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Reichspost. Nr. 370, Wien, 12.08.1912.

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Nr. 370 Wien, Montag Reichspost 12. August 1912

[Spaltenumbruch]
* Die verschwundenen rekommandierten Briefe.

Wie
berichtet, sind zwei rekommandierte Briefe, die am
27. v. M. von Wien nach Berlin aufgegeben waren, ab-
handen gekommen. Der eine enthielt 15.000 Mark, der
zweite 10.000 Rubel. Auf die Zustandebringung des
ersten Briefes war eine 10%ige Belohnung ausgesetzt.
Nun ist auch für den zweiten Brief eine Belohnung von
10% des zustandegebrachten Betrages ausgesetzt worden.

* Vermißte Studenten.

Aus Innsbruck, 11. d.,
wird uns gemeldet: Zwei Abiturienten, namens
Breitenstein und Kasserer aus St. Nikolaus im
Ultentale, unternahmen am 25. Juli von ihrer Heimat
aus eine Ferientour ins Engadin. Am 26. Juli sandten
sie vom Schlingenpaß aus eine Karte; seitdem fehlt jede
Nachricht von ihnen. Man befürchtet, daß den beiden Stu-
denten ein Unfall zugestoßen ist.

* Flucht eines Triester Wechselstubenbesitzers.

Aus
Triest wird uns vom 9. d. berichtet: Siegmund Neu-
mann,
Chef des Bank und Wechselhauses Ignatz Neu-
mann, ist nach Unterschlagung eines bedeutenden Be-
trages an Depotgeldern aus Triest flüchtig geworden.
Zahlreiche Arbeiter und kleine Landwirte von hier und
aus der Umgebung, in Istrien. Dalmatien und im
Görzi[s]chen, die ihm ihre hellerweise zusammengesparten
Groschen zugetragen hatten, weil er ihnen eine fünf-
einhalbprozentige Verzinsung versprach, sind ihm zum
Opfer gefallen. Nebenbei betrieb Neumann einen
schwunghaften Ratenhandel mit Losen. Während er
von seinen meist in den ärmlichsten Verhältnissen leben-
den Klienten die Raten regelmäßig eintrieb, versetzte er
die betreffenden Lose bei hiesigen Banken, ganz so wie
es vor einigen Jahren sein Konkurrent Bolaffio ge-
tan hatte. Jetzt hat er mit seinen beiden Töchtern das
Weite gesucht. Die Sicherheitsbehörde fand in seinem
Geschäftslokale nur einige "Promessen" vor. Selbst die
Werthei[m]kasse hatte er zwei Tage vor seiner
"Abreise verkauft. Nach einer ungefähren Schätzung
betragen die Passiven über 600.000 Kronen, denen
Aktiven von nicht ganz -- 1000 Kronen gegenüber-
stehen. Neumann, gegen den ein Haftbefehl erlassen
wurde, dürfte sich nach Korfu, dem nächsterreichbarem
Eldorado aller Triester Bankrotteure und Schwindler,
gewendet haben. Sein Geschäftsführer Hugo Jano-
vitz
ist ebenfalls durchgebrannt und soll sich samt Fa-
milie in Florenz befinden.

* Verhaftung eines Raubmörders.

Aus Salzburg,
11. d., wird uns geschrieben: Die Gendarmerie in
Torren bei Solling verhaftete den unter den Bahn-
arbeitern beschäftigten 23 Jahre alten Ivan Per-
kovic,
der von der Staatsanwaltschaft in Schweich-
nitz
steckbrieflich verfolgt wird, weil er am 28. April an
einem gewissen Emil Birkic einen Raubmord verübt
hat. Für die Festnahme ist eine hohe Belohnung aus-
gesetzt. Perkovic wurde Samstag abend dem hiesigen
Landesgerichte eingeliefert.




Der Katholikentag in Aachen.


Die 59. Generalversammlung der Katholiken
Deutschlands hat heute in Aachen ihre Beratungen
aufgenommen, in der alten Kaiserstadt, in der 1879
Windthorst seine erste Katholikentagsrede hielt.
Dem Gedenken an ihn ist der heurige Katholikentag
gewidmet, anläßlich seines hundertsten Geburtstages
wird sein Mitkämpfer Reichstagsabgeordneter Justizrat
Dr. Porsch die Gedächtnisrede halten.

Die Stadt ist festlich geschmückt, der Besuch der
Tagung großartiger denn je.

Gestern Samstag abend von 7 bis 8 Uhr wurde
die Tagung durch festliches Glockengeläute von
allen Kirchen der Stadt eingeleitet.

Die erste Festversammlung.

Sonntag vormittag um 11 Uhr fand im Kurhause
die erste geschlossene Versammlung des Katholikentages
statt. Der Präsident des Lokalkomitees Dr. Med. Wilhelm
Wienands eröffnete die Versammlung mit dem
katholischen Gruße und verlas die Adresse des Papstes
an das Lokalkomitee. Dr. Wienands sagte u. a.:

Herzlich willkommen alle, die zum Katholikentag kamen.
Gleiche Straße wie Ihr zog der Große Karl, des Reiches
Gründer, hinaus um steten Sieg an seine Fahne zu heften,
Christt Reich zu mehren, zurück, um von hier aus mit Macht
und Glanz sein Szepter zu führen und des Friedens großes
Werk, Kultur und christliche Bildung zu verbreiten. Gleichen
Weges zogen all die römisch-deutschen Kaiser zur Kaiser-
krönung. Denselben Weg zog schon vor tausend
Jahren ein trauriger Zug von Süden herauf,
des jugendlichen Kaisers Otto III. sterbliche Ueberreste, treu
seinem Wunsche, in Aachen zu betten. Gleiche Straße zog,
mehr denn einmal der große Korse in seine Lieblingsstadt
Aachen, ziehen all die tausend frommen Wallfahrer seit
Jahrhunderten alle sieben Jahre, um unsere heiligen
großen Reliquien zu verehren. Gleiches Ziel haben
so viele Tausend hoch und niedrige, um am heilbringenden
Quell sich gesund zu trinken. Der Redner gedachte sodann
des Todes des Kardinals Fischer von Köln, der ihm mehr
als einmal, zuletzt im Hospital zu Burtscheid, herzliche Segens-
wünsche für die Vorarbeiten zur Tagung aussprach. Wir
weihen ihm heute noch einmal stilles, treues, frommes Ge-
denken, unserem Kardinal! Wir Katholiken erneuern heute im
Angesichte unserer Bischöfe das Gelöbnis, der Autorität
zu gehorchen, Gehorsam und Liebe unserer von Gott gesetzten
kirchlichen Obrigkeit zu erweisen. Das katholische Volk steht auf
der Wacht vor seinem Klerus, wohlwissend, daß der
Strudel, wenn er Priester und Altar bedroht, auch Szepter,
Kron' und Thron in Gefahren bringt. Der Redner begrüßte
dann die anwesenden Mitglieder der regierenden Häuser,
speziell die Gäste aus Oesterreich-Ungarn, sowie die
aus Belgien, Holland, Luxemburg, Schweiz, Nordamerika, Italien,
Spanien, England, Frankreich usw., die Presse, und dankte besonders
dem Vertreter der Stadt Aachen für das Entgegenkommen,
dem Polizeipräsidenten und den übrigen Behörden. Drei-
[Spaltenumbruch] unddreißig Jahre, eine lange Spanne Zeit, sind dahin, seit
der letzten Aachener Tagung. Es war die erste General-
versammlung unter Leos XIII. Pontifikat. Wenn ich heute eine
Reihe von Namen nenne, deren Träger damals hier in Aachen
waren, so ersehen Sie daraus, daß dieser Generalversammlung
eine besondere Bedeutung zukam. Namen, wie Loe, Schaep-
mann, Schorlemer-Alst, August Reichensperger, Pahensly,
Kaplan Dr. Schmitz, v. Hertling, v. Heelfman, Perger, Haffner,
Wiese lassen noch heute das katholische Herz höher schlagen.
Und mit Liebe und Treue gedenken wir des großen un-
vergeßlichen Führers Ludwig Windthorsts, dessen Andenken in
seinem hundertsten Geburtstag hier in Aachen wiederum so
recht lebendig werden wird. Zum ersten Male sah Aachen
im Jahre 1862 eine Generalversammlung. Man beschäftigte
sich u. a. mit der Presse, der Schule, dem Kampf gegen den
Unglauben, Missionen. Neue Aufgabeu kamen hinzu, aber noch
sind die alten längst nicht restlos gelöst. Große Aufgaben sind
unserer Zeit gestellt. Wir Katholiken verbinden
mit der Hochhaltung der eigenen Ueber-
zeugung die Achtung vor fremder Ueber-
zeugung.
Wir wollen gern und treu mit all denen
zusammenarbeiten,
die mit uns ein Volkstum, eine
Geschichte, eine Sprache und eine nationale Kultur haben,
gegen den Unglauben in Schule und Kirche, in Staat und
Volk, ohne unsere religiöse Ueberzeugung gegenseitig anzu-
tasten, zum Wohle unseres geliebten Vatorlandes. Wir
stehen fest zu Kaiser und Reich. Es
ist mir eine hohe Freude, dies gerade in Aachen aus-
sprechen zu können, wo unser Kaiser vor mehreren
Jahren ein so herrliches Glaubensbekenntnis ablegte, als er
sagte, daß er sich, seine Familie und sein Volk unter den
Schutz des Kreuzes stellte. Gleich, wie unser heim-
gegangener Kardinal die Liebe zu Kaiser und Reich mit un-
wandelbarer Treue gegen den Heiligen Stuhl verband, so
stehen auch wir deutsche Katholiken in Treue fest zu Rom!
Der Redner schloß unter brausender Zustimmung mit den
Worten: Seine Heiligkeit, unser glorreich regierender Heiliger
Vater Papst Pius X. und Seine Majestät unser Kaiser
Wilhelm II., sie leben hoch!

