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Talvj, Volkslieder der Serben, 1825

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die drohende Gefahr dringend vorstellen, und ein Bündniß
anknüpfen sollten. An den König von Ungarn, der inzwi- 1388
schen sich Boßnien von Neuem unterworfen, und daselbst ver-
weilte, wandte er sich selbst, aber es scheint nicht, als ob er ein
geneigtes Gehör bey ihm gefunden hätte. Glücklicher waren
seine Gesandten, welche dir bulgarischen, albanischen und
thessalischen Vasallen sämmtlich willig trafen, sich dem türki-
schen Joche zu entziehen.

So wäre die Freyheit Serbiens vielleicht noch zu ret-
ten gewesen, wenn der Keim der Zerstörung nicht in sei-
nem Schooße selbst geruht hätte. Denn während Stamm-
verwandte und Glaubensgenossen dem bedrohten Volke die
Hand reichten, herrschte Zwietracht im Kriegslager und am
Hofe des Zaren. Unter den Eidamen desselben waren der
obengedachte Wuk Brankowitsch, und Milosch Obilitsch, der
tapferste Held und Schmuck von Serbien. Beyde waren
gegen einander gespannt. Wuk betrachtete Milosch mit eifer-
süchtigem, dieser jenen vielleicht mit argwöhnischem Auge.
Wuk war einer der Mächtigsten des Reichs, Statthalter meh-
rerer Provinzen, und von hoher Abkunft. Milosch dagegen
von dunkler Geburt, schien alles Ansehn, welches er genoß,
so wie die vornehme Eheverbindung, nur einer glänzenden
und ausgezeichneten Persönlichkeit zu verdanken. Ein kleinli-
ches Gezänk ihrer beyden Gemahlinnen führte die Feldherrn
feindlich zusammen. Wukossawa, die Gattin des Milosch,
rühmte die Tapferkeit ihres Gemahls, ihre Schwester Maria
pries den Ruhin des ihrigen. Ein Wort gab das andre,
Maria setzte Milosch herab, und darüber erbittert, gab ihr
Wukossawa einen Backenstreich. Mit Thränen des Zorns
eilte die Beleidigte zu ihrem Gemahl, die Schmach ihm be-
richtend. Dieser, die Gattin zu rächen, und vielleicht dem
Hange des eigenen Herzens folgend, forderte Milosch zum
Zweykampf. Die Sache ward mit des Zaren Erlaubniß ver-

die drohende Gefahr dringend vorstellen, und ein Bündniß
anknüpfen sollten. An den König von Ungarn, der inzwi- 1388
schen sich Boßnien von Neuem unterworfen, und daselbst ver-
weilte, wandte er sich selbst, aber es scheint nicht, als ob er ein
geneigtes Gehör bey ihm gefunden hätte. Glücklicher waren
seine Gesandten, welche dir bulgarischen, albanischen und
thessalischen Vasallen sämmtlich willig trafen, sich dem türki-
schen Joche zu entziehen.

So wäre die Freyheit Serbiens vielleicht noch zu ret-
ten gewesen, wenn der Keim der Zerstörung nicht in sei-
nem Schooße selbst geruht hätte. Denn während Stamm-
verwandte und Glaubensgenossen dem bedrohten Volke die
Hand reichten, herrschte Zwietracht im Kriegslager und am
Hofe des Zaren. Unter den Eidamen desselben waren der
obengedachte Wuk Brankowitsch, und Milosch Obilitsch, der
tapferste Held und Schmuck von Serbien. Beyde waren
gegen einander gespannt. Wuk betrachtete Milosch mit eifer-
süchtigem, dieser jenen vielleicht mit argwöhnischem Auge.
Wuk war einer der Mächtigsten des Reichs, Statthalter meh-
rerer Provinzen, und von hoher Abkunft. Milosch dagegen
von dunkler Geburt, schien alles Ansehn, welches er genoß,
so wie die vornehme Eheverbindung, nur einer glänzenden
und ausgezeichneten Persönlichkeit zu verdanken. Ein kleinli-
ches Gezänk ihrer beyden Gemahlinnen führte die Feldherrn
feindlich zusammen. Wukossawa, die Gattin des Milosch,
rühmte die Tapferkeit ihres Gemahls, ihre Schwester Maria
pries den Ruhin des ihrigen. Ein Wort gab das andre,
Maria setzte Milosch herab, und darüber erbittert, gab ihr
Wukossawa einen Backenstreich. Mit Thränen des Zorns
eilte die Beleidigte zu ihrem Gemahl, die Schmach ihm be-
richtend. Dieser, die Gattin zu rächen, und vielleicht dem
Hange des eigenen Herzens folgend, forderte Milosch zum
Zweykampf. Die Sache ward mit des Zaren Erlaubniß ver-

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[XXX/0050] die drohende Gefahr dringend vorstellen, und ein Bündniß anknüpfen sollten. An den König von Ungarn, der inzwi- schen sich Boßnien von Neuem unterworfen, und daselbst ver- weilte, wandte er sich selbst, aber es scheint nicht, als ob er ein geneigtes Gehör bey ihm gefunden hätte. Glücklicher waren seine Gesandten, welche dir bulgarischen, albanischen und thessalischen Vasallen sämmtlich willig trafen, sich dem türki- schen Joche zu entziehen. 1388 So wäre die Freyheit Serbiens vielleicht noch zu ret- ten gewesen, wenn der Keim der Zerstörung nicht in sei- nem Schooße selbst geruht hätte. Denn während Stamm- verwandte und Glaubensgenossen dem bedrohten Volke die Hand reichten, herrschte Zwietracht im Kriegslager und am Hofe des Zaren. Unter den Eidamen desselben waren der obengedachte Wuk Brankowitsch, und Milosch Obilitsch, der tapferste Held und Schmuck von Serbien. Beyde waren gegen einander gespannt. Wuk betrachtete Milosch mit eifer- süchtigem, dieser jenen vielleicht mit argwöhnischem Auge. Wuk war einer der Mächtigsten des Reichs, Statthalter meh- rerer Provinzen, und von hoher Abkunft. Milosch dagegen von dunkler Geburt, schien alles Ansehn, welches er genoß, so wie die vornehme Eheverbindung, nur einer glänzenden und ausgezeichneten Persönlichkeit zu verdanken. Ein kleinli- ches Gezänk ihrer beyden Gemahlinnen führte die Feldherrn feindlich zusammen. Wukossawa, die Gattin des Milosch, rühmte die Tapferkeit ihres Gemahls, ihre Schwester Maria pries den Ruhin des ihrigen. Ein Wort gab das andre, Maria setzte Milosch herab, und darüber erbittert, gab ihr Wukossawa einen Backenstreich. Mit Thränen des Zorns eilte die Beleidigte zu ihrem Gemahl, die Schmach ihm be- richtend. Dieser, die Gattin zu rächen, und vielleicht dem Hange des eigenen Herzens folgend, forderte Milosch zum Zweykampf. Die Sache ward mit des Zaren Erlaubniß ver-

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Zitationshilfe: Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. XXX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/50>, abgerufen am 28.03.2024.