Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Zeiger rechts auf der 3, so ist es ein Viertel, steht er unten auf der 6, so ist es halb, links auf der 9, so ist es drei Viertel, und oben auf der 12, so ist es voll. Wenn also der kleine Zeiger nicht mehr weit von der Acht steht, so siehst du, daß es Zeit ist, in die Schule zu gehen, und wenn dann der große gegen die Neun heranrückt, so ist es drei Viertel auf Acht, wo wir unsere Mappen packen." Seitdem kam er nicht mehr zu spät in die Schule, doch hatte es einige Mühe gekostet, ihm die römischen Zahlen X und V deutlich zu machen.

Als wir aufhörten, mit bleiernen Soldaten und Baukasten zu spielen, wurden die langen Winterabende mit Musik und Vorlesen ausgefüllt. Sobald der Vater aus seiner Arbeitstube in das Wohnzimmer herüberkam, so konnte er uns kein größeres Vergnügen bereiten, als wenn er sich an das Klavier setzte und uns etwas vorspielte. Er wählte dazu theils Choräle, theils Lieder, theils einzelne Stücke aus guten Opern. Mit den Chorälen konnten wir uns nicht recht befreunden, weil Kinderherzen mehr zur Freude als zur Andacht hinneigen, und weil die Choräle nach der damaligen Sitte so unendlich langsam vorgetragen wurden, daß von einem Flusse der Melodie gar nichts zu spüren war. Gleich nach dem ersten Verse pflegte meine Schwester zu sagen: Nun, lieber Vater, etwas hübsches. Da folgte denn eine altmodische, aber lebhaft bewegte Sarabande von Kirnberger, ein muntres Stück aus der Zauberflöte oder der Furientanz aus Glucks Armide. Dieser letzte blieb unser Lieblingsstück, als wir später der Aufführung der Oper beiwohnten. Fritz, dem es an allem musikalischen Sinne fehlte, entschädigte sich und uns für diesen Mangel, indem er die halsbrechenden

Zeiger rechts auf der 3, so ist es ein Viertel, steht er unten auf der 6, so ist es halb, links auf der 9, so ist es drei Viertel, und oben auf der 12, so ist es voll. Wenn also der kleine Zeiger nicht mehr weit von der Acht steht, so siehst du, daß es Zeit ist, in die Schule zu gehen, und wenn dann der große gegen die Neun heranrückt, so ist es drei Viertel auf Acht, wo wir unsere Mappen packen.“ Seitdem kam er nicht mehr zu spät in die Schule, doch hatte es einige Mühe gekostet, ihm die römischen Zahlen X und V deutlich zu machen.