Die Wahl des Präsidiums.

Hierauf wurde zur Wahl des Vorstandes
geschritten. Es wurden gewählt: zum Präsidenten
Justizrat Dr. Schmidt (Mainz), zum ersten Vize-
präsidenten Graf Henckel-Donnersmark,
zum zweiten Vizepräsidenten Kaufmann Weber aus
Kray bei Essen; zum ersten Ehrenpräsidenten Ober-
landesgerichtsrat Dr. Spahn, zum zweiten Ehren-
präsidenten Fabrikant Brandts aus Gladbach,
zum dritten Ehrenpräsidenten Landesgerichtsrat
Engalen (Osnabrück), eine Neffe Windthorsts.

An den Kaiser und an den Papst wurden
Begrüßungstelegramme abgesendet.

Der Festzug.

Im Laufe des Vormittags hatten mehr als
hundert Extrazüge
die Festzugteilnehmer aus
allen Teilen der Rheinlande nach der Stadt gebracht.

Um 1 Uhr erfolgte die Aufstellung des Fest-
zuges,
der in zwei Kolonnen marschierte. Aus dem
ursprünglichen Arbeiterfestzuge ist ein solcher mit vier
Gruppen, Jünglings-, Gesellen-, sozialen Vereinen und
Arbeitervereinen geworden. Der Vorbeimarsch war in
etwa anderthalb Stunden beendet, so daß
die weithergereisten und daher bei Beginn des Fest-
zuges vielfach schon ermüdeten Teilnehmer früher das
Versammlungslokal erreichten, als es in den letzten
Jahren der Fall war. Im Zuge marschierten vier
Militär- und acht Zivilmusikkorps, neben den Musik-
kapellen, welche die Vereine selbst mitbrachten. Für die
Unterbringung und leibliche Verpflegung der Teilnehmer
war ausgezeichnet gesorgt. Namentlich war Fürsorge
getroffen worden worden für eine preiswürdige und
gute Bewirtung. In den Hauptverpflegungsstationen
der Gruppen werden je 1000 Portionen Soldateu-
kost
bereitgestellt.

An dem Festzuge beteiligten sich außer der
näheren Umgebung von Aachen noch die Städte:
Elberfeld, Düsseldorf, M.-Gladbach, Duisburg, Bonn,
Euskirchen, Oberhausen, Koblenz, Köln, Paderborn,
Paris, Brüssel, Niedermending, Rheydt, Krefeld,
Dortmund, London, Essen, Kempen, Mainz und
andere mehr. Auch aus Holland werden Vereine und
Deputationen erscheinen.

Nach der offiziellen Schätzung beteiligten sich an
dem Festzuge 550 Korporationen mit etwa
30.000 Teilnehmern. Auf der Ehrentribüne
hatten die anwesenden Mitglieder des Episkopates, des
Vorstandes und des Zentralkomitees Platz genommen.
Vor der Tribüne hielt der Vorsitzende der Festzugs-
kommission Hasse eine kurze Ansprache.

Nach dem Vorbeimarsche trennten sich die beiden
Kolonnen, um in die zwölf Lokale abzuziehen, in denen
Versammlungen für die Arbeiter, Gesellen u. s. f. ab-
gehalten wurden.

Es sprachen in jeder derselben nur ein Redner,
darunter die Abgeordneten Gronowski und
Kosternich, Arbeitersekretär Kloft, Arbeiter-
sekretär Weyer, Pfarrer Schüller, Pater
Corbilian.

In der Hauptversammlung in der Festhalle führte
der Präsident des Zentralkomitees Graf Droste-
Vischering
den Vorsitz und hielt Diözesanpräses
Dr. Müller (Köln) eine Gedächtnisrede auf Kardinal
Fischer.

Kardinal Fischer und die Arbeiterfrage.

Die katholischen Arbeiter Deutschlands haben bei jeder
Gelegenheit Zeugnis für ihre Liebe zum Kardinal abgelegt,
und so gewaltige Arbeiterfestzüge wie in Essen und
Düsseldorf hat das katholische Deutschland nicht wieder-
gesehen, aber auch nicht eine herzlichere Begrüßung, wie sie
dem Kardinal damals von den Arbeitern dargebracht wurde.
Und in den Tagen, da schwere Kämpfe um die christliche
Arbeiterbewegung tobten, haben die katholischen Arbeiter und
auch die mit ihnen in den christlichen Gewerk-
schaften
zusammengeschlossenen gläubigen evangelischen
Arbeiter alle bangen Sorgen niedergeschlagen im Vertrauen auf
den Schutzherrn ihrer Sache, den Kardinal. In Essen, wo er
[Spaltenumbruch] 25 Jahre als Religionslehrer tätig gewesen war, mußten ihn
naturgemäß an erster Stelle die neuen Aufgaben der Groß-
stadtsellsorge
beschäftigen. Während seiner 25jährigen
Tätigkeit als Bischof erweiterte sich sein Arbeitsfeld, denn den
den größten Teil der Erzdiözesanen stellen die Arbeiter und
Angestellte. Es mußte der Priesternot gesteuert werden, es
mußten Schulen, Kirchen und charitative Anstalten gebaut
werden, die katholische Presse und die katholischen Büchereien
mehr als zuvor v[e]rbreitet werden und namentlich die katho-
lischen Standesvereine ausgebaut werden. Der Angriff der
Gegner, die die Kirche glaubten niederringen zu können, wurde
siegreich abgeschlagen. Die große Masse der
katholischen Bevölkerung in ihrem Glaubensleben gefestigt.
Weil in dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet der größte
Teil der ansässigen Bevölkerung katholisch ist und auch im
öffentlichen Leben sich Einfluß zu erhalten gewußt hat, liegt
der Schwerpunkt der katholischen Arbeiterbewegung und der
christlichen Gewerkschaftsbewegung in der
Kölner Erzdiözese, denn diese umfaßt das größte und wichtigste
Industriegebiet Deutschlands. Als Kardinal Fischer 1903 den
erzbischöflichen Stuhl bestieg, wies er nicht nur seine Priester
an, überall Arbeitervereine zu gründen und sich deren Leitung
zu widmen, er ließ auch alljährlich durch Fachmänner im
Kölner Priesterseminar einen sozialen Kursus für die dort
auszubildenden Theologen halten. Immer und überall zeigte
er, wie ihm die katholische soziale Arbeit am Herzen lag und
unermüdlich sorgte er, daß bei Geistlichen und Laien das rechte
Verständnis für sie vorhanden war. Das Feuer der Prüfung
ist keiner Reformarbeit erspart. Es kamen für die katholische
Arbeiterbewegung die Jahre der grundsätzlichen Erörterungen,
die so viele schwerwiegende Streitfragen aufwarfen. Zu Be-
ginn seiner erzbischöflichen Tätigkeit waren diese Kämpfe eben
entbrannt und haben während seiner ganzen Amtstätigkeit
nicht geruht. Ihr hoffentlich letztes Auflodern fiel
in seine letzten Lebenstage. Er war sich von Anfang an be-
wußt, was vom Ausgang dieser Kämpfe, die ihre Angriffspunkte
in seiner Diözese fanden, für die ganze Entwicklung der sozialen
Bewegung abhing. Keinen Augenblick zögerte er deshalb, sich
schützend vor die Angegriffenen zu stellen, die unter seinen
Augen und mit seiner Billigung tätig waren. Mit Ansprachen
und Hirtenbriefen trat er vor der weiten Oeffentlichkeit in die
Schranken, zweimal, 1908 und 1910, war es dieser hochherzige
Beweggrund, der mit an erster Stelle ihn nach Rom führte,
um mit dem rückhaltlosen Einsetzen seiner ganzen Autorität
Mißverständnisse zu zerstreuen und falsche Anklagen
zu entkräften. Wenn die katholischen Arbeiter und ihre Führer
trotz der schärfsten Anfeindungen und Verdächtigungen die Zu-
versicht nie verloren und wenn sie nie erlahmten, dann lag der
Grund in dem Bewußtsein: Unser Kardinal steht zu
uns und hält seine Hand über uns! Sie werden nie vergessen,
was Kardinal Fischer in der Prüfungszeit der katholischen
und weiterhin der christlichen Arbeiterbewegung ihnen ge-
wesen ist. Möge sein innigster Wunsch, für dessen Erfüllung
er Tag für Tag arbeitete, sich bald verwirklichen, daß die
Tage der Prüfung abgeschlossen sind und die katholische und
christliche Arbeiterbewegung frei von den Angriffen
aus dem eigenen Lager
ihre ganze Kraft einzig und
allein für den Sieg der christlichen Arbeiterbewegung über die
gewaltig anwachsende christen feindliche Arbeiter-
bewegung einsetzen kann.

