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Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862].

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leider in den Krallen des sächsischen Gränz-
zollamtes in Lützen.

Mit solchen und ähnlichen Possen, über
welche Paul bemerkte:

"Wenn sich der Most auch ganz absurd gebehrdet,
Es giebt zuletzt doch noch 'nen Wein,"

vertrieben wir uns die Zeit bis Leipzig.

Wenn zwei junge strebsame Leute eine
enge Freundschaft schliessen, so ist dazu nur
eine Uebereinstimmung in Bezug auf den Grund-
ton der Seelen nöthig. Jn allen übrigen Dingen
können ihre Ansichten weit auseinandergehen.
So war es mit Paul und mir. Jn den sechs
Jahren, die wir bisher in unzertrennlicher
geistiger Gemeinschaft gelebt, verging selten
ein Tag, an dem wir nicht irgend eine Kon-
troverse, im Scherz und Ernst durchgefochten
hätten, und so bewährte sich an uns der be-
kannte paradoxe Satz, dass man, um zu strei-
ten, wesentlich derselben Meinung sein müsse.

Kaum in Leipzig angekommen, war es
meine erste Sorge das theure Empfehlungs-
schreiben aus dem Felleisen zu nehmen und
in die Brieftasche zu legen. Aber nun war

leider in den Krallen des sächsischen Gränz-
zollamtes in Lützen.

Mit solchen und ähnlichen Possen, über
welche Paul bemerkte:

„Wenn sich der Most auch ganz absurd gebehrdet,
Es giebt zuletzt doch noch 'nen Wein,“

vertrieben wir uns die Zeit bis Leipzig.

Wenn zwei junge strebsame Leute eine
enge Freundschaft schliessen, so ist dazu nur
eine Uebereinstimmung in Bezug auf den Grund-
ton der Seelen nöthig. Jn allen übrigen Dingen
können ihre Ansichten weit auseinandergehen.
So war es mit Paul und mir. Jn den sechs
Jahren, die wir bisher in unzertrennlicher
geistiger Gemeinschaft gelebt, verging selten
ein Tag, an dem wir nicht irgend eine Kon-
troverse, im Scherz und Ernst durchgefochten
hätten, und so bewährte sich an uns der be-
kannte paradoxe Satz, dass man, um zu strei-
ten, wesentlich derselben Meinung sein müsse.

Kaum in Leipzig angekommen, war es
meine erste Sorge das theure Empfehlungs-
schreiben aus dem Felleisen zu nehmen und
in die Brieftasche zu legen. Aber nun war

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[13/0018] leider in den Krallen des sächsischen Gränz- zollamtes in Lützen. Mit solchen und ähnlichen Possen, über welche Paul bemerkte: „Wenn sich der Most auch ganz absurd gebehrdet, Es giebt zuletzt doch noch 'nen Wein,“ vertrieben wir uns die Zeit bis Leipzig. Wenn zwei junge strebsame Leute eine enge Freundschaft schliessen, so ist dazu nur eine Uebereinstimmung in Bezug auf den Grund- ton der Seelen nöthig. Jn allen übrigen Dingen können ihre Ansichten weit auseinandergehen. So war es mit Paul und mir. Jn den sechs Jahren, die wir bisher in unzertrennlicher geistiger Gemeinschaft gelebt, verging selten ein Tag, an dem wir nicht irgend eine Kon- troverse, im Scherz und Ernst durchgefochten hätten, und so bewährte sich an uns der be- kannte paradoxe Satz, dass man, um zu strei- ten, wesentlich derselben Meinung sein müsse. Kaum in Leipzig angekommen, war es meine erste Sorge das theure Empfehlungs- schreiben aus dem Felleisen zu nehmen und in die Brieftasche zu legen. Aber nun war

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862], S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819/18>, abgerufen am 29.03.2024.