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Pahl, Johann Gottfried: Bertha von Wöllstein. Eine Reihe von Briefen aus dem Mittelalter. Nördlingen, 1794.

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[Kam]mer nicht auf, sondern rief zu ihm hinaus, ich sey krank, und noch im Bette. Nach einer kleinen Weile kam er mit meinem Vater wieder. Da mußt' ich freilich die Thüre öfnen. Heute erschien mein Vater nicht mehr mit dem holden, mitleidigen Blik, mit dem er mich vorgestern von der Erde aufgehoben hatte. Auf seinem Antlitze lag jene trotzige Entschlossenheit, die er gewöhnlich anzunehmen pflegt, wenn er in einer Sache, die er für gut und gerecht hält, Widerstand findet. Ich sah' wohl, daß ihm der Pfaff gerathen haben mochte, strenge gegen mich zu seyn, und meine Thränen zu verachten. Auch kam mir's vor, als wenn er mit sich selbst unzufrieden wäre, vermuthlich weil er nun einsah, wie übel er gehandelt, daß er das Gelübde so lange vor mir verborgen gehalten hat. Ich saß auf dem Stuhle und laß im Psalter, oder vielmehr ich hatte den Psalter in der Hand. Denn vor Schreken über das unfreundliche Antlitz meines Vaters konnt' ich nicht lesen.

Der Pfaff fragte mich, ob ich mich die vergangene Nacht nicht eines bessern besonnen

[Kam]mer nicht auf, sondern rief zu ihm hinaus, ich sey krank, und noch im Bette. Nach einer kleinen Weile kam er mit meinem Vater wieder. Da mußt’ ich freilich die Thüre öfnen. Heute erschien mein Vater nicht mehr mit dem holden, mitleidigen Blik, mit dem er mich vorgestern von der Erde aufgehoben hatte. Auf seinem Antlitze lag jene trotzige Entschlossenheit, die er gewöhnlich anzunehmen pflegt, wenn er in einer Sache, die er für gut und gerecht hält, Widerstand findet. Ich sah’ wohl, daß ihm der Pfaff gerathen haben mochte, strenge gegen mich zu seyn, und meine Thränen zu verachten. Auch kam mir’s vor, als wenn er mit sich selbst unzufrieden wäre, vermuthlich weil er nun einsah, wie übel er gehandelt, daß er das Gelübde so lange vor mir verborgen gehalten hat. Ich saß auf dem Stuhle und laß im Psalter, oder vielmehr ich hatte den Psalter in der Hand. Denn vor Schreken über das unfreundliche Antlitz meines Vaters konnt’ ich nicht lesen.

Der Pfaff fragte mich, ob ich mich die vergangene Nacht nicht eines bessern besonnen

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[46/0050] [Kam]mer nicht auf, sondern rief zu ihm hinaus, ich sey krank, und noch im Bette. Nach einer kleinen Weile kam er mit meinem Vater wieder. Da mußt’ ich freilich die Thüre öfnen. Heute erschien mein Vater nicht mehr mit dem holden, mitleidigen Blik, mit dem er mich vorgestern von der Erde aufgehoben hatte. Auf seinem Antlitze lag jene trotzige Entschlossenheit, die er gewöhnlich anzunehmen pflegt, wenn er in einer Sache, die er für gut und gerecht hält, Widerstand findet. Ich sah’ wohl, daß ihm der Pfaff gerathen haben mochte, strenge gegen mich zu seyn, und meine Thränen zu verachten. Auch kam mir’s vor, als wenn er mit sich selbst unzufrieden wäre, vermuthlich weil er nun einsah, wie übel er gehandelt, daß er das Gelübde so lange vor mir verborgen gehalten hat. Ich saß auf dem Stuhle und laß im Psalter, oder vielmehr ich hatte den Psalter in der Hand. Denn vor Schreken über das unfreundliche Antlitz meines Vaters konnt’ ich nicht lesen. Der Pfaff fragte mich, ob ich mich die vergangene Nacht nicht eines bessern besonnen

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Zitationshilfe: Pahl, Johann Gottfried: Bertha von Wöllstein. Eine Reihe von Briefen aus dem Mittelalter. Nördlingen, 1794, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pahl_bertha_1794/50>, abgerufen am 24.04.2024.