Weihbischof Dr. Müller aus Köln ermahnt
die Arbeiter, sich stets die drei Worte vor Augen zu
halten: Wahrheit, Liebe und Einigkeit. Hierauf erteilte
er den weihbischöflichen Segen.




Schweres Automobilunglück in
Neuwaldegg.
Das Ende einer "schwarzen" Fahrt. -- Drei
Schwerverletzte.

Genau an derselben Stelle, an der am 9. April
1910 bei einer Spazierfahrt der Chauffeur Georg E.
mit seinem Automobil an eine Barrierre anfuhr, wo-
durch die Kellnerinnen Therese Hermann und Mizzi
Heliebart sofort tot blieben und der Monteur Bruno
Hertl und die Kellnerin Käte Koblinger verletzt wurden,
hat sich gestern nachmittag ein ganz ähnlicher
Unfall ereignet. Die Stelle ist die Franz-Karlstraße in
Neuwaldegg, die sehr abschüssig und muldenreich ist. An
der Stelle, an einer Kurve, an der sich vor zwei Jahren
das Unglück ereignet, ist dann eine Barriere angebracht
worden. Und genau dort ist gestern ein Automobil an die
Barriere angefahren, hat diese zertrümmert und ist
selbst ganz zerschellt. Wir erfahren darüber folgende
Einzelheiten:

Der Chauffeur Max Klimberger der Autotaxi-
gesellschaft, Roseggergasse 45 wohnhaft, hatte gestern
nachmittag eine Fahrt nach Hernals. Als er den Dienst
erledigt hatte, lud er drei Freunde zu einer Schwarzfahrt
ein. Die Freunde sind der 24jährige Schuhmachergehilfe
Gottfried Stepanek, der 28jährige Geschäftsdiener
Franz Kuß und der 30jährige Kutscher August Jüng-
ling.
Die drei Freunde nahmen gerne an und stiegen
in das Automobil. Klimberger fuhr nach Hütteldorf, wo
in Gasthäusern eingekehrt wurde. Die Fahrt war sehr
rasch absolviert, da Klimberger nicht gar zu viel Zeit
versäumen wollte. Gegen etwa 3 Uhr wurde der Rück-
weg angetreten. Er führte über die sehr abschüssige und
kurven- und muldenreiche Franz-Karlstraße in Neu-
waldegg. Als das Automobil an die Stelle kam, wo sich
vor zwei Jahren das große Unglück ereignete, mußte es
etwas schneller fahren, da die Mulden langsames Fahren
nicht zulassen. Nach der Behauptung Klimbergers hat
gerade bei der Barriere die Steuerung versagt, so daß
er an der Kurve das Auto nicht, wie er gewollt, nach
rechts herumreißen konnte. Das Gefährte fuhr mit der
vollen Wucht eiliger Fahrt an die Barriere an. Die Wir-
kung war schrecklich. Die dicken Pfosten und Pflöcke zer-
splitterten wie Zündhölzer. Etwa 200 Schritte weit wur-
den die herausgefetzten Stücke der Barriere geschleudert.
Der Wagen ging völlig in Trümmer. Die vier Insassen
wurden mit großer Wucht herausgeschleudert und blieben
liegen. Das war noch relativ ihr Glück; denn das Auto
grub sich zuerst in den Boden ein und überschlug sich
dann noch überdies. Dann blieb ein zerschellter Torso
übrig.

Von allen Seiten kamen Leute herbei, um den Ver-
letzten zu helfen. Die Rettungsgesellschaft erschien und
der Arzt verband die Verwundeten und brachte sie ins

Nr. 370 Wien, Montag Reichspoſt 12. Auguſt 1912

[Spaltenumbruch]
* Die verſchwundenen rekommandierten Briefe.

Wie
berichtet, ſind zwei rekommandierte Briefe, die am
27. v. M. von Wien nach Berlin aufgegeben waren, ab-
handen gekommen. Der eine enthielt 15.000 Mark, der
zweite 10.000 Rubel. Auf die Zuſtandebringung des
erſten Briefes war eine 10%ige Belohnung ausgeſetzt.
Nun iſt auch für den zweiten Brief eine Belohnung von
10% des zuſtandegebrachten Betrages ausgeſetzt worden.

* Vermißte Studenten.

Aus Innsbruck, 11. d.,
wird uns gemeldet: Zwei Abiturienten, namens
Breitenſtein und Kaſſerer aus St. Nikolaus im
Ultentale, unternahmen am 25. Juli von ihrer Heimat
aus eine Ferientour ins Engadin. Am 26. Juli ſandten
ſie vom Schlingenpaß aus eine Karte; ſeitdem fehlt jede
Nachricht von ihnen. Man befürchtet, daß den beiden Stu-
denten ein Unfall zugeſtoßen iſt.

* Flucht eines Trieſter Wechſelſtubenbeſitzers.

Aus
Trieſt wird uns vom 9. d. berichtet: Siegmund Neu-
mann,
Chef des Bank und Wechſelhauſes Ignatz Neu-
mann, iſt nach Unterſchlagung eines bedeutenden Be-
trages an Depotgeldern aus Trieſt flüchtig geworden.
Zahlreiche Arbeiter und kleine Landwirte von hier und
aus der Umgebung, in Iſtrien. Dalmatien und im
Görzi[ſ]chen, die ihm ihre hellerweiſe zuſammengeſparten
Groſchen zugetragen hatten, weil er ihnen eine fünf-
einhalbprozentige Verzinſung verſprach, ſind ihm zum
Opfer gefallen. Nebenbei betrieb Neumann einen
ſchwunghaften Ratenhandel mit Loſen. Während er
von ſeinen meiſt in den ärmlichſten Verhältniſſen leben-
den Klienten die Raten regelmäßig eintrieb, verſetzte er
die betreffenden Loſe bei hieſigen Banken, ganz ſo wie
es vor einigen Jahren ſein Konkurrent Bolaffio ge-
tan hatte. Jetzt hat er mit ſeinen beiden Töchtern das
Weite geſucht. Die Sicherheitsbehörde fand in ſeinem
Geſchäftslokale nur einige „Promeſſen“ vor. Selbſt die
Werthei[m]kaſſe hatte er zwei Tage vor ſeiner
„Abreiſe verkauft. Nach einer ungefähren Schätzung
betragen die Paſſiven über 600.000 Kronen, denen
Aktiven von nicht ganz — 1000 Kronen gegenüber-
ſtehen. Neumann, gegen den ein Haftbefehl erlaſſen
wurde, dürfte ſich nach Korfu, dem nächſterreichbarem
Eldorado aller Trieſter Bankrotteure und Schwindler,
gewendet haben. Sein Geſchäftsführer Hugo Jano-
vitz
iſt ebenfalls durchgebrannt und ſoll ſich ſamt Fa-
milie in Florenz befinden.

* Verhaftung eines Raubmörders.

Aus Salzburg,
11. d., wird uns geſchrieben: Die Gendarmerie in
Torren bei Solling verhaftete den unter den Bahn-
arbeitern beſchäftigten 23 Jahre alten Ivan Per-
kovic,
der von der Staatsanwaltſchaft in Schweich-
nitz
ſteckbrieflich verfolgt wird, weil er am 28. April an
einem gewiſſen Emil Birkic einen Raubmord verübt
hat. Für die Feſtnahme iſt eine hohe Belohnung aus-
geſetzt. Perkovic wurde Samstag abend dem hieſigen
Landesgerichte eingeliefert.




