Schmerz und kein Leid und keine Trauer um ihn kann
ihn wiedererwecken. Wir müſſen, ſo ſchmerzlich dies auch
klingen mag, ohne ihn weiterleben, und der Pflicht ewig
gleichgeſtellte Uhr muß uns im Geleiſe halten.“ Seine
Exzellenz konnte bei dieſen Worten die ihn überkom-
[Spaltenumbruch] mende tiefe Rührung nicht mehr zurückhalten und ver-
abſchiedete ſich kurz und in offenſichtlicher Bewegung.




Die Urheberſchaft
der Verſchwörung.

Von beſonderer Seite erhält die „Reichspoſt“
folgende Zuſchrift aus der Leman-Riviera:

Les assassins de Genève!Schon vor
Monatsfriſt
ging in Genf und Lauſanne in
ſerbiſchen Studentenkreiſen, welche nach-
weislich mit den panſlaviſtiſchen Zentralen in Belgrad,
Peterburg und Moskau intimſte geheime Beziehungen
und von dort Geldbezüge unterhalten, das Ge-
rücht, von großſerbiſcher Seite
ſtände gegen
die habsburgiſchen Hauptgegner „ein entſcheidender
Schlag“ bevor. Allerdings hatte man ſich ſchon vor Jahr
und Tag dort und in Paris ähnliche Dinge zugeraunt,
und ſo erklärt ſich wohl auch die Tatſache, daß die
politiſch im Trüben fiſchende bekannte jüdiſche Haupt-
mahrſagerin in Paris, Madame de Thebes, dieſe mehr
als ſcheußliche Mordtat damals ſchon mehrfach „vor-
ausſagen“
konnte! Diesmal aber trat das be-
treffende On dit viel ſchärfer und beſtimmter hervor.
Da nun gerade dieſe weſtſchweizeriſchen Serbenklubs
nachweislich mit dem berüchtigten Serbenprinzen
Georg ganz intime politiſche Beziehungen unterhal-
ten, und da dieſer, wie engliſche Blätter unlängſt
meldeten, während ſeiner letzten Englandfahrt unum-
wunden jedem, der es hören wollte, blut-
rünſtige Vendetta-Abſichten gegen den
öſterreichiſchen Thronfolger laut wer-
den ließ,
ſo konnten Eingeweihte die letzten Gerüchte
wohl ernſt nehmen. In mehreren Genfer und Lauſan-
ner Cafés ſind, wie eine gründliche Enquete
leicht dartun würde, wiederholt darüber von ſerbiſcher
Seite Aeußerungen gefallen, welche über den Urſprung
des Attentates keinerlei Zweifel aufkommen laſſen. Be-
kanntlich iſt damals, als der unglückliche Serbenkönig
mit der Königin Draga auf eben ſo feige und tieriſch-
hinterliſtige Weiſe von ſerbiſchen Offizieren abgeſchlach-
tet wurden, der ruchloſe Mordplan ebenfalls zuerſt in
Belgrad, Paris und Genf ausgeheckt worden und es iſt
ein öffentliches Geheimnis, daß König Peter ſchon
wochenlang vorher Tag und Stunde der ſcheußlichen
Bluttat gewußt und gebilligt hat. Seither haben ſich die
beſonders in Genf niſtenden großſerbiſchen Komitees
von königlicher Seite ſtets und immer einer beſonderen
Aufmunterung erfreut. Man deutet u. a. an, man habe
damit den Hauptträger der deutſchen
Dreibundidee
beſeitigen und Oeſterreich in ein
neues Fahrwaſſer drängen wollen! Wer Kains
Zeichen erſt einmal auf der Stirn trägt, muß auf dem
Wege des Verbrechens auch weiter mitmachen. So er-
klärt es ſich, daß in Genfer politiſchen Sphären über die
Mitwiſſenſchaft des Königs Peter auch nur eine
Stimme herrſcht. Mordluſt geht im Schwang. Was man
nicht durch feigen erkauften Landesverrat und ähn-
liche finſtere Schändlichkeiten politiſch erreichen kann,
das ſoll die Bombe mit der Browningpiſtole durch-
ſetzen. Caveant consules!




Der Umfang der Verſchwörung von
Sarajevo.

(Drahtbericht der „Reichspoſt“.)


