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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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selbst zu schleifen, ausgesuchte Gänsekiele in kunstgerechter Weise für alle Arten von Schrift zu schneiden, verstand sie aus dem Grunde, und gab mir gern Unterricht darin. Ihre Tinte war stets von einer beneidenswerthen Schwärze, und sie impfte mir den Abscheu ein, dieselbe mit Wasser zu verdünnen.

Oft genug hatte sie uns von der kunstvoll ausgebildeten Handschrift des obengedachten Vetters Wilhelm erzählt, so daß wir sehr begierig wurden, etwas von ihm zu sehn. Er schickte denn auch nach vielem Sichbittenlassen und Zögern der Tante zwei Pergamentblätter in Oktavo, eins mit deutscher, das andre mit lateinischer Schrift. Dies waren nun allerdings kalligraphische Kunstwerke, zu deren Herstellung er vielleicht drei Wochen gebraucht. Um sie zu schonen, hatte er sie mit irgend einem Firnisse überzogen, der gelb geworden war und ihnen ein schmutziges Ansehn gab. Wir bewunderten die Blätter gebührender Maaßen, allein ich wurde plötzlich sehr ernüchtert, als ich sein Begleitschreiben an die Tante betrachtete, und darin eine ganz unsichere kritzelnde Hand wahrnahm. Langsam und mit großer Mühe wohlgeformte und abgezirkelte Buchstaben hinzumalen, schien mir eine Kunst des Kupferstechers, aber in dem flüchtigsten Billet Schwung und Anmuth der Züge zu bewahren, wie dies bei der Tante Jettchen der Fall war, hielt ich für eine weit lobenswerthere Eigenschaft.

Von dem Dr. (nachherigen Geheimerath) Hermbstädt, der als junger Docent im Eichmannschen Hause verkehrte, hatte die Tante sich in der Physik und Chemie unterrichten lassen, allein dieses Studium durfte nicht lange fortgesetzt werden, weil sie einstmals durch eine zerbrochene Flasche

selbst zu schleifen, ausgesuchte Gänsekiele in kunstgerechter Weise für alle Arten von Schrift zu schneiden, verstand sie aus dem Grunde, und gab mir gern Unterricht darin. Ihre Tinte war stets von einer beneidenswerthen Schwärze, und sie impfte mir den Abscheu ein, dieselbe mit Wasser zu verdünnen.

Oft genug hatte sie uns von der kunstvoll ausgebildeten Handschrift des obengedachten Vetters Wilhelm erzählt, so daß wir sehr begierig wurden, etwas von ihm zu sehn. Er schickte denn auch nach vielem Sichbittenlassen und Zögern der Tante zwei Pergamentblätter in Oktavo, eins mit deutscher, das andre mit lateinischer Schrift. Dies waren nun allerdings kalligraphische Kunstwerke, zu deren Herstellung er vielleicht drei Wochen gebraucht. Um sie zu schonen, hatte er sie mit irgend einem Firnisse überzogen, der gelb geworden war und ihnen ein schmutziges Ansehn gab. Wir bewunderten die Blätter gebührender Maaßen, allein ich wurde plötzlich sehr ernüchtert, als ich sein Begleitschreiben an die Tante betrachtete, und darin eine ganz unsichere kritzelnde Hand wahrnahm. Langsam und mit großer Mühe wohlgeformte und abgezirkelte Buchstaben hinzumalen, schien mir eine Kunst des Kupferstechers, aber in dem flüchtigsten Billet Schwung und Anmuth der Züge zu bewahren, wie dies bei der Tante Jettchen der Fall war, hielt ich für eine weit lobenswerthere Eigenschaft.

Von dem Dr. (nachherigen Geheimerath) Hermbstädt, der als junger Docent im Eichmannschen Hause verkehrte, hatte die Tante sich in der Physik und Chemie unterrichten lassen, allein dieses Studium durfte nicht lange fortgesetzt werden, weil sie einstmals durch eine zerbrochene Flasche

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[249/0261] selbst zu schleifen, ausgesuchte Gänsekiele in kunstgerechter Weise für alle Arten von Schrift zu schneiden, verstand sie aus dem Grunde, und gab mir gern Unterricht darin. Ihre Tinte war stets von einer beneidenswerthen Schwärze, und sie impfte mir den Abscheu ein, dieselbe mit Wasser zu verdünnen. Oft genug hatte sie uns von der kunstvoll ausgebildeten Handschrift des obengedachten Vetters Wilhelm erzählt, so daß wir sehr begierig wurden, etwas von ihm zu sehn. Er schickte denn auch nach vielem Sichbittenlassen und Zögern der Tante zwei Pergamentblätter in Oktavo, eins mit deutscher, das andre mit lateinischer Schrift. Dies waren nun allerdings kalligraphische Kunstwerke, zu deren Herstellung er vielleicht drei Wochen gebraucht. Um sie zu schonen, hatte er sie mit irgend einem Firnisse überzogen, der gelb geworden war und ihnen ein schmutziges Ansehn gab. Wir bewunderten die Blätter gebührender Maaßen, allein ich wurde plötzlich sehr ernüchtert, als ich sein Begleitschreiben an die Tante betrachtete, und darin eine ganz unsichere kritzelnde Hand wahrnahm. Langsam und mit großer Mühe wohlgeformte und abgezirkelte Buchstaben hinzumalen, schien mir eine Kunst des Kupferstechers, aber in dem flüchtigsten Billet Schwung und Anmuth der Züge zu bewahren, wie dies bei der Tante Jettchen der Fall war, hielt ich für eine weit lobenswerthere Eigenschaft. Von dem Dr. (nachherigen Geheimerath) Hermbstädt, der als junger Docent im Eichmannschen Hause verkehrte, hatte die Tante sich in der Physik und Chemie unterrichten lassen, allein dieses Studium durfte nicht lange fortgesetzt werden, weil sie einstmals durch eine zerbrochene Flasche

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/261>, abgerufen am 23.04.2024.