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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

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Muskeln und in neuester Zeit durch die Forschungen
über die Bedingungen eines veränderten Nerveneinflus-
ses bei krankhaften Zuständen der Muskeln verdrängt.
Die Zeit war vorüber, wo Jnstrumentenmacher und
Mechaniker allein die Behandlung in den orthopädischen
Jnstituten vollbrachten, seitdem die Gymnastik mit in
den Kreis der Heilmittel gezogen wurde. Allerdings
hat auch diese Jdee ihre Auswüchse getrieben, und es
wurden Jnstitute gegründet, in denen bloßes Turnen
alle Leibesgebrechen beseitigen sollte. Von hochwich-
tigem Einflusse war in neuester Zeit die Erfindung von
Stromeier über die Durchschneidung der Muskeln und
Sehnen zur Heilung von Gebrechen, deren ganzes
Gebiet bei der vollkommenen Anerkennung des Werthes
der Operation von Aerzten durchgegangen wurde, um
die Grenzen ihrer möglichen Anwendungsfähigkeit dar-
zuthun, wobei die Nachkur allein einer gewählten
Gymnastik überlassen bleibt.

Nach solchen Vorgängen erweiterte sich der
Kreis der Personen, und die Wohlthaten der Gym-
nastik wurden einem Theile derselben zu Gute, der
eben wegen dieser Gebrechen früher davon ausgeschlos-
sen war. Es bleibt freilich ein bedeutender Unterschied
in der Wahl der Uebungen, und es wurde gerade durch
diese Erweiterung die Erfindungsgabe der Turnlehrer
in Anspruch genommen, und der gewöhnlichen Turn-
kunst eine neue Seite abgewonnen, für die Heilung
besonderer Gebrechen, sofern dieselben auf abnorme
Muskelaktion begründet sind, geeignete Methoden zu
entwerfen, Uebungen und mechanische Constructionen
für dieselben zu bilden, die vorzugsweise ihren Ein-
fluß auf die kranken Muskeln concentriren. Die auf
einen größern Kreis von Gebrechen erweiterte Ortho-
pädie, während sie gleichzeitig den Rath des Arztes,
die Operation des Chirurgen und die Maschinen des
Mechanikers zu Hülfe nimmt, bedarf eben so sehr der
Uebungen der Gymnastik, während der größte Theil

Muskeln und in neueſter Zeit durch die Forſchungen
über die Bedingungen eines veränderten Nerveneinfluſ-
ſes bei krankhaften Zuſtänden der Muskeln verdrängt.
Die Zeit war vorüber, wo Jnſtrumentenmacher und
Mechaniker allein die Behandlung in den orthopädiſchen
Jnſtituten vollbrachten, ſeitdem die Gymnaſtik mit in
den Kreis der Heilmittel gezogen wurde. Allerdings
hat auch dieſe Jdee ihre Auswüchſe getrieben, und es
wurden Jnſtitute gegründet, in denen bloßes Turnen
alle Leibesgebrechen beſeitigen ſollte. Von hochwich-
tigem Einfluſſe war in neueſter Zeit die Erfindung von
Stromeier über die Durchſchneidung der Muskeln und
Sehnen zur Heilung von Gebrechen, deren ganzes
Gebiet bei der vollkommenen Anerkennung des Werthes
der Operation von Aerzten durchgegangen wurde, um
die Grenzen ihrer möglichen Anwendungsfähigkeit dar-
zuthun, wobei die Nachkur allein einer gewählten
Gymnaſtik überlaſſen bleibt.

Nach ſolchen Vorgängen erweiterte ſich der
Kreis der Perſonen, und die Wohlthaten der Gym-
naſtik wurden einem Theile derſelben zu Gute, der
eben wegen dieſer Gebrechen früher davon ausgeſchloſ-
ſen war. Es bleibt freilich ein bedeutender Unterſchied
in der Wahl der Uebungen, und es wurde gerade durch
dieſe Erweiterung die Erfindungsgabe der Turnlehrer
in Anſpruch genommen, und der gewöhnlichen Turn-
kunſt eine neue Seite abgewonnen, für die Heilung
beſonderer Gebrechen, ſofern dieſelben auf abnorme
Muskelaktion begründet ſind, geeignete Methoden zu
entwerfen, Uebungen und mechaniſche Conſtructionen
für dieſelben zu bilden, die vorzugsweiſe ihren Ein-
fluß auf die kranken Muskeln concentriren. Die auf
einen größern Kreis von Gebrechen erweiterte Ortho-
pädie, während ſie gleichzeitig den Rath des Arztes,
die Operation des Chirurgen und die Maſchinen des
Mechanikers zu Hülfe nimmt, bedarf eben ſo ſehr der
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[14/0018] Muskeln und in neueſter Zeit durch die Forſchungen über die Bedingungen eines veränderten Nerveneinfluſ- ſes bei krankhaften Zuſtänden der Muskeln verdrängt. Die Zeit war vorüber, wo Jnſtrumentenmacher und Mechaniker allein die Behandlung in den orthopädiſchen Jnſtituten vollbrachten, ſeitdem die Gymnaſtik mit in den Kreis der Heilmittel gezogen wurde. Allerdings hat auch dieſe Jdee ihre Auswüchſe getrieben, und es wurden Jnſtitute gegründet, in denen bloßes Turnen alle Leibesgebrechen beſeitigen ſollte. Von hochwich- tigem Einfluſſe war in neueſter Zeit die Erfindung von Stromeier über die Durchſchneidung der Muskeln und Sehnen zur Heilung von Gebrechen, deren ganzes Gebiet bei der vollkommenen Anerkennung des Werthes der Operation von Aerzten durchgegangen wurde, um die Grenzen ihrer möglichen Anwendungsfähigkeit dar- zuthun, wobei die Nachkur allein einer gewählten Gymnaſtik überlaſſen bleibt. Nach ſolchen Vorgängen erweiterte ſich der Kreis der Perſonen, und die Wohlthaten der Gym- naſtik wurden einem Theile derſelben zu Gute, der eben wegen dieſer Gebrechen früher davon ausgeſchloſ- ſen war. Es bleibt freilich ein bedeutender Unterſchied in der Wahl der Uebungen, und es wurde gerade durch dieſe Erweiterung die Erfindungsgabe der Turnlehrer in Anſpruch genommen, und der gewöhnlichen Turn- kunſt eine neue Seite abgewonnen, für die Heilung beſonderer Gebrechen, ſofern dieſelben auf abnorme Muskelaktion begründet ſind, geeignete Methoden zu entwerfen, Uebungen und mechaniſche Conſtructionen für dieſelben zu bilden, die vorzugsweiſe ihren Ein- fluß auf die kranken Muskeln concentriren. Die auf einen größern Kreis von Gebrechen erweiterte Ortho- pädie, während ſie gleichzeitig den Rath des Arztes, die Operation des Chirurgen und die Maſchinen des Mechanikers zu Hülfe nimmt, bedarf eben ſo ſehr der Uebungen der Gymnaſtik, während der größte Theil

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/18>, abgerufen am 28.03.2024.