Von einem hohen Funktionär erhalte ich
folgende Mitteilungen: Es iſt noch nicht zuläſſig, die
Einzelheiten der bisherigen Erhebungen der Oeffentlich-
keit zu übergeben, weil dies die weiteren Nachforſchungen
erſchweren würde. Aber das kann heute
ſchon geſagt werden: Es handelte ſich hier
um eines der ſcheußlichſten Komplotte, das
die neuere Geſchichte kennt. So verſchiedenartig die
ermittelten Spuren und ſind ſo wenig bisher ſicher feſtgeſtellt
iſt, ob die einzelnen Beteiligten von einander gewußt
haben, ſo führen doch alle Fäden zurück nach Belgrad;
die Anſchläge waren ſo zahlreich und dicht vorbereitet,
daß das Verbrecherwerk faſt gelingen mußte. Die An-
lage des Attentates iſt mit ſo umfangreichen Mitteln
und ſo zielbewußt gefördert werden, es iſt ſo deutlich
kein Zufallsattentat geweſen, das der Verirrung eines
einzelnen iſolierten Individuums entſprang, daß man
annehmen muß, daß die Urheber dieſes
Attentat gegen den Thronfolger auch
anderwärts verübt hätten,
ſo wie ja
ſchon verſchiedene Attentate auf militäriſche Objekte weit
im Inlande ſerbiſchen Urſprunges waren. Die
Bombenfunde ſind zahlreicher,
als bis-
her die Oeffentlichkeit erfuhr.




„In zwei Jahren“.
Popovich, der Neffe des Königsmörders und
Freund des ſerbiſchen Kronprinzen. — Die An-
lündigung eines Eingeweihten.

geht uns von einem
Hochſchullehrer
folgender Bericht zu, der die
größte Beachtung verdient:

„In der von mir bewohnten Penſion wohnt ſeit
einigen Wochen ein Serbe namens Jowan Popo-
vich.
Er iſt Reſerveoffizier, ſein Vater iſt (orthodoxer)
Erzbiſchof in Serbien. Sein Oheim iſt General
[Spaltenumbruch] und war ſeinerzeit Hauptbeteiligter bei der Ermordung
des Königs Alexander. Er iſt bekannt mit dem
jetzigen Kronprinzen Alexander
und
erhält von dieſem Geldſendungen. Er hat ge-
äußert, daß, falls der Kronprinz zur Beiſetzung in
Wien erſcheinen werde, er auch hinfahren wolle.

Popovich führte bereits ſeit Wochen
zyniſche Reden: In zwei Jahren werde man die
Bandengreuel nach Oeſterreich
ver-
pflanzen; der Thronfolger werde keine zwei
Jahre
nach dem jetzigen Kaiſer am Leben bleiben.
Auch äußerte er (Popovich), im September
werden die Serben in Albanien einrücken.
In der Hauptſache ſprach er aber davon, daß man in
zwei Jahren
ſehen werde, was geſchehe.

Von der Verübung des Attentats hatte er (Popovich)
bereits um fünf Uhr nach mittags am
Sonntag über Paris
Nachricht, ſo daß wir
beim Abendeſſen über die Möglichkeit eines ſolchen
ſprachen, ohne näheres zu wiſſen. Dabei ſuchte er das
Attentat zu verteidigen.
Als die Nachricht
über den Erfolg eingetroffen war, fuhr er mit
triumphierendem Lächeln
durch die Stadt
und feierte den Abend über in einem ſerbiſchen Kreiſe.

Er (Popovich) wird zurzeit polizeilich beobachtet.
Auch iſt ihm ſeitens der Penſionsinhaberin gekündigt
worden. Dabei äußerte er, er habe auch ſchon
die Abſicht gehabt zu kündigen, denn die Penſions-
inhaberin habe ihm gegenüber das Attentat für
beſtialiſch erklärt; und wenn die Tat beſtialiſch ſei,
dann ſei auch er beſtialiſch.“




Schmähorgien der ſerbiſchen
Preſſe.
Forderungen und Drohungen.