Der Katholikentag in Aachen.


Die 59. Generalverſammlung der Katholiken
Deutſchlands hat heute in Aachen ihre Beratungen
aufgenommen, in der alten Kaiſerſtadt, in der 1879
Windthorſt ſeine erſte Katholikentagsrede hielt.
Dem Gedenken an ihn iſt der heurige Katholikentag
gewidmet, anläßlich ſeines hundertſten Geburtstages
wird ſein Mitkämpfer Reichstagsabgeordneter Juſtizrat
Dr. Porſch die Gedächtnisrede halten.

Die Stadt iſt feſtlich geſchmückt, der Beſuch der
Tagung großartiger denn je.

Geſtern Samstag abend von 7 bis 8 Uhr wurde
die Tagung durch feſtliches Glockengeläute von
allen Kirchen der Stadt eingeleitet.

Die erſte Feſtverſammlung.

Sonntag vormittag um 11 Uhr fand im Kurhauſe
die erſte geſchloſſene Verſammlung des Katholikentages
ſtatt. Der Präſident des Lokalkomitees Dr. Med. Wilhelm
Wienands eröffnete die Verſammlung mit dem
katholiſchen Gruße und verlas die Adreſſe des Papſtes
an das Lokalkomitee. Dr. Wienands ſagte u. a.:

Herzlich willkommen alle, die zum Katholikentag kamen.
Gleiche Straße wie Ihr zog der Große Karl, des Reiches
Gründer, hinaus um ſteten Sieg an ſeine Fahne zu heften,
Chriſtt Reich zu mehren, zurück, um von hier aus mit Macht
und Glanz ſein Szepter zu führen und des Friedens großes
Werk, Kultur und chriſtliche Bildung zu verbreiten. Gleichen
Weges zogen all die römiſch-deutſchen Kaiſer zur Kaiſer-
krönung. Denſelben Weg zog ſchon vor tauſend
Jahren ein trauriger Zug von Süden herauf,
des jugendlichen Kaiſers Otto III. ſterbliche Ueberreſte, treu
ſeinem Wunſche, in Aachen zu betten. Gleiche Straße zog,
mehr denn einmal der große Korſe in ſeine Lieblingsſtadt
Aachen, ziehen all die tauſend frommen Wallfahrer ſeit
Jahrhunderten alle ſieben Jahre, um unſere heiligen
großen Reliquien zu verehren. Gleiches Ziel haben
ſo viele Tauſend hoch und niedrige, um am heilbringenden
Quell ſich geſund zu trinken. Der Redner gedachte ſodann
des Todes des Kardinals Fiſcher von Köln, der ihm mehr
als einmal, zuletzt im Hoſpital zu Burtſcheid, herzliche Segens-
wünſche für die Vorarbeiten zur Tagung ausſprach. Wir
weihen ihm heute noch einmal ſtilles, treues, frommes Ge-
denken, unſerem Kardinal! Wir Katholiken erneuern heute im
Angeſichte unſerer Biſchöfe das Gelöbnis, der Autorität
zu gehorchen, Gehorſam und Liebe unſerer von Gott geſetzten
kirchlichen Obrigkeit zu erweiſen. Das katholiſche Volk ſteht auf
der Wacht vor ſeinem Klerus, wohlwiſſend, daß der
Strudel, wenn er Prieſter und Altar bedroht, auch Szepter,
Kron’ und Thron in Gefahren bringt. Der Redner begrüßte
dann die anweſenden Mitglieder der regierenden Häuſer,
ſpeziell die Gäſte aus Oeſterreich-Ungarn, ſowie die
aus Belgien, Holland, Luxemburg, Schweiz, Nordamerika, Italien,
Spanien, England, Frankreich uſw., die Preſſe, und dankte beſonders
dem Vertreter der Stadt Aachen für das Entgegenkommen,
dem Polizeipräſidenten und den übrigen Behörden. Drei-
[Spaltenumbruch] unddreißig Jahre, eine lange Spanne Zeit, ſind dahin, ſeit
der letzten Aachener Tagung. Es war die erſte General-
verſammlung unter Leos XIII. Pontifikat. Wenn ich heute eine
Reihe von Namen nenne, deren Träger damals hier in Aachen
waren, ſo erſehen Sie daraus, daß dieſer Generalverſammlung
eine beſondere Bedeutung zukam. Namen, wie Loe, Schaep-
mann, Schorlemer-Alſt, Auguſt Reichensperger, Pahensly,
Kaplan Dr. Schmitz, v. Hertling, v. Heelfman, Perger, Haffner,
Wieſe laſſen noch heute das katholiſche Herz höher ſchlagen.
Und mit Liebe und Treue gedenken wir des großen un-
vergeßlichen Führers Ludwig Windthorſts, deſſen Andenken in
ſeinem hundertſten Geburtstag hier in Aachen wiederum ſo
recht lebendig werden wird. Zum erſten Male ſah Aachen
im Jahre 1862 eine Generalverſammlung. Man beſchäftigte
ſich u. a. mit der Preſſe, der Schule, dem Kampf gegen den
Unglauben, Miſſionen. Neue Aufgabeu kamen hinzu, aber noch
ſind die alten längſt nicht reſtlos gelöſt. Große Aufgaben ſind
unſerer Zeit geſtellt. Wir Katholiken verbinden
mit der Hochhaltung der eigenen Ueber-
zeugung die Achtung vor fremder Ueber-
zeugung.
Wir wollen gern und treu mit all denen
zuſammenarbeiten,
die mit uns ein Volkstum, eine
Geſchichte, eine Sprache und eine nationale Kultur haben,
gegen den Unglauben in Schule und Kirche, in Staat und
Volk, ohne unſere religiöſe Ueberzeugung gegenſeitig anzu-
taſten, zum Wohle unſeres geliebten Vatorlandes. Wir
ſtehen feſt zu Kaiſer und Reich. Es
iſt mir eine hohe Freude, dies gerade in Aachen aus-
ſprechen zu können, wo unſer Kaiſer vor mehreren
Jahren ein ſo herrliches Glaubensbekenntnis ablegte, als er
ſagte, daß er ſich, ſeine Familie und ſein Volk unter den
Schutz des Kreuzes ſtellte. Gleich, wie unſer heim-
gegangener Kardinal die Liebe zu Kaiſer und Reich mit un-
wandelbarer Treue gegen den Heiligen Stuhl verband, ſo
ſtehen auch wir deutſche Katholiken in Treue feſt zu Rom!
Der Redner ſchloß unter brauſender Zuſtimmung mit den
Worten: Seine Heiligkeit, unſer glorreich regierender Heiliger
Vater Papſt Pius X. und Seine Majeſtät unſer Kaiſer
Wilhelm II., ſie leben hoch!

Die Wahl des Präſidiums.

Hierauf wurde zur Wahl des Vorſtandes
geſchritten. Es wurden gewählt: zum Präſidenten
Juſtizrat Dr. Schmidt (Mainz), zum erſten Vize-
präſidenten Graf Henckel-Donnersmark,
zum zweiten Vizepräſidenten Kaufmann Weber aus
Kray bei Eſſen; zum erſten Ehrenpräſidenten Ober-
landesgerichtsrat Dr. Spahn, zum zweiten Ehren-
präſidenten Fabrikant Brandts aus Gladbach,
zum dritten Ehrenpräſidenten Landesgerichtsrat
Engalen (Osnabrück), eine Neffe Windthorſts.

An den Kaiſer und an den Papſt wurden
Begrüßungstelegramme abgeſendet.

Der Feſtzug.

Im Laufe des Vormittags hatten mehr als
hundert Extrazüge
die Feſtzugteilnehmer aus
allen Teilen der Rheinlande nach der Stadt gebracht.

Um 1 Uhr erfolgte die Aufſtellung des Feſt-
zuges,
der in zwei Kolonnen marſchierte. Aus dem
urſprünglichen Arbeiterfeſtzuge iſt ein ſolcher mit vier
Gruppen, Jünglings-, Geſellen-, ſozialen Vereinen und
Arbeitervereinen geworden. Der Vorbeimarſch war in
etwa anderthalb Stunden beendet, ſo daß
die weithergereiſten und daher bei Beginn des Feſt-
zuges vielfach ſchon ermüdeten Teilnehmer früher das
Verſammlungslokal erreichten, als es in den letzten
Jahren der Fall war. Im Zuge marſchierten vier
Militär- und acht Zivilmuſikkorps, neben den Muſik-
kapellen, welche die Vereine ſelbſt mitbrachten. Für die
Unterbringung und leibliche Verpflegung der Teilnehmer
war ausgezeichnet geſorgt. Namentlich war Fürſorge
getroffen worden worden für eine preiswürdige und
gute Bewirtung. In den Hauptverpflegungsſtationen
der Gruppen werden je 1000 Portionen Soldateu-
koſt
bereitgeſtellt.

