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Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862].

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Von Dresden aus hatte ich eine Geschäfts-
reise nach Leipzig und Halle zu machen. Bei
dieser Gelegenheit dachte ich noch weiter bis
Weimar zu gehn, um den so lange unterdrück-
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dass das 78. Jahr, das am 28. Aug. 1827 sich
vollenden sollte, ihn in ungeschwächter, geisti-
ger Kraft erreicht habe, aber wer konnte er-
messen, wie lange noch dieser mächtige Geist,
dessen rastloses Wirken über ein halbes Jahr-
hundert gedauert, dem kräftigen Körper gebie-
ten werde?

An allerlei näheren Beziehungen, die sich
inzwischen mit Goethe angeknüpft hatten, fehlte
es mir nicht. Meine Schwester Lilli hatte
Goethen im Jahre 1823 in Marienbad bei der
Fürstin von Hohenzollern gesehn, und sogar
einen Kuss von ihm bekommen. Am andern
Morgen, kurz vor der Abreise, übersandte er
ihr ein Zettelchen mit dem kleinen Gedichte:

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hundert gedauert, dem kräftigen Körper gebie-
ten werde?

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es mir nicht. Meine Schwester Lilli hatte
Goethen im Jahre 1823 in Marienbad bei der
Fürstin von Hohenzollern gesehn, und sogar
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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862], S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819/41>, abgerufen am 19.04.2024.