Die Preſſe Serbiens und ihre Hintermänner ſind
durch die entſetzlichen Früchte ihrer Hetzereien nicht nur
nicht, wie man meinen möchte, zur Beſinnung ge-
kommen, ſondern ſie ſcheinen durch das furchtbare
Gelingen des Sarajevoer Attentats in einen
wahren Taumel, in einen förmlichen Blut-
rauſch geraten zu ſein. Die Belgrader Blätter
einſchließlich der offiziöſen führen eine Sprache gegen
Oeſterreich, die täglich roher, wilder, verwegener und
unerträglicher wird. Es iſt, als wollte man dem Sara-
jevoer Attentat ſerbiſcher Fanatiker zahlloſe geſchriebene
Attentate gegen Oeſterreich-Ungarn folgen laſſen. Während
die Belgrader offiziöſe Preſſe ihre gegen unſere Mon-
archie gerichteten Sottiſen noch mit einigen Redens-
arten heuchleriſchen Bedauerns über das „Unglück“
garniert, hält die Mehrzahl der übrigen Blätter nicht
einmal dieſe Rückſicht für notwendig, ſondern ſchimpft
und droht bar jeder Hemmung darauf los. Oeſterreich
wird als „unheilbar kranke Monarchie“ bezeichnet,
als „anarchiſtiſcher Staat“, der „plünderndes
Geſindel“ und ſeine „zahlreichen Hungerleider“ auf die
unſchuldigen Serben hetze und dieſe ausrotten wolle. Es
genügt, ſolche Exzeſſe ſerbiſcher Unkultur zu verzeichnen.
Wenn aber die ſerbiſche Regierungspreſſe ſich jetzt nach
dem leider nur zu gut gelungenen Attentat in der
Hauptſtadt Bosniens in merkwürdig anmutender Sieger-
poſe gefällt und Oeſterreich-Ungarn von hoher Tribüne
herab Ermahnungen gibt, wie unſere Diplomaten und
Behörden ſich zu verhalten haben und wie die Serben
in der Monarchie zu behandeln ſeien, damit
wir uns der ferneren Gewogenheit Serbiens
zu erfreuen hätten, ſo iſt das in einem
Momente, da die Regierungskreiſe Serbiens allen Grund
hätten ſich eines geziemenderen und beſcheideneren Ton-
falles zu befleißen, eine Sprache, deren Verwegenheit
nicht geignet iſt, die Erbitterung in der Monarchie über
den Nachbar im Südoſten zu mildern. Was ſoll man
aber dazu ſagen, wenn der geweſene ſerbiſche Miniſter
Stojanovic in einem Pariſer Blatte mit
weiteren Attentaten in Bosnien
droht
und wenn die Belgrader Kreiſe die Vermeſſen-
heit ſo weit treiben, die öſterreichiſchen Zivil- und
Militärbehörden in allen Tonarten als die Anſtifter der
autiſerbiſchen Demonſtrationen zu verleumden? Glaubt
man denn in Serbien mit ſolchen Maßloſigkeiten wirk-
lich den Serben Oeſterreich-Ungarns einen Gefallen zu
erweiſen?


Unter dem Titel „Aufrichtig und offen“ ſchreibt das
Regierungsorgan „Samouprava“: Die furcht-
bare an dem öſterreichiſch-ungariſche Thronfolger und
deſſen Gemahlin in Sarajevo verübte Tat und die
gräßlichen Folgen, welche in ſchrecklicher Weiſe das un-
ſchuldige ſerbiſche Volk in Bosnien und der Herze-
gevina treffen, machen es uns unabweislich zur Pflicht,
offen und wirklich die Wahrheit über das große verab-
ſchauungswürdige Verbrechen, deſſen Opfer Erzherzog
Franz Ferdinand und deſſen Gemahlin geworden ſind,
zu ſagen und zu erklären, daß wir es aufrichtig verur-
teilen, daß wir aber ebenſo den Vandalismus ver-
urteilen, deſſen Opfer das ſerbiſche Volk in Bosnien
und der Herzegovina iſt. Vor allem betonen wir, daß
wir ganz gut verſtehen, daß es für die unmittelbar und

