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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

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ihrer Kunst den Gesunden verbleibt, um sie vor Ge-
brechen zu bewahren.

Während die ausgebildeten, angeborenen oder
erworbenen Formfehler immer nur ihren Platz in or-
thopädischen Jnstituten zur Erreichung einer möglichen,
häufig prekären Heilung finden dürften, verbleiben den
Turnplätzen noch die zahlreichste Classe dieser Leiden-
den, bei welchen die Entwickelung solcher Uebel in
drohender Aussicht ist, und der kleinere Theil, welcher
die Uebungen zur Nachkur nach orthopädischen Curen
gebraucht. Leider zeigt es aber die Erfahrung auch auf
dem hiesigen Turnplatze, daß die ausgebildetsten Rück-
gratsverkrümmungen sofort der Anstalt übergeben wur-
den. Es kann dem Kenner nicht zweifelhaft bleiben,
daß solche Fälle keine Heilung erwarten dürfen, ohne
die gleichzeitige Mitwirkung anderer Heilpotenzen, und
nur aus dem Umstande bleibt auch hier diesen der
Turnplatz geeignet, daß es die einzige Absicht bleibt,
durch die geeigneten Uebungen die nachtheiligen Wir-
kungen der Verkrümmung theils auf die allgemeine
Gesundheit, theils auf die Mitleidenschaft anderweiti-
ger Muskelparthien entgegen zu arbeiten.

Letzteres Verhältniß paßt insbesondere für bereits
ausgebildete Mädchen, während jüngere allerdings mit
bessern Hoffnungen aufgenommen werden können. Der
letzte Cursus namentlich zeigte in dieser Hinsicht ein
erfreuliches Beispiel an einem Mädchen, welches mit
hoher Schulter und starker seitlicher Verkrümmung
der Wirbelsäule eintrat, und nach einem halben
Jahre gerade ausschied. Jn einem andern Falle hatte
eine zweijährige orthopädische Behandlung bei einem
Schiefstande des Kopfes mit Verzerrung des Gesichts
und seitlicher Verbiegung der Halswirbel dem Fort-
schritt des Uebels keinen Halt entgegen setzen können,
bis zuletzt die Turnübungen besonders nach Durch-
schneidung des Kopfnickermuskels auch auf den letztern
Fehler einen ausgezeichneten Erfolg hatten. Hier
wurde aber auch eine seltene Ausdauer im Verfolge der

ihrer Kunſt den Geſunden verbleibt, um ſie vor Ge-
brechen zu bewahren.

Während die ausgebildeten, angeborenen oder
erworbenen Formfehler immer nur ihren Platz in or-
thopädiſchen Jnſtituten zur Erreichung einer möglichen,
häufig prekären Heilung finden dürften, verbleiben den
Turnplätzen noch die zahlreichſte Claſſe dieſer Leiden-
den, bei welchen die Entwickelung ſolcher Uebel in
drohender Ausſicht iſt, und der kleinere Theil, welcher
die Uebungen zur Nachkur nach orthopädiſchen Curen
gebraucht. Leider zeigt es aber die Erfahrung auch auf
dem hieſigen Turnplatze, daß die ausgebildetſten Rück-
gratsverkrümmungen ſofort der Anſtalt übergeben wur-
den. Es kann dem Kenner nicht zweifelhaft bleiben,
daß ſolche Fälle keine Heilung erwarten dürfen, ohne
die gleichzeitige Mitwirkung anderer Heilpotenzen, und
nur aus dem Umſtande bleibt auch hier dieſen der
Turnplatz geeignet, daß es die einzige Abſicht bleibt,
durch die geeigneten Uebungen die nachtheiligen Wir-
kungen der Verkrümmung theils auf die allgemeine
Geſundheit, theils auf die Mitleidenſchaft anderweiti-
ger Muskelparthien entgegen zu arbeiten.

Letzteres Verhältniß paßt insbeſondere für bereits
ausgebildete Mädchen, während jüngere allerdings mit
beſſern Hoffnungen aufgenommen werden können. Der
letzte Curſus namentlich zeigte in dieſer Hinſicht ein
erfreuliches Beiſpiel an einem Mädchen, welches mit
hoher Schulter und ſtarker ſeitlicher Verkrümmung
der Wirbelſäule eintrat, und nach einem halben
Jahre gerade ausſchied. Jn einem andern Falle hatte
eine zweijährige orthopädiſche Behandlung bei einem
Schiefſtande des Kopfes mit Verzerrung des Geſichts
und ſeitlicher Verbiegung der Halswirbel dem Fort-
ſchritt des Uebels keinen Halt entgegen ſetzen können,
bis zuletzt die Turnübungen beſonders nach Durch-
ſchneidung des Kopfnickermuskels auch auf den letztern
Fehler einen ausgezeichneten Erfolg hatten. Hier
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[15/0019] ihrer Kunſt den Geſunden verbleibt, um ſie vor Ge- brechen zu bewahren. Während die ausgebildeten, angeborenen oder erworbenen Formfehler immer nur ihren Platz in or- thopädiſchen Jnſtituten zur Erreichung einer möglichen, häufig prekären Heilung finden dürften, verbleiben den Turnplätzen noch die zahlreichſte Claſſe dieſer Leiden- den, bei welchen die Entwickelung ſolcher Uebel in drohender Ausſicht iſt, und der kleinere Theil, welcher die Uebungen zur Nachkur nach orthopädiſchen Curen gebraucht. Leider zeigt es aber die Erfahrung auch auf dem hieſigen Turnplatze, daß die ausgebildetſten Rück- gratsverkrümmungen ſofort der Anſtalt übergeben wur- den. Es kann dem Kenner nicht zweifelhaft bleiben, daß ſolche Fälle keine Heilung erwarten dürfen, ohne die gleichzeitige Mitwirkung anderer Heilpotenzen, und nur aus dem Umſtande bleibt auch hier dieſen der Turnplatz geeignet, daß es die einzige Abſicht bleibt, durch die geeigneten Uebungen die nachtheiligen Wir- kungen der Verkrümmung theils auf die allgemeine Geſundheit, theils auf die Mitleidenſchaft anderweiti- ger Muskelparthien entgegen zu arbeiten. Letzteres Verhältniß paßt insbeſondere für bereits ausgebildete Mädchen, während jüngere allerdings mit beſſern Hoffnungen aufgenommen werden können. Der letzte Curſus namentlich zeigte in dieſer Hinſicht ein erfreuliches Beiſpiel an einem Mädchen, welches mit hoher Schulter und ſtarker ſeitlicher Verkrümmung der Wirbelſäule eintrat, und nach einem halben Jahre gerade ausſchied. Jn einem andern Falle hatte eine zweijährige orthopädiſche Behandlung bei einem Schiefſtande des Kopfes mit Verzerrung des Geſichts und ſeitlicher Verbiegung der Halswirbel dem Fort- ſchritt des Uebels keinen Halt entgegen ſetzen können, bis zuletzt die Turnübungen beſonders nach Durch- ſchneidung des Kopfnickermuskels auch auf den letztern Fehler einen ausgezeichneten Erfolg hatten. Hier wurde aber auch eine ſeltene Ausdauer im Verfolge der

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/19>, abgerufen am 25.04.2024.