Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Fritz (geb. 1800) war 2 Jahre jünger als ich, sehr gutmüthig und gefällig, aufbrausend und versöhnlich, naseweis und geschwätzig, ein Hans in allen Ecken, der alles wußte und alles gesehn hatte, zum Lernen nicht besonders geneigt, aber gewandt in der Auffassung praktischer Verhältnisse. Da er bisher in einer kleinen sächsischen Landstadt erzogen war, so brachte er die sächsische Höflichkeit mit, und nannte meine Aeltern einige Zeit, ehe er sich zu dem vertraulichen Vater und Mutter entschließen konnte, nicht anders als: Herr Hofrath Parthey und Frau Hofräthin Parthey.

Die Verschiedenheit unserer Karaktere zeigte sich gleich in den ersten Tagen. Wenn mich früher meine zweite Mutter wegen Unart in eine Ecke setzte, so saß ich, vom Gefühle meines Unglücks überwältigt, still weinend dort, ohne daß es mir eingefallen wäre, eine Abkürzung der Strafe zu erbitten. Als es nun zuerst vorkam, daß Fritz in die eine, und ich in die andere Ecke gesetzt wurden, weil wir uns geprügelt, so dauerte es gar nicht lange, bis Fritz mit großer Fassung und Entschlossenheit sagte: Frau Hofräthin Parthey, darf ich jetzt wieder aufstehn? Ich muß bekennen, daß es mir schwer, ja fast unmöglich wurde, dieses gute Beispiel nachzuahmen.

Fritz zeigte entschiedenes Talent zum Schauspieler, denn er konnte sein kleines Gesicht in die mannigfaltigsten Formen legen. Ueber der schmalen Stirn und den blauen Augen buschte sich ein volles, krauses, blondes Haupthaar empor, eine lange vornehme Nase stand über einem feinen wohlgebildeten Munde; die scharfen Augenbrauen konnte er bald tragisch hinaufziehn, bald komisch zusammenkneifen, und außerdem die Ohren spitzen, was von

Fritz (geb. 1800) war 2 Jahre jünger als ich, sehr gutmüthig und gefällig, aufbrausend und versöhnlich, naseweis und geschwätzig, ein Hans in allen Ecken, der alles wußte und alles gesehn hatte, zum Lernen nicht besonders geneigt, aber gewandt in der Auffassung praktischer Verhältnisse. Da er bisher in einer kleinen sächsischen Landstadt erzogen war, so brachte er die sächsische Höflichkeit mit, und nannte meine Aeltern einige Zeit, ehe er sich zu dem vertraulichen Vater und Mutter entschließen konnte, nicht anders als: Herr Hofrath Parthey und Frau Hofräthin Parthey.

Die Verschiedenheit unserer Karaktere zeigte sich gleich in den ersten Tagen. Wenn mich früher meine zweite Mutter wegen Unart in eine Ecke setzte, so saß ich, vom Gefühle meines Unglücks überwältigt, still weinend dort, ohne daß es mir eingefallen wäre, eine Abkürzung der Strafe zu erbitten. Als es nun zuerst vorkam, daß Fritz in die eine, und ich in die andere Ecke gesetzt wurden, weil wir uns geprügelt, so dauerte es gar nicht lange, bis Fritz mit großer Fassung und Entschlossenheit sagte: Frau Hofräthin Parthey, darf ich jetzt wieder aufstehn? Ich muß bekennen, daß es mir schwer, ja fast unmöglich wurde, dieses gute Beispiel nachzuahmen.