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[6/0006] Wien, Samstag Reichspoſt 4. Juli 1914 Ein Interview mit dem Wiener apoſtoliſchen Nunzius. Einer unſerer Mitarbeiter hatte heute Gelegenheit, mit dem apoſtoliſchen Nunzius am Wiener Hofe, Graf Raffaele Scapinelli zu ſprechen, der ſofort auf das Ereignis zu ſprechen kam, das heute aller Herzen in Oeſterreich und zum großen Teile auch im Auslande be- wegt. Der Nunzius ſtand ganz unter dem gewaltigen Eindrucke, den Wien geſtern ſeinem toten Thronfolger bei der Rückkehr aus Sarajevo bereitete. Seine Exzellenz war abends zur Abhaltung einer Segenandacht in Maria am Geſtade eingeladen, wo 3000 Männer vom Verein der ewigen Anbetung nach einer rührenden und zu Her- zen gehenden Predigtanſprache Pater Abels für das Seelenheil der Ermordeten beteten. Bei der Rückkehr aus der Kirche waren dem hohen kirchlichen Würden- träger von den ſpalierbildenden Menſchenmenge Ova- tionen dargebracht worden, die ihm für ſeine Teil- nahme an der ſo tiefen allgemeinen Volkstrauer dan- ken ſollten. „Was ſoll ich, jetzt, wo aller Herzen ſo voll ſind,“ meinte der Nunzius, „alles ſagen, über den ver- ewigten Erzherzog und ſeine Gemahlin? Er war, alles in allem, ein Fürſt von tiefſtem Gottes- glauben und ritterlichſtem Charakter. Niemand konnte ſich dem Eindrucke ſeiner männlichen Energie und ſeines ſtarken Herrenwillens entziehen. Dazu glänzte er als Muſterbeiſpiel chriſtlicher Tugend im privaten und öffentlichen Leben. Wie er lebte, treu ſeiner Pflicht und ſtets ſeiner hohen Aufgaben einge- denk iſt er geſtorben, durch und durch ein ganzer Mann und Charakter. Viele, die in mancher Beziehung mit den politiſchen Auffaſſungen des Toten nicht übereinſtim- men zu können glaubten, ſehen jetzt erſt ſo recht voll und ganz den Wert und die Wucht ſeiner mächtigen Perſön- lichkeit und ſeines eiſernen Charařters ein. In- und Ausland erkennt im Tode des Thronfolgers einen für die Monarchie unerſetzlichen Verluſt. Ich ſelbſt hatte öfters Gelegenheit, mit dem Verewigten zu ſprechen, und mehr als inmal verweilte ich im Geſpräche mit ihm über ein und auch zwei Stunden. Das Hervorragendſte an ſeinen Worten und Geſprächen war neben der großen Menſchenkenntnis und profunden Einſicht in alles, wor- über er ein Urteil abgab, einegeradezuwunder- bare Offenheit und Beſtimmtheit, die kei- nen Zweifel über das ließ, was er dachte und ſagen wollte. Dieſer männlichen Beſtimmtheit konnten ſich wohl auch jene nicht entziehen, die mit der einen oder andern Anſicht nicht einverſtanden waren. Sein ganzes Sinnen und Trachten und der energiſche Zug ſeines weit über das Mittelmaß ſtarken Wil- lens konzentrierte ſich in dem unentwegten Feſt- halten an der alten Habsburgerreichs- idee und erunentwegten Treue zum ange- ſtammten väterlichen Glauben. Die ſonſt ſo ſtarke Perſönlichkeit mit wuchtigem Wollen in Zu- und Abneigung war durchtränkt von einer geradezu innigen Religioſität. Felſenfeſt ſtand ſein katholiſche Ueberzeugung. In der praktiſchen Betätigung derſelben wurde er von der Einſicht getragen, daß der katholiſche Gedanke,, um ſeine geheimnisvolle Macht voll und ganz auf die Herzen der einzelnen, beſonders aber auch des ganzen Volkes ausüben zu können, die notwendige Frei- heit und Unterſtützung von Seite des Staates brauche. Reben ſeiner großen, fertigen und in ſich abgeſchloſſenen religiöſen Geſamtauffaſſung war es rührend, wahrzu- nehmen, wie ſeine religiöſen Gefühle und die aus den- ſelben wachſende Praxis auch ins Detail gingen. Der Ausſpruch über die Erhabenheit der päpſtlichen Auf- faſſung von der öfteren Kinderkommunion aus Anlaß