An dem Feſtzuge beteiligten ſich außer der
näheren Umgebung von Aachen noch die Städte:
Elberfeld, Düſſeldorf, M.-Gladbach, Duisburg, Bonn,
Euskirchen, Oberhauſen, Koblenz, Köln, Paderborn,
Paris, Brüſſel, Niedermending, Rheydt, Krefeld,
Dortmund, London, Eſſen, Kempen, Mainz und
andere mehr. Auch aus Holland werden Vereine und
Deputationen erſcheinen.

Nach der offiziellen Schätzung beteiligten ſich an
dem Feſtzuge 550 Korporationen mit etwa
30.000 Teilnehmern. Auf der Ehrentribüne
hatten die anweſenden Mitglieder des Epiſkopates, des
Vorſtandes und des Zentralkomitees Platz genommen.
Vor der Tribüne hielt der Vorſitzende der Feſtzugs-
kommiſſion Haſſe eine kurze Anſprache.

Nach dem Vorbeimarſche trennten ſich die beiden
Kolonnen, um in die zwölf Lokale abzuziehen, in denen
Verſammlungen für die Arbeiter, Geſellen u. ſ. f. ab-
gehalten wurden.

Es ſprachen in jeder derſelben nur ein Redner,
darunter die Abgeordneten Gronowski und
Koſternich, Arbeiterſekretär Kloft, Arbeiter-
ſekretär Weyer, Pfarrer Schüller, Pater
Corbilian.

In der Hauptverſammlung in der Feſthalle führte
der Präſident des Zentralkomitees Graf Droſte-
Viſchering
den Vorſitz und hielt Diözeſanpräſes
Dr. Müller (Köln) eine Gedächtnisrede auf Kardinal
Fiſcher.

Kardinal Fiſcher und die Arbeiterfrage.

Die katholiſchen Arbeiter Deutſchlands haben bei jeder
Gelegenheit Zeugnis für ihre Liebe zum Kardinal abgelegt,
und ſo gewaltige Arbeiterfeſtzüge wie in Eſſen und
Düſſeldorf hat das katholiſche Deutſchland nicht wieder-
geſehen, aber auch nicht eine herzlichere Begrüßung, wie ſie
dem Kardinal damals von den Arbeitern dargebracht wurde.
Und in den Tagen, da ſchwere Kämpfe um die chriſtliche
Arbeiterbewegung tobten, haben die katholiſchen Arbeiter und
auch die mit ihnen in den chriſtlichen Gewerk-
ſchaften
zuſammengeſchloſſenen gläubigen evangeliſchen
Arbeiter alle bangen Sorgen niedergeſchlagen im Vertrauen auf
den Schutzherrn ihrer Sache, den Kardinal. In Eſſen, wo er
[Spaltenumbruch] 25 Jahre als Religionslehrer tätig geweſen war, mußten ihn
naturgemäß an erſter Stelle die neuen Aufgaben der Groß-
ſtadtſellſorge
beſchäftigen. Während ſeiner 25jährigen
Tätigkeit als Biſchof erweiterte ſich ſein Arbeitsfeld, denn den
den größten Teil der Erzdiözeſanen ſtellen die Arbeiter und
Angeſtellte. Es mußte der Prieſternot geſteuert werden, es
mußten Schulen, Kirchen und charitative Anſtalten gebaut
werden, die katholiſche Preſſe und die katholiſchen Büchereien
mehr als zuvor v[e]rbreitet werden und namentlich die katho-
liſchen Standesvereine ausgebaut werden. Der Angriff der
Gegner, die die Kirche glaubten niederringen zu können, wurde
ſiegreich abgeſchlagen. Die große Maſſe der
katholiſchen Bevölkerung in ihrem Glaubensleben gefeſtigt.
Weil in dem rheiniſch-weſtfäliſchen Induſtriegebiet der größte
Teil der anſäſſigen Bevölkerung katholiſch iſt und auch im
öffentlichen Leben ſich Einfluß zu erhalten gewußt hat, liegt
der Schwerpunkt der katholiſchen Arbeiterbewegung und der
chriſtlichen Gewerkſchaftsbewegung in der
Kölner Erzdiözeſe, denn dieſe umfaßt das größte und wichtigſte
Induſtriegebiet Deutſchlands. Als Kardinal Fiſcher 1903 den
erzbiſchöflichen Stuhl beſtieg, wies er nicht nur ſeine Prieſter
an, überall Arbeitervereine zu gründen und ſich deren Leitung
zu widmen, er ließ auch alljährlich durch Fachmänner im
Kölner Prieſterſeminar einen ſozialen Kurſus für die dort
auszubildenden Theologen halten. Immer und überall zeigte
er, wie ihm die katholiſche ſoziale Arbeit am Herzen lag und
unermüdlich ſorgte er, daß bei Geiſtlichen und Laien das rechte
Verſtändnis für ſie vorhanden war. Das Feuer der Prüfung
iſt keiner Reformarbeit erſpart. Es kamen für die katholiſche
Arbeiterbewegung die Jahre der grundſätzlichen Erörterungen,
die ſo viele ſchwerwiegende Streitfragen aufwarfen. Zu Be-
ginn ſeiner erzbiſchöflichen Tätigkeit waren dieſe Kämpfe eben
entbrannt und haben während ſeiner ganzen Amtstätigkeit
nicht geruht. Ihr hoffentlich letztes Auflodern fiel
in ſeine letzten Lebenstage. Er war ſich von Anfang an be-
wußt, was vom Ausgang dieſer Kämpfe, die ihre Angriffspunkte
in ſeiner Diözeſe fanden, für die ganze Entwicklung der ſozialen
Bewegung abhing. Keinen Augenblick zögerte er deshalb, ſich
ſchützend vor die Angegriffenen zu ſtellen, die unter ſeinen
Augen und mit ſeiner Billigung tätig waren. Mit Anſprachen
und Hirtenbriefen trat er vor der weiten Oeffentlichkeit in die
Schranken, zweimal, 1908 und 1910, war es dieſer hochherzige
Beweggrund, der mit an erſter Stelle ihn nach Rom führte,
um mit dem rückhaltloſen Einſetzen ſeiner ganzen Autorität
Mißverſtändniſſe zu zerſtreuen und falſche Anklagen
zu entkräften. Wenn die katholiſchen Arbeiter und ihre Führer
trotz der ſchärfſten Anfeindungen und Verdächtigungen die Zu-
verſicht nie verloren und wenn ſie nie erlahmten, dann lag der
Grund in dem Bewußtſein: Unſer Kardinal ſteht zu
uns und hält ſeine Hand über uns! Sie werden nie vergeſſen,
was Kardinal Fiſcher in der Prüfungszeit der katholiſchen
und weiterhin der chriſtlichen Arbeiterbewegung ihnen ge-
weſen iſt. Möge ſein innigſter Wunſch, für deſſen Erfüllung
er Tag für Tag arbeitete, ſich bald verwirklichen, daß die
Tage der Prüfung abgeſchloſſen ſind und die katholiſche und
chriſtliche Arbeiterbewegung frei von den Angriffen
aus dem eigenen Lager
ihre ganze Kraft einzig und
allein für den Sieg der chriſtlichen Arbeiterbewegung über die
gewaltig anwachſende chriſten feindliche Arbeiter-
bewegung einſetzen kann.

Weihbiſchof Dr. Müller aus Köln ermahnt
die Arbeiter, ſich ſtets die drei Worte vor Augen zu
halten: Wahrheit, Liebe und Einigkeit. Hierauf erteilte
er den weihbiſchöflichen Segen.




Schweres Automobilunglück in
Neuwaldegg.
Das Ende einer „ſchwarzen“ Fahrt. — Drei
Schwerverletzte.