Als wir aufhörten, mit bleiernen Soldaten und Baukasten zu spielen, wurden die langen Winterabende mit Musik und Vorlesen ausgefüllt. Sobald der Vater aus seiner Arbeitstube in das Wohnzimmer herüberkam, so konnte er uns kein größeres Vergnügen bereiten, als wenn er sich an das Klavier setzte und uns etwas vorspielte. Er wählte dazu theils Choräle, theils Lieder, theils einzelne Stücke aus guten Opern. Mit den Chorälen konnten wir uns nicht recht befreunden, weil Kinderherzen mehr zur Freude als zur Andacht hinneigen, und weil die Choräle nach der damaligen Sitte so unendlich langsam vorgetragen wurden, daß von einem Flusse der Melodie gar nichts zu spüren war. Gleich nach dem ersten Verse pflegte meine Schwester zu sagen: Nun, lieber Vater, etwas hübsches. Da folgte denn eine altmodische, aber lebhaft bewegte Sarabande von Kirnberger, ein muntres Stück aus der Zauberflöte oder der Furientanz aus Glucks Armide. Dieser letzte blieb unser Lieblingsstück, als wir später der Aufführung der Oper beiwohnten. Fritz, dem es an allem musikalischen Sinne fehlte, entschädigte sich und uns für diesen Mangel, indem er die halsbrechenden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0037" n="25"/>
Zeiger rechts auf der 3, so ist es ein Viertel, steht er unten auf der 6, so ist es halb, links auf der 9, so ist es drei Viertel, und oben auf der 12, so ist es voll. Wenn also der kleine Zeiger nicht mehr weit von der Acht steht, so siehst du, daß es Zeit ist, in die Schule zu gehen, und wenn dann der große gegen die Neun heranrückt, so ist es drei Viertel auf Acht, wo wir unsere Mappen packen.&#x201C; Seitdem kam er nicht mehr zu spät in die Schule, doch hatte es einige Mühe gekostet, ihm die römischen Zahlen X und V deutlich zu machen. </p><lb/>
        <p>Als wir aufhörten, mit bleiernen Soldaten und Baukasten zu spielen, wurden die langen Winterabende mit Musik und Vorlesen ausgefüllt. Sobald der Vater aus seiner Arbeitstube in das Wohnzimmer herüberkam, so konnte er uns kein größeres Vergnügen bereiten, als wenn er sich an das Klavier setzte und uns etwas vorspielte. Er wählte dazu theils Choräle, theils Lieder, theils einzelne Stücke aus guten Opern. Mit den Chorälen konnten wir uns nicht recht befreunden, weil Kinderherzen mehr zur Freude als zur Andacht hinneigen, und weil die Choräle nach der damaligen Sitte so unendlich langsam vorgetragen wurden, daß von einem Flusse der Melodie gar nichts zu spüren war. Gleich nach dem ersten Verse pflegte meine Schwester zu sagen: Nun, lieber Vater, etwas hübsches. Da folgte denn eine altmodische, aber lebhaft bewegte Sarabande von Kirnberger, ein muntres Stück aus der Zauberflöte oder der Furientanz aus Glucks Armide. Dieser letzte blieb unser Lieblingsstück, als wir später der Aufführung der Oper beiwohnten. Fritz, dem es an allem musikalischen Sinne fehlte, entschädigte sich und uns für diesen Mangel, indem er die halsbrechenden
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0037] Zeiger rechts auf der 3, so ist es ein Viertel, steht er unten auf der 6, so ist es halb, links auf der 9, so ist es drei Viertel, und oben auf der 12, so ist es voll. Wenn also der kleine Zeiger nicht mehr weit von der Acht steht, so siehst du, daß es Zeit ist, in die Schule zu gehen, und wenn dann der große gegen die Neun heranrückt, so ist es drei Viertel auf Acht, wo wir unsere Mappen packen.“ Seitdem kam er nicht mehr zu spät in die Schule, doch hatte es einige Mühe gekostet, ihm die römischen Zahlen X und V deutlich zu machen. Als wir aufhörten, mit bleiernen Soldaten und Baukasten zu spielen, wurden die langen Winterabende mit Musik und Vorlesen ausgefüllt. Sobald der Vater aus seiner Arbeitstube in das Wohnzimmer herüberkam, so konnte er uns kein größeres Vergnügen bereiten, als wenn er sich an das Klavier setzte und uns etwas vorspielte. Er wählte dazu theils Choräle, theils Lieder, theils einzelne Stücke aus guten Opern. Mit den Chorälen konnten wir uns nicht recht befreunden, weil Kinderherzen mehr zur Freude als zur Andacht hinneigen, und weil die Choräle nach der damaligen Sitte so unendlich langsam vorgetragen wurden, daß von einem Flusse der Melodie gar nichts zu spüren war. Gleich nach dem ersten Verse pflegte meine Schwester zu sagen: Nun, lieber Vater, etwas hübsches. Da folgte denn eine altmodische, aber lebhaft bewegte Sarabande von Kirnberger, ein muntres Stück aus der Zauberflöte oder der Furientanz aus Glucks Armide. Dieser letzte blieb unser Lieblingsstück, als wir später der Aufführung der Oper beiwohnten. Fritz, dem es an allem musikalischen Sinne fehlte, entschädigte sich und uns für diesen Mangel, indem er die halsbrechenden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/37
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/37>, abgerufen am 18.04.2024.