des Wunſches der Prinzeſſin Sofie, bis zur Rückkehr der Eltern täglich kommunizieren und zum Heilande beten zu wollen, bietet dafür entſprechendes Beiſpiel. Solche Feinheiten in der religiöſen Lebensauffaſſung des Thronfolgers könnte ich aus meinem Umgange mit ihm noch mehrere anführen. Franz Ferdinand maß der ka- tholiſchen Religion ſpeziell für die Länder der Habs- burgerkrone auch noch eine ganz beſondere Bedeutung zu. Er ſah in ihr das einigende und vereinende Band der ſo mannigfachen Nationalitäten mit ihren vielfach aus- einanderſtrebenden Zielen und Anſchauungen. Im Vati- kan, wo man die Verehrung des Thronfolgers zur Nach- folgerſchaft Petri im Zentrum und Hort der Kirche ge- nau kannte, genoß Erzherzog Franz Ferdinand die höchſten und innigſten Sympathien. Der Schmerz, der den heiligen Vater bei der Schreckenskunde aus Sara- jevo buchſtäblich niederwarf und ihn nach längerer Be- wußtloſigkeit wieder aufſtehen ließ, um perſönlich am Grabe des Apoſtelfürſten für das Seelenheil der Ver- ſtorbenen zu beten, bieten dafür eine Illuſtration. Nun iſt,“ ſchloß Nunzius Graf Scapinelli, „der ſo hoch- geachtete und geliebte Thronfolger nicht mehr, und kein Schmerz und kein Leid und keine Trauer um ihn kann ihn wiedererwecken. Wir müſſen, ſo ſchmerzlich dies auch klingen mag, ohne ihn weiterleben, und der Pflicht ewig gleichgeſtellte Uhr muß uns im Geleiſe halten.“ Seine Exzellenz konnte bei dieſen Worten die ihn überkom- mende tiefe Rührung nicht mehr zurückhalten und ver- abſchiedete ſich kurz und in offenſichtlicher Bewegung. Die Urheberſchaft der Verſchwörung. Von beſonderer Seite erhält die „Reichspoſt“ folgende Zuſchrift aus der Leman-Riviera: Les assassins de Genève! — Schon vor Monatsfriſt ging in Genf und Lauſanne in ſerbiſchen Studentenkreiſen, welche nach- weislich mit den panſlaviſtiſchen Zentralen in Belgrad, Peterburg und Moskau intimſte geheime Beziehungen und von dort Geldbezüge unterhalten, das Ge- rücht, von großſerbiſcher Seite ſtände gegen die habsburgiſchen Hauptgegner „ein entſcheidender Schlag“ bevor. Allerdings hatte man ſich ſchon vor Jahr und Tag dort und in Paris ähnliche Dinge zugeraunt, und ſo erklärt ſich wohl auch die Tatſache, daß die politiſch im Trüben fiſchende bekannte jüdiſche Haupt- mahrſagerin in Paris, Madame de Thebes, dieſe mehr als ſcheußliche Mordtat damals ſchon mehrfach „vor- ausſagen“ konnte! Diesmal aber trat das be- treffende On dit viel ſchärfer und beſtimmter hervor. Da nun gerade dieſe weſtſchweizeriſchen Serbenklubs nachweislich mit dem berüchtigten Serbenprinzen Georg ganz intime politiſche Beziehungen unterhal- ten, und da dieſer, wie engliſche Blätter unlängſt meldeten, während ſeiner letzten Englandfahrt unum- wunden jedem, der es hören wollte, blut- rünſtige Vendetta-Abſichten gegen den öſterreichiſchen Thronfolger laut wer- den ließ, ſo konnten Eingeweihte die letzten Gerüchte wohl ernſt nehmen. In mehreren Genfer und Lauſan- ner Cafés ſind, wie eine gründliche Enquete leicht dartun würde, wiederholt darüber von ſerbiſcher Seite Aeußerungen gefallen, welche über den Urſprung des Attentates keinerlei Zweifel aufkommen laſſen. Be- kanntlich iſt damals, als der unglückliche Serbenkönig mit der Königin Draga auf eben ſo feige und tieriſch- hinterliſtige Weiſe von ſerbiſchen Offizieren abgeſchlach- tet wurden, der ruchloſe Mordplan ebenfalls zuerſt in Belgrad, Paris und Genf ausgeheckt worden und es iſt ein öffentliches Geheimnis, daß König Peter ſchon wochenlang vorher Tag und Stunde der ſcheußlichen Bluttat gewußt und gebilligt hat. Seither haben ſich die beſonders in Genf niſtenden