Genau an derſelben Stelle, an der am 9. April
1910 bei einer Spazierfahrt der Chauffeur Georg E.
mit ſeinem Automobil an eine Barrièrre anfuhr, wo-
durch die Kellnerinnen Thereſe Hermann und Mizzi
Heliebart ſofort tot blieben und der Monteur Bruno
Hertl und die Kellnerin Käte Koblinger verletzt wurden,
hat ſich geſtern nachmittag ein ganz ähnlicher
Unfall ereignet. Die Stelle iſt die Franz-Karlſtraße in
Neuwaldegg, die ſehr abſchüſſig und muldenreich iſt. An
der Stelle, an einer Kurve, an der ſich vor zwei Jahren
das Unglück ereignet, iſt dann eine Barriere angebracht
worden. Und genau dort iſt geſtern ein Automobil an die
Barriere angefahren, hat dieſe zertrümmert und iſt
ſelbſt ganz zerſchellt. Wir erfahren darüber folgende
Einzelheiten:

Der Chauffeur Max Klimberger der Autotaxi-
geſellſchaft, Roſeggergaſſe 45 wohnhaft, hatte geſtern
nachmittag eine Fahrt nach Hernals. Als er den Dienſt
erledigt hatte, lud er drei Freunde zu einer Schwarzfahrt
ein. Die Freunde ſind der 24jährige Schuhmachergehilfe
Gottfried Stepanek, der 28jährige Geſchäftsdiener
Franz Kuß und der 30jährige Kutſcher Auguſt Jüng-
ling.
Die drei Freunde nahmen gerne an und ſtiegen
in das Automobil. Klimberger fuhr nach Hütteldorf, wo
in Gaſthäuſern eingekehrt wurde. Die Fahrt war ſehr
raſch abſolviert, da Klimberger nicht gar zu viel Zeit
verſäumen wollte. Gegen etwa 3 Uhr wurde der Rück-
weg angetreten. Er führte über die ſehr abſchüſſige und
kurven- und muldenreiche Franz-Karlſtraße in Neu-
waldegg. Als das Automobil an die Stelle kam, wo ſich
vor zwei Jahren das große Unglück ereignete, mußte es
etwas ſchneller fahren, da die Mulden langſames Fahren
nicht zulaſſen. Nach der Behauptung Klimbergers hat
gerade bei der Barriere die Steuerung verſagt, ſo daß
er an der Kurve das Auto nicht, wie er gewollt, nach
rechts herumreißen konnte. Das Gefährte fuhr mit der
vollen Wucht eiliger Fahrt an die Barriere an. Die Wir-
kung war ſchrecklich. Die dicken Pfoſten und Pflöcke zer-
ſplitterten wie Zündhölzer. Etwa 200 Schritte weit wur-
den die herausgefetzten Stücke der Barriere geſchleudert.
Der Wagen ging völlig in Trümmer. Die vier Inſaſſen
wurden mit großer Wucht herausgeſchleudert und blieben
liegen. Das war noch relativ ihr Glück; denn das Auto
grub ſich zuerſt in den Boden ein und überſchlug ſich
dann noch überdies. Dann blieb ein zerſchellter Torſo
übrig.

Von allen Seiten kamen Leute herbei, um den Ver-
letzten zu helfen. Die Rettungsgeſellſchaft erſchien und
der Arzt verband die Verwundeten und brachte ſie ins

