Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

gleichmäßig fortschreitende und harmonisch ineinander-
greifende körperliche und geistige Ausbildung zu er-
strebende Einheit. Wie die Sprache das getreueste Ge-
präge und Bild des Geistes ist, so sollen auch die Bewe-
gungen des Körpers, der Körper in seiner einheitlichen
und mannichfaltigen Erscheinung gleicherweise den
Geist verkörpern, Ausdrücke der Gedanken und Gefühle,
ein Abdruck des inwendigen Menschen sein, und als
Begleiter des Wortes dasselbe verdeutlichen und eindring-
licher machen. Unbefohlen sollen alle Bewegungen
kommen, wie sie dem Gefühl und dem Gedanken ange-
messen sind, kurz und kräftig, rasch, ernst, rund, scharf,
edel, gewöhnlich, gesund und natürlich. Die willkühr-
lichen wie die unwillkührlichen Muskeln sollen gehor-
chen dem innern Gebote, des Kühnen Auge beginnt
in demselben Augenblicke zu leuchten, wo der kühne
Gedanke am fernen Horizonte dämmert. Die Mus-
keln und Adern beginnen zu schwellen, das Herz klopft
vernehmlicher, der Athem wird hörbarer, kurz der Kör-
per weiß nichts anderes, thut nichts anderes, als was
der Geist in ihm will.

Doch fragen wir, durch welche Eigenschaften wird
der Körper befähigt, dieser treue Diener des Geistes
zu sein, so sind es vorzugsweise drei Eigenschaften,
Muskelkraft, Gelenkigkeit und Willkührlichkeit der Be-
wegungen. Die harmonische Verbindung dieser drei
Eigenschaften, giebt dem Körper das einnehmende und
anständige Aeußere der Festigkeit, Sicherheit und Ge-
wandheit in Stellung und Gebrauch der Gliedmaßen.
Dies wird uns um so deutlicher, wenn wir an die
Gegensätze dieser körperlichen Tugenden, um mich so
auszudrücken, denken; Kraft -- Schwäche; Gelenkigkeit
-- Unbeugsamkeit der Gelenke (Versteiftheit); Willkühr-
lichkeit der Bewegung (Gewandheit) -- Unempfind-
lichkeit und Ueberreizung, Trägheit und Unbeholfenheit.
Kraft, Muskelkraft, wird nur durch Übung der Mus-
keln errungen; die Beweglichkeit der Gelenke, oder Ge-
lenkigkeit, ist eine Mitgift der Natur (wie wir Säug-

gleichmäßig fortſchreitende und harmoniſch ineinander-
greifende körperliche und geiſtige Ausbildung zu er-
ſtrebende Einheit. Wie die Sprache das getreueſte Ge-
präge und Bild des Geiſtes iſt, ſo ſollen auch die Bewe-
gungen des Körpers, der Körper in ſeiner einheitlichen
und mannichfaltigen Erſcheinung gleicherweiſe den
Geiſt verkörpern, Ausdrücke der Gedanken und Gefühle,
ein Abdruck des inwendigen Menſchen ſein, und als
Begleiter des Wortes daſſelbe verdeutlichen und eindring-
licher machen. Unbefohlen ſollen alle Bewegungen
kommen, wie ſie dem Gefühl und dem Gedanken ange-
meſſen ſind, kurz und kräftig, raſch, ernſt, rund, ſcharf,
edel, gewöhnlich, geſund und natürlich. Die willkühr-
lichen wie die unwillkührlichen Muskeln ſollen gehor-
chen dem innern Gebote, des Kühnen Auge beginnt
in demſelben Augenblicke zu leuchten, wo der kühne
Gedanke am fernen Horizonte dämmert. Die Mus-
keln und Adern beginnen zu ſchwellen, das Herz klopft
vernehmlicher, der Athem wird hörbarer, kurz der Kör-
per weiß nichts anderes, thut nichts anderes, als was
der Geiſt in ihm will.