großſerbiſchen Komitees von königlicher Seite ſtets und immer einer beſonderen Aufmunterung erfreut. Man deutet u. a. an, man habe damit den Hauptträger der deutſchen Dreibundidee beſeitigen und Oeſterreich in ein neues Fahrwaſſer drängen wollen! Wer Kains Zeichen erſt einmal auf der Stirn trägt, muß auf dem Wege des Verbrechens auch weiter mitmachen. So er- klärt es ſich, daß in Genfer politiſchen Sphären über die Mitwiſſenſchaft des Königs Peter auch nur eine Stimme herrſcht. Mordluſt geht im Schwang. Was man nicht durch feigen erkauften Landesverrat und ähn- liche finſtere Schändlichkeiten politiſch erreichen kann, das ſoll die Bombe mit der Browningpiſtole durch- ſetzen. Caveant consules! Der Umfang der Verſchwörung von Sarajevo. (Drahtbericht der „Reichspoſt“.) Sarajevo, 3. Juli. Von einem hohen Funktionär erhalte ich folgende Mitteilungen: Es iſt noch nicht zuläſſig, die Einzelheiten der bisherigen Erhebungen der Oeffentlich- keit zu übergeben, weil dies die weiteren Nachforſchungen erſchweren würde. Aber das kann heute ſchon geſagt werden: Es handelte ſich hier um eines der ſcheußlichſten Komplotte, das die neuere Geſchichte kennt. So verſchiedenartig die ermittelten Spuren und ſind ſo wenig bisher ſicher feſtgeſtellt iſt, ob die einzelnen Beteiligten von einander gewußt haben, ſo führen doch alle Fäden zurück nach Belgrad; die Anſchläge waren ſo zahlreich und dicht vorbereitet, daß das Verbrecherwerk faſt gelingen mußte. Die An- lage des Attentates iſt mit ſo umfangreichen Mitteln und ſo zielbewußt gefördert werden, es iſt ſo deutlich kein Zufallsattentat geweſen, das der Verirrung eines einzelnen iſolierten Individuums entſprang, daß man annehmen muß, daß die Urheber dieſes Attentat gegen den Thronfolger auch anderwärts verübt hätten, ſo wie ja ſchon verſchiedene Attentate auf militäriſche Objekte weit im Inlande ſerbiſchen Urſprunges waren. Die Bombenfunde ſind zahlreicher, als bis- her die Oeffentlichkeit erfuhr. „In zwei Jahren“. Popovich, der Neffe des Königsmörders und Freund des ſerbiſchen Kronprinzen. — Die An- lündigung eines Eingeweihten. Aus Bonn, 2. Juli, geht uns von einem Hochſchullehrer folgender Bericht zu, der die größte Beachtung verdient: „In der von mir bewohnten Penſion wohnt ſeit einigen Wochen ein Serbe namens Jowan Popo- vich. Er iſt Reſerveoffizier, ſein Vater iſt (orthodoxer) Erzbiſchof in Serbien. Sein Oheim iſt General und war ſeinerzeit Hauptbeteiligter bei der Ermordung des Königs Alexander. Er iſt bekannt mit dem jetzigen Kronprinzen Alexander und erhält von dieſem Geldſendungen. Er hat ge- äußert, daß, falls der Kronprinz zur Beiſetzung in Wien erſcheinen werde, er auch hinfahren wolle. Popovich führte bereits ſeit Wochen zyniſche Reden: In zwei Jahren werde man die Bandengreuel nach Oeſterreich ver- pflanzen; der Thronfolger werde keine zwei Jahre nach dem jetzigen Kaiſer am Leben bleiben. Auch äußerte er (Popovich), im September werden die Serben in Albanien einrücken. In der Hauptſache ſprach er aber davon, daß man in zwei Jahren ſehen werde, was geſchehe. Von der Verübung des Attentats hatte er (Popovich) bereits um fünf Uhr nach mittags am Sonntag über Paris Nachricht, ſo daß wir beim Abendeſſen über die Möglichkeit eines ſolchen ſprachen, ohne näheres zu wiſſen. Dabei ſuchte er das Attentat zu verteidigen. Als die Nachricht über den Erfolg eingetroffen war, fuhr er mit triumphierendem Lächeln durch die Stadt und feierte den Abend über in einem ſerbiſchen Kreiſe. Er (Popovich) wird zurzeit polizeilich beobachtet. Auch iſt ihm ſeitens der Penſionsinhaberin gekündigt worden. Dabei äußerte er, er habe auch ſchon die Abſicht gehabt zu kündigen, denn die Penſions- inhaberin habe ihm gegenüber das Attentat für beſtialiſch erklärt; und wenn die Tat beſtialiſch ſei, dann ſei auch er beſtialiſch.