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Arbeiter alle bangen Sorgen niederge&#x017F;chlagen im Vertrauen auf<lb/>
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Indu&#x017F;triegebiet Deut&#x017F;chlands. Als Kardinal Fi&#x017F;cher 1903 den<lb/>
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[3/0003] Nr. 370 Wien, Montag Reichspoſt 12. Auguſt 1912 * Die verſchwundenen rekommandierten Briefe. Wie berichtet, ſind zwei rekommandierte Briefe, die am 27. v. M. von Wien nach Berlin aufgegeben waren, ab- handen gekommen. Der eine enthielt 15.000 Mark, der zweite 10.000 Rubel. Auf die Zuſtandebringung des erſten Briefes war eine 10%ige Belohnung ausgeſetzt. Nun iſt auch für den zweiten Brief eine Belohnung von 10% des zuſtandegebrachten Betrages ausgeſetzt worden. * Vermißte Studenten. Aus Innsbruck, 11. d., wird uns gemeldet: Zwei Abiturienten, namens Breitenſtein und Kaſſerer aus St. Nikolaus im Ultentale, unternahmen am 25. Juli von ihrer Heimat aus eine Ferientour ins Engadin. Am 26. Juli ſandten ſie vom Schlingenpaß aus eine Karte; ſeitdem fehlt jede Nachricht von ihnen. Man befürchtet, daß den beiden Stu- denten ein Unfall zugeſtoßen iſt. * Flucht eines Trieſter Wechſelſtubenbeſitzers. Aus Trieſt wird uns vom 9. d. berichtet: Siegmund Neu- mann, Chef des Bank und Wechſelhauſes Ignatz Neu- mann, iſt nach Unterſchlagung eines bedeutenden Be- trages an Depotgeldern aus Trieſt flüchtig geworden. Zahlreiche Arbeiter und kleine Landwirte von hier und aus der Umgebung, in Iſtrien. Dalmatien und im Görziſchen, die ihm ihre hellerweiſe zuſammengeſparten Groſchen zugetragen hatten, weil er ihnen eine fünf- einhalbprozentige Verzinſung verſprach, ſind ihm zum Opfer gefallen. Nebenbei betrieb Neumann einen ſchwunghaften Ratenhandel mit Loſen. Während er von ſeinen meiſt in den ärmlichſten Verhältniſſen leben- den Klienten die Raten regelmäßig eintrieb, verſetzte er die betreffenden Loſe bei hieſigen Banken, ganz ſo wie es vor einigen Jahren ſein Konkurrent Bolaffio ge- tan hatte. Jetzt hat er mit ſeinen beiden Töchtern das Weite geſucht. Die Sicherheitsbehörde fand in ſeinem Geſchäftslokale nur einige „Promeſſen“ vor. Selbſt die Wertheimkaſſe hatte er zwei Tage vor ſeiner „Abreiſe verkauft. Nach einer ungefähren Schätzung betragen die Paſſiven über 600.000 Kronen, denen Aktiven von nicht ganz — 1000 Kronen gegenüber- ſtehen. Neumann, gegen den ein Haftbefehl erlaſſen wurde, dürfte ſich nach Korfu, dem nächſterreichbarem Eldorado aller Trieſter Bankrotteure und Schwindler, gewendet haben. Sein Geſchäftsführer Hugo Jano- vitz iſt ebenfalls durchgebrannt und ſoll ſich ſamt Fa- milie in Florenz befinden. * Verhaftung eines Raubmörders. Aus Salzburg, 11. d., wird uns geſchrieben: Die Gendarmerie in Torren bei Solling verhaftete den unter den Bahn- arbeitern beſchäftigten 23 Jahre alten Ivan Per- kovic, der von der Staatsanwaltſchaft in Schweich- nitz ſteckbrieflich verfolgt wird, weil er am 28. April an einem gewiſſen Emil Birkic einen Raubmord verübt hat. Für die Feſtnahme iſt eine hohe Belohnung aus- geſetzt. Perkovic wurde Samstag abend dem hieſigen Landesgerichte eingeliefert. Der Katholikentag in Aachen. (Eigenbericht der „Reichspoſt“.) Aachen, 11. Auguſt. Die 59. Generalverſammlung der Katholiken Deutſchlands hat heute in Aachen ihre Beratungen aufgenommen, in der alten Kaiſerſtadt, in der 1879 Windthorſt ſeine erſte Katholikentagsrede hielt. Dem Gedenken an ihn iſt der heurige Katholikentag gewidmet, anläßlich ſeines hundertſten Geburtstages wird ſein Mitkämpfer Reichstagsabgeordneter Juſtizrat Dr. Porſch die Gedächtnisrede halten. Die Stadt iſt feſtlich geſchmückt, der Beſuch der Tagung großartiger denn je. Geſtern Samstag abend von 7 bis 8 Uhr wurde die Tagung durch feſtliches Glockengeläute von allen Kirchen der Stadt eingeleitet. Die erſte Feſtverſammlung. Sonntag vormittag um 11 Uhr fand im Kurhauſe die erſte geſchloſſene Verſammlung des Katholikentages ſtatt. Der Präſident des Lokalkomitees Dr. Med. Wilhelm Wienands eröffnete die Verſammlung mit dem katholiſchen Gruße und verlas die Adreſſe des Papſtes an das Lokalkomitee. Dr. Wienands ſagte u. a.: Herzlich willkommen alle, die zum Katholikentag kamen. Gleiche Straße wie Ihr zog der Große Karl, des Reiches Gründer, hinaus um ſteten Sieg an ſeine Fahne zu heften, Chriſtt Reich zu mehren, zurück, um von hier aus mit Macht und Glanz ſein Szepter zu führen und des Friedens großes Werk, Kultur und chriſtliche Bildung zu verbreiten. Gleichen Weges zogen all die römiſch-deutſchen Kaiſer zur Kaiſer- krönung. Denſelben Weg zog ſchon vor tauſend Jahren ein trauriger Zug von Süden herauf, des jugendlichen Kaiſers Otto III. ſterbliche Ueberreſte, treu ſeinem Wunſche, in Aachen zu betten. Gleiche Straße zog, mehr denn einmal der große Korſe in ſeine Lieblingsſtadt Aachen, ziehen all die tauſend frommen Wallfahrer ſeit Jahrhunderten alle ſieben Jahre, um unſere heiligen großen Reliquien zu verehren. Gleiches Ziel haben ſo viele Tauſend hoch und niedrige, um am heilbringenden Quell ſich geſund zu trinken. Der Redner gedachte ſodann des Todes des Kardinals Fiſcher von Köln, der ihm mehr als einmal, zuletzt im Hoſpital zu Burtſcheid, herzliche Segens- wünſche für die Vorarbeiten zur Tagung ausſprach. Wir weihen ihm heute noch einmal ſtilles, treues, frommes Ge- denken, unſerem Kardinal! Wir Katholiken erneuern heute im Angeſichte unſerer Biſchöfe das Gelöbnis, der Autorität zu gehorchen, Gehorſam und Liebe unſerer von Gott geſetzten kirchlichen Obrigkeit zu erweiſen. Das katholiſche Volk ſteht auf der Wacht vor ſeinem Klerus, wohlwiſſend, daß der Strudel, wenn er Prieſter und Altar bedroht, auch Szepter, Kron’ und Thron in Gefahren bringt. Der Redner begrüßte dann die anweſenden Mitglieder der regierenden Häuſer, ſpeziell die Gäſte aus Oeſterreich-Ungarn, ſowie die aus Belgien, Holland, Luxemburg, Schweiz, Nordamerika, Italien, Spanien, England, Frankreich uſw., die Preſſe, und dankte beſonders dem Vertreter der Stadt Aachen für das Entgegenkommen, dem Polizeipräſidenten und den übrigen Behörden. Drei- unddreißig Jahre, eine lange Spanne Zeit, ſind dahin, ſeit der letzten Aachener Tagung. Es war die erſte General- verſammlung unter Leos XIII. Pontifikat. Wenn ich heute eine Reihe von Namen nenne, deren Träger damals hier in Aachen waren, ſo erſehen Sie daraus, daß dieſer Generalverſammlung eine beſondere Bedeutung zukam. Namen, wie Loe, Schaep- mann, Schorlemer-Alſt, Auguſt Reichensperger, Pahensly, Kaplan Dr. Schmitz, v. Hertling, v. Heelfman, Perger, Haffner, Wieſe laſſen noch heute das katholiſche Herz höher ſchlagen. Und mit Liebe und Treue gedenken wir des großen un- vergeßlichen Führers Ludwig Windthorſts, deſſen Andenken in ſeinem hundertſten Geburtstag hier in Aachen wiederum ſo recht lebendig werden wird. Zum erſten Male ſah Aachen im Jahre 1862 eine Generalverſammlung. Man beſchäftigte ſich u. a. mit der Preſſe, der Schule, dem Kampf gegen den Unglauben, Miſſionen. Neue Aufgabeu kamen hinzu, aber noch ſind die alten längſt nicht reſtlos gelöſt. Große Aufgaben ſind unſerer Zeit geſtellt. Wir Katholiken verbinden mit der Hochhaltung der eigenen Ueber- zeugung die Achtung vor fremder Ueber- zeugung. Wir wollen gern und treu mit all denen zuſammenarbeiten, die mit uns ein Volkstum, eine Geſchichte, eine Sprache und eine nationale Kultur haben, gegen den Unglauben in Schule und Kirche, in Staat und Volk, ohne unſere religiöſe Ueberzeugung gegenſeitig anzu- taſten, zum Wohle unſeres geliebten Vatorlandes. Wir ſtehen feſt zu Kaiſer und Reich. Es iſt mir eine hohe Freude, dies gerade in Aachen aus- ſprechen zu können, wo unſer Kaiſer vor mehreren Jahren ein ſo herrliches Glaubensbekenntnis ablegte, als er ſagte, daß er ſich, ſeine Familie und ſein Volk unter den Schutz des Kreuzes ſtellte. Gleich, wie unſer heim- gegangener Kardinal die Liebe zu Kaiſer und Reich mit un- wandelbarer Treue gegen den Heiligen Stuhl verband, ſo ſtehen auch wir deutſche Katholiken in Treue feſt zu Rom! Der Redner ſchloß unter brauſender Zuſtimmung mit den Worten: Seine Heiligkeit, unſer glorreich regierender Heiliger Vater Papſt Pius X. und Seine Majeſtät unſer Kaiſer Wilhelm II., ſie leben hoch! Die Wahl des Präſidiums. Hierauf wurde zur Wahl des Vorſtandes geſchritten. Es wurden gewählt: zum Präſidenten Juſtizrat Dr. Schmidt (Mainz), zum erſten Vize- präſidenten Graf Henckel-Donnersmark, zum zweiten Vizepräſidenten Kaufmann Weber aus Kray bei Eſſen; zum erſten Ehrenpräſidenten Ober- landesgerichtsrat Dr. Spahn, zum zweiten Ehren- präſidenten Fabrikant Brandts aus Gladbach, zum dritten Ehrenpräſidenten Landesgerichtsrat Engalen (Osnabrück), eine Neffe Windthorſts. An den Kaiſer und an den Papſt wurden Begrüßungstelegramme abgeſendet. Der Feſtzug. Im Laufe des Vormittags hatten mehr als hundert Extrazüge die Feſtzugteilnehmer aus allen Teilen der Rheinlande nach der Stadt gebracht. Um 1 Uhr erfolgte die Aufſtellung des Feſt- zuges, der in zwei Kolonnen marſchierte. Aus dem urſprünglichen Arbeiterfeſtzuge iſt ein ſolcher mit vier Gruppen, Jünglings-, Geſellen-, ſozialen Vereinen und Arbeitervereinen geworden. Der Vorbeimarſch war in etwa anderthalb Stunden beendet, ſo daß die weithergereiſten und daher bei Beginn des Feſt- zuges vielfach ſchon ermüdeten Teilnehmer früher das Verſammlungslokal erreichten, als es in den letzten Jahren der Fall war. Im Zuge marſchierten vier Militär- und acht Zivilmuſikkorps, neben den Muſik- kapellen, welche die Vereine ſelbſt mitbrachten. Für die Unterbringung und leibliche Verpflegung der Teilnehmer war ausgezeichnet geſorgt. Namentlich war Fürſorge getroffen worden worden für eine preiswürdige und gute Bewirtung. In den Hauptverpflegungsſtationen der Gruppen werden je 1000 Portionen Soldateu- koſt bereitgeſtellt. An dem Feſtzuge beteiligten ſich außer der näheren Umgebung von Aachen noch die Städte: Elberfeld, Düſſeldorf, M.