Doch fragen wir, durch welche Eigenſchaften wird
der Körper befähigt, dieſer treue Diener des Geiſtes
zu ſein, ſo ſind es vorzugsweiſe drei Eigenſchaften,
Muskelkraft, Gelenkigkeit und Willkührlichkeit der Be-
wegungen. Die harmoniſche Verbindung dieſer drei
Eigenſchaften, giebt dem Körper das einnehmende und
anſtändige Aeußere der Feſtigkeit, Sicherheit und Ge-
wandheit in Stellung und Gebrauch der Gliedmaßen.
Dies wird uns um ſo deutlicher, wenn wir an die
Gegenſätze dieſer körperlichen Tugenden, um mich ſo
auszudrücken, denken; Kraft — Schwäche; Gelenkigkeit
— Unbeugſamkeit der Gelenke (Verſteiftheit); Willkühr-
lichkeit der Bewegung (Gewandheit) — Unempfind-
lichkeit und Ueberreizung, Trägheit und Unbeholfenheit.
Kraft, Muskelkraft, wird nur durch Übung der Mus-
keln errungen; die Beweglichkeit der Gelenke, oder Ge-
lenkigkeit, iſt eine Mitgift der Natur (wie wir Säug-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0010" n="6"/>
gleichmäßig fort&#x017F;chreitende und harmoni&#x017F;ch ineinander-<lb/>
greifende körperliche und gei&#x017F;tige Ausbildung zu er-<lb/>
&#x017F;trebende Einheit. Wie die Sprache das getreue&#x017F;te Ge-<lb/>
präge und Bild des Gei&#x017F;tes i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;ollen auch die Bewe-<lb/>
gungen des Körpers, der Körper in &#x017F;einer einheitlichen<lb/>
und mannichfaltigen Er&#x017F;cheinung gleicherwei&#x017F;e den<lb/>
Gei&#x017F;t verkörpern, Ausdrücke der Gedanken und Gefühle,<lb/>
ein Abdruck des inwendigen Men&#x017F;chen &#x017F;ein, und als<lb/>
Begleiter des Wortes da&#x017F;&#x017F;elbe verdeutlichen und eindring-<lb/>
licher machen. Unbefohlen &#x017F;ollen alle Bewegungen<lb/>
kommen, wie &#x017F;ie dem Gefühl und dem Gedanken ange-<lb/>
me&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind, kurz und kräftig, ra&#x017F;ch, ern&#x017F;t, rund, &#x017F;charf,<lb/>
edel, gewöhnlich, ge&#x017F;und und natürlich. Die willkühr-<lb/>
lichen wie die unwillkührlichen Muskeln &#x017F;ollen gehor-<lb/>
chen dem innern Gebote, des Kühnen Auge beginnt<lb/>
in dem&#x017F;elben Augenblicke zu leuchten, wo der kühne<lb/>
Gedanke am fernen Horizonte dämmert. Die Mus-<lb/>
keln und Adern beginnen zu &#x017F;chwellen, das Herz klopft<lb/>
vernehmlicher, der Athem wird hörbarer, kurz der Kör-<lb/>
per weiß nichts anderes, thut nichts anderes, als was<lb/>
der Gei&#x017F;t in ihm will.</p><lb/>
        <p>Doch fragen wir, durch welche Eigen&#x017F;chaften wird<lb/>
der Körper befähigt, die&#x017F;er treue Diener des Gei&#x017F;tes<lb/>
zu &#x017F;ein, &#x017F;o &#x017F;ind es vorzugswei&#x017F;e drei Eigen&#x017F;chaften,<lb/>
Muskelkraft, Gelenkigkeit und Willkührlichkeit der Be-<lb/>
wegungen. Die harmoni&#x017F;che Verbindung die&#x017F;er drei<lb/>
Eigen&#x017F;chaften, giebt dem Körper das einnehmende und<lb/>
an&#x017F;tändige Aeußere der Fe&#x017F;tigkeit, Sicherheit und Ge-<lb/>
wandheit in Stellung und Gebrauch der Gliedmaßen.<lb/>
Dies wird uns um &#x017F;o deutlicher, wenn wir an die<lb/>
Gegen&#x017F;ätze die&#x017F;er körperlichen Tugenden, um mich &#x017F;o<lb/>
auszudrücken, denken; Kraft &#x2014; Schwäche; Gelenkigkeit<lb/>
&#x2014; Unbeug&#x017F;amkeit der Gelenke (Ver&#x017F;teiftheit); Willkühr-<lb/>
lichkeit der Bewegung (Gewandheit) &#x2014; Unempfind-<lb/>
lichkeit und Ueberreizung, Trägheit und Unbeholfenheit.<lb/>
Kraft, Muskelkraft, wird nur durch Übung der Mus-<lb/>
keln errungen; die Beweglichkeit der Gelenke, oder Ge-<lb/>
lenkigkeit, i&#x017F;t eine Mitgift der Natur (wie wir Säug-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0010] gleichmäßig fortſchreitende und harmoniſch ineinander- greifende körperliche und geiſtige Ausbildung zu er- ſtrebende Einheit. Wie die Sprache das getreueſte Ge- präge und Bild des Geiſtes iſt, ſo ſollen auch die Bewe- gungen des Körpers, der Körper in ſeiner einheitlichen und mannichfaltigen Erſcheinung gleicherweiſe den Geiſt verkörpern, Ausdrücke der Gedanken und Gefühle, ein Abdruck des inwendigen Menſchen ſein, und als Begleiter des Wortes daſſelbe verdeutlichen und eindring- licher machen. Unbefohlen ſollen alle Bewegungen kommen, wie ſie dem Gefühl und dem Gedanken ange- meſſen ſind, kurz und kräftig, raſch, ernſt, rund, ſcharf, edel, gewöhnlich, geſund und natürlich. Die willkühr- lichen wie die unwillkührlichen Muskeln ſollen gehor- chen dem innern Gebote, des Kühnen Auge beginnt in demſelben Augenblicke zu leuchten, wo der kühne Gedanke am fernen Horizonte dämmert. Die Mus- keln und Adern beginnen zu ſchwellen, das Herz klopft vernehmlicher, der Athem wird hörbarer, kurz der Kör- per weiß nichts anderes, thut nichts anderes, als was der Geiſt in ihm will. Doch fragen wir, durch welche Eigenſchaften wird der Körper befähigt, dieſer treue Diener des Geiſtes zu ſein, ſo ſind es vorzugsweiſe drei Eigenſchaften, Muskelkraft, Gelenkigkeit und Willkührlichkeit der Be- wegungen. Die harmoniſche Verbindung dieſer drei Eigenſchaften, giebt dem Körper das einnehmende und anſtändige Aeußere der Feſtigkeit, Sicherheit und Ge- wandheit in Stellung und Gebrauch der Gliedmaßen. Dies wird uns um ſo deutlicher, wenn wir an die Gegenſätze dieſer körperlichen Tugenden, um mich ſo auszudrücken, denken; Kraft — Schwäche; Gelenkigkeit — Unbeugſamkeit der Gelenke (Verſteiftheit); Willkühr- lichkeit der Bewegung (Gewandheit) — Unempfind- lichkeit und Ueberreizung, Trägheit und Unbeholfenheit. Kraft, Muskelkraft, wird nur durch Übung der Mus- keln errungen; die Beweglichkeit der Gelenke, oder Ge- lenkigkeit, iſt eine Mitgift der Natur (wie wir Säug-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/10
Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/10>, abgerufen am 28.03.2024.