“ Schmähorgien der ſerbiſchen Preſſe. Forderungen und Drohungen. Die Preſſe Serbiens und ihre Hintermänner ſind durch die entſetzlichen Früchte ihrer Hetzereien nicht nur nicht, wie man meinen möchte, zur Beſinnung ge- kommen, ſondern ſie ſcheinen durch das furchtbare Gelingen des Sarajevoer Attentats in einen wahren Taumel, in einen förmlichen Blut- rauſch geraten zu ſein. Die Belgrader Blätter einſchließlich der offiziöſen führen eine Sprache gegen Oeſterreich, die täglich roher, wilder, verwegener und unerträglicher wird. Es iſt, als wollte man dem Sara- jevoer Attentat ſerbiſcher Fanatiker zahlloſe geſchriebene Attentate gegen Oeſterreich-Ungarn folgen laſſen. Während die Belgrader offiziöſe Preſſe ihre gegen unſere Mon- archie gerichteten Sottiſen noch mit einigen Redens- arten heuchleriſchen Bedauerns über das „Unglück“ garniert, hält die Mehrzahl der übrigen Blätter nicht einmal dieſe Rückſicht für notwendig, ſondern ſchimpft und droht bar jeder Hemmung darauf los. Oeſterreich wird als „unheilbar kranke Monarchie“ bezeichnet, als „anarchiſtiſcher Staat“, der „plünderndes Geſindel“ und ſeine „zahlreichen Hungerleider“ auf die unſchuldigen Serben hetze und dieſe ausrotten wolle. Es genügt, ſolche Exzeſſe ſerbiſcher Unkultur zu verzeichnen. Wenn aber die ſerbiſche Regierungspreſſe ſich jetzt nach dem leider nur zu gut gelungenen Attentat in der Hauptſtadt Bosniens in merkwürdig anmutender Sieger- poſe gefällt und Oeſterreich-Ungarn von hoher Tribüne herab Ermahnungen gibt, wie unſere Diplomaten und Behörden ſich zu verhalten haben und wie die Serben in der Monarchie zu behandeln ſeien, damit wir uns der ferneren Gewogenheit Serbiens zu erfreuen hätten, ſo iſt das in einem Momente, da die Regierungskreiſe Serbiens allen Grund hätten ſich eines geziemenderen und beſcheideneren Ton- falles zu befleißen, eine Sprache, deren Verwegenheit nicht geignet iſt, die Erbitterung in der Monarchie über den Nachbar im Südoſten zu mildern. Was ſoll man aber dazu ſagen, wenn der geweſene ſerbiſche Miniſter Stojanovic in einem Pariſer Blatte mit weiteren Attentaten in Bosnien droht und wenn die Belgrader Kreiſe die Vermeſſen- heit ſo weit treiben, die öſterreichiſchen Zivil- und Militärbehörden in allen Tonarten als die Anſtifter der autiſerbiſchen Demonſtrationen zu verleumden? Glaubt man denn in Serbien mit ſolchen Maßloſigkeiten wirk- lich den Serben Oeſterreich-Ungarns einen Gefallen zu erweiſen? Belgrad, 3. Juli. Unter dem Titel „Aufrichtig und offen“ ſchreibt das Regierungsorgan „Samouprava“: Die furcht- bare an dem öſterreichiſch-ungariſche Thronfolger und deſſen Gemahlin in Sarajevo verübte Tat und die gräßlichen Folgen, welche in ſchrecklicher Weiſe das un- ſchuldige ſerbiſche Volk in Bosnien und der Herze- gevina treffen, machen es uns unabweislich zur Pflicht, offen und wirklich die Wahrheit über das große verab- ſchauungswürdige Verbrechen, deſſen Opfer Erzherzog Franz Ferdinand und deſſen Gemahlin geworden ſind, zu ſagen und zu erklären, daß wir es aufrichtig verur- teilen, daß wir aber ebenſo den Vandalismus ver- urteilen, deſſen Opfer das ſerbiſche Volk in Bosnien und der Herzegovina iſt. Vor allem betonen wir, daß wir ganz gut verſtehen, daß es für die unmittelbar und

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 308, Wien, 04.07.1914, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost308_1914/6>, abgerufen am 02.05.2024.