-Gladbach, Duisburg, Bonn, Euskirchen, Oberhauſen, Koblenz, Köln, Paderborn, Paris, Brüſſel, Niedermending, Rheydt, Krefeld, Dortmund, London, Eſſen, Kempen, Mainz und andere mehr. Auch aus Holland werden Vereine und Deputationen erſcheinen. Nach der offiziellen Schätzung beteiligten ſich an dem Feſtzuge 550 Korporationen mit etwa 30.000 Teilnehmern. Auf der Ehrentribüne hatten die anweſenden Mitglieder des Epiſkopates, des Vorſtandes und des Zentralkomitees Platz genommen. Vor der Tribüne hielt der Vorſitzende der Feſtzugs- kommiſſion Haſſe eine kurze Anſprache. Nach dem Vorbeimarſche trennten ſich die beiden Kolonnen, um in die zwölf Lokale abzuziehen, in denen Verſammlungen für die Arbeiter, Geſellen u. ſ. f. ab- gehalten wurden. Es ſprachen in jeder derſelben nur ein Redner, darunter die Abgeordneten Gronowski und Koſternich, Arbeiterſekretär Kloft, Arbeiter- ſekretär Weyer, Pfarrer Schüller, Pater Corbilian. In der Hauptverſammlung in der Feſthalle führte der Präſident des Zentralkomitees Graf Droſte- Viſchering den Vorſitz und hielt Diözeſanpräſes Dr. Müller (Köln) eine Gedächtnisrede auf Kardinal Fiſcher. Kardinal Fiſcher und die Arbeiterfrage. Die katholiſchen Arbeiter Deutſchlands haben bei jeder Gelegenheit Zeugnis für ihre Liebe zum Kardinal abgelegt, und ſo gewaltige Arbeiterfeſtzüge wie in Eſſen und Düſſeldorf hat das katholiſche Deutſchland nicht wieder- geſehen, aber auch nicht eine herzlichere Begrüßung, wie ſie dem Kardinal damals von den Arbeitern dargebracht wurde. Und in den Tagen, da ſchwere Kämpfe um die chriſtliche Arbeiterbewegung tobten, haben die katholiſchen Arbeiter und auch die mit ihnen in den chriſtlichen Gewerk- ſchaften zuſammengeſchloſſenen gläubigen evangeliſchen Arbeiter alle bangen Sorgen niedergeſchlagen im Vertrauen auf den Schutzherrn ihrer Sache, den Kardinal. In Eſſen, wo er 25 Jahre als Religionslehrer tätig geweſen war, mußten ihn naturgemäß an erſter Stelle die neuen Aufgaben der Groß- ſtadtſellſorge beſchäftigen. Während ſeiner 25jährigen Tätigkeit als Biſchof erweiterte ſich ſein Arbeitsfeld, denn den den größten Teil der Erzdiözeſanen ſtellen die Arbeiter und Angeſtellte. Es mußte der Prieſternot geſteuert werden, es mußten Schulen, Kirchen und charitative Anſtalten gebaut werden, die katholiſche Preſſe und die katholiſchen Büchereien mehr als zuvor verbreitet werden und namentlich die katho- liſchen Standesvereine ausgebaut werden. Der Angriff der Gegner, die die Kirche glaubten niederringen zu können, wurde ſiegreich abgeſchlagen. Die große Maſſe der katholiſchen Bevölkerung in ihrem Glaubensleben gefeſtigt. Weil in dem rheiniſch-weſtfäliſchen Induſtriegebiet der größte Teil der anſäſſigen Bevölkerung katholiſch iſt und auch im öffentlichen Leben ſich Einfluß zu erhalten gewußt hat, liegt der Schwerpunkt der katholiſchen Arbeiterbewegung und der chriſtlichen Gewerkſchaftsbewegung in der Kölner Erzdiözeſe, denn dieſe umfaßt das größte und wichtigſte Induſtriegebiet Deutſchlands. Als Kardinal Fiſcher 1903 den erzbiſchöflichen Stuhl beſtieg, wies er nicht nur ſeine Prieſter an, überall Arbeitervereine zu gründen und ſich deren Leitung zu widmen, er ließ auch alljährlich durch Fachmänner im Kölner Prieſterſeminar einen ſozialen Kurſus für die dort auszubildenden Theologen halten. Immer und überall zeigte er, wie ihm die katholiſche ſoziale Arbeit am Herzen lag und unermüdlich ſorgte er, daß bei Geiſtlichen und Laien das rechte Verſtändnis für ſie vorhanden war. Das Feuer der Prüfung iſt keiner Reformarbeit erſpart. Es kamen für die katholiſche Arbeiterbewegung die Jahre der grundſätzlichen Erörterungen, die ſo viele ſchwerwiegende Streitfragen aufwarfen. Zu Be- ginn ſeiner erzbiſchöflichen Tätigkeit waren dieſe Kämpfe eben entbrannt und haben während ſeiner ganzen Amtstätigkeit nicht geruht. Ihr hoffentlich letztes Auflodern fiel in ſeine letzten Lebenstage. Er war ſich von Anfang an be- wußt, was vom Ausgang dieſer Kämpfe, die ihre Angriffspunkte in ſeiner Diözeſe fanden, für die ganze Entwicklung der ſozialen Bewegung abhing. Keinen Augenblick zögerte er deshalb, ſich ſchützend vor die Angegriffenen zu ſtellen, die unter ſeinen Augen und mit ſeiner Billigung tätig waren. Mit Anſprachen und Hirtenbriefen trat er vor der weiten Oeffentlichkeit in die Schranken, zweimal, 1908 und 1910, war es dieſer hochherzige Beweggrund, der mit an erſter Stelle ihn nach Rom führte, um mit dem rückhaltloſen Einſetzen ſeiner ganzen Autorität Mißverſtändniſſe zu zerſtreuen und falſche Anklagen zu entkräften. Wenn die katholiſchen Arbeiter und ihre Führer trotz der ſchärfſten Anfeindungen und Verdächtigungen die Zu- verſicht nie verloren und wenn ſie nie erlahmten, dann lag der Grund in dem Bewußtſein: Unſer Kardinal ſteht zu uns und hält ſeine Hand über uns! Sie werden nie vergeſſen, was Kardinal Fiſcher in der Prüfungszeit der katholiſchen und weiterhin der chriſtlichen Arbeiterbewegung ihnen ge- weſen iſt. Möge ſein innigſter Wunſch, für deſſen Erfüllung er Tag für Tag arbeitete, ſich bald verwirklichen, daß die Tage der Prüfung abgeſchloſſen ſind und die katholiſche und chriſtliche Arbeiterbewegung frei von den Angriffen aus dem eigenen Lager ihre ganze Kraft einzig und allein für den Sieg der chriſtlichen Arbeiterbewegung über die gewaltig anwachſende chriſten feindliche Arbeiter- bewegung einſetzen kann. Weihbiſchof Dr. Müller aus Köln ermahnt die Arbeiter, ſich ſtets die drei Worte vor Augen zu halten: Wahrheit, Liebe und Einigkeit. Hierauf erteilte er den weihbiſchöflichen Segen. Schweres Automobilunglück in Neuwaldegg. Das Ende einer „ſchwarzen“ Fahrt. — Drei Schwerverletzte. Genau an derſelben Stelle, an der am 9. April 1910 bei einer Spazierfahrt der Chauffeur Georg E. mit ſeinem Automobil an eine Barrièrre anfuhr, wo- durch die Kellnerinnen Thereſe Hermann und Mizzi Heliebart ſofort tot blieben und der Monteur Bruno Hertl und die Kellnerin Käte Koblinger verletzt wurden, hat ſich geſtern nachmittag ein ganz ähnlicher Unfall ereignet. Die Stelle iſt die Franz-Karlſtraße in Neuwaldegg, die ſehr abſchüſſig und muldenreich iſt. An der Stelle, an einer Kurve, an der ſich vor zwei Jahren das Unglück ereignet, iſt dann eine Barriere angebracht worden. Und genau dort iſt geſtern ein Automobil an die Barriere angefahren, hat dieſe zertrümmert und iſt ſelbſt ganz zerſchellt. Wir erfahren darüber folgende Einzelheiten: Der Chauffeur Max Klimberger der Autotaxi- geſellſchaft, Roſeggergaſſe 45 wohnhaft, hatte geſtern nachmittag eine Fahrt nach Hernals. Als er den Dienſt erledigt hatte, lud er drei Freunde zu einer Schwarzfahrt ein. Die Freunde ſind der 24jährige Schuhmachergehilfe Gottfried Stepanek, der 28jährige Geſchäftsdiener Franz Kuß und der 30jährige Kutſcher Auguſt Jüng- ling. Die drei Freunde nahmen gerne an und ſtiegen in das Automobil. Klimberger fuhr nach Hütteldorf, wo in Gaſthäuſern eingekehrt wurde. Die Fahrt war ſehr raſch abſolviert, da Klimberger nicht gar zu viel Zeit verſäumen wollte. Gegen etwa 3 Uhr wurde der Rück- weg angetreten. Er führte über die ſehr abſchüſſige und kurven- und muldenreiche Franz-Karlſtraße in Neu- waldegg. Als das Automobil an die Stelle kam, wo ſich vor zwei Jahren das große Unglück ereignete, mußte es etwas ſchneller fahren, da die Mulden langſames Fahren nicht zulaſſen. Nach der Behauptung Klimbergers hat gerade bei der Barriere die Steuerung verſagt, ſo daß er an der Kurve das Auto nicht, wie er gewollt, nach rechts herumreißen konnte. Das Gefährte fuhr mit der vollen Wucht eiliger Fahrt an die Barriere an. Die Wir- kung war ſchrecklich. Die dicken Pfoſten und Pflöcke zer- ſplitterten wie Zündhölzer. Etwa 200 Schritte weit wur- den die herausgefetzten Stücke der Barriere geſchleudert. Der Wagen ging völlig in Trümmer. Die vier Inſaſſen wurden mit großer Wucht herausgeſchleudert und blieben liegen. Das war noch relativ ihr Glück; denn das Auto grub ſich zuerſt in den Boden ein und überſchlug ſich dann noch überdies. Dann blieb ein zerſchellter Torſo übrig. Von allen Seiten kamen Leute herbei, um den Ver- letzten zu helfen. Die Rettungsgeſellſchaft erſchien und der Arzt verband die Verwundeten und brachte ſie ins

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 370, Wien, 12.08.1912, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost370_1912/3>, abgerufen am 29.04.2024.