Fritz zeigte entschiedenes Talent zum Schauspieler, denn er konnte sein kleines Gesicht in die mannigfaltigsten Formen legen. Ueber der schmalen Stirn und den blauen Augen buschte sich ein volles, krauses, blondes Haupthaar empor, eine lange vornehme Nase stand über einem feinen wohlgebildeten Munde; die scharfen Augenbrauen konnte er bald tragisch hinaufziehn, bald komisch zusammenkneifen, und außerdem die Ohren spitzen, was von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <pb facs="#f0033" n="21"/>
        </p><lb/>
        <p>Fritz (geb. 1800) war 2 Jahre jünger als ich, sehr gutmüthig und gefällig, aufbrausend und versöhnlich, naseweis und geschwätzig, ein Hans in allen Ecken, der alles wußte und alles gesehn hatte, zum Lernen nicht besonders geneigt, aber gewandt in der Auffassung praktischer Verhältnisse. Da er bisher in einer kleinen sächsischen Landstadt erzogen war, so brachte er die sächsische Höflichkeit mit, und nannte meine Aeltern einige Zeit, ehe er sich zu dem vertraulichen Vater und Mutter entschließen konnte, nicht anders als: Herr Hofrath Parthey und Frau Hofräthin Parthey. </p><lb/>
        <p>Die Verschiedenheit unserer Karaktere zeigte sich gleich in den ersten Tagen. Wenn mich früher meine zweite Mutter wegen Unart in eine Ecke setzte, so saß ich, vom Gefühle meines Unglücks überwältigt, still weinend dort, ohne daß es mir eingefallen wäre, eine Abkürzung der Strafe zu erbitten. Als es nun zuerst vorkam, daß Fritz in die eine, und ich in die andere Ecke gesetzt wurden, weil wir uns geprügelt, so dauerte es gar nicht lange, bis Fritz mit großer Fassung und Entschlossenheit sagte: Frau Hofräthin Parthey, darf ich jetzt wieder aufstehn? Ich muß bekennen, daß es mir schwer, ja fast unmöglich wurde, dieses gute Beispiel nachzuahmen. </p><lb/>
        <p>Fritz zeigte entschiedenes Talent zum Schauspieler, denn er konnte sein kleines Gesicht in die mannigfaltigsten Formen legen. Ueber der schmalen Stirn und den blauen Augen buschte sich ein volles, krauses, blondes Haupthaar empor, eine lange vornehme Nase stand über einem feinen wohlgebildeten Munde; die scharfen Augenbrauen konnte er bald tragisch hinaufziehn, bald komisch zusammenkneifen, und außerdem die Ohren spitzen, was von
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0033] Fritz (geb. 1800) war 2 Jahre jünger als ich, sehr gutmüthig und gefällig, aufbrausend und versöhnlich, naseweis und geschwätzig, ein Hans in allen Ecken, der alles wußte und alles gesehn hatte, zum Lernen nicht besonders geneigt, aber gewandt in der Auffassung praktischer Verhältnisse. Da er bisher in einer kleinen sächsischen Landstadt erzogen war, so brachte er die sächsische Höflichkeit mit, und nannte meine Aeltern einige Zeit, ehe er sich zu dem vertraulichen Vater und Mutter entschließen konnte, nicht anders als: Herr Hofrath Parthey und Frau Hofräthin Parthey. Die Verschiedenheit unserer Karaktere zeigte sich gleich in den ersten Tagen. Wenn mich früher meine zweite Mutter wegen Unart in eine Ecke setzte, so saß ich, vom Gefühle meines Unglücks überwältigt, still weinend dort, ohne daß es mir eingefallen wäre, eine Abkürzung der Strafe zu erbitten. Als es nun zuerst vorkam, daß Fritz in die eine, und ich in die andere Ecke gesetzt wurden, weil wir uns geprügelt, so dauerte es gar nicht lange, bis Fritz mit großer Fassung und Entschlossenheit sagte: Frau Hofräthin Parthey, darf ich jetzt wieder aufstehn? Ich muß bekennen, daß es mir schwer, ja fast unmöglich wurde, dieses gute Beispiel nachzuahmen. Fritz zeigte entschiedenes Talent zum Schauspieler, denn er konnte sein kleines Gesicht in die mannigfaltigsten Formen legen. Ueber der schmalen Stirn und den blauen Augen buschte sich ein volles, krauses, blondes Haupthaar empor, eine lange vornehme Nase stand über einem feinen wohlgebildeten Munde; die scharfen Augenbrauen konnte er bald tragisch hinaufziehn, bald komisch zusammenkneifen, und außerdem die Ohren spitzen, was von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/33
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/33>, abgerufen am 29.03.2024.